Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Dithmarschen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 5 (1886), Seite 67
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Dithmarschen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 5, Seite 6–7. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Dithmarschen (Version vom 14.04.2021)

[6] Dithmarschen (Ditmarsen, „deutsche Marschen“), eine der vier Landschaften des ehemaligen Herzogtums Holstein, zwischen Elbe, Nordsee, Eider und Gieselau, ein Areal von 1375 qkm (25 QM.) mit (1880) 79,486 Einw. Sie muß durch Deiche vor Überschwemmungen geschützt werden und besteht etwa zur Hälfte aus fruchtbarem Marschland, das sich mehr zur Viehzucht als zum Ackerbau eignet. Die ehemalige Teilung in das königliche Süder- und das herzogliche Norderdithmarschen besteht administrativ noch fort. Jede der beiden Landschaften bildet gegenwärtig einen Kreis der preußischen Provinz Schleswig-Holstein mit den Hauptorten Meldorf und Heide.

Die Bewohner von D. waren ursprünglich sächsischen Stammes, wurden aber im 12. Jahrh. durch friesische Einwanderer („Vogdemänner“) vermehrt, welche der Bischof von Bremen in den Marschen an der Küste ansiedelte, während die Sachsen („Wollersmänner“) die Geest bewohnten. Dieses sächsisch-friesische Volk bestand aus Bauern, welche gegen alles Aristokratische und Dynastische von jeher einen Widerwillen zeigten. Seit der Einführung des Christentums zur Zeit Karls d. Gr. standen sie unter der Schutzherrschaft des Erzbischofs von Bremen, welcher Meldorf zum kirchlichen Mittelpunkt machte, und wurden von Vögten regiert, die der Bischof aus den angesehensten Geschlechtern wählte. Das Volk war in eng verbundene, zu gegenseitigem Schutz verpflichtete Familien geteilt, welche streng die alten Sitten und Freiheiten aufrecht erhielten. Mit den Markgrafen und Herzögen von Sachsen hatten sie wiederholte Fehden, z. B. mit Heinrich dem Löwen. Gegen das Ende des 12. Jahrh. fielen sie von Bremen ab und begaben sich unter den Schutz des Königs von Dänemark, der ihnen eigne Grafen setzte. Da sie aber von König Waldemar II. in ihren Privilegien beeinträchtigt wurden, gingen sie in dem Krieg, welchen derselbe mit den Grafen von Holstein und dem Erzbischof von Bremen führte, in der Schlacht von Bornhövede zu den Deutschen über und entschieden dadurch die Niederlage der Dänen (1227). Von jetzt an bildeten sie wieder eine Art Republik mit altertümlichen Gebräuchen und Rechten unter dem Schutz des Stiftes Bremen, hatten aber von Zeit zu Zeit der Angriffe der Herzöge von Holstein sich zu erwehren, in deren Gebiet sie wiederum häufig Einfälle machten.

In Süder- und Norderdithmarschen eingeteilt, hatten sich vier Gaue (Döffte, Vogteien) gebildet; jeder Gau bestand aus Kirchspielen mit Kirchspielvögten, Schlütern und Schwaren, d. h. Schließern und Geschwornen, welche das Kirchenvermögen zu verwahren und für das Beste des Kirchspiels zu sorgen hatten. Sie bildeten das Schwurgericht, welches sich wöchentlich versammelte; auch der Vogt hatte eine besondere Gerichtsbarkeit. Von ihren Aussprüchen konnte an das ganze Kirchspiel, dann an die Achtundvierziger appelliert werden. Die Kirchspiele bestanden wieder aus mehreren Dörfern oder Bauernschaften, welche ihre Angelegenheiten unter Ältesten in Versammlungen besorgten, zu denen jeder Mündige Zutritt hatte. Die oberste Landesbehörde und das höchste Gericht bildete das Kollegium der Achtundvierziger, zu welchem jede Dofft 12 Mitglieder auf Lebenszeit erwählte, und das im Flecken Heide tagte. Die Landesversammlung bestand aus den Achtundvierzigern, 4 Vögten, 60 Schließern, 300-400 Geschwornen aller Kirchspiele und des Magistrats der Flecken Meldorf, Lunden oder Heide. Die Versammlung wurde auf freiem Feld oder auf den Marktplätzen der Städte abgehalten. Den Reichskodex bildete das dithmarsische Landbuch, 1348 von 48 angelsächsischen Richtern in angelsächsischer Sprache entworfen, 1447 abgeändert, 1497 zuerst gedruckt, 1567 verbessert und 1711 neu aufgelegt. Die Bande des Bluts galten für heilig. Die eingebornen, alten Geschlechter (Slachten), durch Wappenschilder kennbar, teilten sich in Klüffte oder Zünfte, welche ein eidlich verbundenes Ganze bildeten und im Kampf wie vor Gericht zusammenstanden. Die Erziehung der Jugend trug ein durchaus kriegerisches Gepräge. Jeder freie Mann ging bewaffnet. Als 1474 Kaiser Friedrich III. die Lande Holstein, Stormarn und D. zu einem Herzogtum erhob und damit den König Christian I. von Dänemark [7] belehnte, erklärten die D., daß sie dem Erzbistum Bremen unterthan seien, und protestierten beim Papst gegen ein solches willkürliches Verfahren des Kaisers. Christian I. starb, ehe er etwas gegen die D. unternehmen konnte, 1481. Sein Sohn, König Johann, erneuerte 1488 seine Ansprüche und zog 1500 mit einem 30,000 Mann starken, meist aus deutschen Söldnern, der sogen. großen Garde unter dem Junker Slenz, bestehenden Heer gegen sie. Die D. zogen sich zurück, warfen bei Hemmingstedt eine Schanze auf, wählten einen ihrer Landesältesten, Wolf Isebrand, zum Führer und gelobten, zu siegen oder zu sterben. Wirklich gelang es ihnen auch, das feindliche Heer in die Moräste zu locken und, nachdem sie alle Angriffe auf ihre Schanze zurückgewiesen, durch Öffnung der Schleusen zu vernichten. Die Blüte des schleswig-holsteinischen Adels kam um, König Johann selbst rettete sich nur durch schnelle Flucht, auch die Danebrogsfahne fiel in die Hände der D. Es kam nun ein Friede zwischen D. und Dänemark zu stande, in welchem König Johann auf seine Eroberungspläne verzichtete. 1524 versuchte Heinrich von Zütphen aus Bremen in D. Luthers Lehre zu verbreiten, wurde aber auf Betrieb der Mönche zu Heide verbrannt. Dennoch machte die Reformation Fortschritte, und schon 1532 wurde überall die Messe aufgehoben. 1548 erhielt Herzog Adolf von Holstein von Kaiser Karl V. die Bestätigung des von Friedrich III. seinem Vorfahren Christian I. erteilten Lehnsbriefs über D. und erklärte nach dem Regierungsantritt Friedrichs II. von Dänemark mit demselben gemeinschaftlich 18. Mai 1559 den D. den Krieg. Mit einem großen Heer zogen die Fürsten gegen sie, umgingen ihre Schanzen, führten sie durch Scheinangriffe irre und schlugen die einzelnen Haufen der unter sich entzweiten D. zuletzt 3. Juni 1559 bei Heide, wo die Tapfersten unter dem Bauern Rhode des alten Ruhms würdig stritten. Die D. sahen sich darauf genötigt, sich an Holstein zu ergeben, den König von Dänemark aber als Oberlehnsherrn anzuerkennen. Die Bedingungen waren jedoch glimpflich; die D. behielten Freiheit der Person und des Eigentums, freie Gemeindeverfassung und ihr Landrecht sowie Wahl ihrer Beamten. Ihr Land wurde in drei Teile geteilt: den Süderteil nahm der König, den Vorderteil der Herzog Adolf und den Mittelteil Herzog Johann von Holstein in Besitz. Nach Johanns Tod 1581 bildete D. nur noch zwei Teile: Norder- und Süderdithmarschen; 1773 fiel auch ersteres an den König von Dänemark. Von da an teilte das Land der D. das Schicksal Holsteins.

Beglaubigte Nachrichten und Überlieferungen zur Geschichte Dithmarschens verdanken wir zunächst Johann Adolfi, genannt Neocorus (d. h. Köster, geb. 1559, gest. 1629), dessen in niedersächsischer Sprache geschriebene Chronik des Landes D. Dahlmann in der Urschrift mit 23 Abhandlungen (Kiel 1827, 2 Bde.) herausgegeben hat. Vgl. ferner: Michelsen, Urkundenbuch zur Geschichte des Landes D. (Altona 1834); Derselbe, Sammlung altdithmarsischer Rechtsquellen (das. 1842); Volkmar, Geschichte des Landes D. (Braunschw. 1851); Nitzsch, Das alte D. (Kiel 1862); Kolster, Geschichte Dithmarschens (nach Dahlmanns Vorlesungen, Leipz. 1873, bis 1559 reichend).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 252
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[252] Dithmarschen, Landschaft, (1885) 66,514 Einw.