Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Flaschenzug“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 345346
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Flaschenzug. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 345–346. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Flaschenzug (Version vom 05.03.2023)

[345] Flaschenzug (Rollenzug), Vorrichtung zum Heben von Lasten mittels Rollen und Seile oder Ketten.

Fig. 1.
Einfacher Flaschenzug.

Der einfachste F. besteht in der Vereinigung einer festen und einer losen Rolle (s. d.). Der Kloben der festen Rolle a (Fig. 1) ist mit einem Haken an einem festen Gegenstand aufgehängt, derjenige der losen Rolle b trägt die Last Q. Das Seil ist an dem untern Haken des Klobens von a befestigt, geht nach unten, umschlingt b, geht dann nach oben und um a herum wieder abwärts. Die Last hängt hier an den beiden Seilstrecken c und d, so daß jede derselben die Hälfte zu tragen hat. Man kann daher durch eine an dem Seilende e ziehende Kraft P von einer der halben Last gleichen Intensität die ganze Last im Gleichgewicht halten. Das ist das Prinzip der Flaschenzüge. Zu berücksichtigen ist jedoch dabei, daß durch die Reibung der Rollen auf ihren Zapfen und durch Seilbiegungswiderstände nicht unbeträchtliche Kraftverluste stattfinden, so daß die Kraft zum Heben der Last mehr als die Hälfte der Last betragen muß. Was man nun aber an Kraft erspart, das muß man an Weg mehr aufwenden. Um nämlich die Last um 1 m zu heben, müssen beide Seilstrecken d und c um 1 m verkürzt, folglich das Seilende e um 2 m herausgezogen werden. Es wird also beim F. an mechanischer Arbeit nichts gewonnen. Gewöhnlich verwendet man beim F. mehrere feste und eine gleiche Anzahl loser Rollen, welche in je einem Gehäuse (Flasche) vereinigt sind. Das Seil geht dabei, von dem Haken der obern Flasche beginnend, abwechselnd um eine lose und eine feste Rolle, wobei durch jedes hinzukommende Rollenpaar die zur Hebung einer bestimmten Last nötige Kraft verringert oder umgekehrt bei einer konstanten Zugkraft die zu hebende Last vergrößert werden kann, und es braucht, von den Nebenwiderständen abgesehen, bei zwei Rollenpaaren die Zugkraft nur den vierten, bei drei den sechsten, bei vier den achten Teil der Last zu betragen. Derart hätte man [346] prinzipiell die Möglichkeit, beliebige Lasten zu bewältigen; allein bei der mit der Rollenzahl rasch zunehmenden Reibung und den Biegungswiderständen des Seils ist es nicht vorteilhaft, mehr als drei Rollen in jede Flasche zu legen. Auch muß selbstverständlich für jedes Meter Hubhöhe, um welches die Last gehoben wird, jede der Seilstrecken um dieses eine Meter verkürzt worden sein, also das Angriffsende um so viel Meter, als tragende Strecken vorhanden sind. Daher braucht man beim F. bedeutend längere Seile oder Ketten als bei den Winden, bei welchen das einfache Lastseil von einer Trommel angeholt wird. – Diese Flaschenzüge werden auch zuweilen in umgekehrter Weise benutzt (umgekehrter F.), indem man die Kraft bei b, die Last bei e angreifen läßt. Das geschieht bei hydraulischen Kränen und Aufzügen, bei welchen die Last einen großen Weg durchlaufen muß. Wollte man sie da direkt durch den hydraulischen Kolben heben, so müßte der Cylinder die Länge des Lastwegs bekommen. Da dies jedoch konstruktiv nicht möglich oder wenigstens schwer ausführbar ist, so schaltet man eben einen den Hub vergrößernden umgekehrten F. ein.

Durch eine andre Rollenanordnung erhält man den Potenzflaschenzug (Fig. 2). Hier geht zunächst,

Fig. 2. Fig. 3.
Potenzflaschenzug. Differentialflaschenzug.

wie beim einfachen F., ein Seil cde von einem festen Punkt aus um eine lose Rolle b, dann aufwärts um eine feste Rolle a und endigt in dem Stück e. An der Rolle b hängt aber nicht direkt die Last, sondern vermittelst der Seilschleife fg die Rolle h, deren Haken die Last Q trägt. Hier wird von der Seilstrecke g und f je die Hälfte der Last Q getragen, ebenso wird von den Strecken c und d je die Hälfte des in f herrschenden Zugs, also ein Viertel der Last, übertragen, so daß die zu hebende Last Q 4mal so stark sein kann als die Hebekraft P. Wäre noch eine dritte lose Rolle an h angeschlossen und an diese die Last gehängt, so würde letztere 8mal, bei einer vierten Rolle 16mal so groß sein können als P u. s. f. Diese Art Flaschenzüge nimmt aber eine zu beträchtliche Höhe ein, um praktisch verwertbar zu sein.

Unter dem Namen Differentialflaschenzug (Fig. 3) ist folgende sinnreiche Einrichtung bekannt. Seine Bestandteile sind eine Flasche mit zwei fest aneinander sitzenden Rollen, eine lose Rolle und eine Kette ohne Ende. Die Kettenräder haben auf ihrer Peripherie Einschnitte, in welche die Kettenglieder hineinpassen, so daß bei ihrer Drehung die darübergelegte Kette mit ihren Gliedern, in die Einschnitte wie die Zähne eines Rades eingreifend, über ihnen fortgezogen wird und umgekehrt die Räder beim Ziehen an der Kette gedreht werden. Von den beiden auf einer gemeinschaftlichen Welle befestigten Scheiben k und g hat nun die eine, k, einen kleinern Durchmesser als die andre, g. Die Kette ist über beide Rollen so gelegt, daß sie unterhalb zwei Schleifen ab und cd bildet, an deren einer, ab, eine lose Rolle l mit der zu hebenden Last Q hängt. Zieht man nun an dem Kettenstrang d, so werden sich beide Rollen in der Richtung des Pfeils drehen, wobei sich das Kettentrum a auf g aufwickelt, b dagegen von k abwickelt. Jedoch ist die Größe der auf- und abgewickelten Strecken wegen der Größendifferenz der Räder verschieden, und zwar wickelt sich auf g mehr auf, als von k herabgeht; daher wird die Schleife ab, d. h. die Summe von a und b, sich um die halbe Differenz der Auf- und Abwickelung verkürzen und die Last um diese Größe gehoben werden. Um die Last zu senken, hat man an dem Kettentrum c zu ziehen, wobei dann die Verhältnisse sich umkehren. Die Hauptvorzüge des Differentialflaschenzugs, seine große Einfachheit, bedeutende Leistungsfähigkeit und der Umstand, daß die Last durch die Reibung der Kette von den Rädern in jeder Stellung selbstthätig festgehalten wird, haben ihm eine außerordentlich ausgedehnte Verwendung verschafft. Um die Wirkung dieses Flaschenzugs zu erhöhen, werden oft die beiden obern Rollen auf dem Bolzen festgekeilt und dieser mit einer großen Schnurrolle versehen, über deren Rinne ein eignes Seil oder eine dünne Kette niederhängt. Der Arbeiter wirkt dann nicht an der Haupt-, sondern an jener Nebenkette, wodurch der Krafthebelarm vergrößert wird (Getriebsflaschenzug). Als nächste Kombination erscheint dann Wilsons F., bei welchem sich nur eine einzige gekerbte Rolle, jedoch mit einem an der Außenfläche angegossenen Zahnrad, in der obern Flasche befindet. Die Nebenrolle ist dann auf einer kurzen Welle im obern Bügel gelagert, welche innenseits ein kleines, in die Rollenverzahnung greifendes Getriebe trägt und so gleichsam ein einfaches Windwerk mit der Rolle kuppelt. Die kalibrierte Kette wird nun direkt angezogen und braucht keine untere Flasche, sondern endet mit dem Lasthaken. Zur weitern Erhöhung der Hubkraft versuchte man Differentialgetriebe zwischen Schnur- und Lastrolle einzuschalten, und so entstanden die Easy-Pickering-Mortonschen und andre Flaschenzüge (Epicykloidalflaschenzüge). Hier geht aber die Einfachheit wieder verloren, und die Reibungen der im engen Raum der obern Flasche untergebrachten Getriebe sind weit ungünstiger als bei normalen Windwerken. Vgl. Rühlmann, Allgemeine Maschinenlehre, Bd. 4 (Braunschw. 1875); Ernst, Die Hebezeuge (Berl. 1883); Uhland, Hebeapparate (Jena 1883, 2 Bde.).