Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gehen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 1023
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Gehen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 1023. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gehen (Version vom 04.07.2021)

[1023] Gehen. Die Mechanik des Gehens ist, wie überhaupt die ganze physiologische Bewegungslehre, ungemein kompliziert und kann von sehr verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet werden. Am nächsten liegt es, einen gehenden Menschen zu beobachten, festzustellen, wie er das Bein aufsetzt, wie er dasselbe abstößt, welche Schwankungen dabei der Rumpf in horizontaler sowohl als vertikaler Richtung macht u. dgl. m. Eine tiefere Betrachtung geht von der Überlegung aus, daß das G. aus dem Zusammenwirken einer großen Anzahl von Apparaten hervorgeht, und sucht die Beantwortung der zahlreichen Detailfragen in mathematischer Form zu erledigen. Die einzelnen Mechanismen, aus denen sich der Gang zusammensetzt, werden hierbei vom anatomischen und physiologischen Standpunkt aus eingehend untersucht. Diese Betrachtungsweise ist zu speziell, als daß sie hier näher berücksichtigt werden könnte. – Beim G. wird der Körper durch die abwechselnde Thätigkeit beider Beine in horizontaler Richtung fortbewegt; man kann das G. als ein fortwährendes Fallen nach vorn auffassen, welches dadurch verhindert wird, daß das vorwärts schwingende Bein immer einen neuen Stützpunkt findet. Bei Anwendung eines Minimums an Muskelkraft schwingt dieses Bein nach den Pendelgesetzen nach vorwärts, und deshalb besitzt der Mensch unter diesen Verhältnissen eine der Länge seiner Beine entsprechende Schrittdauer. Durch Anwendung von Muskelthätigkeit kann man diesen natürlichen, durch die Länge der Beine bedingten Gang bis zu einem gewissen Grad modifizieren. Bei dem schnellen Gang wird die Vorwärtsbewegung der Beine durch Muskelaktion beschleunigt; es gelingt dies aber auch dadurch, daß man das schwingende Pendel durch Krümmung der Beine in den Knieen verkürzt. Letzterer Gang entwickelt sich gewohnheitsmäßig bei Individuen, welche viel und rasch gehen, Boten, Barbieren etc. Der Gang des Menschen ist wegen der geringen Stützfläche für den Schwerpunkt unsicher und muß in der Kindheit erst mühsam erlernt werden. – Der Gang der Vierfüßler ist komplizierter. Im Schritt wird bei ihnen erst der eine Vorderfuß, dann der diagonal gestellte Hinterfuß, hierauf der andre Vorderfuß und endlich der letzte Hinterfuß bewegt. Verschieden hiervon ist der Paß, der darin besteht, daß die beiden Extremitäten einer Seite gleichzeitig bewegt werden. Giraffen, Kamele, Elefanten gehen naturgemäß Paß. In gewissen Ländern, z. B. Südamerika, gewöhnt man den Pferden den Paß an, weil diese Gangart den Reiter weniger angreift. Die Vögel gehen meistens schwerfällig und bewegen sich vielfach hüpfend vorwärts. Vgl. Borelli, De motu animalium (Rom 1680, zuletzt Haag 1743); Gebr. Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge (Götting. 1836); Duchenne, Physiologie des mouvements du pied (Par. 1856); Pettigrew, Ortsbewegungen der Tiere (deutsch, Leipz. 1875); Marey, La machine animale (2. Aufl., Par. 1878); Fick, Spezielle Bewegungslehre, in Hermanns „Handbuch der Physiologie“, Bd. 1, Teil 2 (Leipz. 1879).