Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Entführung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 673
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Entführung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 673. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Entf%C3%BChrung (Version vom 06.01.2023)

[673] Entführung (Crimen raptus), das Verbrechen, dessen sich derjenige schuldig macht, welcher sich einer Frauensperson entweder wider deren Willen oder doch ohne Einwilligung derjenigen Personen, von welchen sie familienrechtlich abhängig ist, durch Hinwegführung zum Zweck der Ehelichung oder der Unzucht bemächtigt. Der Begriff der E. war bis auf die neueste Zeit ein schwankender, je nachdem Doktrin und Gesetzgebung dies Verbrechen vorwiegend als eine Verletzung der weiblichen Geschlechtsehre oder als einen Angriff auf die persönliche Freiheit der Entführten auffaßten. Neuerdings hat man sich jedoch immer entschiedener der Theorie zugewendet, welche in der E. in erster Linie einen Eingriff in die persönliche Freiheit und in die Familienrechte sieht; so namentlich das allgemeine preußische Landrecht, der Code pénal, das preußische Strafgesetzbuch und im Anschluß an letzteres das deutsche Reichsstrafgesetzbuch. Nach diesem wird die E. nur auf besondern Antrag strafrechtlich verfolgt, und wenn der Entführer die Entführte geheiratet hat, überdies nur dann, wenn die Ehe für ungültig erklärt worden ist. Im übrigen straft das Reichsstrafgesetzbuch denjenigen, welcher eine Frauensperson wider ihren Willen durch List, Drohung oder Gewalt entführt, um sie zur Unzucht zu bringen, mit Zuchthaus von einem bis zu zehn Jahren und, wenn die E. begangen wurde, um die Entführte zur Ehe zu bringen, mit Gefängnis bis zu fünf Jahren. Weiter wird aber auch derjenige, welcher eine minderjährige, unverehelichte Frauensperson mit ihrem Willen, jedoch ohne Einwilligung ihrer Eltern oder ihres Vormundes, entführt, um sie zur Unzucht oder zur Ehe zu bringen, ebenfalls mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bedroht. Wurde das Vergehen an einer verheirateten Frau mit deren Einwilligung begangen, so greifen die strafrechtlichen Bestimmungen über Ehebruch (s. d.) Platz. Vgl. Reichsstrafgesetzbuch, § 236–238; Colberg, Das Ehehindernis der E. (Halle 1869).