Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Galeere“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 835837
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Galeere. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 835–837. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Galeere (Version vom 09.03.2024)

[835] Galeere (Galere), das größere Ruderkriegsschiff des Mittelalters, besonders im Mittelländischen Meer; in speziellerm Sinn eine besondere Gattung dieser Schiffsart. Das 1 m über Wasser liegende Deck (oft das einzige) trug eine Reihe Ruderer an jedem Bord, zur Verstärkung des Ruderwerks ward aber eine zweite Reihe Leute daneben, nach der Mittellinie des Schiffs zu, placiert, darauf folgte eine dritte etc. bis zu acht Reihen. In den mittelalterlichen Chroniken heißen Galeeren mit drei Reihen von Leuten auf jeder Seite triremes, mit vier Reihen quadriremes. Je nach der Art, wie die Kraft der Leute an den Rudern nutzbar gemacht wurde, gab es zwei Hauptsysteme von Galeeren, alla scaloccio und alla zenzile. Bei dem erstern stand die Bank, auf welcher die drei oder vier nebeneinander befindlichen Ruderer (auf einer G. von drei oder vier Reihen) saßen, genau quer zur Richtung des Schiffs, und alle drei oder vier Mann handhabten gemeinsam den langen Griff eines sehr langen Ruders. Bei den Zenzile-Galeeren stand jede Bank, auf welcher die drei oder vier nebeneinander sitzenden Ruderer saßen, nicht genau [836] quer, sondern ein wenig schräg, mit dem innern Ende etwas mehr nach vorn geschoben, so daß jeder Mann etwa 15 cm weiter nach vorn saß als der nächst äußere. Hier handhabte jeder Mann ein besonderes Ruder, dessen Innenbordteil, wie die Gesamtlänge, um so größer war, je weiter der Mann nach innen saß. Der allgemeine Typus der Galeeren kennzeichnete sich durch langen, schmalen Bau (35–45 m Länge, Verhältnis der Breite zur Länge wie 1 : 7–8), geringen Tiefgang und meist rein lateinische Takelage, zwei (selten drei) verhältnismäßig kurze Masten mit je einer einzigen enorm langen, oft aus zwei Stücken zusammengesetzten, schräg in die Luft starrenden Rute (lateinischen Raa), die ein einziges dreieckiges Segel trug. Das obere Ende des Mastes erschien als massiver Klotz mit Durchbohrungen für die Taue; neben den Topp war ein „Mastkorb“ in Form eines konischen, nach dem Mast zu abgeplatteten Trinkbechers und Rostwerk für den Ausguck und die Scharfschützen gehängt. Der Achtersteven war, wie der Vorsteven, stark gekrümmt, und das daran in Angeln hängende Steuerruder hatte demgemäß Sichelform. Über dem Kopf des Steuerruders schob sich eine im Grundriß viereckige, nach hinten schmäler werdende Galerie weit nach hinten heraus und trug in ihrer Mitte die „Hütte“ für den Kapitän in Form eines Tonnengewölbes. Von hier aus lief, während der Raum unter Deck in verschiedene Kammern für Ausrüstungsstücke und Vorräte geteilt war, über das ganze Deck bis zum Vorschiff ein 60 cm breiter Gang zwischen den beiderseits liegenden Ruderbänken, auf welchen die Ruderer, mit dem Gesicht nach dem Hinterschiff, angefesselt und meist ganz ohne Bekleidung saßen. Parallel dem Bord, aber etwa 1 m außerhalb desselben, von ihm abgetrennt und nur durch unten von der Schiffswand ausgehende Träger 1 m hoch über Wasser gehalten, lief auf jeder Seite des Schiffs ein fußdicker Baum, die Apostis, längs des ganzen Ruderwerks dahin und diente den Rudern als Hebelstützpunkt beim Rudern, als Auflagepunkt, wenn sie beim Segeln ausgehoben und ziemlich horizontal gelegt waren. Da, wo die Ruderbänke nach dem Vorschiff hin endigten, zog sich in spätern Zeiten, als die Galeeren mit Geschütz bewaffnet waren, über das Schiff eine hölzerne mannshohe Querwand, bez. Back, mit fünf Geschützpforten, die Rambate. Später erhielten die Galeeren auch auf den Flanken zahlreiche kleine Geschütze, meist Drehbassen. Das vordere wie das hintere Ende des Decks war von Ruderbänken frei und, wie auch oft der mittlere Gang (coursie), für die Seesoldaten bestimmt, denen man hier zuweilen hölzerne Kastelle errichtet hatte. Vom obern Teil des Vorstevens lief etwa 1 m über Wasser nach vorn ein bis zu 6 m langer hölzerner Schnabel, an dem oft das untere Ende der vordern Rute befestigt war, und mit dem man im Gefecht zuweilen den Gegner anzurennen suchte.

Die Taktik der Galeeren, seitdem sie Geschütze führten, war durch die Placierung dieser letztern im Bug bedingt: sie drehten dem Feind stets ihre Vorderseite zu und erreichten so dieselben Vorteile, die man jetzt bei den neuesten Panzerschiffen durch die Geschützdisposition für Frontalfeuer erstrebt, nämlich möglichst alle Geschütze nach vorn zu verwerten, da der Bug dem Feinde die denkbar geringste Zielfläche bietet. Beim Nahkampf diente der breite, einer spitz zulaufenden Gartenleiter ähnliche, lange Schnabel als Enterbrücke, auf welcher die verhältnismäßig sehr starke Besatzung von Soldaten das feindliche Schiff zu erreichen und zu erobern suchte. Was die einzelnen Arten und Abarten dieser Ruderschiffe und ihre Namen anlangt, so stammen sie fast sämtlich von der byzantinischen Galaia aus der Zeit des Kaisers Leo des Taktikers, einem kleinen Fahrzeug der Dromonklasse (s. Dromones) mit Einer Ruderreihe. Die Galeeren führten meist 24–26 Ruder auf jeder Seite. Jedes Ruder wurde in der besten Zeit von 4–5 Mann bedient. Die Bemannung bildeten außer den Truppen und einigen Seeleuten der Kapitän, der Argousin, d. h. der Offizier, welcher die Polizei an Bord handhabte, seine Mousses, welche die Ruderer fesselten und losmachten, der Comite, welcher die Bewegungen des Ruderwerks kommandierte, seine beiden Sous-comites, welche mit Knütteln vorn und in der Mitte des Schiffs postiert waren, und die Rudermannschaft (chiourme). Letztere zerfiel in drei Klassen: Sträflinge (forçats), die, ganz kahl geschoren, stets angekettet blieben; Sklaven, d. h. kriegsgefangene oder gekaperte Türken, Mauren, bez. auch Christen fremder Nation, die durch einen auf dem Kopf stehen gelassenen Haarbüschel kenntlich waren; endlich Freiwillige, entweder ausgediente Sträflinge, die sich etwas verdienen wollten, oder Vagabunden etc. Die Freiwilligen trugen Haar und Bart voll. Die Arbeit des Ruderns war äußerst anstrengend, mußte aber, wenn auch gewöhnlich nur ein Drittel der Leute arbeitete (das vordere, mittlere und hintere Drittel, oder aber [in Spanien] immer die dritte Bank), doch zuweilen 10, 12, ja 20 Stunden ununterbrochen fortgesetzt werden. In solcher Lage steckte man den Leuten weingetränktes Brot in den Mund und schlug jeden, der nicht genug arbeitete, so lange, bis er umsank; dann ward er losgekettet und ins Wasser geworfen. Bei den Rudermanövern war die größte Genauigkeit erforderlich, da jede Unregelmäßigkeit den Vordermann wie den Hintermann störte, der Nachlässige aber zugleich einen wuchtigen Schlag vom nächsten Rudergriff erhielt.

Ganz nach demselben Prinzip wie die Galeeren gebaut und eingerichtet waren die Galeassen (Galiassen, ital. galeazza), Ruderschiffe, welche größer und hochbordiger waren als die Galeeren und zugleich die größten Ruderschiffe, die das Mittelalter überhaupt besaß. Sie begannen im 16. Jahrh. in Venedig die Galeeren zu verdrängen. Die Galeassen waren nicht unbedeutend (etwa um ein Drittel) länger, aber verhältnismäßig schmäler, wenn auch absolut etwas breiter als die Galeeren, zugleich um ein Drittel höher als diese, mit 31 (selten weniger, bis 28) Rudern jederseits und zwar mit größern als die Galeeren (14 Palmen Länge des Griffs, 31 des äußern Teils), die von 7–8 Mann regiert wurden, und fast ohne Ausnahme mit drei Masten, deren jeder ein großes lateinisches Segel führte (in Spanien im 16. Jahrh. ein Raasegel). Außer dem Steuerruder war hinten jederseits noch ein langer Riem (Ruder), um die Wendungen zu beschleunigen. Die Galeasse hatte meist gegen 70 Geschütze. Im ganzen zeigten sich die Galeassen schwerfällig, aber stark und wuchtig wirkend; zudem waren sie sehr teuer, so daß die großen Seemächte im 16. Jahrh. höchstens einige Dutzend davon hielten. Abgesehen von einigen Schiffen dieser Art, die Venedig noch im 17. Jahrh. erbaute, traten die letzten Galeassen in der bekannten gegen England entsandten Armada Philipps II. von Spanien auf; dann wurden sie, wie überhaupt die ganze Gattung der Galeeren im weitern Sinn, durch die Segelschiffe mit ihrem stärkern Geschütz und ihrer Fähigkeit, auch bei anderm Wetter als absoluter Windstille zu kämpfen, allmählich ganz verdrängt. Nach dem Prinzip der Galeeren gebaut und eingerichtet und die auf die Galeeren folgende [837] nächstkleinere Gattung von Ruderkriegsschiffen waren die Galeoten (Galioten), die zunächst als leichte, kleine Galeeren mit einer einzigen Reihe von Ruderern im 12. Jahrh. auftreten. Sie waren namentlich bei den Türken und in den Barbareskenstaaten als geschwinde Fahrzeuge sehr beliebt, weniger bei den christlichen Seemächten des Mittelalters. Gewöhnlich führten sie bei 16–17 Ruderbänken auf jeder zwei Mann, die größern bei 17–23 Ruderbänken auf jeder drei Mann, und liefen trotz der geringen Ruderzahl doch sehr schnell; oft führten sie nur den Großmast. Ihr Name ist jetzt auf Fahrzeuge ganz andrer Art übergegangen, wie auch der der Galeasse (s. Galjaß und Galjot). Noch kleinere galeerenartig gebaute Fahrzeuge waren die Felucken mit 6–8, auch 10 und zuletzt gewöhnlich 12 Rudern auf jeder Flanke, die von 3–5 Mann bewegt wurden, leicht, ohne Deck gebaut und im Mittelalter vielfach mit einem, dann auch und später gewöhnlich mit zwei nach vorn geneigten Masten und je einem lateinischen Segel daran, vorzugsweise bei den Korsaren beliebt und sehr schnell (s. Felucke). In späterer Zeit führten sie auch leichte Geschütze, vorn zwei kleine Kanonen, auf den Flanken bis zu 32 Drehbassen; diese Felucken späterer Zeit führten meist 12 Ruder jederseits, besaßen stets einen Schnabel, und ihr verhältnismäßig sehr stark gebauter Rumpf hatte etwa 16 m Länge bei 4 m Breite. Im Deck war für jeden Ruderer eine Luke (horizontale Öffnung) eingebrochen, auf deren Rand er saß: er hatte also seinen Sitz auf dem Deck selbst, nicht auf einer Bank. Die ebenfalls im Stil der Galeeren gebauten Tartanen (s. Tartane) führten im Mittelalter, namentlich im 16. Jahrh., mehrere Segel, sanken aber dann zur kleinsten der gewöhnlichen Arten des mittelländischen Ruderschiffs herab. Den Schiffen der letztern Art standen im Mittelalter die runden Schiffe gegenüber; hinsichtlich dieser s. Gallione.