MKL1888:Eisenbahnrecht
[461] Eisenbahnrecht, der Inbegriff der Rechtsnormen, durch welche die durch die Anlage und den Betrieb von Eisenbahnen hervorgerufenen Rechts- und Verkehrsverhältnisse geregelt werden. Je nachdem sich diese Rechtsvorschriften auf die rechtliche Stellung der Eisenbahnverwaltungen dem Staat oder den Privaten gegenüber beziehen, charakterisieren sie sich als Normen des öffentlichen oder des privaten Rechts.
Auf Grund des der Staatsgewalt zustehenden Oberaufsichtsrechts ist zur Anlage von Eisenbahnen durch Privatpersonen die staatliche Genehmigung erforderlich, ebenso wie der Betrieb derselben nach den von der Staatsregierung ergehenden Vorschriften sich richten muß. Die Bedingungen der Anlage neuer Eisenbahnen ergeben sich daher teils aus den allgemeinen Normen der Eisenbahngesetzgebung, teils [462] werden sie bei Erteilung der staatlichen Konzession besonders festgesetzt (s. Eisenbahn [Konzessionierung], S. 436). Die allgemeinen Normen der Eisenbahngesetzgebung sind in den meisten Staaten durch besondere Gesetze geregelt, so in Preußen durch das Eisenbahngesetz vom 3. Nov. 1838. Was die weitern partikularrechtlichen Bestimmungen über die Anlage der Eisenbahnen anlangt, so sind in dieser Beziehung namentlich die Gesetze über die Expropriation (s. d.) von Wichtigkeit, so z. B. für Preußen das Expropriationsgesetz vom 11. Juni 1874. In eine neue Entwickelungsphase trat das deutsche E. mit der Errichtung des Deutschen Reichs, dessen Verfassung bestimmt, daß das Eisenbahnwesen der Beaufsichtigung seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen soll. Damit ist zwar das Eisenbahnwesen der Gesetzgebung der einzelnen deutschen Staaten noch nicht gänzlich entzogen und der Reichsgesetzgebung ausschließlich vorbehalten; doch geht die letztere der Landesgesetzgebung unter allen Umständen vor, und die Reichsverfassung selbst enthält bereits eine ganze Reihe wichtiger Bestimmungen darüber (Art. 41–47). Hiernach sollen die deutschen Eisenbahnen im Interesse des allgemeinen Verkehrs wie ein einheitliches Netz verwaltet und die neu herzustellenden Bahnen zu diesem Behuf nach einheitlichen Normen angelegt und ausgerüstet werden (Art. 42). Demgemäß sollen übereinstimmende Betriebseinrichtungen getroffen und gleiche Bahnpolizeireglements eingeführt werden (Art. 43). Die Eisenbahnverwaltungen sind zur Einführung der für den durchgehenden Verkehr und ineinander greifende Fahrpläne nötigen Personenzüge verpflichtet, nicht minder auch zur Einrichtung direkter Expeditionen im Personen- und Güterverkehr unter Gestattung des Übergangs der Transportmittel von einer Bahn auf die andre gegen die übliche Vergütung (Art. 44). Ferner ist dem Reich die Kontrolle über das Tarifwesen eingeräumt (Art. 45) und dem Kaiser das Recht zugestanden, bei eintretenden Notständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Teurung der Lebensmittel, für den Transport, namentlich von Getreide, Mehl, Hülsenfrüchten und Kartoffeln, auf Vorschlag des Ausschusses im Bundesrat für das Eisenbahnwesen einen besondern, niedrigen Spezialtarif einzuführen (Art. 46). Allerdings findet hier eine Sonderstellung Bayerns statt, insofern diese Bestimmungen der Reichsverfassung (Art. 42–46) auf Bayern keine Anwendung finden. Dagegen ist die Bestimmung (Art. 41), wonach Eisenbahnen, welche im Interesse der Verteidigung Deutschlands oder im Interesse des gemeinsamen Verkehrs für notwendig erachtet werden, kraft eines Reichsgesetzes auch gegen den Widerspruch der betreffenden Bundesmitglieder für Rechnung des Reichs angelegt oder an Privatunternehmer zur Ausführung konzessioniert werden können, auch auf Bayern anwendbar. Ebenso steht dem Reich auch Bayern gegenüber das Recht zu, im Weg der Gesetzgebung einheitliche Normen für die Konstruktion und Ausrüstung der für die Landesverteidigung wichtigen Eisenbahnen aufzustellen (Art. 46), wie denn auch Bayern gegenüber die Vorschrift (Art. 47) gilt, wonach die deutschen Eisenbahnverwaltungen zum Zweck der Verteidigung Deutschlands den Anforderungen der Behörden des Reichs in betreff der Benutzung der Eisenbahnen unweigerlich Folge zu leisten haben. Diese letztern Bestimmungen sind dann in dem Reichsgesetz vom 13. Juni 1873 (Reichsgesetzblatt 1873, Nr. 15, S. 129 f.) näher ausgeführt worden. Hiernach ist jede Eisenbahnverwaltung verpflichtet, die zur Beförderung von Mannschaften und Pferden erforderlichen Ausrüstungsgegenstände ihrer Eisenbahnwagen vorrätig zu halten, ohne hierfür eine Vergütung beanspruchen zu können. Den Eisenbahnverwaltungen liegt ferner die Beförderung der bewaffneten Macht und der Kriegsbedürfnisse sowie die Verpflichtung ob, ihr Personal und ihr zur Herstellung und zum Betrieb von Eisenbahnen dienliches Material herzugeben. Hierfür werden Vergütungen nach Maßgabe eines vom Bundesrat zu erlassenden und von Zeit zu Zeit zu revidierenden allgemeinen Tarifs gewährt. Diese Vergütungen werden bis nach Eingang, Prüfung und Feststellung der Liquidationen gestundet und von dem ersten Tag des auf den Eingang der gehörig belegten Liquidation folgenden Monats mit 4 Proz. verzinst; die Zahlung selbst erfolgt nach Maßgabe der verfügbaren Mittel. Auf dem Kriegsschauplatz selbst und in der Nähe desselben haben die Eisenbahnverwaltungen den Anordnungen der Militärbehörden bezüglich der Einrichtung, Fortführung, Einstellung und Wiederaufnahme des Bahnbetriebs Folge zu leisten. Im übrigen sind noch folgende Reichsgesetze für das E. von Wichtigkeit: Das Gesetz vom 7. Juni 1871 betrifft die Verbindlichkeit zum Schadenersatz für die bei dem Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken etc. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen (Reichsgesetzblatt 1871, Nr. 25, S. 207; s. Eisenbahnunfälle und Haftpflicht). Die Verhältnisse der Eisenbahnen zur Postverwaltung sind durch das Eisenbahnpostgesetz vom 20. Dez. 1875 geregelt. Von Wichtigkeit für das deutsche E. ist endlich auch das Reichsgesetz vom 27. Juni 1873, betreffend die Errichtung eines Reichseisenbahnamts (Reichsgesetzblatt 1873, Nr. 18, S. 164 f.). Ein allgemeines Reichseisenbahngesetz, wie solches in dem Gesetz vom 27. Juni 1873 verheißen, ist zwar bis jetzt noch nicht erlassen worden; doch ist das Betriebswesen in Ausführung des Art. 45 der Reichsverfassung durch Bekanntmachungen des Reichskanzlers über das Betriebsreglement vom 11. Mai 1874 in einheitlicher Weise normiert worden. Außerdem ist laut Bekanntmachung vom 30. Nov. 1885 ein ausführliches Bahnpolizeireglement an Stelle des bereits früher erlassenen publiziert worden und mit 1. April 1886 in Kraft getreten (vgl. Zentralblatt für das Deutsche Reich, Jahrg. 1885, Nr. 50), gleichzeitig auch eine Eisenbahnsignalordnung. Für die Bahnen untergeordneter Bedeutung (s. Nebenbahnen) ist endlich eine „Bahnordnung für die deutschen Eisenbahnen untergeordneter Bedeutung“ vom 12. Juni 1878 erlassen.
Das Verhältnis der Eisenbahnverwaltungen zu den Privatpersonen, welche sich der Eisenbahnen zur Personen- und Güterbeförderung bedienen, erscheint als ein Dienstmietvertrag, dessen Bedingungen zuvor im Reglement festgesetzt und zur Kenntnis des Publikums gebracht sind, und welchen sich die Kontrahenten bei Eingehung des Vertrags stillschweigend unterwerfen. Dabei sind auch die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Handelsgesetzbuchs (Art. 422 ff.) von Wichtigkeit, welches das Frachtgeschäft der Eisenbahnen in einem besondern Abschnitt (Buch IV, Tit. 5, Abschn. 2) behandelt. Unter diesen ist die Vorschrift hervorzuheben, daß die Verwaltung einer Eisenbahn, welche zur Benutzung für den Gütertransport eröffnet ist, die Eingehung eines Frachtgeschäfts nicht verweigern darf, wenn sich der Absender den Bedingungen unterwirft, welche jene für den Transport, die Verpackung etc. aufgestellt hat, resp. welche im Betriebsreglement angeordnet sind, [463] und wofern die regelmäßigen Transportmittel der Bahn zur Ausführung des Transports genügen. Auch dürfen die Eisenbahnen die gesetzlichen Vorschriften über die Verpflichtungen des Frachtführers zum Schadenersatz nicht im voraus ausschließen oder beschränken, insoweit dies nicht unter gewissen Umständen im Handelsgesetzbuch (Art. 424 ff.) selbst gestattet ist. Vgl. Hirth, Annalen des Deutschen Reichs, Jahrg. 1874, S. 359 ff.; ferner Bessel und Kühlwetter, Preußisches E. (Köln 1855–67); Beschorner, Das deutsche E. (Erlang. 1858); Koch, Deutschlands Eisenbahnen (Marb. 1858–60); Derselbe, Das deutsche Eisenbahntransportrecht (Erlang. 1866); Förstemann, Das preußische E. (Berl. 1869); Rönne, Verfassungsrecht des Deutschen Reichs, S. 137 ff. (Leipz. 1872); Pollanetz und v. Wittek, Sammlung der das österreichische Eisenbahnwesen betreffenden Gesetze etc. und Konstitutivurkunden (Wien 1869); Simon, Die Haftpflicht der Eisenbahnen in Bezug auf Unfälle etc. in England (deutsch von Weber, Weim. 1868); Endemann, Die Haftpflicht der Eisenbahnen, Bergwerke etc. für die bei deren Betrieb herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen (Berl. 1871); Eger, Das deutsche Frachtrecht, mit besonderer Berücksichtigung des Eisenbahnfrachtrechts (das. 1879–81); Derselbe, Eisenbahnrechtliche Entscheidungen deutscher Gerichte (das. 1884 ff.); Meili, Das Pfand- und Konkursrecht der Eisenbahn (Leipz. 1879); Wehrmann, Das Eisenbahnfrachtgeschäft nach Buch IV, Tit. 5 des allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs (Stuttg. 1880); Schrötter, Das preußische E. (Berl. 1883); Röll, Österreichische Eisenbahngesetze (Wien 1884); Haberer, Das österreichische E. (das. 1885).