Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Fichte“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 232238
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Fichte. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 232–238. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Fichte (Version vom 01.12.2024)

[232] Fichte (Rottanne, Abies Don., Picea Lk., hierzu Tafel „Fichte“), Gattung der Abietineen, Bäume mit viereckigen, selten seitlich zusammengedrückten, mehr oder weniger rings um den Zweig herumgestellten, gleichfarbigen, einzeln stehenden Nadeln und überhängenden Zapfen am Ende der Zweige mit bleibenden, nicht an der Achse des Zapfens sich lösenden Zapfenschuppen. Die gemeine F. (Rottanne, Pechbaum, Pechtanne, A. excelsa Lam., Pinus Abies L., Picea vulgaris s. excelsa Lk., Pinus Picea Dur., s. Tafel), einer der schönsten Waldbäume, von pyramidenförmigem Wuchs, mit rötlichbraunem Stamm, der schließlich unregelmäßig, aber nie tief gefurcht ist, sich an der Basis nicht von selbst von seinen Hauptästen reinigt und 44–48, selbst 64 m hoch wird. Die untern Hauptäste hängen oft über, die Zweige sind meist unbehaart; die 12–22 mm langen, geraden oder sichelförmig gekrümmten Nadeln stehen fast seitlich zweireihig, sind zusammengedrückt und laufen in eine stechende Spitze aus. Die vor dem Aufspringen der Staubbeutel erdbeerähnlichen, roten, oblongen männlichen Blütenkätzchen stehen zu 2–6 an vorjährigen Trieben zwischen den Nadeln, die weiblichen karminroten, bis 5 cm langen Blütenzäpfchen an den Spitzen der vorjährigen Triebe. Die Zapfen sind länglich walzenförmig, bis 18 cm lang; der geflügelte Same reift im Oktober, fliegt aber meist erst im nächsten Jahr aus, worauf im folgenden Jahr die Zapfen abfallen. Die F. treibt nur horizontale, in sehr geringer Tiefe streichende Wurzeln, welche in geschlossenen Beständen ein dichtes Geflecht bilden. Die Keimpflanze hat 6–9 lange Keimnadeln und wächst erst nach dem 4.–6. Jahr auffallend in die Länge; im Stangenalter tritt eine lange Periode langsamen Wuchses ein, und erst nach dem 20.–30. Jahr wächst der Baum schneller; er trägt selten vor dem 50. Jahr Samen, erleidet dann aber bisweilen durch die Last der zahlreichen Zapfen Wipfelbruch. Samenjahre kehren durchschnittlich nach fünf Jahren wieder. Die F. erreicht ein Alter von 300 Jahren, gelangt indes, wie die Lärche, nie zu einer eigentlichen Kronenabwölbung. Sie ist mehr ein Gebirgs- als ein Ebenenbaum, verlangt einen frischen, steinigen, humusreichen, nicht zu flachgrundigen Boden und viel Luftfeuchtigkeit. In der Ebene kommt sie erst in Nordostdeutschland, besonders in der Niederlausitz, Schlesien, Ostpreußen und jenseit der Weichsel, vor; mehr südlich und westlich ist sie Gebirgsbaum und steigt in den Alpen bis zur Knieholzregion hinauf.

[Beilage]

[Ξ]

Fichte.
Fichte (Abies excelsa).
1. Zweig mit männlichen Blütenkätzchen. – 2. Triebspitze mit einem weiblichen Blütenzäpfchen. – 3. Reifer Zapfen. – 4. 5. Zapfenschuppe von außen mit der sehr kleinen Deckschuppe am Grund und von innen mit dem aufliegenden Samenpaar. – 6. Wie 5. mit den Abdrücken der entfernten Samen. – 7. Same mit und ohne Flügel, und Flügel allein. – 8. Aufgesprungenes Staubgefäß von zwei Seiten. – 9. Nadel und Querschnitt derselben. – 10. Keimpflänzchen mit der noch aufsitzenden Samenschale. – 11. Dasselbe ohne diese. – 12 (an Fig. 1). Eine Galle der Rinden- oder Tannenlaus (Chermes).

[233] In den deutschen Mittelgebirgen ist sie der herrschende Baum. Auch im deutsch-österreichischen Bergland hat sie bedeutende Massenverbreitung und dringt bis in die italienischen Alpen und in Frankreich bis zu den Pyrenäen vor; im Osten erreicht sie in Serbien etwa bei 43° nördl. Br. ihre Südgrenze; jenseit des Urals tritt sie wieder im südlichen Sibirien auf und geht bis zum Amurland, fehlt aber in Rumelien, in der Krim und im Kaukasus. In den Alpen steigt die F. viel höher als die Kiefer, auf den Fjelden des südlichen Norwegen kommen dagegen beide bis zu gleichem Niveau vor, und in Lappland geht die F. nur bis 67 oder 69°, während die Kiefer bis zum äußersten Saum der Wälder reicht. Die F. geht im Harz bis 1000 m, im Bayrischen Wald bis 1470, in den Bayrischen Alpen bis 1800, im Unterengadin bis 2100 und in den Pyrenäen bis 1625 m ü. M. Die F. hat in neuerer Zeit ein großes Gebiet allmählich erobert, nachdem durch lange fortgesetzte Bodenmißhandlungen und verkehrte Wirtschaft die ehemals mit Laubholz bestockten Böden zur Laubholzwirtschaft ungeeignet geworden waren. Ausgedehnte Ödflächen im nördlichen und westlichen Deutschland, in Belgien, Dänemark, England und Schottland sind mit Fichten wieder in Bestand gebracht worden. Dieser großartige Vorgang hat sich namentlich seit 1780 vollzogen. Die F. erscheint ungemein geeignet, verödeten und verwilderten Boden rasch zu decken und zu verbessern. Ihre tief hinabreichende Beastung und bedeutende Nadelmasse, die pyramidale Form ihrer Krone, welche selbst im höhern Alter den untern Ästen noch Licht zufließen läßt, ihre Fähigkeit, sich selbst den Fuß zu decken, ein weitverzweigtes Wurzelgeflecht, welches dem Stamm einen weiten, wenn auch nicht eben tiefen Wurzelraum zu schaffen geeignet ist, ihre Fähigkeit endlich, langen Schirmdruck, plötzliche Freistellung, ganz freien Wachsraum, diese so verschiedenen Einwirkungen zum mindesten zu ertragen, lassen sie an und für sich als eine der zähesten Waldbaumarten, ganz besonders aber als geeignet erscheinen, auf kümmerlichen Standorten den Kampf um das Dasein noch zu beginnen und wenn auch nicht siegreich zu beenden, so doch nicht zu unterliegen und der nächsten Generation von Bäumen eine bessere Stätte zu bereiten. Die F. bedarf, soll sie sich überhaupt kräftig entwickeln, nur feuchter Luft und eines frischen Bodens. In trockner Luft und trocknem Boden stirbt sie bald an Wassermangel, an einem Plus ihrer (sehr energischen) Wasserausgabe gegen die Wasseraufnahme.

Der Nutzwert der F. ist überaus groß, ihre Massenerzeugung nicht minder; der finanzielle Abschluß der Fichtenwirtschaften wird daher wohl kaum von einer andern Holzart erreicht. Die günstigen Eigenschaften dieser Holzart haben vielfach zu ihrem Anbau geführt, nicht selten aber auch zur Enttäuschung. Man vergriff sich in Beurteilung der Standörtlichkeit, und die F. leistete nicht annähernd das, was sie anderwärts ohne alle wirtschaftliche Kraftanstrengung leistete. Der Massenverbreitung der F. wirken eine große Zahl von Feinden entgegen. Stürme, Schnee, Eis, Rauhreif und Spätfröste schädigen und prädisponieren sie für die verderblichen Angriffe des Fichtenborkenkäfers, des Fichtenrüsselkäfers, der Nonne und des Harzrüsselkäfers. Auf sehr fruchtbarem Boden in sehr warmer Lage erkrankt die F. an Kern- und Rotfäule, auf Moorboden wird sie wipfeldürr, und auf sehr trocknem Boden sterben selbst 30jährige Bäume durch Bodentrocknis. Die Fichtenbestände werden meist im 70–120jährigen Umtrieb bewirtschaftet. Von der Vorverjüngung in Samenschlägen ist man in Norddeutschland der Sturmgefährlichkeit wegen fast ganz abgegangen und verjüngt hier in kleinen Kahlschlägen, mit denen man der herrschenden Windrichtung entgegen fortschreitet. Im mittlern und südlichen Deutschland findet man noch Fichten-Dunkelschlagwirtschaft als Regel. Die Schläge bebaut man gewöhnlich nach einjähriger Schlagruhe (des Rüsselkäfers wegen) und zwar durch Pflanzung, da Fichtenbestandsaaten wegen des Graswuchses und der langsamen Entwickelung der Pflänzchen in den beiden ersten Lebensjahren nicht eben vorteilhaft sind. Die Erziehung der erforderlichen Pflanzen erfolgt in Saatbeeten, in welchen nach nicht tiefer (spatentiefer) Bodenbearbeitung pro Ar etwa 1,5 kg reiner Kornsame der Keimfähigkeit 0,6 (1 hl Kornsame wiegt gestrichen 45–47 kg) in Schmalrillen, welche 15–20 cm voneinander entfernt sind, ausgesäet werden. Man pflegt wegen der Gefahr des Auffrierens den Boden, wenn er sehr stark gelockert sein sollte, vor der Saat wieder festzuschlagen, auch die Balken zwischen den Saatrillen mit flach gezupftem Moos zu decken, welches man mit Steinen beschwert. Aus dem Saatkamp verpflanzt man entweder die drei- oder vierjährigen Rillenpflanzen in schwachen Büscheln (3–4 Pflanzen zusammen) ins Freie, oder, was in neuerer Zeit ziemlich allgemein für das zweckmäßigere Verfahren gehalten wird, verschult die jungen ein- oder zweijährigen Pflänzchen in 15 cm-Quadratverband und pflanzt sie vierjährig (in höhern Gebirgslagen auch 5–7jährig) als Einzelpflanze ins Freie. Die F. läßt sich zweckmäßig mit Buchen und Tannen mischen, mit der Kiefer nicht dauernd, ebensowenig mit der Eiche. Die Massenerzeugung reiner Fichtenbestände bewegt sich bei 100jährigem Umtrieb zwischen 4 und 10 Festmeter pro Hektar und Jahr und beträgt auf den mittlern Fichtenstandorten gewöhnlich 6 Festmeter. Die in den Durchforstungen zu gewinnenden schwachen Sortimente sind fast sämtlich als kleine Nutzhölzer (Bohnenstangen, Heckenstöcke, später Hopfenstangen) absetzbar und erhöhen den Reinertrag der Fichtenwirtschaften erheblich. Die F. ist auch eine gute Heckenpflanze, wenn man die sehr dicht nebeneinander gepflanzten Stämmchen gut unter Schnitt hält. Die vielen Seitenknospen sorgen gut für große Verdichtung der Hecke. Das Fichtenholz ist weißer als Kiefernholz, ohne eigentlichen Kern, weich, grob, glänzend, leicht spaltbar; es ist etwa so dauerhaft wie Tannenholz, steht aber dem Kiefern- und Lärchenholz weit nach; es findet ausgedehnte Verwendung als Nutz- und Brennholz. Die Rinde nicht zu alter Bäume dient zum Gerben, der ganz junge Splint wird in Lappland und Schweden gegessen; er enthält Koniferin, aus welchem das Vanillearoma dargestellt wird. Vielfach werden Harz und Terpentin, Pech und Teer aus der F. gewonnen, aus den Nadeln Waldwolle, Fichtennadelextrakt und Fichtennadelöl. Mit dem Blütenstaub verfälscht man Lykopodium, und mit Fichtensprossen bereitet man in England ein bierähnliches Getränk (Sprossenbier, Tannenbier). Man kultiviert viele Varietäten der F., die auch zum Teil im wilden Zustand vorkommen und einander sehr unähnlich sind. Die Schlangenfichte (Abies excelsa viminalis Alstr.) hat sehr lange, wenig oder kaum verästelte und zum Teil überhängende Zweige mit etwas anliegenden Nadeln. Die Formen mit stark überhängenden Zweigen heißen Trauerfichten. Von amerikanischen Fichten sind bemerkenswert: die schwarze F. (A. Mariana Mill., A. nigra Desf.), mit kegelförmiger [234] Krone, sehr dicht stehenden, geraden, dunkelgrünen Nadeln und kleinen Zapfen, ein sehr schöner Baum im englischen Nordamerika und auf der Ostseite der Vereinigten Staaten südlich bis Nordcarolina; die Rotfichte (A. americana Gärtn., A. rubra Poir.), unsrer F. ähnlich, mit auf der obern Seite mehr oder weniger blaugrünen Nadeln und rötlichen Zapfen, wie es scheint, nur im englischen Nordamerika einheimisch; die weiße F. (A. laxa Ehrh., A. alba Mchx., A. canadensis Mill.), in Form einer im untern Teil nicht sehr dichten Pyramide wachsend, meist etwas graugrün, bisweilen auch blaugrün, mit nicht sehr dicht stehenden Nadeln, im englischen Nordamerika und in den Vereinigten Staaten bis Nordcarolina. Vgl. Baur, Die F. in Bezug auf Ertrag, Zuwachs und Form (Berl. 1877).

Fichte, 1) Johann Gottlieb, berühmter Philosoph, einer der schärfsten Denker und kräftigsten Charaktere aller Zeiten, geb. 19. Mai 1762 zu Rammenau in der Oberlausitz als der Sohn eines Bandwebers. Als Knabe zeichnete er sich durch regen Geist und seltenes Gedächtnis aus, kam, zwölf Jahre alt, auf die Stadtschule nach Meißen und bald nachher nach Schulpforta bei Naumburg, bezog 1780 die Universität, zuerst Jena, dann Leipzig, um Theologie zu studieren. Spinozas Schriften, die ihm in die Hände fielen, besonders dessen „Ethik“, die er eifrig las, brachten eine so große Aufregung in ihm hervor, daß sein Beruf zur Philosophie von dem Zeitpunkt an entschieden war. So nachhaltig war der Eindruck, obgleich er erst in der sogen. zweiten Periode seines Philosophierens hervortrat, daß Herbart, sein einstiger Zuhörer und späterer wissenschaftlicher Gegner, Fichtes spätere Philosophie eine „idealistische Übersetzung von Spinozas Pantheismus“ genannt hat. Sein Verstand entschied sich für den Determinismus, sein Gemüt aber, durchdrungen von dem moralischen Bewußtsein der Freiheit, sträubte sich dagegen. Letzteres schien zwar die Oberhand zu gewinnen und ihn für Kants transcendentale Freiheitslehre, die seiner energischen Natur entsprach, empfänglicher zu machen; sein wissenschaftliches Ideal aber blieb ein der Form des Spinozismus ähnliches einheitliches System, und er übertrug es nachher auf seine Auffassung der Kantschen Philosophie. Von 1788 bis 1790 Hauslehrer in Zürich, wo er seine nachherige Gattin (seit 1793), Johanna Rahn, eine Nichte Klopstocks, zuerst kennen lernte, seit 1790 in Leipzig, dann für kurze Zeit wieder Hauslehrer in Warschau, warf er sich während mehrerer Jahre mit Feuereifer auf das Studium Kants, ging, um dessen persönliche Bekanntschaft zu machen, 1792 nach Königsberg und schrieb, um sich bei demselben würdig einzuführen, binnen vier Wochen seinen „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ (Königsb. 1792, 2. Aufl. 1793). Diese Schrift war so ganz im Geiste der kritischen Philosophie, daß sie für ein Werk Kants gehalten wurde, bis dieser selbst den Verfasser nannte, empfahl und dadurch mit einemmal zum berühmten Mann machte. F. privatisierte hierauf einige Zeit in Zürich, verheiratete sich, hielt Vorlesungen und beteiligte sich unter dem Eindruck des benachbarten Frankreich und der republikanischen Schweiz lebhaft (obgleich nur theoretisch) an der Politik. In den Schriften: „Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution“ (Jena 1793) und die „Zurückforderung der Denkfreiheit, an die Fürsten Europas“ (das. 1794) beurteilte er aus dem Freiheitsbegriff der Kantschen Philosophie den gegebenen Staat und die Rechtmäßigkeit der französischen Umwälzung. Seine Beurteilung ist eine Verteidigung. In Jena, wo nach Reinholds Abgang nach Kiel die Kantsche Philosophie keinen Vertreter hatte, richtete Hufeland die Blicke des anfangs bedenklichen weimarischen Ministeriums auf F. Im Mai 1794 traf F. in Jena ein. Für seine Vorlesungen ließ er zwei Lehrbücher drucken, das eine, in Form eines Programms, war die Schrift „Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogen. Philosophie“ (Weim. 1794, 2. Aufl. 1798); das andre enthielt das neue System selbst: „Grundlage und Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre“ (Jena 1794, 2 Tle.; 3. Aufl. 1802). Fichtes Auftreten in Jena war von außerordentlichem Erfolg begleitet. Um auf die moralische Bildung der Studierenden noch direkter einzuwirken, eröffnete er im Wintersemester 1794/95 Vorlesungen „Über die Moral für Gelehrte“ und veröffentlichte eine Schrift: „Über die Bestimmung des Gelehrten“ (Jena 1794). Als er aber auch das akademische Leben der Studenten reformieren und zu dem Ende die bestehenden Studentenorden aufheben wollte, verwandelte sich die ursprüngliche Begeisterung der Studenten für F. in solchen Haß gegen ihn, daß er, von der Regierung ohne Schutz gelassen, Jena im Sommer 1795 für einige Zeit verlassen mußte. Außer vielen einzelnen Abhandlungen in Journalen erschienen von ihm damals die „Grundlage des Naturrechts“ (Jena 1796, 2 Tle.) und der „Geschlossene Handelsstaat“ (Tübing. 1800), worin er die Ausführbarkeit seiner allgemeinen Staatslehre darzuthun suchte. Als Gegenstück zum Naturrecht ist das „System der Sittenlehre“ (Jena 1798) zu betrachten. Die Folgen der inzwischen in Jena eingetretenen Veränderung zeigten sich, als im J. 1798 ein Sturm über F. von auswärts hereinbrach. In dem „Philosophischen Journal“ von Niethammer und F. (Bd. 8, Heft 1, Jena 1798) erschien ein Aufsatz von Forberg: „Entwickelung des Begriffs Religion“, wonach die Religion nur ein praktischer Glaube an eine moralische Weltordnung sein sollte. F. hatte demselben eine einleitende Abhandlung: „Über den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung“, vorausgeschickt, deren Grundgedanke war: „Unser sittliches Handeln sei unmittelbarer Glaube an eine Ordnung der Dinge, in der das Gute nur aus dem Guten hervorgehen könne, d. h. an eine moralische Weltordnung, und diese sei das Göttliche selbst“. Bald nach dem Bekanntwerden jener Aufsätze erschien ein anonymes Schriftchen unter dem Titel: „Schreiben eines Vaters an seinen Sohn über den Fichteschen und Forbergschen Atheismus“, infolge dessen die kursächsische Regierung zu Dresden die Konfiskation jener beiden Aufsätze verfügte, das „Philosophische Journal“ verbot und ein Requisitionsschreiben an den weimarischen Hof sendete, worin sie diesen ersuchte, die Verfasser und Herausgeber dieser Aufsätze nach Befinden zu bestrafen. F., überzeugt, der Angriff sei nicht so sehr gegen den Atheismus als vielmehr gegen den freien Menschengeist gerichtet, schrieb die „Appellation an das Publikum. Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert“ (Jena u. Leipz. 1799). Der Herzog von Weimar, dem F. diese Schrift überreichte, wollte F. schonen und die Sache damit abmachen, daß er den angeklagten Professoren einen Verweis zuerkannte. F. aber, davon in Kenntnis gesetzt, erklärte, den Verweis nicht anzunehmen, indem er zugleich anzeigte, daß er denselben mit seinem Entlassungsgesuch beantworten werde. Schon am 29. März gelangte ein Reskript an den akademischen Senat, welches diesen beauftragte, F. und Niethammer einen [235] Verweis zu erteilen, und zugleich bemerkte, daß man Fichtes Dimission genehmige. F., der diese Wendung nicht erwartet hatte, versuchte eine Zurücknahme der höchsten Entschließung zu veranlassen, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Dagegen ließ ihn der preußische Minister v. Dohm nach Berlin einladen, wo F. schon im Juli eintraf. F. selbst dachte unparteiisch genug, um das Verfahren der weimarischen Regierung bei seiner Absetzung als gerecht und durch seine eigne Herausforderung nötig geworden anzuerkennen. In die Zeit dieses ersten Berliner Aufenthalts fällt die Abfassung der Schriften: „Über die Bestimmung des Menschen“ (Berl. 1800) und „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters“ (das. 1806), denen, nachdem er (1805) als Professor an die (damals preußische) Universität zu Erlangen versetzt worden war, die „Vorlesungen über das Wesen des Gelehrten“ (das. 1806) folgten, worin er das Leben in der Idee als die einzig wahre, des Geistes würdige Beschäftigung schilderte. Als bald darauf jene denkwürdige Katastrophe eintrat, welche Preußens Macht ganz zu vernichten drohte, ging F. nach Königsberg und 1807 über Kopenhagen wieder nach Berlin. Als die Regierung den Entschluß faßte, in Berlin eine Universität zu errichten, wurde F. mit der Ausarbeitung eines Plans beauftragt, der später unter dem Titel: „Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höhern Lehranstalt“ (Stuttg. 1817) gedruckt erschien, aber auf W. v. Humboldts und Schleiermachers Betrieb als unpraktisch zurückgelegt ward. Höchst einflußreich dagegen wirkte F. durch seine „Reden an die deutsche Nation, gehalten im Winter 1807–1808“ (Berl. 1808), in welchen er darauf hinwies, daß das gesunkene deutsche Volkstum nur durch eine ganz neue Erziehung, die das Übel an der Wurzel ausrotte und durch den Geist der Gemeinschaft und Aufopferung die Selbstsucht vernichte, wiederherzustellen sei. Seit 1809 hielt F. als Professor an der neuen Universität Vorträge, als deren Früchte die Schriften: „Die Wissenschaftslehre in ihrem ganzen Umfang“ (Berl. 1810) und „Die Thatsachen des Bewußtseins“ (Tübing. 1817) zu betrachten sind. Beim Beginn des Befreiungskriegs, in den ersten Monaten des Jahrs 1813, gedachte F. das Hauptquartier als Redner zu begleiten; ja, er war auch bereit, persönlich ins Feld zu ziehen. Beim Abbrechen seiner Vorlesungen entließ er seine Zuhörer 19. Febr. 1813 durch eine Rede: „Über den Begriff des wahrhaften Kriegs“ (gedruckt Tübing. 1815, dann als Anhang zu den aus dem Nachlaß herausgegebenen Vorträgen über Staatslehre, Berl. 1820). Im Wintersemester 1813/14 hatte er seine Vorlesungen wieder angefangen, als seine vortreffliche Frau nach fünfmonatlicher aufopfernder Krankenpflege in den Lazaretten vom Nervenfieber befallen wurde. Sie genas; aber F., von derselben Krankheit ergriffen, starb schon 27. Jan. 1814.

Kein andrer deutscher Philosoph hat für die nationale Größe und Wiedergeburt des deutschen Volkes eine so opfermutige Begeisterung selbst gehegt und bei andern geweckt wie F., der wenn nicht formell, doch dem Geist nach dem „Tugendbund“ angehörte. Das unvergängliche Andenken, das er sich durch seine heldenmütigen Reden an die deutsche Nation gesichert, ist durch die großartige Feier seines 100jährigen Geburtstags 19. Mai 1862, die nicht nur dem Denker, sondern auch dem Deutschen galt, bestätigt worden.

Fichtes Philosophie knüpfte an Kant und zwar an dessen idealistischen Faktor an. Kant hatte die Erfahrung für ein Produkt aus zwei Faktoren, einem idealistischen und einem realistischen, erklärt. Jenen, das erkennende Subjekt, betrachtete er als den Urheber der Form, diesen, das sogen. Ding an sich, als die Ursache der Materie der Erfahrungserkenntnis. Ohne die a priori im Erkenntnisvermögen gelegenen reinen Anschauungsformen des Neben- und Nacheinander (des Raums und der Zeit) würden wir Kant zufolge keine räumlich und zeitlich angeordneten Sinnesempfindungen, ohne das seiner Qualität nach übrigens unbekannt bleibende Ding an sich überhaupt keine Empfindungen haben. Das Dasein desselben erkennen wir eben mittels des Daseins der Empfindungen in uns. Da wir uns nicht bewußt sind, dieselben selbst in uns hervorgebracht zu haben, so schließen wir nach dem Kausalgesetz, daß jede Wirkung eine entsprechende Ursache voraussetze, daß sie von irgend einer von uns selbst verschiedenen Ursache (einem Ding an sich) hervorgebracht seien, ein solches demnach wirklich existiere. Gegen diesen Schluß hatte schon G. E. Schulze (s. d.) die Einwendung erhoben, daß das Kausalgesetz nach Kants eigner Lehre eine dem Erkenntnisvermögen des Subjekts eigentümliche Urteilsform, die Folgerung von der Existenz einer Wirkung auf die einer korrespondierenden Ursache eine von seiten des urteilenden Subjekts zwar unvermeidliche, aber die wirkliche Existenz derselben nichts weniger als verbürgende Nötigung sei. F. verstärkte den Einwand und bezeichnete die Folgerung, es müsse, weil das Subjekt durch die Natur seines Erkenntnisvermögens genötigt sei, ein Ding an sich als Ursache unsrer Empfindungen als existierend zu denken, ein solches wirklich existieren, geradezu als einen Fehlschluß. Fällt aber durch die Ungültigkeit des Schlusses von dem Dasein der Empfindungen im Subjekt auf das Dasein eines von diesem verschiedenen Dinges an sich der von Kant festgehaltene realistische Faktor der Erfahrungserkenntnis weg, so bleibt nur der idealistische übrig, d. h. die Empfindungen (als Materie der Erfahrung) sind ebensogut subjektiven Ursprungs wie die Verknüpfung derselben im Neben- und Nacheinander (als Form der Erfahrung). Es ist ferner nicht einzusehen, wie es überhaupt anders möglich sein sollte, einen Bewußtseinsinhalt, d. h. eine nun einmal (in der Erfahrung jedes Einzelnen) thatsächlich vorhandene Vorstellungswelt, zu besitzen, wenn dieselbe durch die Mitwirkung eines vom Subjekt Verschiedenen zu stande gekommen sein sollte, da ein solches, wenn obiger Schluß, auf dem sein Dasein allein beruht, ein Fehlschluß ist, überhaupt nicht existiert. Das einzige daher, aus welchem die thatsächlich im Bewußtsein vorhandene Vorstellungswelt wirklich erklärt werden kann und daher auch muß, ist das Subjekt, welches, da außer ihm nichts existiert, notwendig der Erzeuger seiner gesamten Vorstellungswelt sein muß. (In ähnlicher Weise hatte Spinoza, den F. in seiner Jugend studierte und hochhielt, aus der notwendigen Einzigkeit der Substanz, außer welcher nichts wahrhaft sei, gefolgert, daß alle sogen. Vielheit der Körper und Ideen nur Modifikation ihrer Attribute sein könne.)

Die Aufgabe, welche Kants Philosophie gesteckt hatte, die gegebene Erfahrung aus zwei Faktoren zu konstruieren, wurde von F. insofern beschränkt, als er sie aus einem einzigen (dem Subjekt) konstruierte, zugleich aber dahin bestimmt, Philosophie in Wissenschaft, d. h. (wieder nach dem Vorbild Spinozas) in ein konsequentes, auf einem durch sich selbst gewissen Fundament aufgebautes System, in welchem ein Satz den andern und das Fundament alle trägt, zu verwandeln. Ersterer Umstand gab Fichtes Philosophie den idealistischen, letzterer den Charakter [236] einer Wissenschaftslehre, d. h. einer Anweisung, wie ein durchaus und streng wissenschaftliches Wissen zu stande zu bringen sei. Daß unter dem Subjekt oder, wie er es nannte, dem Ich sein eignes persönliches (das Ich des Individuums F.) gemeint sein sollte, als mache, spiegele er selbst sich die Welt nur vor und sei eigentlich mit seiner Phantasmagorie allein im Weltraum vorhanden, erklärte F. selbst für einen „unsinnigen und bodenlosen Idealismus und Egoismus“, den ihm „beleidigte Höflinge und ärgerliche Philosophen“ angedichtet hätten. Dasselbe wird von ihm (wie das Erkenntnisvermögen von Kant) nicht im individuellen, sondern im allgemeinen Sinn gefaßt, um begreiflich zu machen, wie in einem solchen und durch ein solches ein Wissen überhaupt zu stande komme. Da der Schluß von der Wirkung im Subjekt auf eine Ursache außer dem Subjekt keine Geltung mehr hat, so kann auch der Schluß, daß Vorstellungen, die das Subjekt in sich antrifft, ohne sich bewußt zu sein, sie selbst hervorgebracht zu haben, von einem andern (dem Ding an sich) in ihm erzeugt seien, keine Geltung mehr beanspruchen. Vielmehr müssen die Vorstellungen, von deren Erzeugung das Ich nichts weiß, ebensogut durch dasselbe selbst hervorgebracht sein wie diejenigen, bei welchen es sich seines Hervorbringens bewußt ist. Es findet daher zwar nach wie vor ein Unterschied zwischen im Bewußtsein angetroffenen (dem Anschein nach nicht vom Subjekt herrührenden) und mit Bewußtsein hervorgebrachten (vom Subjekt selbst erzeugten) Vorstellungen statt; aber der Ursprung derselben fällt gänzlich innerhalb, nicht bezüglich der erstern außerhalb des Subjekts, d. h. die scheinbar nicht vom Ich herrührenden Vorstellungen rühren von diesem ebensogut her wie die von ihm selbst als von ihm herrührend gewußten. Was überhaupt im Subjekt vorhanden ist, ist durch dieses gesetzt; dasjenige, bei welchem das Subjekt (das Ich) dieser Setzung sich nicht bewußt ist, betrachtet es zwar als durch ein andres (ein Nicht-Subjekt, Nicht-Ich) gesetzt, aber nur, um es schließlich als seine Setzung (durch das Subjekt gesetzt) wieder zurückzunehmen. Die drei Stufen dieses Prozesses, die F. als Thesis, Antithesis und Synthesis bezeichnet, bilden das Instrument, durch welches F. die ganze (Kant zufolge wenigstens dem materiellen Bestandteil, den Empfindungen, nach von außen gegebene) Erfahrungswelt in Thaten des Ichs und die sogen. Transcendentalphilosophie, als Wissen von dem Zustandekommen der Erfahrung, in Selbstbewußtsein des Ichs, als Wissen von diesen Thaten als den seinigen, auflöst. Nicht nur die räumlichen und zeitlichen Formen der Empfindungen, die ja nach Kant selbst schon dem Subjekt angehörten, sondern diese selbst müssen als Thaten des Ichs aufgezeigt werden. F. bezeichnete es als die eigentümliche Aufgabe der Wissenschaftslehre, zu zeigen, wie die unwillkürlichen Vorstellungen, das Sehen, Hören etc., aus eigner, zwar nicht gesetzloser, aber durch nichts andres als durch die Natur des thätigen Subjekts selbst gebundener Thätigkeit hervorgehen. Diese, die handelnde Intelligenz, findet sich bei ihrer Produktion zwar in „unbegreifliche Schranken“ eingeschlossen; dieselben sind aber nichts weiter als die Folgen ihres eignen Wesens, Gesetze der Intelligenz, und indem diese die Nötigung, von der ihre bestimmten Vorstellungen begleitet sind, fühlt, empfindet sie nicht einen Eindruck von außen, sondern ihr eignes Gesetz. Inwiefern der Idealismus diese „einzige vernunftmäßige, bestimmte und wirklich erklärende“ Voraussetzung von notwendigen Gesetzen der Intelligenz macht, wird er von F. als der „kritische oder transcendentale“, dagegen ein solcher, welcher bestimmte Vorstellungen aus einem „gesetzlosen“ Handeln ableitet, als „transcendenter und bodenloser“ bezeichnet. Feststehend nach F. sind daher nur die Gesetze der nach seinem Willen nicht einmal als „Thätiges“, sondern als bloßes „Thun“ anzusehenden Intelligenz; alles vermeintlich ruhende Sein (die sogen. objektive, für den idealistischen Standpunkt nur als Vorstellung im Ich vorhandene Welt) ist, ans Licht des Bewußtseins gezogen, Gewordenes.

Durch diese Gesetze ist die Gestalt dieser Welt als das notwendige Produkt des in „unbegreifliche Schranken“ ihres Wesens eingeschlossenen Handelns der Intelligenz begründet, d. h. die Welt unsrer Vorstellungen kann keine andre sein, als die Natur der Intelligenz, als ihrer ausschließlichen Erzeugerin, es gestattet. Keineswegs aber sind dadurch jene Schranken selbst und das in ihnen sich bewegende Handeln der Intelligenz begreiflich gemacht. Soll dasselbe kein zweckloses und die durch dasselbe produzierte Vorstellungswelt (die „Scheinwelt der sinnlichen Dinge“) kein unbegreifliches, nichtiges und ebendeshalb trügerisches Gaukelspiel sein, so muß demselben und dadurch auch der sinnlichen Erscheinungswelt, ihrem Produkt, irgend ein Zweck, eine vernünftige Absicht, allerdings nicht außerhalb des Subjekts, da außer dem Ich nichts existiert, sondern innerhalb desselben, zu Grunde liegen. Dieser Zweck, dessen Erweis F. in der Sittenlehre versucht, liegt darin, daß das Ich Selbstzweck und die Erscheinung einer Welt das einzige Mittel, d. h. die Bedingung zur Erreichung desselben, ist. Handeln, das Wesen des Ichs, ist zugleich dessen absolute Bestimmung, und da es ohne Erscheinung einer bestimmten Welt zu einem bestimmten Handeln nicht kommen könnte, so liegt die Produktion der Erscheinungswelt auf dem Weg zwischen dem Ich, wie es (potentialiter, der Möglichkeit nach) an sich und (actualiter, der Wirklichkeit nach) infolge seiner eignen Selbstverwirklichung für sich ist. Kann Wirksamkeit überhaupt, also auch jene des Ichs, gar nicht gedacht werden ohne den Gegensatz von Innen und Außen, Subjekt und Objekt, von etwas, wovon sie aus-, und etwas, auf was sie hingehen muß: so bildet der absolut durch das Ich selbst gesetzte Zweck das eine, der rohe Stoff der Welt das andre Ende; die Setzung und Bewältigung des letztern zur Realisierung und Bewährung des erstern macht die Bestimmung des Ichs aus. „Unsre Welt“, lehrt F., „ist das versinnlichte Material unsrer Pflicht; dies ist das eigentliche Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung.“ Die Realität der Welt beruht nicht auf einem Wissen, sondern (ähnlich wie nach Kants Postulierungsmethode der praktischen Vernunft für diese das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele) auf einem bloßen Glauben, der seinerseits in der Notwendigkeit wurzelt, das Pflichtgebot zu realisieren, welches sich ohne eine Welt nicht realisieren läßt. Die aus der ursprünglichen Einrichtung unsrer (subjektiven) Natur ausgeborne (idealistische) Welt ist daher zwar nur das Spiegelbild dieser, die Offenbarung unsrer selbst; das Ganze aber ist eine durchaus moralische Anordnung und dient moralischen Zwecken. „Diese lebendige moralische Ordnung ist Gott“; eines andern bedürfen wir nicht und können keinen andern fassen, denn der Schluß, daß, wo Ordnung sich kundgebe, ein Ordner vorauszusetzen sei, „wird durch den Verstand gemacht und gilt nur auf dem Gebiet der sinnlichen Erfahrung“. Ihm Bewußtsein zuschreiben hieße ihn in Schranken einschließen, d. h. vermenschlichen; ein Bewußtsein [237] ohne Schranken wäre ein „für uns ganz unbegreifliches Wissen“; „jeder Begriff von der Gottheit würde ein Abgott“. Das einzige wahrhaft Absolute, das erste und einzige An-sich, das dem Menschen gegeben ist, ist „das Postulat einer übersinnlichen Weltordnung“. Dieser berufene „Atheismus“ Fichtes, der nach dem vorigen nicht nur die Herabsetzung der sogen. wirklichen zu einer bloßen Erscheinungswelt, sondern zugleich die Abstreifung jeglicher, auch der Bewußtseinsschranken, auf welchen das Dasein der Erscheinungswelt beruht, vom Göttlichen (also wie die Gotteslehre Spinozas vielmehr Akosmismus) ist, bildet nun die Vermittelung zwischen Fichtes sogen. erster und zweiter Philosophie, zwischen welcher Nachfolger und Zeitgenossen (wie Hegel und Schelling) eine weite Kluft (der letztere, anfänglich Fichtes begeisterter Bewunderer, sogar eine Aneignung ihm eigner Ideen) zu finden glaubten.

Wahr ist, daß in jener, welcher die Schriften bis zum Jahr 1800 angehören, das Postulat der übersinnlichen Weltordnung den End-, in den Schriften der zweiten Periode (1800–1814), namentlich in der Schrift von der Bestimmung des Menschen, den Ausgangspunkt bildet. Wird jene, „das einzige wahre Absolute“, „Gott“, von den unbegreiflichen Schranken, in welchen das menschliche Ich als handelnde Intelligenz sich „gefangen“ findet, aufsteigend nur erreicht, wenn die Schranke von diesem schlechthin weggedacht, die endliche Intelligenz zur unendlichen (ebendarum „für uns unbegreiflichen“) erweitert wird, so kann umgekehrt, vom Absoluten ausgehend, zum Menschlichen nur herabgestiegen werden, wenn das an sich Schrankenlose in die Schranken des menschlichen Bewußtseins gefaßt, das unendliche Ich zum endlichen (ebendarum „begriffenen“) verengert wird. Damit ist zugleich ausgesprochen, daß das unendliche Ich nicht in einem, sondern nur in einer unendlichen Menge endlicher Ichs (wie Spinozas unendliche Substanz nur in einer unendlichen Menge von Modifikationen) seine Verwirklichung finden kann, deren jedes für sich ebensosehr ein (in sich beschlossenes) Ich wie im Verhältnis zu den übrigen ein (für diese abgeschlossenes) Nicht-Ich darstellt und durch Erfüllung seiner besondern den auf dasselbe entfallenden Teil der allgemeinen Bestimmung, der Selbstverwirklichung des Absoluten (der moralischen Ordnung, Gottes), realisiert und dadurch (auf seinem Standpunkt) die „übersinnliche Welt“, das „einzige Absolute“, mit verwirklicht. Wie auf dem Standpunkt der Sittenlehre zwischen dem Ich als Selbstzweck und dessen Verwirklichung die sinnliche Scheinwelt als Mittel und Bedingung zu dieser, so liegt zwischen dem Absoluten (der zu realisierenden moralischen Ordnung) und dessen Verwirklichung die Welt der endlichen Ichs, d. h. die in einer Vielheit leiblich getrennter Vernunftwesen vollzogene Versinnlichung des Übersinnlichen als Mittel und Bedingung seiner Selbstrealisierung. Die Phasen, welche die letztere nacheinander durchläuft, gaben F. den Anhaltspunkt zu einer ebenso großartigen wie tief ethischen Philosophie der Geschichte, deren Grundlage die Einheit des Menschengeschlechts in Gott, deren Endziel die Wiedervereinigung desselben in diesem ist. In der „Anweisung zum seligen Leben“ (vom Jahr 1806) werden von ihm drei Perioden unterschieden: in der ersten steht der Mensch (das endliche Ich) auf dem egoistischen Standpunkt sinnlicher Glückseligkeit, ist sein Wille nicht eins mit dem göttlichen, sondern im Gegensatz zu diesem; in der zweiten steht derselbe auf dem Punkte der Wahl zwischen dem eignen und dem göttlichen Willen (Standpunkt des Gesetzes); in der dritten eignet er sich das Gesetz freiwillig an, womit aller Gegensatz zwischen dem Menschen und Gott aufhört, die reine und freie Moralität, der Zustand der Seligkeit beginnt, „der Mensch in Gott versinkt“ und „Gott alles in allem ist“. Daß diese seine spätere Philosophie, die Hegel höhnisch eine „für Kotzebue“ nannte, von seiner anfänglichen nicht dem Wesen, sondern höchstens dem Ausdruck nach verschieden sei, hat F. ausdrücklich (gegen Schelling) behauptet. Neuere Darsteller (insbesondere Fichtes Sohn, Löwe, Rob. Zimmermann u. a.) haben dargethan, daß die vermeintliche Kluft sich ebne, wenn man von rückwärts am Faden des Spinozismus sich zu Fichtes Anfängen zurückfindet. Eine eigentliche Schule hat F. nicht gebildet, sondern es haben nur einzelne, namentlich Schad, Mehmel, Cramer, Schmidt, Michaelis u. a., seine Lehre adoptiert. Gleichwohl ist Fichtes Einfluß auf die folgende Entwickelung der deutschen Philosophie so bedeutend, daß in ihm allein der Schlüssel zu allem Verständnis der Neuern liegt, indem nicht nur Schelling und Hegel auf der von ihm zuerst eingeschlagenen Bahn der Spekulation weiterschritten, sondern selbst deren Antipode Herbart durch das im Fichteschen „Ich“ liegende Problem auf die Grundaufgabe seiner Metaphysik hingeleitet worden zu sein selbst bekennt, Schopenhauer aber in der ersten Hälfte seiner Weltanschauung, in der „Welt als Vorstellung“, ganz mit F. übereinstimmt.

Fichtes „Sämtliche Werke“ wurden von seinem einzigen Sohn, I. H. Fichte, herausgegeben (Berl. 1845–46, 8 Bde.), der auch „J. G. Fichtes Leben und litterarischen Briefwechsel“ (2. Aufl., Leipz. 1862, 2 Bde.) veröffentlichte und in seiner „Charakteristik der neuern Philosophie“ (2. Aufl., Sulzb. 1841) Fichtes System am klarsten darstellte. Vgl. außerdem Busse, F. und seine Beziehungen zur Gegenwart des deutschen Volkes (Halle 1848–49, 2 Bde.); Löwe, Die Philosophie Fichtes nach dem Gesamtergebnis ihrer Entwickelung und in ihrem Verhältnis zu Kant und Spinoza (Stuttg. 1862); Noack, J. G. Fichte nach seinem Leben, Lehren und Wirken (Leipz. 1862); Zimmer, J. G. Fichtes Religionsphilosophie (Berl. 1878).

2) Immanuel Hermann von, theistischer Philosoph, Sohn des vorigen, geb. 18. Juli 1797 zu Jena, war seit 1822 Professor am Gymnasium, zuerst in Saarbrücken, hierauf in Düsseldorf, seit 1836, nachdem er sich durch seine „Beiträge zur Charakteristik der neuern Philosophie“ (Sulzb. 1829, 2. Aufl. 1841) einen geachteten Namen erworben, außerordentlicher, seit 1840 ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität zu Bonn, folgte 1842 einem Ruf in gleicher Eigenschaft nach Tübingen und ließ sich, nach dem er 1867 geadelt und in den Ruhestand getreten war, in Stuttgart nieder, wo er 8. Aug. 1879 starb. Seine hauptsächlichsten Schriften sind: „Sätze der Vorschule zur Theologie“ (Stuttg. 1826); „Beiträge zur Charakteristik der neuern Philosophie“ (Sulzb. 1829, 2. Aufl. 1841); „Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie“ (Heidelb. 1832–36, 3 Tle.); „Religion und Philosophie in ihrem gegenwärtigen Verhältnis“ (das. 1834); „Die Idee der Persönlichkeit und der individuellen Fortdauer“ (Elberf. 1834; 2. Aufl., Leipz. 1855); „Über die Bedingungen eines spekulativen Theismus“ (Elberf. 1835); „Die spekulative Theologie“ (Heidelb. 1846–47, 3 Tle.); „System der Ethik“ das. 1850–53, 2 Bde.); „Anthropologie“ (das. 1856, 3. Aufl. 1876); „Zur Seelenfrage, eine philosophische Konfession“ (das. 1859); „Psychologie“ (das. 1864–73, 2 Bde.); „Die Seelenfortdauer und die Weltstellung des Menschen“ (das. 1867); „Vermischte [238] Schriften“ (das. 1869, 2 Bde.); „Die theistische Weltansicht und ihre Berechtigung“ (das. 1873); „Fragen und Bedenken über die nächste Fortbildung deutscher Spekulation“ (Sendschreiben an E. Zeller, das. 1877); „Der neuere Spiritualismus“ (das. 1878); außerdem zahlreiche Abhandlungen in der von ihm seit 1837 herausgegebenen „Zeitschrift für Philosophie und spekulative Theologie“ (Tübing. 1837–1848, 20 Bde.; fortgesetzt mit Ulrici und Wirth, Halle 1852 ff.). Auch gab er heraus die Werke seines Vaters und „J. G. Fichtes Leben und litterarischer Briefwechsel“ (Sulzb. 1830–31, 2 Bde.; 2. Aufl., Leipz. 1862).

In der Philosophie nimmt F. eine Vermittlerstellung zwischen entgegengesetzten Richtungen ein, daher auch der Vorschlag regelmäßig wiederkehrender Philosophenversammlungen zum Zweck gegenseitiger Verständigung von ihm ausgegangen und die erste 1847 in Gotha auch wirklich zu stande gebracht und mit einem Vortrag: „Über die Zukunft der Philosophie“ (Stuttg. 1847), begrüßt worden ist. Er betrachtet als solche die Extreme der streng monistischen, welche nur ein Seiendes, und der streng individualistischen Metaphysik, welche nur viele Seiende kennt, und als deren Repräsentanten ihm unter den Neuern Hegel und Herbart, Pantheismus und Deismus, erscheinen, denen er ebendarum Leibniz’ Theismus als Repräsentanten der Einheit in der Vielheit und der Vielheit in der Einheit (Urmonas und Monaden) entgegenstellt, sich mit Krauses das gleiche Ziel verfolgendem Panentheismus einverstanden erklärend. Während er in seinen frühern hauptsächlich im Kampf gegen die pantheistische Richtung abgefaßten, vorzugsweise theologischen Schriften das Hauptproblem dieses seines vermittelnden Standpunktes, die Erhaltung des Endlichen dem Unendlichen und dieses jenem gegenüber, auf spekulativem Weg zu lösen suchte, versuchte er es in seinen spätern, im Kampf gegen die individualistische Schule verfaßten, vorzugsweise psychologischen Schriften auf empirischem Weg. Die Existenz des Göttlichen, das für den Pantheismus nur immanent, im Menschengeist, für den Deismus nur transcendent, außerhalb desselben, vorhanden ist, soll als demselben immanent und transcendent (in ihm und über ihm seiend) erwiesen werden durch die „Thatsache“ eines „Überempirischen im Empirischen“, einer „höhern“, geistigen Individualität im Menschen neben dessen niederer, irdischer, die von ihm als „Genius“ bezeichnet und als das unmittelbare Bindeglied zwischen Gott und dem Menschen betrachtet wird. Das metaphysische Problem, wie die Gesamtheit dieser „Genien“ als Individuen höherer Art (Geister) sich zu Gott als der Urpersönlichkeit verhalte, wird damit in die höhere übersinnliche Welt, in das Geisterreich, verlegt, die Existenz des Genius im sinnlichen Menschen aber durch „Thatsachen“ einer höhern als der gemeinen Erfahrung, durch die Erscheinungen des Hellsehens, der Erleuchtung, sowie durch die Thaten selbstverleugnender Aufopferung erwiesen, in welchen wie in den erstgenannten ein höheres als das gemeine Wissen, so ein höheres als das gemeine Wollen als göttlicher Kern der irdischen Hülle zum Durchbruch komme. Diese Berufung auf Thatsachen, die keineswegs für jedermann als solche gelten, hat Fichtes Philosophie, besonders seit dem Erscheinen seiner Anthropologie und Psychologie, in den Ruf der Mystik und der (übrigens von ihm selbst zugestandenen) Theosophie, seine Vermittlerrolle, wie dies zu geschehen pflegt, bei den Anhängern beider Parteien in den der Halbheit und des Eklektizismus gebracht; die selbstverleugnende Wahrheitsliebe und die makellose Reinheit seines Charakters, wodurch er an seinen Vater erinnert, sind auch von seinen Gegnern anerkannt worden.


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 299
korrigiert
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[299] Fichte. Die Omorikafichte (Picea Omorica Panč.), ein hoher Baum mit graugrüner Benadelung, geradem, verhältnismäßig dünnem, bis weit hinauf astlosem Stamm und eigentümlich schmaler, pyramidenförmiger Krone, findet sich in Europa auf sehr beschränktem Gebiet, nämlich in Serbien und Bosnien und im Rhodopegebirge bei Bellova in Südbulgarien. Auf Grund genauer, auch anatomischer Untersuchungen glaubt Wettstein, daß dieser durch seine geringe Verbreitung höchst interessante Baum einer in Ostasien und Westamerika heimischen Artenreihe angehöre, und daß er in dieser Reihe den mongolisch-japanischen Arten P. Ajanensis und P. Glehnii am nächsten stehe. Unsrer gemeinen F. (P. excelsa) kommt die Omorikafichte im morphologischen Bau ihrer Organe häufig sehr nahe, auch zeigt sich in der anatomischen Struktur eine weitgehende Übereinstimmung, so daß ein genetischer Zusammenhang beider Arten wahrscheinlich ist. Die Verbreitung der Omorikafichte über zwei wenige Stunden weite Gebiete im SO. Europas läßt sich auf zweierlei Weise erklären. Man kann annehmen, daß sie am Ort ihres heutigen Vorkommens aus einer verwandten Art, etwa der P. excelsa, entstanden sei, oder daß sie früher weiter verbreitet gewesen und jetzt im Aussterben begriffen sei. Die erstere Annahme ist aus vielen Gründen unwahrscheinlich, für die zweite spricht die weite Verbreitung des Namens Omora und der Umstand, daß auch andre in Gesellschaft der Omorikafichte vorkommende Arten infolge irrationeller Waldwirtschaft in Serbien und Bosnien selten geworden sind; ferner auch das Vorkommen in zwei getrennten Gebieten, der Habitus oer Pflanze, welcher wenig lebenskräftig erscheint, und die auffallend geringe Zahl junger Pflanzen. Ist die Omorikafichte eine aussterbende Art, so erklärt sich auch ihre Verwandtschaft mit ostasiatischen Arten. Die tertiäre Flora Mitteleuropas, besonders die spättertiäre, zeigt bekanntlich deutliche Beziehungen zur gegenwärtigen ostasiatisch-nordamerikanischen und zur tertiären Flora Ostasiens. Ferner fand Wettstein in der interglazialen Hättinger Breccie (Nordalpen) die Reste einer Fichtenform, welche der Omorikafichte auffallend ähnlich ist, und die P. Engleri der Bernsteinflora zeigt wieder die größte Ähnlichkeit mit der der Omorikafichte nahe verwandten P. Ajanensis in Japan. Ganz analoge Verhältnisse wie die hier angedeuteten zeigen aber auch andre Pflanzen mit beschränktem Verbreitungsgebiet in Europa. Es scheint also erwiesen zu sein, daß die Omorikafichte einem Typus angehört, der zur Tertiärzeit in Mitteleuropa verbreitet war und von hier bis Ostasien und an die Westküste Nordamerikas sich erstreckt. Die bedeutenden klimatischen Veränderungen am Ende der Tertiärzeit bewirkten ein Aussterben des tertiären Typus in Nord- und Mitteleuropa wie in Nord- und Mittelasien, und als Reste finden sich heute die Omorikafichte in Südosteuropa, P. Ajanensis in Ostasien, P. Sitkaensis im westlichen Nordamerika. In der Eiszeit wurde die Vegetation der Alpen auf die Ränder des Gebirges zurückgedrängt, und die Omorikafichte mag sich damals in einem Gebirgsstreifen vom Ostabhang der Alpen bis in die Balkanhalbinsel hinein erhalten haben. Nach der ersten Eiszeit mag sie wieder in die Alpen eingerückt sein, um bei der abermaligen Vergletscherung definitiv auszusterben und einer andern, an die neuen Verhältnisse besser angepaßten Art, der P. excelsa, Platz zu machen, welche sich vielleicht schon früher aus ihr herausgebildet hatte. In dem oben bezeichneten Gebiet, östlich der Alpen, fand die Omorikafichte zum zweitenmal eine Zufluchtsstätte, in der sie aber durch die Thätigkeit der Menschen arg bedrängt wurde.