MKL1888:Elektrische Eisenbahnen

Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Elektrische Eisenbahnen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 18 (Supplement, 1891), Seite 228229
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Elektrische Eisenbahnen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 18, Seite 228–229. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Elektrische_Eisenbahnen (Version vom 19.04.2021)

[228] Elektrische Eisenbahnen.[WS 1] Obwohl zuerst in Deutschland durch Werner v. Siemens angeregt und in den Bahnen von Lichterfelde, Mödling bei Wien, Frankfurt a. M.-Offenbach praktisch bethätigt, konnten hier die elektrischen Eisenbahnen doch nicht ein so allgemeines Interesse wachrufen, wie es ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprochen hätte. Es ist allerdings auch nicht zu leugnen, daß die oberirdische Stromzuleitung in ihrer ältesten Form nicht gerade zur Verschönerung der Straßen beitrug, sondern eher geeignet war, abschreckend zu wirken. Da war es nun Amerika, welches, die hohe praktische Bedeutung erkennend, eine sachgemäße Ausarbeitung vor allem der Stromzuführung begann und gegenwärtig mit Systemen an die Öffentlichkeit tritt, welche auch das verwöhnte Auge des Ästhetikers zu befriedigen geeignet sind. Bei diesen Systemen, die hauptsächlich von Sprague und Thomson-Houston ausgeführt werden, besteht die oberirdische Leitung aus Drähten in Stärke eines Telephondrahtes, 6–7 m über der Mitte der Schienen, und wird von eisernen oder hölzernen Pfosten, welche je nach den Umständen in den elegantesten Formen ausgeführt und gleichzeitig als Beleuchtungsmasten verwendet werden können, getragen. Nebenstehende Figur (S. 229) zeigt die Ausführung einer solchen zweigeleisigen Bahn. Längs der Pfosten läuft die eigentliche Stromleitung, teils unterirdisch in Kabeln, teils oberirdisch an den Pfosten. An jedem Pfosten ist eine Verbindung des dünnen Zuleitungsdrahtes mit der Stromleitung ausgeführt. Der Zweck dieser Einrichtung ist einesteils die Verwendung sehr dünner Leitungsdrähte, welche sich auf weitere Entfernungen frei tragen und einen nicht unschönen Anblick bieten, andernteils die Vergrößerung des Betriebs, ohne die Leitungsdrähte verstärken zu müssen; man hat nur nötig, die Stromleitung zu verstärken. Die Überführung des Stromes zu dem Wagenmotor bewirkt ein auf dem Wagendach angebrachtes Stahlrohr, welches die mit einer Rille versehenen Metallrollen von unten gegen den Leitungsdraht drückt und hierdurch einen guten Kontakt gewährleistet. [229] Die Rille dient zugleich zur Führung der Rollen. Wie gesagt, sind diese Systeme vor allem in Amerika in Gebrauch und bürgern sich mit außerordentlicher Schnelligkeit ein. Waren 1885 in Amerika nur drei e. E. mit 12 km Geleislänge und 13 Motorwagen in Betrieb, so zählt man heute bereits 150 Bahnen mit 1130 km Länge und 1200 Wagen; dazu kommt, daß Boston, wo heute 275 Wagen laufen, eine Anlage von 1000 Wagen mit insgesamt 13,000 Pferdekräften in Ausführung gegeben hat, daß Minneapolis eine gleich große Anlage plant, ganz abgesehen von den vielen kleinern Unternehmungen.

Elektrische Eisenbahn, System Sprague. a Ende des Kontaktarms.

In Deutschland scheint sich der Unternehmungsgeist nunmehr auch ernstlich mit dieser Frage zu beschäftigen, namentlich seit die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft zu Berlin die Sprague-Patente gekauft hat. Vereinbarungen über eine ganze Reihe von Bahnen sind bereits abgeschlossen, so z. B. in Halle mit 400 Pferdekräften. Ein andres System elektrischer Eisenbahnen ist das mit unterirdischer Stromzuführung. Es wird hauptsächlich von Siemens u. Halske ausgeführt. Wenn auch in Anlage und Betrieb etwas teurer durch den Bau unterirdischer Kanäle für die Stromzuführung, so ist es immer noch dem Pferdebetrieb weit überlegen. Ein schönes Beispiel dieses Systems bietet die Budapester Bahn von Siemens u. Halske, welche sich so bewährt hat, daß nach einjährigem Betrieb bereits 60 neue Motorwagen nachbestellt wurden.

Eine vergleichsmäßige Rechnung für Bahnen mit Pferdebetrieb und Elektrizität mit oberirdischer, bez. unterirdischer Stromzuführung bei einer Bahn, welche 10 km lang, doppelgeleisig ist und 30 Wagen, d. h. alle 5 Minuten einen Wagen 16 Stunden täglich in Betrieb hat, zeigt, daß 1 Wagenkilometer bei Pferdebetrieb ca. 0,32, bei elektrischem Betrieb mit unterirdischer Zuleitung 0,24, bei oberirdischer Zuleitung 0,21 Mk. kostet. Die Anlagekosten betragen in den drei Fällen 1,030,000, 1,640,000, 1,220,000 Mk. Die Elektrizität ermöglicht also eine große Ersparnis im Betrieb, gegen welche der unbedeutende Mehraufwand für die Anlage in keinem Verhältnis steht. E. E. mit Akkumulatoren zu treiben, mag wohl als das Ideal erscheinen, jedoch dürfte ein praktischer und wirtschaftlicher Betrieb erst dann zu erwarten sein, wenn Akkumulatoren hergestellt werden, deren Gewicht und Leistungsfähigkeit in einem annehmbaren Verhältnis stehen. Probefahrten auf der 25 km langen Strecke Hildburghausen-Heldburg berechtigen zu guten Erwartungen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vgl. den Artikel in Band 5: Elektrische Eisenbahn