Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Epikūros“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Epikūros“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 5 (1886), Seite 699
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Epikur
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Epikūros. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 699. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Epik%C5%ABros (Version vom 07.05.2023)

[699] Epikūros, griech. Philosoph, als der Sohn eines gewissen Neokles nach der gewöhnlichen Annahme 342 v. Chr. im attischen Flecken Gargettos geboren, lehrte von seinem 32. Jahr an Philosophie, erst zu Mytilene, dann zu Lampsakos, und gründete um 305 in Athen in einem ihm gehörigen Landhaus und Garten, die er seinen Freunden vererbte, eine Schule, die er bis zu seinem um 270 erfolgten Tod fortsetzte. Am 20. eines jeden Monats versammelten sich seine Schüler in dem Erbgarten zu einem heitern Fest, wozu er ihnen durch ein Legat die Mittel bestimmt hatte. Die Summe seiner Philosophie brachte er in kurze Auszüge, die im 10. Buch des Diogenes Laertios aufbewahrt sind. Fragmente einer Schrift über die Natur wurden unter den Trümmern Herculaneums aufgefunden (hrsg. von Orelli, Leipz. 1818). Das Lehrgedicht „De rerum natura“ des Römers T. Lucretius hat seinen Inhalt aus E.’ größern Werken geschöpft. Philosophie ist dem E. diejenige Wissenschaft, welche durch Begriffe und Beweise ein glückseliges Leben bewirkt, daher auch von den drei Teilen, in die er sie zerlegt: Ethik, Kanonik und Physik, der erstere den Vorrang vor den übrigen hat. Das Wesen der Glückseligkeit (eudaemonia) findet er in der Lust, nicht aber in der des Augenblicks, wie die Kyrenaiker, sondern in der dauernden Lustempfindung, zu der man durch die Tugend gelangt. An der Spitze aller Tugenden steht die vernünftige Einsicht, welche erkennt, was dem Leben Lust oder Schmerz bereitet. Die höchste Lust ist die völlige Abwesenheit alles Schmerzes, ein Zustand, welcher teils durch das ungestörte Gefühl körperlicher Gesundheit, hauptsächlich aber durch eine unerschütterliche Ruhe der Seele bedingt ist. Zu empfehlen sind daher Mäßigkeit und Genügsamkeit im sinnlichen Genuß, nicht allein, um sich vor den schmerzlichen Folgen des Gegenteils zu bewahren, sondern auch, um sich für derartige Genüsse um so empfänglicher zu erhalten. Unrecht ist wegen des daraus erwachsenden Leides der Bestrafung zu vermeiden, Freundschaft dagegen zu suchen, da sie das Leben mannigfach ausschmückt und demselben seine notwendigen Bedürfnisse sichert. Wissenschaftliche Kenntnisse sind nur deshalb und nur so weit wünschenswert, als sie zur Entfernung aller Furcht dienen. Der Natur gegenüber soll die Physik dem Weisen alle abergläubische Furcht benehmen, die seinen Seelenfrieden stören könnte, und für diese soll wiederum als sichere Grundlage die Kanonik dienen, die Erkenntnis- oder Denklehre. Die materialistische Naturanschauung des E. schließt sich der Hauptsache nach an die Atomenlehre des Demokritos an. Alle Dinge und Erscheinungen in der Natur sind zufällige Aggregate von Atomen, durch deren verschiedenartige Beschaffenheit und Verbindung ihre eigne Verschiedenheit bedingt wird; sie sind deshalb auch der Wiederauflösung in ihre Atome unterworfen. Außer den Atomen, ihren Aggregaten und dem Leeren läßt sich etwas Reales nicht denken, sondern alles übrige ist entweder Attribut oder Accidens von jenem. Einer Einwirkung der Gottheit auf die Bildung und Regierung der Welt widerspricht das viele Unvollkommene und Böse in derselben; das Dasein derselben ist zwar nicht zu leugnen, ihr Aufenthalt aber ist von den Menschen entfernt und deren Bitten unzugänglich in den sogen. Intermundien, d. h. in den leeren Zwischenräumen der Weltkörper. Die Götter sind nichts als die reinsten Ideale der Glückseligkeit, von menschengleicher Gestalt, aus den feinsten Atomen gebildet, gleichwohl aber, im Widerspruch mit der Zerstörbarkeit der übrigen Atomenaggregate, von ewiger Dauer. Die Furcht vor dem Tod wird durch die Betrachtung der Seele als eines rein körperlichen Wesens hinweggeräumt. Daß sie dies sein müsse, ergibt sich aus dem Grundsatz, daß nur Körperliches bewegen und bewegt werden könne; die Seele ist aber das bewegende Prinzip im Menschen. Sie besteht aus den feinsten und beweglichsten Atomen und ist aus Wärme, Luft, Hauch und einem vierten nicht näher zu bezeichnenden Stoff, welcher die übrigen drei noch an Feinheit übertrifft und der eigentliche Sitz der Empfindung ist, zusammengesetzt. Dieser vierte Stoff hat seinen Sitz in der Brust, während die übrigen drei durch den ganzen Körper verbreitet sind. Hiernach muß die Seele nicht minder als der Körper, mit welchem sie entsteht und altert, und wie jedes andre Atomenaggregat der Zerstörung unterworfen sein. Der Tod zerstreut sie in die Lüfte, hebt also auch alles Bewußtsein auf. Der Vorwurf der Stoiker, der Epikureismus sei ein Kultus des sinnlichen Vergnügens, ist ungerechtfertigt; der Epikureische Weise mußte im Gegenteil nicht allein ein höchst mäßiger, sondern auch der pflichtgetreueste Mann sein, um durch keinen Vorwurf des Gewissens seine eigne Ruhe zu stören; freilich dies alles, genau genommen, nur aus konsequentem Egoismus. E.’ Schule, die auch unter den Römern viele Anhänger fand, erhielt sich bis ins 3. und 4. Jahrh. n. Chr., ohne jedoch das System ihres Stifters weiterzubilden. Vgl. Warnekros, Apologie und Leben E.’ (Greifsw. 1795); Gizycki, Über das Leben und die Moralphilosophie des E. (Halle 1879); Kreibig, E., seine Persönlichkeit und seine Lehre (Wien 1885).