Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Eishöhlen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 485
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Eishöhlen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 485. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Eish%C3%B6hlen (Version vom 17.01.2023)

[485] Eishöhlen, Eisansammlungen in Höhlen, in welchen herabtropfendes Wasser eine Eiskruste liefert, das hervorsickernde öfters sofort zu Eiströpfchen erstarrt oder auch stalaktitische Gestalten bildet. An den Orten der Eisbildung selbst herrscht kein Luftzug, die Temperatur der Luft ist im allgemeinen wenig über Null, und nur in einzelnen Spalten ist dieselbe unter Null. Die Luft ist mit Wasserdampf gesättigt, der sich an den festen, mit Eis überzogenen Körpern in den verschiedensten Formen ansetzt. Die meisten E. liegen in Kalksteingebirgen, kommen aber auch vereinzelt in den böhmischen Basalten und sogar auch bei Znaim im Gneis vor. Die Eishöhle von Besançon, die von St.-George (281 Toisen über dem Genfer See), das Schafloch am Rothorn im Kanton Bern, die drei ungarischen E. von Demanova (bei Lipto Szent-Miklos), von Dobschau und von Sziliez (südlich von Dobschau) sowie die Eishöhle in der Frauenmauer bei Eisenerz in Steiermark und die von Skeresora in Siebenbürgen liegen alle in Kalksteingebirgen. Die E. finden sich meist in nicht unbedeutender Höhe über dem Meeresspiegel, ihre Öffnungen liegen gegen N. oder O., alle zeigen eine starke Senkung vom Eingang nach ihrem hintern Teil, und es fehlt jeder Luftzug im Innern der Höhle. Als Hauptursache der Eisbildung kann die geringe Erhebung der mittlern Jahreswärme über den Nullpunkt angenommen werden, indem sich in der kältern Hälfte des Jahrs mehr Eis bildet, als in der wärmern schmelzen kann. Dabei bleibt die kältere Luft wegen ihres größern Gewichts auf dem mit Eis bedeckten Boden ruhen und wird nicht durch die im Sommer eindringende wärmere Luft verdrängt. Pictet leitet die Eisbildung in den Höhlen von Luftströmen her, welche durch Verdunstung abgekühlt werden; aber Schwalbe hat gezeigt, daß die Entstehung der E. weder durch Ansammlung von kalter, aus dem Winter herstammender Luft noch durch Verdunstung und Luftzug erklärt werden kann, vielmehr erhielt er bei Untersuchung der drei oben genannten ungarischen E. sowie der Höhle am Gsollgraben bei Eisenerz den Eindruck, als ob das Wasser überkältet aus dem Gestein heraustrete und beim Auffallen erstarre.


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 281
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[281] Eishöhlen. Die größte und interessanteste Eishöhle der Schweiz liegt südöstlich unter dem Sigriswyler Rothorngipfel in 1790 m Meereshöhe. Dieselbe hat eine Länge von 206,8 m, die tiefste Stelle, die Oberfläche des Eissees, liegt 37,8 m tiefer als der Eingang, die Breite schwankt zwischen 23,5 und 7,5 m. Erst 86 m vom Eingang beginnt die Eisbildung, die sich 107,3 m weit in die Höhle erstreckt, von einem jähen Einsturz unterbrochen, der die Höhle in zwei Stufen trennt. Das Eis zerfällt in zwei leicht unterscheidbare Arten, von denen die farblose und durchsichtige den Boden bedeckt und die Stalaktiten bildet, die nur im Winter vorhanden sind; die Stalagmiten bestehen aus kristallinischem, durchscheinendem, beim Zertrümmern meist in sechskantige Prismen zerfallendem Eis, dessen Mächtigkeit mit den Jahreszeiten schwankt. Das aus den Spalten fließende Wasser zeigt selbst im Januar eine Temperatur von 3,5° C., der Zufluß beträgt in 18 Minuten 1/2 Lit. Der Kreislauf der Luft zwischen der Höhle und dem Freien hört bei 80 m Entfernung vom Eingang auf. Für die Erklärung der abnormen Eisbildungen in den obern Bodenschichten ist die physikalische Beschaffenheit der E. von Wichtigkeit. Alle hierher gehörigen Phänomene lassen sich einteilen in: 1) Eishöhlen und zwar eigentliche E. und einführende Dolinen; 2) Eislöcher, die in Eisleiten und Eisbildungen im Gerölle (Eisgerölle) zerfallen; 3) abnorme, niedrige Bodentemperaturen, einerseits Ventarolen und Windlöcher, anderseits Kaltboden. Was das Verhältnis der Temperatur der Luft und des umgebenden Gesteins betrifft, so beträgt die Temperatur der Wandungen durchschnittlich 0,0–1,0° C. Das Gestein ist also im Sommer der abkühlende Faktor. Unter solchen Umständen ist auch im Winter das Eindringen des Sickerwassers möglich, von dem die Eisbildung wesentlich abhängig ist. Die Frage, wodurch der Bodenwärme das Gleichgewicht gehalten wird bei einer völlig stagnierenden Luftmasse, ist noch nicht klargestellt. Das sicherste Resultat haben die Untersuchungen über den Feuchtigkeitsgehalt der Höhlen ergeben, die alle zeigen, daß die Luft fast vollständig gesättigt ist. Daher ist eine Verdunstung und dadurch hervorgerufene Abkühlung bei dem völligen Mangel an Luftzug unmöglich. Die Ursache der Kälte, welche die Wandungen einer Höhle kalt genug erhält, um Eisbildungen zu ermöglichen, sieht Schwalbe in dem Sickerwasser in Verbindung mit den Bodentemperaturverhältnissen. Er stützt sich dabei auf die Thatsache, daß Wasser unter 4° C. beim Durchsickern durch poröses Gestein infolge einer Verdichtung des Wassers an der Oberfläche des festen Körpers eine Abkühlung erfährt, die sich bis zur Überkältung steigern kann. Das Sickerwasser hat nun im Winter, aber auch im Frühling eine Temperatur unter 4° C., so daß es nach der Abkühlung überkältet oder mit der niedrigen Temperatur von 0,0–1,0° C. heraustritt und dann durch die kalte Luft leicht zum Gefrieren kommen kann, ohne dieser von ihrem Kältevorrat etwas zu entziehen. Eine Schwierigkeit, die unerklärt bleibt, besteht in der gleichmäßigen Ausbreitung und großen Mächtigkeit des Bodeneises, die durch Tropfungen an den Stalagmiten nicht zu stande kommen kann. Vgl. Schwalbe, E. und Eislöcher (Berl. 1886).


Jahres-Supplement 1891–1892
Band 19 (1892), Seite 234235
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[234] Eishöhlen. Die Frage nach der Entstehung der E. kann nunmehr als endgültig gelöst angesehen werden, und zwar im Sinne der alten Deluc-Thuryschen Erklärung der Eisbildungen durch die eindringende Winterluft, seitdem E. Fugger seine 1876 begonnenen und seither ununterbrochen fortgesetzten Beobachtungen an den drei E. des Untersbergs [235] bei Salzburg veröffentlicht hat. Die wichtigste und größte unter den E. ist die sogen. Kolowratshöhle, welche 1391 m ü. M. am Ostabhang des Untersbergs gelegen ist. Der Höhlenraum ist etwa 92,000 cbm groß. Der Boden ist mit einer oben horizontalen Eismasse bedeckt, aus der sich gelegentlich Eisstalagmiten von verschiedener Größe erheben. Am bedeutendsten ist die Eismasse stets im Frühling; mit zunehmender Temperatur beginnt die Zerstörung der Eisdecke durch das einströmende Tropfwasser, bisweilen verschwindet im Sommer der Eisboden ganz. Mit dem Eintritt der kalten Jahreszeit werden die Eisflächen wieder trocken, die Neubildung von Eis geht hauptsächlich im Anfang des Frühlings vor sich, da im Winter die Zufuhr von Tropfwasser zu gering ist.

Temperaturgang in der Höhle von Chaux les Passavant.
–– Temperaturen außer der Höhle, ····· Temperaturen in der Höhle vom 4. bis 14. Dezember 1885.

Diese Veränderungen in den Eisbildungen finden durch den Temperaturgang ihre Erklärung. In der Kolowratshöhle ist nie eine höhere Temperatur als 0 und +0,5° beobachtet worden, die Höhlentemperatur ist überhaupt von derjenigen der Außenluft durchaus abhängig: in den Wintermonaten sind auch in der Höhle die Temperaturen negativ, doch hebt sie sich selbst im Sommer nie wesentlich über 0°. Alle bisher bekannten E. besitzen nur einen Eingang, der höher liegt als der eigentliche Höhlenraum, d. h. sie sind Sackhöhlen, in denen keine Ventilation stattfindet. Sobald die Außenluft kälter wird als die in der Höhle, strömt die kalte Luft vermöge ihrer größern Schwere in die Höhle ein und verdrängt die wärmere Luft. Herrscht hingegen in der Höhle eine niedrigere Temperatur als vor derselben, so kann keine Luftströmung entstehen, und die Höhlenluft erwärmt sich ganz langsam durch die Bodenwärme. Infolge der bedeutenden Höhenlage der meisten Höhlen wird mehrere Monate hindurch im Jahre in denselben eine Temperatur unter 0° herrschen und das in die Höhle dringende Wasser gefrieren; solange aber noch Eis in der Höhle ist, kann sich deren Temperatur nicht wesentlich über 0° erheben, da alle zugeführte Wärme für Schmelzung verbraucht wird. Diese Ansicht von der Bildung des Eises in den E. durch die eindringende kalte Winterluft findet ihre gewünschte Bestätigung durch die Aufzeichnungen, die vermittelst zweier Thermographen in der Höhle von Chaux les Passavant bei Besançon während des Winters 1885/86 gewonnen wurden. Infolge der geringen Meereshöhe von 570 m und der hohen Bodentemperatur von 12° verschwinden die Eisbildungen meist gänzlich bis zum Herbst. Das obenstehende Diagramm, welches den Temperaturgang vom 4. bis 14. Dez. 1885 darstellt, läßt die Abhängigkeit der Höhlentemperatur von der Außenluft aufs deutlichste erkennen. Solange die Außentemperatur über 0° liegt, bleibt die Höhlenluft unveränderlich auf +2° stehen; sobald jedoch erstere unter 0° fällt, folgt letztere, bleibt aber sowohl zeitlich als graduell etwas hinter der Außenluft zurück. Auch dem Steigen der Außentemperatur folgt diejenige in der Höhle so lange, bis eine neue Differenz zu ungunsten der Innenluft entstanden ist und ein neues Einströmen kalter Luft erfolgt. Eine solche Füllung der Höhle mit kalter Luft trat während des Winters zu wiederholten Malen ein, während der ganzen Beobachtungszeit mehr als 70mal. Hiermit ist auch ein Einwand widerlegt, den Schwalbe gegen die Deluc-Thurysche Erklärung erhoben hatte (s. Bd. 17, S. 281), daß nämlich die Abkühlung der Höhlenluft allein nicht genügt, um dem Wasser so viel Wärme zu entziehen, wie bei der Eisbildung frei werde. Die eben angeführten Beobachtungen beweisen, daß nicht nur eine einmalige Füllung der Höhle mit kalter Luft stattfindet, sondern daß dieser Vorgang sich oft wiederholt und die während des Winters und Frühlings durch Eisbildung und Bodenwärme auf höhere Temperatur gebrachte Höhlenluft durch Einströmen neuer Eisluft ersetzt wird. Auch die zweite Behauptung, welche Schwalbe zur Stütze seiner Ansicht aufgestellt hatte, daß nämlich die Kältequelle in den Höhlenwänden liege, ist hinfällig geworden, da die Versuche von Jungk, daß Wasser zwischen 0 und +4° beim Durchsickern durch poröse Massen eine Abkühlung erfahre, sich als verfehlt herausgestellt haben. Überdies ist die Vorstellung, daß das Tropfwasser in Haarröhren das Gestein durchlaufe und so in die Höhle gelange, eine irrige, da das Wasser nur auf den Klüften des Kalkes zirkuliert, während die große Masse des Gesteins trocken bleibt. Endlich müßten alle Höhlen, in welche Wasser eindringt, E. sein, während thatsächlich sich nur in Sackhöhlen mit hohem Eingang Eis bildet. Nach allem wird man die Kaltlufttheorie als die einzig richtige ansehen müssen.