Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Garantīe“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 900
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Garantīe. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 900. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Garant%C4%ABe (Version vom 10.01.2023)

[900] Garantīe (franz., v. althochd. werên, „gewähren“), im allgemeinen s. v. w. Gewährleistung, Sicherstellung, Übernahme der Haftpflicht, Verbürgung. Im Privatrecht ist G. die durch Vertrag, Gesetz oder auch durch unerlaubte Handlung begründete Verbindlichkeit, für den Eintritt eines Ereignisses, für die Dauer eines Zustandes oder für gewisse Eigenschaften (Fehler oder Mängel) zu haften oder einen eintretenden Schaden zu ersetzen. Glaubt eine Partei in einem bürgerlichen Rechtsstreit, daß sie für den Fall eines ihr ungünstigen Ausganges des Prozesses einen Anspruch auf Gewährleistung oder auf Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben könne, so kann sie diesem Regreßpflichtigen (deutsche Zivilprozeßordnung, § 69 ff.) „den Streit verkündigen“, um ihn zur Teilnahme an dem Rechtsstreit aufzufordern (s. Streitverkündigung). So kann insbesondere derjenige, welcher von jemand eine Sache kaufte, die nun ein Dritter für sich in Anspruch nimmt, seinem Verkäufer den Streit verkündigen, insoweit ihm dieser nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder nach besonderer Vereinbarung haftbar ist. Das französische Recht kennt in solchem Fall eine besondere Garantieklage, welche bei demjenigen Gericht erhoben werden muß, bei welchem der Hauptprozeß anhängig ist. Doch ist dies Rechtsinstitut, welches auch die frühere bayrische Prozeßordnung angenommen hatte, in die deutsche Zivilprozeßordnung nicht übergegangen. Im öffentlichen Recht kommt die G. als Haftbarkeitsübernahme des Staats für ein Privatunternehmen vor, z. B. als Zinsengarantie für Aktien und Prioritäten. Es folgt aus dem konstitutionellen Prinzip, daß hierzu die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich ist. Im Deutschen Reich (Verfassung, Art. 72) kann die Übernahme einer G. zu Lasten des Reichs in Fällen eines außerordentlichen Bedürfnisses nur im Weg der Reichsgesetzgebung erfolgen. Im Völkerrecht ist G. entweder der Nebenvertrag, wodurch eine oder mehrere dritte Mächte zu gunsten und im Interesse eines andern Staats die Gewährschaft für Erfüllung eines Hauptvertrags (z. B. Friedensschlusses) übernehmen, oder ein Hauptvertrag zum Schutz eines bestimmten völker- oder staatsrechtlichen Zustandes. Haben mehrere Mächte die G. übernommen, so ist dies entweder eine mehrfache Einzelgarantie, so daß jede Macht ohne Rücksicht auf die andre zum Einschreiten befugt ist, oder eine Kollektivgarantie, welche nur ein gemeinsames Einschreiten gestattet. So wurde z. B. der Friede von Blois (12. Okt. 1505) durch den König von England garantiert, der Friede von Cambrai durch die Fürsten des Deutschen Reichs; für den Westfälischen Frieden übernahmen Schweden und Frankreich die G. Das Londoner Protokoll vom 8. Mai 1852 garantierte die Succession des Prinzen Christian von Glücksburg in Schleswig-Holstein, im Londoner Vertrag vom 11.–31. Mai 1867 ward die Neutralität Luxemburgs unter die G. der Großmächte gestellt, wie dies früher schon bezüglich der Schweiz und in Ansehung von Belgien geschehen war. Die Unabhängigkeit Rumäniens, Serbiens und Montenegros ist durch die Großmächte garantiert; ebenso ist die Neutralität des Congostaats von den europäischen Mächten gewährleistet. Wenn die G. im Interesse einer dritten Macht übernommen worden ist, so erfolgt im Fall der Verletzung des garantierten Zustandes das Einschreiten der Garantiemacht nur auf Anrufen; im andern Fall, bei Hauptverträgen, wo die garantierenden Mächte ihr eignes Interesse haben, ist das Einschreiten ohne besonderes Anrufen zulässig. Verschieden von diesen völkerrechtlichen Garantien sind die staatsrechtlichen, innern oder Verfassungsgarantien, welche den Staatsangehörigen gewisse Rechte gewährleisten. Solche Garantien sollten die 1848 in Frankfurt beratenen Grundrechte des deutschen Volkes schaffen; die meisten Verfassungsurkunden enthalten ein Verzeichnis der den Bürgern garantierten Rechte (Freiheit des Gewissens etc.); dies unterläßt die Verfassung des Deutschen Reichs, welche nur Art. 3 gemeinsames Indigenat, Art. 20 ff. gewisse Rechte des Reichstags und seiner Mitglieder zusichert. Die Verfassungsurkunden der deutschen Staaten enthalten in geringerm und größerm Maßstab die sogen. konstitutionellen Garantien, als: Ministerverantwortlichkeit, Freiheit des religiösen Bekenntnisses, Unabsetzbarkeit der Richter, Beschränkung des Rechts der Begnadigung etc. In Deutschland ist neuerdings auch vielfach von föderativen Garantien die Rede, welche im Gegensatz zu unitarischen Bestrebungen den bundesstaatlichen Charakter des Reichs gewährleisten sollen, so z. B. die Beibehaltung der Matrikularbeiträge der Einzelstaaten.