MKL1888:Festungen u. Festungskrieg

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Festungen u. Festungskrieg“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 275279
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Festungen u. Festungskrieg. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 275–279. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Festungen_u._Festungskrieg (Version vom 08.12.2024)

[275] Festungen u. Festungskrieg[WS 1] (hierzu Karte „Grenzbefestigungen von Frankreich-Deutschland-Rußland“). Die Ansichten über den Wert der Festungen sowie über das Verfahren beim Festungsangriff gehen bekanntlich sehr weit auseinander, weil wichtige taktische und artilleristische Fragen bislang noch nicht zum Abschluß gebracht sind und überhaupt erst nach einem neuen großen Kriege zum Abschluß gebracht werden können. Insbesondere sind die Ansichten über die zweckmäßigste Verwendung der Truppen in der Schlacht geteilt. Der eine will den Gegner noch heute durch den Stoß der geschlossenen Infanterie- und Kavalleriemassen, das Salvenfeuer der aufmarschierten Bataillone sowie der möglichst nahe an den Feind zu führenden Batterien niederwerfen, der andre dagegen diesen Zweck durch sprungweise vorwärtsstürmende aufgelöste Linien erreichen, welche sich besser gegen das vernichtende Feuer des Gegners zu schützen sowie die eignen Waffen in vollem Maße auszunützen vermögen und zwar mit Unterstützung der in gedeckten Stellungen außerhalb der Tragweite des Infanteriegewehrs feuernden Batterien, während man sich von der Mitwirkung der Kavallerie in offener Feldschlacht nur geringe Erfolge verspricht. Einerseits geht man dabei von der Voraussetzung aus, daß vor dem entschiedenen Willen ein moralisch schwächerer Gegner zurückweichen muß, und daß eine stetige Vorwärtsbewegung gegen den Feind den Stoß der Massen und somit die blanken Waffen zur Wirkung bringen soll. Namentlich vertritt die ältere preußische Schule derartige Ansichten, vor allem aber auch sind es hervorragende russische Generale, welche trotz der vernichtenden Wirkung der modernen Gewehre und Geschütze den blanken Waffen die Entscheidung überlassen wollen. So schreibt z. B. der General Dragomirow, Chef der Akademie des russischen Generalstabs: „Das Feuer dient nur zur Vorbereitung des Stoßes, da aber keine bessere Vorbereitung denkbar ist als unerwartetes Auftreten, so ist es schädlich, mit Feuern Zeit zu verlieren … Der Führer muß mit Kopf und Herz es sich vornehmen, die Attacke bis zu Ende zu führen, was es auch kosten möge, ohne zurückzublicken, dieselbe Entschlossenheit seinen Untergebenen einzuflößen verstehen, ein Zurückbleiben einzelner nicht dulden, zur Erreichung dieses Zweckes jedes Mittel gebrauchen (d. h. rücksichtslose Offiziere auch hinter der Fronte). Man darf nicht hoffen, daß der Feind vor dem Handgemenge Kehrt macht, muß vielmehr erwarten, daß es zum Bajonettkampf, Mann gegen Mann, kommt, und muß dieses nur wünschen. Beim plötzlichen Erscheinen des Feindes stürzt sich die Angriffskolonne mit dem Bajonett auf den Feind; Salven werden nur ganz ausnahmsweise abgegeben.“ Wir haben diese Aussprüche hier angeführt, weil vielfach behauptet wird, daß eine Ausbildung der Infanterie im Bajonettkampf überflüssig sei.

Andre Taktiker glauben dagegen, daß das Schnellfeuer der hinter natürlichen oder künstlichen Deckungen, ja selbst auf ebenem Gelände liegenden Schützenmassen jede geschlossene Angriffskolonne auf Entfernungen von 300–400 m vernichten wird, und daß daher auf jede schematische Ordnung beim Angriff Verzicht zu leisten ist. In der That sollte man glauben, daß derartige Anschauungen die richtigern sind, wenn man die Wirkung der neuen Kastenmagazingewehre und ihrer 3–4 hintereinander stehende Leute durchschlagenden Geschosse sowie deren rasante Flugbahn beobachtet, und wenn man nicht außer acht läßt, daß eine kriegsstarke Infanteriekompanie auf den Schießplätzen bei Entfernungen bis zu 1000–1200 m eine größere Zahl von Treffern erzielt wie eine Batterie von 6 Feldgeschützen. Eine rücksichtslose Offensive ist daher wohl bei einem undisziplinierten, moralisch schwachen Gegner, nie und nimmer aber bei einem gleichwertigen Feinde angebracht. Für den Krieg können nun einmal allgemein gültige Regeln nicht gegeben werden, der Ort, wo man kämpft, die Zeit, wann man kämpft, und der Feind, welcher zu bekämpfen ist, werden stets für die zu wählende Fechtart entscheidend sein. Hüten soll man sich nur vor Unterschätzung des Gegners und Überschätzung seiner eignen Kräfte, in welchen Fehler sowohl Soldaten als Bürger großer Reiche nach glücklichen Kriegen so leicht verfallen. Unter den heutigen Verhältnissen sind alle großen Armeen von dem Bestreben geleitet, sich von keiner der andern durch irgend welche Fortschritte im Militärwesen überholen zu lassen. Von Ausnahmen abgesehen, darf man daher für den nächsten Krieg beim ersten Zusammenstoß die beiderseitigen Streitkräfte als im allgemeinen gleichwertig voraussetzen.

Wie in der Waffentaktik, so sind auch in der Taktik des Festungskriegs ähnliche Gegensätze vorhanden. Einerseits will man beim Angriff die rücksichtsloseste Offensive walten lassen und stützt sich auf die angeblichen Erfolge, welche man bei den vielfach nicht kriegsgemäß angelegten und durchgeführten artilleristischen Schießversuchen erzielt hat. Die in manchen Armeen von Tag zu Tag an Einfluß gewinnenden militärtechnischen Dilettanten glauben vielfach, daß es möglich ist, ein etwa 24 Stunden hindurch mit Brisanzgranaten beschossenes Festungswerk über das freie Feld hinweg bei hellem Tage zu erstürmen. Um nun einigermaßen sichere Anhaltspunkte dafür zu gewinnen, ob solche Ansichten die richtigen sind, hat man in neuester Zeit wirklich kriegsgemäß angelegte und durchgeführte Belagerungsübungen veranstaltet, deren Verlauf ergeben haben soll, daß die von den Artilleristen der betreffenden Staaten so warm empfohlenen neuen Brisanzgeschosse zwar große Verwüstungen in anhaltend beschossenen Festungswerken älterer Art anzurichten vermögen, daß die angegriffenen Werke aber keineswegs in so kurzer Zeit verteidigungsunfähig gemacht werden können. Anderseits ist nicht zu verkennen, daß die bis zu 10,000 m und darüber reichenden schweren Geschosse, ihre Trefffähigkeit und große Wirkung den Wert der kleinen, nach allen Seiten zu überschießenden Festungen außerordentlich herabgedrückt haben. Verfügt der Angreifer insbesondere über ausreichende Geschütze nebst Munition (was im J. 1870 vor Straßburg, Belfort und Paris bei Beginn der Belagerung keineswegs der Fall war), befindet sich ferner in der eingeschlossenen Festung eine zahlreiche Zivilbevölkerung, welche gegen ein Bombardement aus den modernen schweren Geschützen nicht gesichert werden kann und unter allen Umständen auf die Festungsbesatzung einen ungünstigen moralischen Einfluß ausüben wird, so ist nicht zu verkennen, daß unter schwierigen Verhältnissen der Widerstand eines derartigen Waffenplatzes nur nach Wochen, ja Tagen berechnet werden kann.

Aus diesen von verschiedenen Seiten schon seit dem Jahre 1871 geltend gemachten Gründen ist in der Regel den engen Umwallungen der ältern Festungsstädte nicht nur jeder militärische Wert abzusprechen, sondern es erscheint die Ansicht nicht unberechtigt zu sein, daß derartige enge Umwallungen die Interessen der Verteidigung geradezu gefährden, und man hat sich daher in allerneuester Zeit in verschiedenen

[Beilage]

[Ξ]

GRENZBEFESTIGUNGEN VON FRANKREICH-DEUTSCHLAND-RUSSLAND.
DEUTSCH-FRANZÖSISCHE GRENZBEFESTIGUNGEN Maßstab 1 : 4 500 000
DEUTSCH-RUSSISCHE GRENZBEFESTIGUNGEN Maßstab 1 : 6 000 000

[276] Ländern, z. B. Deutschland, Frankreich und Österreich, entschlossen, eine Reihe von ältern Stadtumwallungen einzuebnen und dadurch zugleich die volkswirtschaftlichen Interessen mehr, als bisher geschehen, zu fordern (z. B. Danzig, Magdeburg, Koblenz und ein Teil der im Norden Frankreichs liegenden Plätze). Wenn man aber auf Grund vorstehender Anschauungen folgern wollte, daß damit der Wert der Festungen ganz allgemein gesunken sei, so erscheint eine solche Folgerung hinfällig. Es ist nur durchaus erforderlich, daß die Linien des Verteidigers von stark bevölkerten und eng gebauten Stadtteilen ganz oder doch so weit, wie dies irgend statthaft erscheint, getrennt werden, und daß man also zu dem System der sogen. Militärfestungen übergeht. Da aber an strategisch wichtigen Punkten meistens schon größere Städte liegen, welche mit Flußübergängen, Eisenbahnen- und Straßennetzen in reichhaltigstem Maße ausgestattet sind, durch welche Anlagen gerade die strategische Lage eine bedeutend größere Wichtigkeit erhält, so bleibt nichts andres übrig, als die moderne Befestigung diesen Verhältnissen nach Möglichkeit anzupassen, d. h. die Befestigungsanlagen so weit vorzuschieben, daß der Kampf von den Einwohnern der betreffenden Städte und ihrer größern Vororte möglichst fern gehalten wird. Dies schließt nicht aus, daß unter besondern Verhältnissen eine leichte Umwallung des Kerns der Stadt oder besser noch die Anlage von einigen citadellenartigen Werken von Vorteil sein kann, notwendig erscheinen derartige innere Linien im allgemeinen aber nicht. Da man nun aber bei sehr weitem Vorschieben des Fortsgürtels eine zu ausgedehnte und daher an einem Punkte verhältnismäßig leicht zu durchbrechende Verteidigungslinie schaffen würde, so gehen die Ansichten neuerdings vielfach dahin, daß man statt eines zusammenhängenden Fortsgürtels (bei welchem die einzelnen größern oder kleinern Werke durchschnittlich etwa 1000–1500 m voneinander entfernt liegen) einzelne weit vorgeschobene, nach allen Seiten hin Front machende, aus etwa 3–5 größern Werken bestehende Befestigungsgruppen errichten soll, deren bis zu 5000 m und darüber messende Zwischenräume im Kriegsfall durch provisorische Anlagen zu schließen sein würden. Auf diese Weise erhält man also reine Militärfestungen, ähnlich den in den letzten Jahren so viel besprochenen, namentlich in Frankreich zur Geltung gekommenen Sperrforts.

Um einen Anhaltspunkt für die in verschiedenen Staaten neuerdings zur Geltung gekommenen Grundsätze für die Landesverteidigung zu gewinnen, wollen wir im nachstehenden einige Beispiele neuerrichteter oder in der Ausführung begriffener Festungsanlagen anführen, wobei wir zu besserer Orientierung auf unsere Karte verweisen. Als großartigstes Beispiel, in welcher Weise ein starkes Reich für die Verteidigung seiner Landesgrenzen Sorge getragen hat, kann die Befestigung der östlichen Grenzlande Frankreichs von der belgisch-luxemburgischen bis zur Schweizer Grenze dienen, mit Paris, dem größten Waffenplatz der Welt, im Rücken. Die Grenzlinie läuft in ihrem nördlichen Teile von Luxemburg bis zum Kamm der Vogesen quer über das Plateau von Lothringen und über die Mosel hinweg; der südliche Teil folgt dem Gebirgskamm und springt dann über die Trouée de Belfort zur Schweizer Grenze über. Den nächsten bedeutendern Abschnitt hinter der Grenze bildet im Norden die Maas, im Süden der Oberlauf der Mosel. Beide Flüsse nähern sich einander bei Toul auf etwa 12 km. Dieser Linie entlang ist nun eine moderne chinesische Mauer erbaut, bestehend aus den durch einzelne Sperrforts verbundenen, je 70 km voneinander entfernten verschanzten Lagern von Verdun, Toul, Epinal und Belfort. Nur im Norden befindet sich zwischen Verdun und Montmédy eine Lücke von 36 km und in der Mitte zwischen Epinal und Pont St.-Vincent eine solche von 50 km. Man nimmt allgemein an, daß die französischen Armeen durch diese Lücken hindurch zur Offensive übergehen wollen. Verdun hat 11 detachierte Forts mit einer Citadelle; der Umfang des Fortsgürtels beträgt 38 km (ist also größer als der Metzer Fortsgürtel). Toul ist durch 10, einen 40 km messenden Gürtel bildende Werke gedeckt, wozu noch die als Citadelle dienende starke Befestigung des Mont St.-Michel tritt. Epinal (ohne Hauptumwallung) zählt 8 Forts bei 40 km Umfang. Belfort besitzt 6 neue, weit vorgeschobene Forts (darunter die bekannten beiden Perches) bei 35 km Umfang. Als nördlichste Glieder der befestigten Grenze dienen Montmédy und Longwy; zwischen Verdun und Toul liegen an der Maas die selbständigen Sperrforts Génicourt, Troyon, St.-Mihiel, Lionville und Gironville, während die obere Maas durch die Forts Pagny la Blanche Côte und Bourlémont gesperrt wird, wozu dann noch die Forts Pont St.-Vincent, Frouard und Manouvillers treten. Südlich von Epinal sind die obern Moselforts Arches, Remiremont, Rupt und Château-Lambert sowie das Fort Ballon de Servance erbaut, welches die große Straße Epinal-Belfort sperren soll. Zur Schließung des Thores zwischen den Vogesen und dem Jura dienen außer Belfort die Befestigungen von Giromagny und Montbeliard nebst den Werken von La Chaux und Montbart, während die Jurapässe längs der Schweizer Grenze durch die Forts bei Blamont, Morteau, Pontarlier, Rousses und Ecluse geschlossen sind. Fast alle diese Namen sind aus den verschiedenen deutsch-französischen Kriegen bereits bekannt. Vgl. beifolgende Karte.

In zweiter Linie hinter dieser ausgedehnten Fronte liegen die starken verschanzten Lager von Reims (64 km Umfang ohne Hauptumwallung) und La Fère-Laon, letzteres im ganzen 15 Forts zählend, welche nach Osten zu durch die selbständigen Werke Malmaison und Condé gedeckt werden, so daß La Fère, Laon und Condé sur Aisne eine großartige Gruppenbefestigung bilden. Im Süden liegen die verschanzten Lager von Langres (60 km Umfang), Besançon (37 km Umfang) und Dijon, dessen Fortsgürtel 45 km mißt. Die fünf Plätze Epinal, Belfort, Langres, Besançon und Dijon bilden ein Festungsfünfeck, welches dem ganzen südöstlichen Kriegsschauplatz den Charakter eines einzigen verschanzten Lagers gibt mit dem großen Waffenplatz Lyon als Hintergrund.

Die Krönung des französischen Landesbefestigungssystems bildet nun Paris, dessen eine Verteidigungsfronte von etwa 125 km, also gegen 17 deutsche Meilen, bietende äußere Linie durch vier Gruppen, das nördliche, östliche, südliche und westliche verschanzte Lager, gebildet wird. Das sich von der Seine am Walde von St.-Germain bis zum Canal de l’Ourcq erstreckende nördliche Lager soll die Stadt St.-Denis und die Operationen des der Besatzung angehörenden mobilen Armeekorps in der Richtung auf Pontoise decken. Es wird aus 7 neuen Forts gebildet, welche von der Pariser Hauptumwallung 12 km und von St.-Denis 7 km entfernt liegen. Dazu treten 10 neue Batterien und 4 ältere Forts. Zur Verteidigung [277] des Abschnittes zwischen dem genannten Kanal und dem Zusammenfluß des Yères mit der Seine dient das aus sieben 12–14 km vorgeschobenen neuen Forts, 4 neuen Batterien und 6 ältern Forts nebst Redouten bestehende östliche Lager, während das südliche den zwischen dem linken Seine-Ufer von Villeneuve St.-Georges bis nach St.-Cyr belegenen Abschnitt zu decken hat. Letzteres besteht aus sieben 14–17 km von der Hauptumwallung entfernt liegenden neuen Forts, 14 neuen Batterien und 5 alten Forts. Die Fronte des westlichen Lagers erstreckt sich von Marly bis zum Walde von St.-Germain und folgt im allgemeinen dem Laufe der Seine. Es ist vorläufig daher nur ein 8 km von Paris entfernt liegendes starkes Fort erbaut, dazu treten 7 neue Batterien sowie der bekannte Mont Valérien. Der Bau von 3 großen neuen Werken, durch welche der Wald von St.-Germain mit in die Verteidigungslinie gezogen werden soll, ist in Aussicht genommen, so daß letztere demnächst bis auf 30 km vor die Hauptumwallung geschoben werden wird. Daß die sogen. Ringwälle, wenigstens die westlichen, schon bald fallen werden, liegt außer allem Zweifel. In diesem Zentralpunkt der französischen Landesbefestigung wohnen etwa 3 Mill. Menschen, deren Verpflegung im Falle einer Einschließung zwar große Schwierigkeiten bereiten, aber doch bei entsprechenden Vorbereitungen möglich sein dürfte, da von einer völligen Einschließung eines derartigen Waffenplatzes wohl keine Rede sein kann. Wenn nun vielfach, namentlich in Deutschland, behauptet wird, daß es zur Besetzung der französischen Befestigungen an genügenden Streitkräften fehle, und daß letztere der Feldarmee entzogen würden, so trifft dies nur teilweise zu, da eine Verwendung der ältern Jahrgänge der wehrpflichtigen Mannschaften im offenen Feldkrieg doch nur ganz ausnahmsweise eintreten wird; 40–45 Jahre zählende, zum großen Teil nicht ausreichend ausgebildete Leute sind gleichwie 17–19jährige Jünglinge mit Vorteil nur in befestigten Positionen, namentlich in großen Waffenplätzen zu verwenden. Wenn solche Mannschaften ausreichend verpflegt, von Märschen möglichst verschont und reichlichst mit Munition versorgt werden, so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß sie bei der Verteidigung ihres häuslichen Herdes ihre volle Schuldigkeit thun werden.

Als ferneres Beispiel von modernen, in größerm Stile geplanten Befestigungsanlagen kann die vielbesprochene belgische Maasbefestigung dienen. Die Lage der beiden etwa 62 km voneinander entfernt liegenden Städte Lüttich und Namur zu den südlichen und östlichen Landesgrenzen sowie zur Hauptstadt Brüssel und zur Seestadt Antwerpen, dem Zentralpunkt der belgischen Landesverteidigung, ihre Bedeutung als Knotenpunkte wichtiger Straßen- und Eisenbahnnetze kennzeichnet sie als die Thore der Maaslinie, welche gegen einen Durchbruch von Süden und Osten her zu verschließen die belgische Regierung vor einigen Jahren für ihre Pflicht erachtete. Die beiden durch den Zwischenposten Huy zu verbindenden Plätze sollen sowohl als Sperrpunkte zur Beherrschung der Maasübergänge wie als Brückenköpfe dienen und nach einer Äußerung des belgischen Kriegsministers die Operationen eines befreundeten Hilfsheers erleichtern. Zu dem Zwecke ist Lüttich durch 6 größere und 6 kleinere Forts geschützt, welche ein unregelmäßiges Zwölfeck von 2,7–6,5 km Seitenlänge bilden, mit einem Umfang von 46,2 km. Die Entfernung der Werke von der mittlern Maasbrücke beträgt 6,6–9,4 km. Die am Zusammenfluß der Sambre und Maas belegene Stadt Namur ist durch 5 große und 4 kleine Forts geschützt (38,1 km Umfang), die Werke liegen 4,6–7,5 km von der Mitte der Stadt entfernt. Als Zwischenposten dient das 30 km von Lüttich liegende Städtchen Huy, dessen Befestigungen die dortigen beiden Maasbrücken schützen sollen. Für die Verteidigung dieser angeblich mit 147 Panzertürmen zu armierenden Maasbefestigungen sind im ganzen etwa 12,650 Mann bestimmt; ob letztere Zahl ausreichen wird, ist um so mehr zu bezweifeln, als in Belgien bislang die allgemeine Wehrpflicht nicht eingeführt ist. Auf eine Verstärkung der Besatzung durch im Felde nicht zu verwendende ältere Jahrgänge der militärpflichtigen Bevölkerung wird mithin nicht zu rechnen sein, zumal bereits für die große Festung Antwerpen mit ihren vorgeschobenen Stellungen Termonde und Diest eine Besatzung von etwa 43,000 Mann vorgesehen ist.

Auch in den Niederlanden sind neuerdings großartige Vorbereitungen für die Landesverteidigung getroffen, mit der Hauptstadt Amsterdam als Mittelpunkt. Es handelt sich um die Befestigung des südlich dieser Stadt belegenen, von Kanälen und andern Wasserläufen durchschnittenen Landesteils, der durch einen besonders bei Utrecht starken Fortsgürtel gedeckt ist. Die übrigen, völlig ungeschützten Provinzen können von der schwachen niederländischen Armee, bei welcher die allgemeine Wehrpflicht noch nicht eingeführt ist, gegen einen überlegenen Gegner nicht verteidigt werden.

In den kleinern Staaten, welche ihre Neutralität durch eigne Kraft zu sichern sich bemühen, gehören auch die Schweiz, Dänemark und Rumänien.

Die Schweiz hat zunächst mit der Befestigung der St.-Gotthardpässe begonnen, bei welcher zahlreiche Panzertürme zur Aufstellung gelangen. Außerdem ist die Befestigung noch andrer Punkte im Westen des Landes in Aussicht genommen. Dänemark will binnen 7 Jahren für die Kopenhagener See- und Landbefestigungen 55 Mill. Kronen verausgaben. Rumänien deckt seine Hauptstadt Bukarest durch einen 80 km messenden Fortgürtel, hinter welchem eine Ringbahn erbaut wird; die Forts werden mit zahlreichen Grusonschen Panzerungen ausgestattet.

Österreich-Ungarn sucht nach Schleifung der Festungen Olmütz, Josephstadt und Theresienstadt seine Ostgrenze durch den Ausbau von Krakau sowie den neuen, ziemlich großen Waffenplatz Przemysl zu decken und sorgt für den Ausbau seiner Eisenbahnen an der russischen Grenze, während Rußland in den letzten Jahren große Anstrengungen gemacht hat, sich namentlich in seinen polnischen Landen festzusetzen. Zu dem Zwecke ist Warschau, das Operationsobjekt in jedem Kriege Rußlands mit seinen westlichen und südwestlichen Nachbarn, in einen großen Waffenplatz umgewandelt. Als weitere Stützpunkte dienen die ausgedehnten Festungen Kowno, Nowogeorgiewsk, Iwangorod und Brest-Litowsk (s. die Karte).

In Italien herrscht an maßgebender Stelle die Ansicht, daß es nur mit Hilfe guter und ausreichender Befestigungen möglich sei, eine große Armee schlagbereit zu machen, statt dieselbe zum Schutze der so ausgedehnten Grenzen zu zersplittern. Zu dem Zwecke wird Oberitalien namentlich nach der französischen Grenze zu durch zahlreiche Plätze und Sperrforts gesichert, Mittelitalien erhält zur Deckung der Hauptstadt sowie Neapels die Befestigungen von Rom, Monte Argentaro, Civitavecchia u. Gaeta; ferner ist die Schaffung eines Zentralpunktes der Landesverteidigung [278] in Capua in Aussicht genommen und sind die Befestigungen der italienischen Inseln in der Ausführung begriffen.

Was endlich Deutschland anbetrifft, so kann hier nur mitgeteilt werden, daß eine Schleifung verschiedener Stadtumwallungen sowie die Aufgabe kleinerer Festungen, dagegen die Neubefestigung von Graudenz, Marienburg-Dirschau und Neubreisach in Aussicht genommen zu sein scheint. Auch ist vielfach von der Deckung Breslaus durch einige weit vorgeschobene Werke die Rede, während die Sicherung Berlins nur durch im Kriegsfall zu errichtende Befestigungsanlagen erfolgen soll. Eine Übersicht der Grenzfestungen im Osten und Westen Deutschlands gibt beifolgende Karte.

Aus vorstehender allgemeiner Übersicht geht wohl zur Genüge hervor, daß bei der großen Mehrzahl der sich für bedroht haltenden Staaten ein besonderes Gewicht auf eine sorgfältig vorbereitete Landesverteidigung gelegt wird, um einen festen Rahmen für die im Feldkrieg nicht verwendbaren jüngsten und ältesten Jahrgänge der waffenfähigen Bevölkerung zu gewinnen und um die eigentliche Feldarmee in den Stand zu setzen, erforderlichen Falls an einer der bedrohten Grenzen sich defensiv zu verhalten, um mit Hilfe der sich immer weiter verzweigenden Eisenbahnnetze sehr rasch sich von dem einen Kriegsschauplatz nach dem andern wenden zu können.

Was nun die Festungsbauten in ihren Einzelheiten anbetrifft, so sind die Ansichten im allgemeinen zur Zeit dahin geklärt, daß von einer geringen Truppenzahl besetzte permanente und provisorische Befestigungen nur dann einem energischen und überlegenen Angreifer längern Widerstand zu leisten vermögen, wenn von Panzerungen ein ausgiebiger Gebrauch gemacht wird, daß dagegen bei ausgedehntern, von größern Truppenmassen besetzten Festungsanlagen Panzerbauten nur zu ganz bestimmten Zwecken erforderlich erscheinen. Es ist nicht anzunehmen, daß die taktischen Ideen Schumanns, welcher den Kampf fast durchweg von seinen Panzerlafetten aus führen wollte, allgemeine Anerkennung finden werden, da zu befürchten ist, daß die zahlreichen, in kleinen Türmen verteilten und den Augen ihrer Führer entzogenen Bedienungsmannschaften in den Stunden der Gefahr nicht ihre volle Schuldigkeit thun werden. Wie im Feldkrieg, so ist, und zwar vielfach noch in höherm Maße, im Festungskrieg der große moralische Einfluß nicht zu unterschätzen, welchen der Kompanieführer auf seine Untergebenen ausübt; ihm fällt in erster Linie die Verantwortung zu, und er muß daher seine Mannschaften unausgesetzt im Auge behalten. Aus ökonomischen und andern Gründen hat man nun vorgeschlagen, von dem Bau permanenter Befestigungen möglichst Abstand zu nehmen und dagegen erst im Bedarfsfall provisorische Befestigungen zu errichten, denen man durch mobile Panzertürme eine größere Widerstandskraft zu verleihen hofft. Wenn aber vielfach von artilleristischer Seite behauptet worden ist, daß selbst nach allen Regeln der Kunst erbaute permanente, mit Panzerungen ausgestattete Befestigungen in kürzester Frist kampfunfähig gemacht werden könnten, was sollen dann so viel schwächere provisorische Anlagen nützen? Wenn auch die modernen zerlegbaren Panzerlafetten für Kaliber von 12 cm, wie dies die im September 1890 in Tangerhütte vom Grusonwerk veranstalteten großartigen Versuche ergeben haben, in wenigen Stunden zusammengesetzt werden können, so ist damit keineswegs bewiesen, daß provisorische Befestigungen, wie so viele Dilettanten glauben, in kurzer Frist zum anhaltenden Widerstand gegen Belagerungsgeschütze eingerichtet werden können; die Ausführung größerer Erdarbeiten sowie der notwendigsten Betonierungen zum Schutze der Eisendecken etc. erfordert in der Regel einen Zeitraum von mindestens 4 Wochen. Kann nun bei den oft so rasch zum Ausbruch kommenden und ebenso rasch verlaufenden Kriegen auf eine solche Frist gerechnet werden, namentlich an den einem feindlichen Angriff zunächst ausgesetzten Grenzen?

Dagegen ist nicht zu verkennen, daß die schon vor einem Jahrzehnt in Vorschlag gebrachten mobilen Eisenkonstruktionen zur Verstärkung bestehender oder doch wenigstens, was die erste Anlage, Erd- und Mauerarbeiten etc. betrifft, vorbereiteter Befestigungen von ganz hervorragendem Nutzen sein werden, so daß derartige mobile Eisenkonstruktionen in dem nächsten Kriege eine große Rolle spielen dürften.

Was schließlich die Taktik des Festungskriegs in ihren Einzelheiten anbetrifft, so ist in vorstehendem schon angedeutet, daß sich zwei grundverschiedene Ansichten gegenüberstehen: rücksichtslose Offensive und schrittweises Vorgehen. Im Festungskrieg wird das rauchfreie Pulver einstweilen von besonderer Bedeutung nicht sein, weil es noch lange dauern wird, bis die Angriffs- und Belagerungsartillerie dieses noch nicht genügend erprobte und sehr kostspielige Treibmittel allgemein einführen kann und es sich ferner im Festungskrieg in der Regel um feste Ziele handelt, welche man bei Nacht und Nebel ebenso sicher trifft wie bei hellem Tage, so daß man voraussichtlich schon bald zur Erzeugung künstlicher Rauchwolken schreiten wird. Dagegen bricht sich immer mehr die Ansicht Bahn, daß die Infanterie mit ihren weittragenden Geschossen im Festungskrieg wie früher so auch in Zukunft die Entscheidungen herbeiführen wird, und daß die Artillerie diese Entscheidungen nur vorbereiten kann. Dieser Ansicht gegenüber ist es von Interesse, zu erfahren, wie die Vertreter der rücksichtslosen Offensive den abgekürzten Angriff auszuführen gedenken. Danach soll der Angreifer zunächst sein Wurffeuer gegen diejenigen Werke und Stellungen richten, welche seinen Vormarsch behindern. Wo schon gewöhnliche Sprenggranaten ausreichen, sollen solche verwendet werden, andernfalls Schrapnells und Brisanzgeschosse. Sobald die Wurfbatterien einige Zeit gefeuert und dadurch die Geschützbedienungen sowie die Infanterie zum Rückzug in die gesicherten Unterkunftsräume gezwungen haben, sollen sich die Angriffstruppen in Bewegung setzen und sich den Linien des Verteidigers bis zur Grenze des Gewehrfeuerbereichs nähern. Nun wird die Beschießung eingestellt und gewartet, bis der Verteidiger seine Brustwehren wieder besetzt, sodann das Feuer aber von neuem aufgenommen, welches Spiel je nach Umständen mehrere Male wiederholt werden soll, um den Verteidiger „alarmmüde“ zu machen. Es folgt sodann die Vorbereitung zum Sturme, d. h. die Wegräumung der Hindernisse (Verhaue, Drahthindernisse, Verpfählungen etc.), wobei die Beschießung der Werke so geregelt werden soll, daß die Auskundschaftung und das Aufräumen der Hindernisse nicht gehindert wird. Nach solchen Vorbereitungen wird die Heranschaffung der Sturmgeräte (Grabenbrücken, Leitern etc.) für möglich erachtet und soll der Sturm selbst auf die Gefahr des Mißlingens gewagt, in letzterm Falle die Sturmkolonne 200–300 m von den angegriffenen Werken gesammelt und das Wurffeuer von neuem begonnen werden.

[279] Einem derartigen Angriffsverfahren wird nun von andern Seiten entgegengehalten, daß die rück- und seitwärts der Forts belegenen Zwischenbatterien und deren Deckungstruppen ganz außer acht gelassen sind, und daß einige hundert Gewehre mit wenigen leichten, namentlich Panzergeschützen genügen, die gesamten Angriffskolonnen in kürzester Zeit zu vernichten. Denn die Batterien des Angreifers müssen schweigen, wenn die Kolonnen in die Nähe der zu stürmenden Werke gelangt sind, so daß ein solches Verfahren nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Verteidiger völlig demoralisiert ist, die Angriffskolonnen dagegen nur aus Helden bestehen.

Das Angriffsverfahren wird voraussichtlich auch in Zukunft im wesentlichen den altbewährten Grundsätzen entsprechen. Man wird den Verteidiger unmittelbar nach Beginn der Einschließung ununterbrochen beschäftigen und durch weittragende Batterien zu beunruhigen, ihn durch Scheinangriffe über die Richtung des geplanten Hauptangriffs zu täuschen haben und ihn dadurch zur Zersplitterung seiner Kräfte veranlassen. Wenn irgend möglich durch einen Nebenangriff unterstützt, hat sich der Hauptangriff unter Aufgebot aller verfügbaren personellen und materiellen Mittel gegen die gewählte Angriffsfronte zu richten; erst nach längerer, mindestens 2–3 Tage dauernder ununterbrochener Beschießung ist anzunehmen, daß die Kräfte des Verteidigers nachlassen werden, dann ist der Augenblick gekommen, bei Nacht möglichst rasch an die zu erobernden Werke heranzugehen und sich in dem Gelände durch Ausheben von Infanteriestellungen festzusetzen. Wenn dieselben nach und nach bis auf 100–200 m an die Werke vorgetrieben sind, wird man je nach dem Verhalten des Verteidigers einen nach allen Richtungen hin gut vorbereiteten Sturm wagen können.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Dies ist eine Ergänzung zu den Artikeln Festung und Festungskrieg im Hauptteil.