MKL1888:Flechte
[349] Flechte (Herpes), früher und im Mund von Laien noch jetzt gebräuchliche Bezeichnung jedes chronischen „Ausschlags“, jeder langwierigen, schwer heilbaren, auf der Haut fortkriechenden, von Jucken begleiteten, nicht ansteckenden Hautkrankheit. Neuerdings ist jedoch der Begriff F. sehr eingeengt worden, indem zahlreiche Ausschlagsformen, welche früher mit diesem Namen bezeichnet wurden, in das Gebiet des Ekzems (s. d., Tafel „Hautkrankheiten“, Fig. 6) verwiesen worden sind. Nur für zwei Formen von Hautkrankheiten hat man den Namen F. beibehalten, nämlich für die Schuppenflechte (s. d., Psoriasis, Tafel, Fig. 4) und für die Bläschenflechte (Herpes). Letztere Form, von welcher hier allein gesprochen werden soll, ist dadurch charakterisiert, daß mehrere gruppenweise auf gerötetem, entzündetem Hautboden beisammenstehende, hirsekorn- bis linsengroße Bläschen, welche ursprünglich mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind, an beschränkten Stellen des Körpers rasch auftreten und bald, d. h. nach Verlauf einiger Tage oder höchstens Wochen, wieder verschwinden, nachdem der Inhalt sich erst trübte, dann vertrocknet eine Borke gebildet hatte, welche zuletzt mit Hinterlassung einer mit gesunder Oberhaut versehenen, geröteten Stelle, jedoch ohne eine Narbe zu hinterlassen, abfällt. Man unterscheidet folgende Formen der Bläschenflechte: 1) Der Herpes labialis s. facialis erscheint meist ohne bekannte Veranlassung am Mund, an der Nase, am Ohr, an den Augenlidern etc., ja auch auf der Schleimhaut des Mundes und des Rachens, zumal bei fieberhaften Krankheiten (Lungenentzündung), ist jedoch ohne jede Bedeutung. Diese Form ist sehr zu Rückfällen geneigt, und manche Menschen bekommen denselben alle paar Wochen. 2) Der Herpes praeputialis, an der Vorhaut des männlichen Gliedes und an andern Stellen der äußern Geschlechtsteile bei Männern wie bei Frauen, ist ebenfalls ein ganz unschuldiges Übel, welches bei manchen Individuen sehr häufig, namentlich nach einem Beischlaf, wiederkehrt, aber binnen wenigen Tagen wieder verschwindet. 3) Die Gürtelflechte (Gürtelausschlag, Herpes zoster, Zona) ist die wichtigste Form, weil sie oft eine große Ausbreitung gewinnt und überaus heftige Schmerzen zu verursachen pflegt; sie kommt am ausgeprägtesten an der Taille vor und umgibt hier wie ein halber Gürtel, dem Verlauf der Zwischenrippennerven folgend, den Leib. Dem Ausbruch der Gürtelflechte geht gewöhnlich eine heftige Neuralgie (Interkostalneuralgie) vorauf, welche auch während der Blüte des Ausschlags noch anhält. Dieselbe F. wird auch am Kopf, an der Brust, dem Bauch und an den Gliedmaßen in Form eines entzündeten, mit Bläschen besetzten Hautstreifens beobachtet, welcher dem Verlauf des schmerzhaften Nervenstammes folgt. Der Verlauf der Gürtelflechte dauert in der Regel 3–4 Wochen; es ist dabei häufig, wenigstens einige Tage lang, ziemlich lebhaftes Fieber vorhanden. 4) Die Ringflechte (Herpes iris und H. circinnatus, s. Taf. „Hautkrankheiten“, Fig. 5) führt diesen Namen von der eigentümlichen Stellung der Bläschen. Der Herpes iris zeigt nämlich Bläschen, welche sich kreisförmig um ein mittleres Bläschen herumstellen und so Ring auf Ring um sich greifen, während die Mitte abheilt. Auch diese Formen heilen in der Regel bald, wenn sich die Nachschübe nicht zu lange hinausziehen. Schmerzempfindungen fehlen bei dieser Form oder sind doch ganz unbedeutend. – Über die Ursache des [350] Herpes ist nichts Genaueres bekannt, meistenteils wird derselbe einer Erkältung zugeschrieben. Nur eine Form der F. ist ansteckend, die Rasierflechte (der Herpes tonsurans oder Area Celsi), welche auf der Verbreitung eines mikroskopischen Pilzes (Trichophyton tonsurans) beruht, der an behaarten Körperstellen, z. B. auf der Kopfhaut, das Ausfallen der Haare bewirkt, woher der Name Rasierflechte oder Rasiergrind. Eine besondere Behandlung der F. gibt es nicht; man beschränkt sich darauf, die kranke Hautstelle mit einer fettigen Substanz zu bestreichen und sie dadurch vor äußern Einwirkungen zu schützen. Gegen die heftigen Hautschmerzen bei der Gürtelflechte sind Einspritzungen einer Morphiumlösung anzuwenden. Bei der Gürtelflechte ist es am besten, ein gelindes, nicht reizendes Pflaster aufzulegen und dieses mittels Kompressen fest aufzubinden. Dazu eignet sich Meliloten- oder das braune Bleipflaster, auf lange Streifen Leinwand aufgestrichen, dessen Oberfläche man noch mit Opiumpulver bestreuen kann. Man wechselt einen solchen Pflasterverband jede Woche einmal. Die Rasierflechte verschwindet bei energischem Waschen mit Seife und Wasser ohne Sublimat und andre arzneiliche Mittel.
[Flechten der Haustiere.] Flechtenausschläge kommen auch bei allen Haustieren vor. Die kahl machende F. (Herpes decalvans, H. tonsurans) wird am meisten beim Rind angetroffen und erweist sich in größern Beständen dadurch sehr lästig, daß innerhalb mehrerer Wochen oder Monate eine erhebliche Zahl der Tiere mit dem Ausschlag behaftet wird. Es entstehen auf der Haut am Kopf, am Widerrist, am Rippenkörper und am Bauch, zuweilen auch an andern Stellen Herde von der Größe eines Markstücks bis zu einem silbernen Fünfmarkstück. Die Herde haben eine runde Form. An denselben fallen die Haare ab, und es bildet sich eine dicke grauweiße Borke. Wegen des heftigen Juckreizes belecken und scheuern die Rinder die kranken Hautstellen. Bei größerer Ausbreitung des Exanthems leidet auch die Ernährung. Wenn der Ausschlag nicht behandelt und die Hautpflege vernachlässigt wird, so kann die wirtschaftliche Ertragsfähigkeit der Tiere monatelang beeinträchtigt sein. Für die Behandlung erweist sich das öftere Bestreichen der kranken Stellen mit Teer nützlich. Nach mehreren Tagen wäscht man die kranken Hautpartien sorgfältig mit lauwarmem Seifenwasser. Einzelne Stellen können zweckmäßig mit Quecksilbermitteln behandelt werden (1 Teil weißes Präzipitat auf 8–10 Teile Schweineschmalz oder 1 Teil rotes Präzipitat auf 10–15 Teile Schmalz). Wenn diese F. in größern Beständen ein oder mehrere Tiere befällt, so ist thunlichst die Isolierung derselben herbeizuführen, um der weitern Verbreitung durch Ansteckung zuvorzukommen. Von den Rindern kann diese F. auf Pferde und Menschen übertragen werden. Seltener werden die Schafe angesteckt. Bei dem Pferd äußert sich die F. unter ganz gleichen Erscheinungen wie beim Rind. Zu ihrer Behandlung sind auch dieselben Mittel angezeigt. Die Bläschenflechte (Eczema simplex) tritt am meisten bei den Pferden auf und veranlaßt vorübergehend den Ausfall der Haare am Rumpf und Kopf. Auf der Haut entstehen kleine Bläschen mit wasserhellem Inhalt, welche nach 5–10 Tagen platzen oder zu klebrigen, weichen Schorfen eintrocknen. Das lebhafte Juckgefühl veranlaßt die Pferde, die Haut zu reiben und zu scheuern, wodurch entzündliche Schwellungen an der Körperoberfläche in großem Umfang entstehen können. Daher bedeckt sich die Haut mit Schrunden, zuweilen auch mit Borken. Am Kopf und Hals erfolgt gewöhnlich ein so starker Verlust der Haare, daß die Tiere förmlich kahl erscheinen. Zur Behandlung sind warme Bähungen der Haut neben der Applikation von adstringierenden Mitteln empfehlenswert. Am meisten hat sich die Waschung mit einer 1–2proz. Lösung von Zinkvitriol oder mit einer 5proz. Lösung von Alaun oder mit einer Abkochung der Eichenrinde bewährt. Wird die Haut spröde und rissig, so ist die Einreibung von Glycerin oder Vaselin nützlich. Die innere Behandlung der flechtenkranken Pferde kann vollständig entbehrt werden. Schafe erkranken nur selten an einer ekzematösen F., welche sich durch kahle Hautstellen von Thalergröße charakterisiert und vorzugsweise am Kopf und am Rücken auftritt. Ohne Behandlung gelassen, führt dieselbe zum Verlust der Wolle und zur Abmagerung der Tiere. Die Heilung ist im ganzen nicht leicht und erfordert während einer längern Zeit die Applikation von Teer oder Waschungen mit Teerseife, resp. Karbolseife. Bei den Hunden finden sich Flechtenausschläge mit Verlust des Deckhaars und oberflächlicher Hautentzündung sehr häufig. Sie sind um so mehr von Bedeutung, als sie auf den Menschen sich übertragen können. Obwohl bis jetzt die pflanzlichen Parasiten, welche diese F. verursachen, nicht nachgewiesen worden sind, so kann doch über die mykotische Natur derselben ein Zweifel nicht obwalten. Zur Heilung haben sich Schwefelpräparate, namentlich Bäder von Schwefelleber und Waschungen mit einer Mischung von 20 Teilen Schwefelblumen, 10 Teilen Gummi arabikum und 500 Teilen Kalkwasser, vielfach bewährt. Für die lokale Behandlung finden auch Quecksilberpräparate, insbesondere das weiße Quecksilberpräzipitat in Salbenform (1 : 8–12), Anwendung.