MKL1888:Elektrisches Potenzial

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Elektrisches Potenzial“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 526527
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Elektrisches Potenzial. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 526–527. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Elektrisches_Potenzial (Version vom 20.04.2021)

[526] Elektrisches Potenzial, die elektrische Wirkungsfähigkeit, welche in jedem Punkte der Umgebung eines elektrischen Körpers oder einer Gruppe elektrischer Körper herrscht. Den von dem Einfluß der elektrischen Masse beherrschten Bezirk nennt man das elektrische Feld; dasselbe erstreckt sich eigentlich bis in unendliche Ferne, kann aber da, wo die Wirkungen wegen zu großer Entfernung verschwindend klein geworden sind, rings begrenzt gedacht werden. Denken wir uns eine mit positiver Elektrizität geladene Kugel und in ihrem Bereich einen negativ elektrischen Punkt, so muß, um diesen Punkt von der Kugel weiter zu entfernen, die Anziehungskraft, welche sie auf ihn ausübt, überwunden und somit Arbeit geleistet werden; die Arbeit, welche erforderlich ist, um den elektrischen Punkt von seiner anfänglichen Stelle bis an die äußere Grenze des Feldes (also eigentlich bis in unendliche Ferne) zu bringen, ist ein Maß für die an jener Stelle herrschende Wirkungsfähigkeit, oder sie stellt das daselbst stattfindende elektrische Potenzial dar. Dieselbe Arbeit vermag der elektrische Punkt wieder zu leisten, wenn er, der Anziehungskraft Folge leistend, von der Grenze des Feldes wieder bis zu seiner ursprünglichen Entfernung vom Mittelpunkt der Kugel zurückkehrt. Bezeichnen wir diese Entfernung mit r, und ist der Punkt mit der Einheit der Elektrizitätsmenge, die Kugel mit der Elektrizitätsmenge e beladen, so ist e : r das elektrische Potenzial der Kugel in Bezug auf den so gelagerten Punkt. Für alle Punkte, welche den gleichen Abstand von dem Kugelzentrum haben oder welche in Bezug auf die Kugel auf dem gleichen „Niveau“ liegen, hat das elektrische Potenzial den nämlichen Wert. Beschreibt man daher um das Zentrum eine Reihe von Kugelflächen mit immer größern Halbmessern, so sind dieselben sämtlich Flächen gleichen Potenzials oder Niveauflächen; auf jeder derselben behält das elektrische Potenzial ringsum den nämlichen Wert, es nimmt aber ab, wenn man von einer zur andern nach außen hin fortschreitet. Um einen elektrischen Punkt längs einer Niveaufläche zu verschieben, ist keinerlei Kraftaufwand erforderlich, denn die anziehende (oder abstoßende) Kraft, welche sich einer Verschiebung widersetzen könnte, ist ja nur in der Richtung nach dem Zentrum hin thätig und steht somit auf der Niveaufläche senkrecht. Bringt man dagegen den Punkt von einer Niveaufläche auf eine andre, so wird hierdurch eine Arbeit geleistet oder verbraucht, welche dem Unterschied der entsprechenden Potenziale gleich ist, auf welchem Weg übrigens der Punkt von der einen Fläche zur andern gelangt sein mag. Alles dies [527] gilt nicht nur in dem bisher betrachteten einfachen Beispiel der Kugel; wie auch elektrische Massen beschaffen und gelagert sein mögen, immer läßt sich die Verteilung der Spannung in ihrem Felde durch eine Schar von Potenzialniveauflächen veranschaulichen, welche aber im allgemeinen nicht Kugelflächen, sondern krumme Flächen andrer Natur sein werden. Zieht man Linien, welche die aufeinander folgenden Niveauflächen überall rechtwinkelig durchsetzen, so gibt jede derselben in dem Punkte des Feldes, durch welchen sie geht, die Richtung der Kraft an, welche auf ihn wirkt; man nennt sie deswegen Kraftlinien. In dem obigen Beispiel der Kugel sind die Kraftlinien Gerade, welche vom Zentrum ausstrahlen; im allgemeinen aber sind sie gekrümmt. Die Elektrizität kann auf einem isolierten, leitenden Körper nur dann im Gleichgewicht sein, wenn das elektrische Potenzial durch den ganzen Körper hindurch überall einen und denselben unveränderlichen Wert hat; in dem den Körper umgebenden isolierenden Raum dagegen ist es veränderlich, indem es von der Oberfläche des Körpers an, welche selbst eine Niveaufläche ist, auf den folgenden Niveauflächen immer kleiner wird. Da hiernach die elektrische Kraft überall senkrecht zur Oberfläche des Körpers wirkt, so übt sie einen Druck aus gegen das den Körper umgebende isolierende Mittel, welcher an den Stellen am größten ist, wo die Elektrizität sich am dichtesten anhäuft. Aus den Eigenschaften des elektrischen Potenzials folgt ferner, daß im Fall des Gleichgewichts im Innern eines Leiters keine freie Elektrizität vorhanden sein kann, sondern daß dieselbe stets als verschwindend dünne Schicht über die Oberfläche desselben verbreitet ist.

Das elektrische Potenzial eines Körpers ist seinem absoluten Wert nach nicht bestimmbar; man gibt daher immer den Unterschied eines Potenzials von demjenigen der Erde an, welches man als Null annimmt, ähnlich wie man die Angabe von Höhenlagen auf das Niveau des Meers als Nullpunkt bezieht. Elektrizität entwickeln heißt nichts andres, als die beiden Elektrizitäten, welche in unelektrischen Körpern auf dem Niveau Null miteinander vereinigt sind, auf verschiedenes Niveau zu bringen oder eine Potenzialdifferenz zwischen ihnen herzustellen. Wird z. B. Elektrizität durch Reibung erzeugt, so erscheint auf dem einen der geriebenen Körper ein positives, auf dem andern ein negatives Potenzial, und die Differenz dieser beiden Potenziale (d. h. die Summe ihrer absoluten Werte) drückt die Arbeit aus, welche zur Trennung der beiden Elektrizitäten verbraucht wurde und bei ihrer Vereinigung wieder geleistet wird. Die Potenzialdifferenz oder der Spannungsunterschied der beiden Platten eines galvanischen Plattenpaars wird durch die elektromotorische Kraft in stets gleicher Größe aufrecht erhalten und ist ein Maß für die letztere. Elektromotorische Kraft und Potenzialdifferenz sind daher gleichbedeutende Begriffe. Zur experimentellen Bestimmung von elektrischen Potenzialdifferenzen dienen Elektroskope und Elektrometer sowie die als „Voltmeter“ bezeichneten galvanometrischen Apparate. Die Maßeinheit für Potenzialdifferenzen bildet das „Volt“, = 0,893 von der elektromotorischen Kraft eines Daniellschen Elements.

Derselbe Begriff des Potenzials gilt überhaupt für alle Kraftwirkungen, welche, wie die Elektrizität, im umgekehrten Verhältnis des Quadrats der Entfernung abnehmen, also auch für die Schwerkraft und den Magnetismus. Die sogen. magnetischen Kurven, welche sich bilden, wenn man Eisenfeile auf einen über die Pole eines Magnets gebreiteten Karton siebt, sind nichts andres als die sichtbar gemachten Kraftlinien, welche das magnetische Feld durchziehen. Vgl. Clausius, Die Potenzialfunktionen und das Potenzial (3. Aufl., Leipz. 1877); Tumlirz, Das Potenzial und seine Anwendung zu der Erklärung der elektrischen Erscheinungen (Wien 1884); Serpieri, Das elektrische Potenzial (das. 1884).