Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Feuerland“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 6 (1887), Seite 206207
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Feuerland. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 6, Seite 206–207. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Feuerland (Version vom 16.02.2024)

[206] Feuerland (span. Tierra del Fuego, engl. Fuegia), eine Inselgruppe an der Südspitze von Südamerika, vom Festland durch die Magelhaensstraße getrennt, wurde von Magelhaens 1520 entdeckt und F. benannt, weil er nächtlicherweile große Feuer auf der Küste gewahrte. Erst die von dem Spanier Cordova und von den Briten unter King, Stokes und Fitzroy 1825 bis 1836 angestellten Untersuchungen der Südküsten Amerikas und besonders die Forschungen Ch. Darwins, des Begleiters Fitzroys, haben uns eine genauere Kenntnis des Feuerlandes verschafft. Es umfaßt ein Gesamtareal von 73,140 qkm (1328,3 QM.) und besteht aus einer großen Hauptinsel, dem eigentlichen F. (von dem Engländer Narborough König Karls-Südland genannt), 48,114 qkm (874,9 QM.) groß; ferner aus sieben größern Inseln, Desolation (Sta. Ines), Clarence, Dawson, Hoste (6600 qkm), Navarin (2480 qkm), Wollaston, Staateninsel (1100 qkm); endlich aus vielen kleinen Eilanden, z. B. den Diego Ramirez Inseln und den Hermiten, deren südlichste im Kap Horn ausläuft. Nach dem am 23. Juli 1881 abgeschlossenen Grenzvertrag haben sich Chile und die Argentinische Republik in das F. geteilt, und ist letzterer der östlich vom Meridian von 68° 34′ westl. L. v. Gr. gelegene Teil der Hauptinsel mit Staateninsel zuerkannt worden. Es kommen demnach auf Chile 52,698 qkm, auf Argentinien nur 20,444 qkm (s. Karte „Südamerika“). Das Ganze ist ein äußerst zerrissenes, abschreckendes Inselchaos, im O. meist wellenförmige Ebene, im W. Gebirgsland. Letzteres bildet das von der Magelhaensstraße durchschnittene südlichste Stück des Kordillerensystems, als dessen äußerstes Ende das Kap Horn, das als nackte, schwarze Felsenpyramide 565 m hoch aus den Fluten aufsteigt, anzusehen ist. Die höchsten bis jetzt gemessenen Berge sind der Darwin (2100 m) und der Sarmiento (2070 m), beide mit großen Gletschern, auf der Hauptinsel. Die kleinern Inseln erheben sich bis zu 1000 m Höhe. Die Gehänge der Berge im N. sind vom Meeresspiegel an mit dichten und großen Wäldern bedeckt, die meist aus der birkenblätterigen und der immergrünen Buche (Fagus antarctica und betuloides) sowie dem Winterrindenbaum (Drymis Winteri) bestehen, welche ihre braungrünen Blätter nie abwerfen. Dazwischen blühen an lichtern Stellen, an den gegen N. exponierten Hügeln, Fuchsien, Veroniken mit holzigen Stämmen, Berberitzen, Johannisbeeren, Ranunkeln, Primeln, Grasnelken, ja selbst Cinerarien, Kamelien u. dgl. Das Innere der Wälder ist von Massen faulender Pflanzenstoffe bedeckt und so düster, kalt und naß, daß Schwämme, Moose und Farne nur schlecht gedeihen. Diese Wälder gehen im NW. bis etwa 500 m Höhe hinauf, wo sie scharf abgeschnitten aufhören. Dann folgt ein Strich Torflandes, mit kleinen Alpenpflanzen und gegen den Skorbut heilsamen Kräutern bedeckt, und hierauf, etwa in 850 m Höhe, die Linie des ewigen Schnees. Die Berge enden zuweilen in scharfen, zerrissenen Spitzen, und der Anblick des Ganzen, von der Ferne gesehen, mit den Felsenzacken, den Schneekegeln, den blauen Gletschern, dem waldigen Saum und der wechselnden Beleuchtung, die aus schwarzen, zerrissenen Wolken flüchtig darüber hinstreift, gewährt ein düsteres, schwermütiges, immerhin aber grandioses Bild. Besonders großartig ist die Landschaft am Beaglekanal, an dessen Nordseite sich 1000 m hohe Berge erheben. Die Inseln erhalten durch die heftigen und mit Feuchtigkeit überladenen West- und Südwestwinde, welche während der meisten Monate vorherrschen, namentlich in dem westlichen Teil, [207] äußerst häufig Regen, Schnee und Hagel. Nur selten durchbricht die Sonne die dichten Wolkenmassen. Die mittlere Temperatur beträgt an der Magelhaensstraße etwa 5–6° C.; Pertuiset fand von Dezember 1873 bis Januar 1874, also in den wärmsten Monaten, um die Mittagszeit eine mittlere Wärme von 16–20° C. In der ärmlichen Tierwelt findet man von Säugetieren nur eine Fledermausart, drei Mäusearten, zwei Fuchsarten, den Seeotter, das Guanako; von Vögeln Finken, Drosseln, Stare, Falken, schwarzhalsige Schwäne, Zaunkönige sowie auch eine Kolibriart. Reptilien fehlen ganz, und auch Insekten sind nicht zahlreich vorhanden.

Die Eingebornen, Feuerländer (Fuegier) oder Peschäräh genannt, gehören zur amerikanischen Rasse und stehen auf der untersten Stufe der Kultur. Ihre Zahl schätzt Bove auf 8000, nämlich 2000 am Atlantischen Ozean, 3000 an den Südküsten und 3000 im Nordwesten. Sie sind 1,5–1,6 m groß, von gelblicher oder rötlicher Farbe (s. Tafel „Amerikanische Völker“, Fig. 33) und zerfallen sprachlich in drei Stämme: Kamenete, Kenneka und Karaika. Ihre nächsten ethnographischen Verwandten sind die Araukanier. Die Männer vertilgen sorgsam sämtliche Barthaare, die Frauen zeichnen sich unvorteilhaft durch sehr plumpe Figur aus. Die Kleidung besteht aus umgehängten Häuten; ihre heuschoberähnlichen Hütten decken sie mit Seehundsfellen oder bauen sie nur aus Zweigen auf; zum Teil leben sie auch ganz im Freien. Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Schaltieren und Fischen, ergänzt durch Seehunde, die aber in den letzten Jahren durch amerikanische Robbenfänger fast ganz ausgerottet sind, Ottern, angetriebene Walfischleichen, Beeren, Schwämme u. a. Ihre Waffen bestehen aus Pfeil und Bogen, Speer, Schleuder und Keule, aus Holz, Walfischknochen oder Stein gearbeitet. In großen Kähnen (aus Baumstämmen oder Rinde), die 6–8 Mann fassen, und in denen beständig Feuer unterhalten wird, wagen sie sich bis zu entferntern Klippen, um Seehunde zu jagen. Zur Erzeugung von Feuer bedienen sie sich des Eisenkieses und des Zunders. Bei der Vermehrung ihrer Jagdhunde befolgen sie, nach Darwin, die Regeln der Rassenzüchtung. Die Toten werden beerdigt oder verbrannt, die Trauernden schwärzen das Gesicht. Dagegen ist Weiß, in Flecken und Streifen aufgetragen, die Farbe der Rache für Mord, Rot das Emblem der Freundschaft und Freude. Ohne Häuptlinge in völliger Gleichstellung lebend, wandern sie beständig umher. Sie glauben weder an ein gutes noch an ein böses höheres Wesen, aber an Geister, welche in den Höhlen in den Wäldern leben und sehr gefürchtet sind, und veranstalten in besondern Gebäuden dramatische Vorstellungen, wobei diese Geister die Handelnden sind, und von welchen die Frauen ausgeschlossen bleiben. Die alten Männer haben als Zauberer große Macht. Die Sprache der Peschäräh, welche in mehrere Dialekte zerfällt, die von den seit 15 Jahren unter ihnen wirkenden Missionären zum Teil in ein System gebracht worden sind, ist rauh, besitzt aber einen regelmäßigen Bau. Einige Teile des Neuen Testaments sind bereits in derselben erschienen. Auf der Insel Hoste besteht seit längerer Zeit die englische Missionsanstalt Uschuaja, auf welcher sich schon einige Feuerländer mit Rindviehzucht beschäftigen und Kartoffeln, Rüben u. a. bauen. Dort bestand auch an der Orangebai vom 5. Sept. 1882 bis 1. Sept. 1883 eine französische Polarstation. Vgl. Platzmann, Glossar der feuerländischen Sprache (Leipz. 1882); Lucy-Fossarieu, Ethnographie de l’Amérique antarctique (Par. 1884); „Globus“, Bd. 47 (1885) und Bd. 49 (1886).


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 280
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[280] Feuerland, s. Amerikanistenkongreß, S. 18.