MKL1888:Fernwirkung, chemische

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Fernwirkung, chemische“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 19 (Supplement, 1892), Seite 293294
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Fernwirkung, chemische. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 19, Seite 293–294. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Fernwirkung,_chemische (Version vom 28.11.2022)

[293] Fernwirkung, chemische. Amalgamiertes Zink wird bekanntlich von verdünnten Säuren nicht angegriffen, umwickelt man es dagegen mit einem Platindraht, so erfolgt in der Säure alsbald Auflösung unter Entwickelung von Wasserstoff. In den Lösungen von Neutralsalzen wird auch mit Platin armiertes Zink nicht gelöst, setzt man aber einige Tropfen einer Säure, z. B. Schwefelsäure, zu der Flüssigkeit, so erfolgt wieder Lösung. Das Platin wirkt bereits, wenn es nur an einem Punkte mit dem Zink in Berührung steht. Bildet man aus Zink und Platin einen Bügel, dessen beide Arme so in eine Lösung von Kaliumsulfat getaucht werden können, daß die Flüssigkeitsteile, welche beide Arme umgeben, durch eine poröse Scheidewand voneinander getrennt sind, so löst sich das Zink nur dann merklich, wenn die das Platin umgebende Lösung sauer gemacht wird; das Ansäuern der das Zink umgebenden Kaliumsulfatlösung hat keine Wirkung; der Wasserstoff erscheint am Platin. Das Charakteristische dieses Versuches liegt darin, daß man, um das Zink in Lösung zu bringen, das Lösungsmittel nicht auf das zu lösende Metall, sondern auf das mit dem Zink verbundene Platin einwirken lassen muß. Ebenso wie Kaliumsulfatlösung verhält sich auch Chlornatriumlösung, und zwar gegen Kadmium ebenso wie gegen Zink. Zinn löst sich unter den angegebenen Bedingungen leicht in Chlornatriumlösung, sehr langsam in Kaliumsulfatlösung. Aluminium verhält sich ähnlich wie Zinn, doch sind die Erscheinungen unbedeutender. Auch die widerstandsfähigern Metalle lassen sich in Flüssigkeiten, welche sie sonst nie angreifen, auflösen, wenn man sie mit Platin in Verbindung setzt und das spezifische Lösungsmittel auf das Platin einwirken läßt. So löst sich Silber in verdünnter Schwefelsäure, wenn es mit Platindraht verbunden ist und an diesem der Schwefelsäure einige Tropfen Chromsäurelösung zugesetzt werden. Ebenso löst sich [294] Gold in Chlornatriumlösung, wenn man das Platin mit Chlor in Berührung bringt. Ostwald[WS 1] nennt diese Erscheinungen chemische F., weil sie sich überall so darstellen, als übe das spezifische Auflösungsmittel der Metalle, wenn es beim Platin appliziert wird, seine Wirkung in die Ferne auf das fragliche Metall aus. Zur Erklärung dieser Vorgänge müssen offenbar die hierbei sich abspielenden elektrolytischen Vorgänge in Betracht gezogen werden. Schaltet man nämlich zwischen das Metall und das Platin ein Galvanoskop von mäßiger Empfindlichkeit ein, so erhält man bei unwirksamen Verbindungen nur einen kurzen Strom, der alsbald auf sehr geringe Beträge absinkt, während nach Zusatz des wirksamen Stoffes zum Platin ein heftiger Ausschlag sich zeigt, der ausbleibt, wenn man den wirksamen Stoff mit dem zu lösenden Metall in Berührung bringt. Nach der Theorie der freien Ionen (s. Lösungen, Bd. 17) hat man sich die Vorgänge folgendermaßen vorzustellen: Es stehe ein Metall wie Zink mit der Lösung eines Elektrolyts, etwa Kaliumsulfat, in Berührung. Das Zink vermag nur in der Gestalt in Lösung zu gehen, daß seine Atome als Ionen mit der entsprechenden elektrischen Ladung sich vom Metall loslösen, und da man durch Entziehung positiver Elektrizität aus den Ionen der Metalle diese in ihren gewöhnlichen Eigenschaften wieder erhält, so muß der Übergang eines Metalles in den Ionenzustand auf der Aufnahme positiver Elektrizität beruhen. Durch den Austritt positiver Ionen wird das ursprünglich neutrale Zink negativ geladen und die Lösung positiv. Dies dauert, bis eine gewisse Potenzialdifferenz zwischen Metall und Lösung sich hergestellt hat; dann zieht das negative Metall so viel positive Ionen an, als durch die Lösungsspannung des Zinks in diese übergehen; es tritt Gleichgewicht ein, eine weitere Lösung erfolgt nicht. Die hierzu erforderlichen Metallmengen sind aber so gering, daß sie sich dem analytischen Nachweis entziehen. Verbindet man jetzt mit dem Zink ein andres Metall, z. B. Platin, so nimmt dieses dieselbe negative Ladung an wie das Zink, es zieht die positiven Ionen aus der Lösung an, und so wird das Gleichgewicht am Zink wieder aufgehoben, seine Lösungsspannung kommt zur Geltung. Das Zink wird sich immer weiter lösen, solange die positiven Ionen der Lösung von dem gleichfalls negativen Platin angezogen werden. Von der Natur des positiven Ions und von der des Metalles wird es abhängen, ob das letztere die ihm hier zugeschriebene Wirkung äußern kann, ob das Ion seine Elektrizität an das Metall abgeben kann. Ist das Ion das Kalium des Kaliumsulfats, welches die Elektrizität sehr fest hält, so wird kein Übergang der Elektrizität stattfinden. Ersetzt man aber das Kaliumsulfat am Platindraht durch Schwefelsäure, so ist die vorhandene Potenzialdifferenz ausreichend, um die Wasserstoff-Ionen der Säure zu zwingen, ihre elektrischen Ladungen abzugeben, worauf diese in der Gestalt von gewöhnlichem Wasserstoff entweichen. Durch die Vereinigung ihrer positiven Elektrizität mit der negativen des Platins wird dieses und somit auch das Zink entladen, und es vermag infolge seines verminderten negativen Potenzials neue positive Ionen zu entsenden, sich aufzulösen, und der Vorgang setzt sich fort, solange noch metallisches Zink oder Wasserstoff-Ionen zur Verfügung stehen. Zu gunsten dieser Auffassung der Erscheinungen spricht der Umstand, daß Ostwald die beschriebenen chemischen Reaktionen a priori abgeleitet und erst nachträglich durch das Experiment in allen Einzelheiten bestätigt hat.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Wilhelm Ostwald: Chemische Fernewirkung. In: Zeitschrift für physikalische Chemie, Band 9 (1892), S. 540–552 SUB Hamburg