Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Gautier“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 958959
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Gautier. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 958–959. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Gautier (Version vom 14.02.2024)

[958] Gautier (spr. gohtjeh), 1) Théophile, franz. Dichter und Kunstkritiker, geb. 21. Aug. 1808 zu Tarbes, kam in frühster Jugend nach Paris, wo er auf den Collèges Louis le Grand und Charlemagne seine Bildung erhielt, widmete sich dann unter Riouts Leitung der Malerei, gab aber infolge des Mißlingens seiner ersten malerischen Versuche diesen Beruf wieder auf und wandte sich der Litteratur zu. Ein eifriger Anhänger Victor Hugos, beteiligte er sich auf seiten der Romantiker lebhaft an dem Kampf gegen die alte Schule, trat mit Gedichten und Novellen hervor und ward ein angesehener und einflußreicher Mitarbeiter an verschiedenen Zeitschriften, namentlich an der „Presse“, am „Figaro“, am „Artiste“, an der „Revue de Paris“, zuletzt (seit 1856) am offiziellen „Moniteur“. Daneben unternahm er große Reisen durch fast alle Länder Europas. Er starb 23. Okt. 1872 in Neuilly bei Paris. G. genießt das Ansehen eines ausgezeichneten Novellisten und eines Lyrikers ersten Ranges; er wurde der Stifter einer eignen Schule, als deren namhafteste Anhänger Ch. Baudelaire, Paul Saint-Victor und Th. de Banville zu nennen sind. Seinen „Premières poésies“ (1830) folgten „La comédie de la morte“ (1838), ein neuer Band „Poésies“ (1845), „Émaux et camées“ (1852) und „Poésies nouvelles“ (1863), die als „Poésies complètes, 1830–1872“ (zuletzt 1885, 2 Bde.) gesammelt erschienen. Von seinen Novellen nennen wir: „Les Jeune-France, romans goguenards“ (1832); „Mademoiselle de Maupin“ (1835), eins der glänzendsten, aber auch sittlich anstößigsten Erzeugnisse der neuern französischen Litteratur; „Fortunio“ (1838); „Une larme du diable“ (1839); „La peau de tigre“ (1852, 3 Bde.); „Jettatura“ (1857); „Le capitaine Fracasse“ (1863, 2 Bde.); „La belle Jenny“ (1865); „Spirite“ (1866) u. a., zum Teil gesammelt unter dem Titel: „Nouvelles“ (15. Aufl. 1884). Ganz besonders ausgezeichnet war G. auch als Reiseschriftsteller, so in den anziehenden und, wie seine Novellen, oft aufgelegten Schilderungen seiner Reisen in Spanien: „Tra los montes“ (1843), in Italien: „Loin de Paris“ (1852), in der Türkei: „Constantinople“ (1853), in Rußland: „Trésors d’art de la Russie“ (1860–63) und „Voyage en Russie“ (1866). Auch schrieb er den Text zu mehreren großen pantomimischen Balletten („Giselle“, 1841; „La Péri“, 1843; „Sacontala“, 1848) und einige kleine Theaterstücke, die aber wenig Glück machten (gesammelt erschienen 1872). Seine Kritik war geistreich-sprudelnd, aber (namentlich in der spätern Epoche) blasiert und allzu nachsichtig; in der Kunstkritik steht er, wenigstens was die Beschreibung betrifft, geradezu unerreicht da. Seine Theaterrezensionen für die „Presse“ und den „Moniteur“ erschienen gesammelt unter dem Titel: „Histoire de l’art dramatique en France depuis 25 ans“ (1859, 6 Bde.). Außerdem sind von seinen Werken noch zu erwähnen: „Les grotesques“ (1844), eine Charakteristik von Schriftstellern des 16. und 17. Jahrh.; „Histoire du Romantisme, 1830–68“ (4. Aufl. 1884); „Honoré de Balzac“, Erinnerungen (1858); „Ménagerie intime“ (1869), eine Art Autobiographie, und die posthumen Werke: „Portraits et souvenirs littéraires“ (1875) und „L’Orient“ (1877, 2 Bde.). Vgl. Feydeau, Th. G.; souvenirs intimes (1874); Bergerat (Gautiers Schwiegersohn), Th. G.; entretiens, souvenirs, correspondances (1878).

Seine Tochter Judith G., geb. 1850, beschäftigte sich schon frühzeitig mit dem Studium der chinesischen Sprache und veröffentlichte 1867 Übersetzungen aus derselben unter dem Titel: „Livre de jade“. Später folgten einige Romane: „Le dragon impérial“, der chinesischen Geschichte entnommen; „L’usurpateur“, in Japan spielend (1875); „Lucienne“ (1877); „Iskender“ (1886); „Les peuples étranges“ (1879), eine ethnographische Studie, und „Richard Wagner et son œuvre poétique“ (1882; deutsch, Minden 1883).

2) Emile Théodore Léon, franz. Gelehrter, geb. 8. Aug. 1832 zu Havre, wurde Archivar des Departements [959] Obermarne, später Chef der kaiserlichen Archive zu Paris und 1871 Professor der Paläographie an der École des chartes. Von seinen Schriften, welche eine blinde Verehrung des Mittelalters bekunden, verdienen Erwähnung: „Comment faut-il juger le moyen-âge?“ (1858); „Quelques mots sur l’étude de la paléographie et de la diplomatique“ (1858, 3. Aufl. 1864); „Définition catholique de l’histoire“ (1860); „Scènes et nouvelles catholiques“ (1861, 2. Aufl. 1875); „Voyage d’un catholique autour de sa chambre“ (1862, 2. Aufl. 1875; deutsch, Augsb. 1864); „Benoit XI, étude sur la papauté“ (1863, 3. Aufl. 1876); „Études historiques pour la défense de l’Église“ (1864); „Études littéraires pour la défense de l’Église“ (1865); „Portraits littéraires“ (1868); „Portraits contemporains et questions actuelles“ (1873, 2. Aufl. 1879); „Lettres d’un catholique“ (1876–78, 2 Bde.); „Vingt nouveaux portraits“ (1878); „La chevalerie“ (1884) und das preisgekrönte Werk „Les épopées françaises“, eine Studie über die Ursprünge der französischen Litteratur (1866–67, 3 Bde.; 2. Aufl. 1878–1882, 4 Bde.). Auch hat man von ihm eine Ausgabe des „Chanson de Roland“ (14. Aufl. 1884).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 324
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[324] Gautier, 1) Théophile, franz. Dichter. Vgl. de Lovenjoul, Histoire des œuvres de Th. G. (Par. 1887); M. Ducamp, Théophile G. (das. 1890).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 353
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[353] Gautier (spr. gohtjeh), Emile, Astronom, geb. 18. April 1822 zu Genf und durch seinen Oheim Alfred G. (geb. 1793, gest. 30. Nov. 1881; 1819–39 Direktor der Sternwarte in Genf) schon frühzeitig der Astronomie zugeführt, studierte in Genf und Paris, wo er sich an Leverriers Rechnungen beteiligte, und promovierte 1847 in seiner Vaterstadt mit dem „Essai sur la théorie des perturbations des comètes“. Später widmete er einen großen Teil seiner Zeit der Thätigkeit als Offizier im Schweizer Geniekorps, in welcher Stellung er bis zum Oberst aufrückte. Doch ging er 1860 zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis nach Spanien, auch veröffentlichte er in den „Archives des sciences physiques et naturelles de Genève“ eine Reihe astronomischer Artikel, namentlich über die Physik der Sonne, und nach Plantamours Tode wurde ihm 1882 die Direktion der Genfer Sternwarte übertragen, die 1889 an seinen Sohn Raoul G. überging. Er starb 25. Febr. 1891.