MKL1888:Deutsch-französischer Krieg von 1870/71
[792] Deutsch-französischer Krieg von 1870/71. Die Ursachen des Kriegs, welchen Kaiser Napoleon im Juli 1870 begann, waren die Eifersucht des französischen Volkes über den unerhörten Aufschwung Preußens im Kriege gegen Dänemark und Österreich, die so weit ging, daß man eine Revanche für Sadowa verlangte, die Furcht vor der immer weiter fortschreitenden Konsolidierung der deutschen Einheit und Macht und der Wunsch der Regierung, durch einen sicher erhofften kriegerischen Erfolg die verblaßte gloire Frankreichs herzustellen und dadurch die Dynastie zu befestigen. Daß Frankreich für Preußens Vergrößerungen außer der luxemburgischen Neutralität keine Kompensationen erhalten, erschien als eine Niederlage. Die Minister Napoleons III. glaubten die Opposition, welche die nationale Ehre als durch die kaiserliche Politik gefährdet darstellte, nur überwinden zu können, indem sie dieselbe überboten. Nachdem also die Reorganisation der Armee durch Niel angebahnt worden, suchte die französische Regierung nach einem Anlaß zum Krieg mit Preußen und fand ihn in Ermangelung eines bessern in der spanischen Thronfolgeangelegenheit.
Am 3. Juli ward in Paris bekannt, daß die spanische Regierung dem Erbprinzen Leopold von Hohenzollern, einem sowohl dem preußischen Königshaus als den Napoleoniden verwandten Prinzen, die spanische Krone angeboten und dieser sie angenommen habe. Diese Nachricht bewirkte einige Aufregung, welche der auswärtige Minister Gramont aufs höchste erhitzte, indem er auf eine Interpellation im Gesetzgebenden Körper 6. Juli erklärte, Frankreich werde nicht dulden, daß eine fremde Macht, indem sie einen ihrer Prinzen auf den Thron Karls V. setze, das gegenwärtige Gleichgewicht zu ihren gunsten störe. Erst nach dieser Drohung, welche einen Ausgleich eigentlich unmöglich machte, aber von der Volksvertretung und der Presse mit stürmischem Beifall begrüßt wurde, stellte die französische Regierung 9. Juli durch ihren Botschafter Benedetti an König Wilhelm in Ems das Ansinnen, der König möge dem Erbprinzen von Hohenzollern den Befehl erteilen, die Annahme der spanischen Krone zurückzunehmen. Dasselbe wurde abgelehnt, da der König als Familienoberhaupt nur seine Zustimmung zur Annahme gegeben habe, dem Prinzen aber, der frei in seinen Entschlüssen sei, keinen Befehl erteilen könne. Indes schien, da 12. Juli Prinz Leopold aus freien Stücken der angebotenen Krone entsagte, der Streitfall beseitigt und der französischen Kriegspartei der Vorwand zum Kriege genommen zu sein. Wenn nun kein Kriegsfall herbeigeführt werden konnte, so wollte die französische Regierung Preußen wenigstens eine Demütigung [793] bereiten. Daher verlangte Gramont 12. Juli von dem preußischen Botschafter in Paris, Freiherrn v. Werther, er solle den König zur Absendung eines an Napoleon gerichteten Entschuldigungsschreibens bewegen, und Benedetti erhielt den Auftrag, von dem König die Versicherung zu fordern, daß er in Zukunft niemals seine Einwilligung zu der etwa wieder aufgenommenen Thronkandidatur des Prinzen Leopold erteilen werde. Diese Zumutung wies der König entschieden ab und verweigerte dem Botschafter eine weitere Audienz über diesen Gegenstand. Hierauf ward in Paris sofort 14. Juli die Einziehung der Reserven beschlossen und 15. Juli die für einen Krieg erforderlichen Vorlagen, vorläufiger Kredit von 66 Mill., Einberufung der Mobilgarde und Anwerbung von Freiwilligen betreffend, vor den Gesetzgebenden Körper gebracht. Die Minister begründeten den Krieg damit, daß die gerechten Forderungen Frankreichs in einer beleidigenden Weise (dies war durchaus erfunden) von Preußen abgelehnt worden seien, und erlangten auch trotz der Warnungen weniger Deputierten, vor allen Thiers’, der aber nur die Opportunität des Zeitpunktes der Revanche an Preußen bestritt, die Zustimmung beider Kammern.
So stürzte sich die Regierung Napoleons III., gedrängt von der Ruhmsucht des einmal aufgeregten Volkes, mit verhängnisvollem Leichtsinn und blindem Vertrauen auf die militärische Übermacht Frankreichs in den Krieg. Man glaubte an die Überlegenheit von Chassepot und Mitrailleuse, an eine Erhebung der von Preußen 1866 annektierten Provinzen, an eine Neutralität oder gar Allianz Süddeutschlands, an den Beistand Dänemarks, Italiens und Österreichs. Nicht bloß die Menge, sondern selbst die Minister und die Kaiserin Eugenie, welche ihren „kleinen Krieg“ haben wollte, hielten eine Niederlage der französischen Armee für eine Unmöglichkeit. In Deutschland war man einige Zeit ruhig geblieben; erst als man sich über die Absichten Napoleons nicht mehr täuschen konnte, kehrte (15. Juli) der König nach Berlin zurück und erließ noch an demselben Tag die Mobilmachungsorder. Unmittelbar darauf erfolgten die gleichen Ordern in den süddeutschen Staaten, welche den Casus foederis anerkannten, und auch die zuerst abgeneigten Kammern von Bayern und Württemberg mußten der allgemeinen Stimme folgen und verwilligten den verlangten Kredit. Am 19. Juli, 11/2 Uhr nachmittags, erfolgte die offizielle Kriegserklärung Frankreichs. Am gleichen Tag eröffnete der König den außerordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes mit einer Thronrede, worin er der allgemeinen patriotischen Stimmung einen würdigen Ausdruck gab. Man nahm den Krieg voll Mut und Entschlossenheit an; man hatte ihn nicht gesucht, sich aber darauf vorbereitet. Um die fremden Mächte günstig für Deutschland zu stimmen, ließ Bismarck 25. Juli in der „Times“ den Entwurf eines Offensiv- und Defensivtraktats veröffentlichen, welchen Frankreich im Frühjahr 1867 Preußen wiederholt angetragen, dieses aber abgelehnt hatte. Nach diesem Traktat sollten Frankreich und Preußen sich verbinden, um für Frankreich die Erwerbung Luxemburgs und Belgiens, für Preußen die Anerkennung seiner Herrschaft über Deutschland zu bewirken. Die Folge war eine große Entrüstung, namentlich in England; doch verhielt sich dessen Regierung gänzlich neutral in dem bevorstehenden Kampf. In Österreich und Italien waren allerdings maßgebende Persönlichkeiten nicht abgeneigt, Frankreich zu Hilfe zu kommen; doch waren beide Staaten noch nicht gerüstet und Österreich genötigt, auf Rußland Rücksicht zu nehmen.
Während man allgemein erwartete, daß eine Invasion in deutsches Gebiet der französischen Kriegserklärung unmittelbar folgen würde, kamen die ersten Tage des Augusts heran, ohne daß ein französisches Korps jenseit der Grenze sich blicken ließ. Die Ursachen dieser Zögerung waren aber sehr triftig: die Enttäuschung hinsichtlich der Haltung Süddeutschlands, die höchst umständliche und zeitraubende Einziehung der Reserven, der bedenkliche Mangel an Material, Proviant, Munition etc., die, in Paris konzentriert, nicht rasch genug verteilt werden konnten, endlich die unzureichende, den Angaben auf dem Papier nicht entsprechende Zahl der Mannschaften. Die gesamte Streitmacht, welche Anfang August schlagfertig stand, die sogen. Rheinarmee, zählte nicht mehr als 250,000 Mann. Das 1. Korps unter Marschall Mac Mahon ward in der Gegend von Straßburg aufgestellt. Ihm zunächst stand das 5. Korps unter General de Failly bei Bitsch, links von demselben, Saarbrücken gegenüber, das 2. Korps unter General Frossard. Weiter zurück von der Grenze, als Reserve des 2. Korps, stand das 3. Korps unter Marschall Bazaine bei Metz und links von demselben das 4. Korps unter General Ladmirault bei Diedenhofen. Außerdem wurden noch das 6. Korps bei Châlons unter Marschall Canrobert, die kaiserliche Garde bei Nancy unter General Bourbaki und das 7. Korps bei Belfort unter General Douay konzentriert. Den Oberbefehl übernahm der Kaiser Napoleon III. selbst, der die Kaiserin in Paris zur Regentin einsetzte und 28. Juli in Metz eintraf; der bisherige Kriegsminister Leboeuf ward Generalstabschef.
In Deutschland, wo die Mobilmachung in nicht viel mehr als einer Woche vollendet wurde, ward beschlossen, drei Armeen aufzustellen, sämtlich unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen, dem Moltke als Chef des Generalstabs zur Seite trat, und diese am Mittelrhein auf der Operationsbasis Koblenz-Mainz-Mannheim zu konzentrieren. Die erste Armee unter dem Kommando des Generals v. Steinmetz bildete den rechten Flügel; sie bestand aus dem 7. und 8. Armeekorps, der 1. und 3. Kavalleriedivision und war 60,000 Mann stark mit 180 Geschützen. Das Hauptquartier war in Koblenz. Die zweite Armee unter dem Kommando des Prinzen Friedrich Karl von Preußen bildete das Zentrum; sie bestand aus dem Gardekorps, dem 3., 4., 9., 10. und 12. Armeekorps, der 5. und 6. Kavalleriedivision und war 194,000 Mann stark mit 534 Geschützen. Das Hauptquartier war in Mainz. Die dritte Armee unter dem Kommando des Kronprinzen von Preußen bildete den linken Flügel; sie bestand aus dem 5. und 11. norddeutschen Armeekorps, dem 1. und 2. bayrischen Korps und dem kombinierten württembergisch-badischen Korps. Sie zählte 130,000 Mann mit 480 Geschützen; das Hauptquartier war in Mannheim. Die Gesamtzahl der in erster Linie aufgestellten Macht betrug demnach 384,000 Mann mit 1194 Geschützen. In Reserve blieben das 1. und 2. Armeekorps bei Berlin, das 6. in Schlesien. Den Küstenschutz übernahmen die 17. Division und 3 Landwehrdivisionen unter General Vogel v. Falckenstein. Da die Franzosen, welche überdies von der Zahl und den Bewegungen der deutschen Truppen keine genügende Kenntnis hatten, nicht zur Offensive schritten, so setzten sich 30. Juli die deutschen Heere gegen die französische Grenze in Bewegung.
[794]
Am 2. Aug. ward von dem 2. französischen Korps, Frossard, in Gegenwart des Kaisers und des kaiserlichen Prinzen ein Angriff auf Saarbrücken ausgeführt, wo nur etwa 1000 Mann preußische Truppen lagen, die sich nach längerm Gefecht zurückzogen, worauf die Franzosen die Stadt kurze Zeit besetzten, ohne indes weiter vorzudringen. Trotzdem schon 14 Tage seit der Vereinigung der Rheinarmee an der Westgrenze verstrichen waren, befand sich dieselbe noch immer nicht in der Lage, einen allgemeinen Angriff zu unternehmen. Das Korps Douay bei Belfort war noch nicht vollzählig, das 6. und Gardekorps erst auf dem Marsch nach Metz. Daher fiel die Offensive der deutschen Armee zu, welche sich durch Heranziehung des 1., 2. und 6. Korps um 100,000 Mann verstärkt hatte. Die erste Armee marschierte gegen die Saar, die zweite Armee zog mitten durch die Rheinpfalz, die dritte Armee, bei Landau und Germersheim konzentriert, marschierte nach der Lauter. Die letztere Armee kam zuerst mit der 2. Division des Korps von Mac Mahon, welche unter General Douay in Weißenburg stand, in Berührung. Nach heftigem, erbittertem Kampf wurde 4. Aug. von dem 5. und 11. preußischen und dem 2. bayrischen Armeekorps Weißenburg und der dahinterliegende Geisberg erstürmt, wobei Douay selber fiel. Der Kronprinz setzte alsbald seinen Marsch über Weißenburg hinaus fort und traf bei Wörth auf Mac Mahon, welcher mit etwa 50,000 Mann auf den Höhen von Fröschweiler eine starke Position eingenommen hatte. Die Schlacht, welche, entgegen der ursprünglichen Absicht, schon 6. Aug. mit einem Angriff der Bayern und des 5. Korps begann, endigte nach tapferm Widerstand der Franzosen am Nachmittag mit der gänzlichen Niederlage Mac Mahons. An demselben Tag wurde von Truppen der ersten und zweiten Armee nach heldenmütiger Erstürmung der Spicherer Höhen das Korps Frossard geschlagen, worauf die ganze Rheinarmee sich auf Metz zurückzog. Allerdings wurde hierdurch die erste Idee der deutschen Heeresleitung, den Feind durch Umfassung seiner rechten Flanke auf dem rechten Moselufer zur Entscheidungsschlacht zu zwingen, vereitelt. Auch verlor die dritte Armee die Fühlung mit dem besiegten Feind, so daß Mac Mahon und Douay sich mit Hilfe der Eisenbahn unbehelligt ins Lager von Châlons zurückziehen konnten. Dennoch waren diese ersten Siege der Deutschen von der größten Bedeutung. Sie erfüllten das deutsche Volk mit freudiger Siegeszuversicht, Österreich gab seine Absicht, in den Kampf zu gunsten Frankreichs einzugreifen, auf, in Frankreich rief die Kunde von den unerwarteten Niederlagen die größte Bestürzung hervor. Das Ministerium Ollivier-Gramont nahm sofort seine Entlassung, und Graf Palikao bildete ein neues, streng bonapartistisches. Der Plan, eine Landung in Norddeutschland zu unternehmen, ward aufgegeben und die Aushebung aller waffenfähigen Männer beschlossen. Die Wut gegen das siegreiche Deutschland äußerte sich darin, daß sämtliche ansässige Deutsche aus Frankreich vertrieben wurden. Der Kaiser legte 12. Aug. den Oberbefehl der Rheinarmee nieder und übergab ihn Bazaine, blieb aber bei der Armee.
Da die Deutschen beim weitern Vorrücken gegen die Mosel auf keinen Widerstand stießen, so nahm man an, daß auch die in Metz vereinigte Rheinarmee nach Châlons abziehen wolle. In der That war es Bazaines Absicht. Um den Abmarsch zu verzögern, griff die erste Armee 14. Aug. die noch auf dem rechten Moselufer unter den Forts von Metz stehenden französischen Korps an. Das Ergebnis der Schlacht von Colombey-Nouilly war das gewünschte: der am 14. schon begonnene Abmarsch der französischen Rheinarmee nach Verdun wurde eingestellt und erst 16. Aug. wieder aufgenommen. Inzwischen hatten aber mehrere Korps (3. und 10.) der deutschen zweiten Armee die Mosel oberhalb Metz überschritten und die Festung umgangen; sie konnten 16. Aug. den auf der südlichen Straße nach Verdun marschierenden französischen Truppen in die Flanke fallen und durch die blutige Schlacht von Vionville-Mars la Tour den Abzug des Feindes nach Westen zum Stillstand bringen, um so mehr, da Bazaine von der irrigen Ansicht ausging, die deutsche Armee wolle ihn von Metz abdrängen, und sich daher, statt auf der noch offenen nördlichen Straße seinen Marsch nach Westen unter allen Umständen fortzusetzen, auf die Festung selbst zurückzog. Am 17. Aug. nahm er westlich von Metz auf den Höhen von St.-Privat im Norden bis Rozérieulles im Süden mit 140,000 Mann eine starke Defensivstellung ein, in welcher er den Angriff der Deutschen erwartete. Derselbe erfolgte 18. Aug., indem die erste Armee (7. und 8. Korps) gegen den linken französischen Flügel bei St.-Hubert vorging, die zweite Armee (9., 12. und Gardekorps mit dem 3. und 10. Korps in Reserve) den rechten feindlichen Flügel bei Amanvillers und St.-Privat angriff. Der König von Preußen leitete persönlich die Schlacht von Gravelotte aus. Bazaine richtete seine Hauptkraft auf die Behauptung von St.-Hubert, und hier konnte erst am Abend durch das Eingreifen des 2. Korps ein Erfolg erzielt werden. Dagegen gelang es dem 12. Korps und der Garde, den rechten Flügel der Franzosen in der Flanke zu fassen und gänzlich zu zerschmettern, so daß Bazaine sich in der Nacht hinter die Forts zurückziehen mußte. Das Ergebnis der drei Schlachttage von Metz, 14., 16. und 18. Aug., das allerdings mit dem ungeheuern Verlust von 1832 Offizieren und 39,000 Mann erkauft wurde, war, daß der Abmarsch der französischen Rheinarmee nach Châlons verhindert und dieselbe in Metz eingeschlossen wurde.
Zur Zernierung von Metz blieben unter Prinz Friedrich Karl die erste und zweite Armee zurück, zu denen noch die Division Kummer aus den Rheinfestungen, bald auch die 17. Division von der Küstenarmee herangezogen wurden. Es wurden jedoch das Gardekorps, das 4. und 12. Armeekorps von der zweiten Armee abgetrennt und mit der 5. und 6. Kavalleriedivision als vierte (Maas-) Armee unter den Oberbefehl des Kronprinzen Albert von Sachsen gestellt. Diese Armee sollte mit der dritten Armee, welche währenddessen über Nancy die Mosellinie erreicht hatte, unter Oberleitung des Königs den weitern Vormarsch in das Innere Frankreichs vornehmen. Man erwartete, den Feind bei Châlons zu treffen, wenn er es nicht vorzog, sich zur Deckung der Hauptstadt auf Paris zurückzuziehen. Durch die Kavalleriedivisionen, welche, der Infanterie immer um mehrere Tagemärsche voraus, die eignen Bewegungen verdeckten, die feindlichen beobachteten und aufklärten, erhielt das königliche Hauptquartier 23. Aug. die Nachricht, daß die Feinde das Lager von Châlons plötzlich geräumt hätten und nach Norden abgezogen seien. Die Absicht dieser Bewegung wurde sofort richtig erkannt und eine große Rechtsschwenkung der dritten Armee befohlen, welche die bisher nach Westen gekehrte Fronte derselben nach Norden richtete.
[795] Im Lager von Châlons war nämlich zu dem 1., 5. und 7. französischen Korps, die von der Ostgrenze dahin zurückgegangen waren und rasch reorganisiert wurden, ein neugebildetes 12. Korps gestoßen. Die Armee zählte wieder 130,000 Mann. Den Oberbefehl erhielt Mac Mahon. Napoleon war zwar schon 15. Aug. nach Mourmelon gekommen, hatte aber weder den Oberbefehl über das neugebildete Heer übernommen, noch seine Reise nach Paris fortgesetzt. Die dortige Regentschaft wünschte seine Rückkehr nicht, weil sie einen Aufstand des entrüsteten Volkes gegen den besiegten Imperator fürchtete. Ja, sie hielt für die Erhaltung der Dynastie auf dem Thron einen Sieg für so notwendig, daß sie diese letzte kaiserliche Armee aufs Spiel zu setzen kein Bedenken trug und auch ein neues Korps, das 13., von Paris derselben zuwies. Der Kriegsminister Palikao erteilte nämlich Mac Mahon den Befehl, durch einen Marsch in der rechten Flanke der vorrückenden deutschen Armeen etwa bei Diedenhofen eine Vereinigung mit Bazaine, der gleichzeitig aus Metz herausbrechen werde, zu bewerkstelligen. So gewagt, ja verzweifelt das Unternehmen war, welches überdies im Fall des Mißlingens Paris bloßstellte, so gehorchte doch Mac Mahon, und auch der Kaiser erhob keinen Protest dagegen. Am 21. Aug. brach die Armee aus dem Lager auf, um über Reims, Rethel und Montmédy nach Diedenhofen zu marschieren. Aber teils Mangel an Vertrauen in die Zweckmäßigkeit und den Erfolg des Unternehmens, teils die Schwierigkeit der Verpflegung bewirkten, daß der kühne Marsch, der nur bei höchster Entschlossenheit und Raschheit gelingen konnte, wiederholt stockte und kostbare Zeit versäumt wurde. Bereits 27. Aug. wurden die Franzosen von der Kavallerie des Kronprinzen bei Buzancy erreicht. König Wilhelm befahl nun, daß die Maasarmee und zwei von Metz herangezogene Korps dem Feinde den Weg nach Metz verlegen, die dritte Armee aber ihn im Westen umfassen und nach der belgischen Grenze drängen sollte. Diese Operationen wurden pünktlich und sicher ausgeführt, 30. Aug. das 5. Korps der Franzosen bei Beaumont eingeholt und zersprengt und Mac Mahon, ehe er sich nach Mézières retten oder über die belgische Grenze gehen konnte, 1. Sept. bei Sedan zur Schlacht gezwungen. Nachdem die französische Armee im Norden der Festung völlig umzingelt worden, war weiterer Widerstand nutzlos; am 2. Sept. mußte General Wimpffen, des verwundeten Mac Mahon Nachfolger, die Kapitulation von Sedan unterzeichnen, durch welche, außer den 21,000 in der Schlacht gefangen genommenen, 83,000 Franzosen, darunter 2866 Offiziere, in deutsche Kriegsgefangenschaft gerieten. Nur das 13. Korps entkam den Deutschen und rettete sich nach Paris. Der Versuch, den Bazaine 31. Aug. machte, die deutsche Zernierungslinie vor Metz auf dem rechten Moselufer zu durchbrechen, wurde in der zweitägigen Schlacht von Noisseville zurückgewiesen. Die eine französische Armee war also in Metz eingeschlossen, die andre kriegsgefangen, das stolze Heer des Kaiserreichs vernichtet.
Kaiser Napoleon hatte sich schon 1. Sept. dem König Wilhelm als Kriegsgefangener ergeben. In persönlichen Unterredungen mit Bismarck und dem König machte er nur den Versuch, das Schicksal der Armee von Sedan zu mildern, lehnte aber Friedensverhandlungen ab. Wenn er auch den Mut gehabt hätte, die Konsequenzen der Niederlage auf sich zu nehmen, so würde er gar nicht die Macht besessen haben, den Frieden durchzuführen. Denn sofort, nachdem die Kunde von der „Schmach von Sedan“ nach Paris gelangte, stürzte das Kaiserreich unter der allgemeinen Entrüstung und Verachtung zusammen, ohne daß irgend jemand den Versuch gemacht hätte, es zu halten. Kaiserin Eugenie flüchtete nach England, wohin ihr der kaiserliche Prinz folgte, während Napoleon das Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel als Aufenthaltsort angewiesen erhielt. Der Senat und der Gesetzgebende Körper lösten sich auf, und die Deputierten von Paris ergriffen als „provisorische Regierung der Nationalverteidigung“ unter dem Vorsitz des Gouverneurs von Paris, General Trochu, Besitz von der obersten Gewalt.
In Deutschland und auch im Ausland glaubte man, daß mit dem Sturz des Kaiserreichs auch der Krieg zu Ende sein und die Franzosen Frieden schließen würden. Diese dagegen meinten, da der Urheber des Kriegs beseitigt sei, würden die Deutschen befriedigt in ihre Heimat zurückkehren, und wären allenfalls geneigt gewesen, ihnen die Kriegskosten zu vergüten. Sie rechneten hierbei auch auf die Unterstützung der Mächte, welche Thiers auf einer Rundreise an den Höfen, freilich vergebens, anrief. Das naive Ansinnen, Deutschland möge nun mit dem Krieg aufhören und Frankreich räumen, sprach der neue Minister des Auswärtigen, J. Favre, auch offen in einem Rundschreiben aus, indem er die prahlerische Phrase hinzufügte, Frankreich werde keinen Zoll seines Gebiets, keinen Stein seiner Festungen abtreten. Bismarck beantwortete diese Herausforderung 16. Sept. mit der Erklärung an die Mächte, daß Deutschland Elsaß und Lothringen mit Metz und Straßburg als Bürgschaften gegen die Rachsucht und die Eroberungslust der Franzosen verlange, und lehnte auch die Bewilligung eines Waffenstillstandes, den Favre in einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Bundeskanzler in Ferrières forderte, ohne genügende Garantien ab. Die Fortsetzung des Kriegs war für Deutschland um so mehr eine Notwendigkeit, als die neue französische Regierung die allgemeine Volksbewaffnung proklamierte und, statt zum Frieden zu mahnen, die nationalen Leidenschaften zum Krieg bis aufs Messer anstachelte. Deutscherseits erkannte man, daß die Einnahme von Paris und die gleichzeitig möglichst ausgedehnte Besetzung des feindlichen Landes die Franzosen allein zum Frieden zwingen würden, und die deutschen Korps setzten sich daher von Sedan sofort gegen die Hauptstadt in Bewegung, in welcher allerdings an Liniengruppen, Mobil- und Nationalgarden gegen 400,000 Mann versammelt waren, indes noch ein solches Chaos herrschte, daß 19. Sept. die deutsche Armee ohne alle Schwierigkeiten die Einschließung von Paris vollenden konnte. Da zu einer Beschießung kein schweres Geschütz zur Stelle, zu einem gewaltsamen Angriff die Zernierungsarmee (ca. 130,000 Mann) viel zu schwach war, so war man deutscherseits genötigt, sich auf Einschließung und Aushungerung der Stadt zu beschränken, die aber über Erwarten spät zum Ziel führte, da es den Franzosen gelungen war, die Hauptstadt noch rechtzeitig in wirklich großartiger Weise zu verproviantieren. Daneben wurde durch energische Belagerung der Festungen im östlichen Frankreich der Rücken gedeckt und die Verbindung mit Deutschland gesichert. Am 23. Sept. fiel Toul, wodurch die Armee vor Paris eine Bahnverbindung mit dem Rhein erhielt, am 27. ward Straßburg nach regelrechter Beschießung zur Kapitulation gezwungen, die Einnahme der übrigen elsässischen Plätze vorbereitet und ein neues 14. Korps unter General Werder gebildet, welches sich des Saône- und Seinegebiets bemächtigen sollte.
[796]
Auch die französische Regierung war nicht müßig. Die Befestigung von Paris wurde verstärkt und erweitert, die Organisation der Streitkräfte energisch betrieben und eine stattliche Feldarmee gebildet. Um den Widerstand in den Provinzen zu organisieren, waren zwei Mitglieder der provisorischen Regierung, Crémieux und Glais-Bizoin, als Delegierte nach Tours entsandt worden; ihnen folgte 6. Okt. in einem Luftballon Gambetta, der selbst die Leitung des Kriegsministeriums übernahm und die Seele der Nationalverteidigung wurde. Aus den ohne Ausnahme unter die Fahnen gerufenen waffenfähigen Mannschaften wurden neue zahlreiche Truppenkörper gebildet. Aus Algerien wurden alle verfügbaren Bataillone herangezogen, die Kriegsflotten aus der Ost- und Nordsee, welche gegen die deutschen Küsten gar nichts ausgerichtet hatten, abberufen und die beträchtlichen Hilfsmittel der Marine an Offizieren, Mannschaften und Geschütz für den Landkrieg verwendet. Getäuscht durch die Legende von 1793, glaubte Gambetta durch den kleinen Krieg der Franctireurs die Feinde beunruhigen und ermüden sowie durch die Masse der Volksheere erdrücken zu können.
Während die in Paris eingeschlossenen Truppen bereits 30. Sept. mit Ausfällen begannen, welche die Zernierungsarmee schwächen und die Möglichkeit eines Durchbruches erproben sollten, bildeten sich in Lille, Orléans und Lyon die ersten Provinzialheere. Am ansehnlichsten war die Loirearmee unter General La Motterouge, und als diese sich von Orléans nach Norden in Bewegung setzte, wurde ihr von der deutschen Armee vor Paris General v. d. Tann mit dem 1. bayrischen Korps und der 22. preußischen Division entgegengeschickt, welcher die Franzosen 10. Okt. bei Artenay schlug und darauf Orléans, Châteaudun und Chartres besetzte. Indes ließen sich Gambetta und sein Gehilfe Freycinet nicht abschrecken; sie betrieben die Rüstungen nur mit um so größerm Eifer, und Aurelle de Paladines vereinigte Ende Oktober südlich der Loire eine Armee, welche zwar wenig Kavallerie, auch keine starke Artillerie besaß und wegen Mangels an tüchtigen Offizieren geringen innern Halt hatte, aber wegen ihrer Größe (gegen 200,000 Mann) und der Kampflust der Truppen dem kleinen Tannschen Korps gleichwohl gewachsen war. In der That wurde dasselbe 8. Nov. gezwungen, Orléans zu räumen, und ging nach dem Gefecht von Coulmiers 9. Nov. bis Toury zurück, wo es von der 17. Division verstärkt wurde. Gleichzeitig drangen von Le Mans beträchtliche Scharen gegen Chartres und Dreux vor, und auch im Norden machte sich die von Bourbaki gebildete Armee bemerklich. Die Franctireurs wurden namentlich gegen die deutschen Kavalleriedetachements immer dreister. Die Lage der Zernierungsarmee vor Paris, welche an Zahl kaum halb so stark war wie die in Paris eingeschlossenen Truppen, war unter diesen Umständen keine unbedenkliche, zumal ihr für die Verpflegung bloß eine einzige Eisenbahnlinie zur Verfügung stand.
Indes die Kapitulation von Metz 27. Okt. befreite sie aus jeder Gefahr. Durch sie fielen 173,000 Mann mit 6000 Offizieren in deutsche Gefangenschaft, und die erste und zweite deutsche Armee wurden für den Schutz der Armee vor Paris und für den Krieg in der Provinz verwendbar, der nun mit Thatkraft und Erfolg geführt wurde. General v. Manteuffel rückte mit dem 1. und 8. Korps nach dem Norden, warf die Franzosen 27. Nov. bei Amiens zurück, besetzte 18. Nov. diese Stadt, 5. Dez. Rouen und 9. Dez. Dieppe. Die französische Nordarmee mußte von Faidherbe in den Festungen erst von neuem organisiert werden. General v. Werder ging nach dem Fall von Schlettstadt und Neu-Breisach zum Schutz der Belagerung von Belfort bis Dijon vor und schlug alle Angriffe Garibaldis siegreich zurück. Prinz Friedrich Karl aber führte das 3., 9. und 10. Korps in Eilmärschen nach der Loire, wo Aurelle de Paladines der Heeresabteilung des Großherzogs von Mecklenburg unthätig gegenüberlag. Der französische Feldherr hielt es trotz allen ungeduldigen Drängens Gambettas und Freycinets für notwendig, vor weitern Unternehmungen die Armee wirklich kriegstüchtig zu machen und sich mit Trochu über einen Versuch, Paris zu entsetzen, zu verständigen. Er blieb also in seinen Stellungen nördlich von Orléans an dem großen Wald stehen. Als Gambetta jedoch die Nachricht erhielt, daß Trochu die deutschen Linien im Südosten durchbrechen wolle, befahl er eigenmächtig dem rechten Flügel der Loirearmee (18. und 20. Korps), auf Fontainebleau vorzustoßen, um den Parisern die Hand zu reichen. Als dieser Versuch durch den tapfern Widerstand des 10. Korps bei Beaune la Rolande (28. Nov.) scheiterte, schickte er Chanzy 1. Dez. mit dem linken Flügel gegen Loigny vor. Indes auch dieser Angriff wurde vom Großherzog abgewiesen, und nun schritt Prinz Friedrich Karl 3. Dez. seinerseits zum Angriff auf die schon desorganisierte Loirearmee, zersprengte sie in zwei Teile und besetzte 4. Dez. Orléans wieder. Der Ausfall der Pariser Armee unter Ducrot mißlang trotz mutiger Stürme auf die deutschen Positionen auf den Höhen von Champigny (30. Nov. und 2. Dez.).
Gambetta war aber keineswegs entmutigt, vielmehr bot er nur noch mehr Streitkräfte auf, um Paris zu entsetzen und den geheiligten Boden Frankreichs von den Barbaren zu befreien. Aus der zersprengten Loirearmee wurden nach Absetzung Aurelles zwei neue gebildet, die eine unter Chanzy in Le Mans, die andre unter Bourbaki in Bourges. Faidherbe beunruhigte die Manteuffelsche Armee durch wiederholte Vorstöße nach dem Süden und bestand 23. Dez. an der Hallue und 3. Jan. 1871 bei Bapaume zwei zwar nicht siegreiche, aber rühmliche Gefechte. Im Januar 1871 sollte sodann der Hauptangriff auf die Deutschen auf verschiedenen Punkten zugleich erfolgen: die Pariser Armee sollte einen großen Ausfall machen, Faidherbe von Norden und Chanzy von Westen demselben entgegenkommen; der entscheidende Schlag sollte aber im Osten geführt werden, indem Bourbaki durch einen kühnen Zug auf Belfort dieses zu entsetzen, Werders Korps zu zersprengen und durch rasches Vordringen in das Moselgebiet die Deutschen vor Paris und in Orléans von ihrer Verbindung mit dem Rhein und ihrer Verpflegung abzuschneiden beauftragt wurde.
Obwohl Trochu einen neuen Ausfall für aussichtslos hielt, so ließ er ihn doch zu: am 19. Jan. versuchten 100,000 Mann vom Fuß des Mont Valérien aus nach Westen durchzubrechen, wurden aber vom 5. preußischen Korps unter empfindlichen Verlusten zurückgewiesen. An demselben Tag erlitt Faidherbe durch Goeben bei St.-Quentin eine völlige Niederlage u. mußte sich in die nördlichen Festungen flüchten. Der Chanzyschen Armee kam Friedrich Karl mit dem Angriff zuvor: in den siebentägigen Gefechten von Le Mans (6.–12. Jan.) wurde dieselbe bis Laval zurückgeschlagen und für längere Zeit kampfunfähig gemacht. Der Vormarsch Bourbakis gegen Belfort zwang zwar Werder, Dijon zu räumen und westlich der Festung zum Schutz der Belagerung an der Lisaine eine feste Stellung zu nehmen. Der Versuch der Franzosen, [797] dieselbe zu erstürmen, ward 15.–17. Jan. von den deutschen Truppen abgeschlagen, während Manteuffel mit der neugebildeten Südarmee (2. und 7. Korps), unbelästigt von Garibaldi, die Côte d’Or überschritt und sich in den Rücken des Bourbakischen Heers warf. Als dies den Rückzug nach Lyon antreten wollte, fand es den nächsten Weg versperrt, ward bei seinem Marsch durch die Thäler des Jura von Manteuffel ereilt und 1. Febr. bei Pontarlier gezwungen, 80,000 Mann stark auf schweizerisches Gebiet überzutreten.
Da nun in Paris die Lebensmittel trotz größter Vorsicht gänzlich auszugehen drohten, mußte sich die Regierung zu Verhandlungen entschließen. Nach mehrtägigen Unterhandlungen zwischen Bismarck und Jules Favre in Versailles wurde 28. Jan. eine Konvention abgeschlossen, in welcher ein Waffenstillstand auf 21 Tage und zugleich die Übergabe sämtlicher Forts um Paris von Favre zugestanden wurden. Während des Waffenstillstandes sollte eine Demarkationslinie die Truppen trennen, und es sollte eine französische Nationalversammlung berufen werden, welche an Stelle der bestehenden Regierung der Nationalverteidigung einen Entschluß über die Kriegs- oder Friedensfrage zu fassen hätte. Ausgenommen vom Waffenstillstand waren die Departements Doubs, Côte d’Or und Jura, wo die Feindseligkeiten vorläufig fortdauern sollten, weshalb Belfort erst 16. Febr. 1871 bei Erneuerung des Waffenstillstandes auf Befehl der französischen Regierung von dem Verteidiger, Oberst Denfert, übergeben wurde. Als Gambetta den Waffenstillstand nur zur Verstärkung der Armeen und zur Beherrschung der Wahlen im Sinn eines Kriegs bis zum Äußersten benutzen wollte, ward er von der provisorischen Regierung genötigt, seine Entlassung zu nehmen. Allerdings hatten Chanzy und Faidherbe noch an Zahl beträchtliche Truppenmassen zur Verfügung. Dieselben konnten aber nicht darauf rechnen, gegen das deutsche Heer etwas auszurichten, welches in einer Stärke von 900,000 Mann einen großen Teil Frankreichs besetzt hielt, die meisten Festungen im Osten und Norden erobert hatte und im Besitz hinreichender Verkehrslinien war. Die Sehnsucht nach dem Ende des aussichtslosen blutigen Kriegs und nach Frieden war daher in Frankreich allgemein und machte sich auch bei den Wahlen zur Nationalversammlung 8. Febr. sehr geltend. Die Mehrheit derselben war zum Frieden entschlossen.
Die 12. Febr. zu Bordeaux eröffnete Nationalversammlung ernannte 17. Febr. Thiers zum Chef der Exekutivgewalt der französischen Republik und beauftragte ihn mit Eröffnung der Friedensunterhandlungen. Dieser begab sich 21. Febr. nebst den Ministern Favre und Picard und einer von der Nationalversammlung gewählten diplomatischen Kommission von 15 Mitgliedern in das deutsche Hauptquartier zu Versailles, um die Unterhandlungen anzuknüpfen. Von der deutschen Regierung wurde die Abtretung von Elsaß-Lothringen mit Straßburg, Metz und Belfort u. eine Kriegskontribution von 6 Milliarden Frank verlangt. Die französischen Unterhändler brachten die Geldforderung auf 5 Milliarden herab, bis zu deren Abzahlung französisches Territorium besetzt bleiben sollte, und setzten durch, daß die Festung Belfort bei Frankreich verblieb. Die auswärtigen Mächte, besonders England, hätten sich gern in die Verhandlungen zu gunsten Frankreichs eingemischt; indes der Reichskanzler bestand darauf, daß Deutschland, das den Krieg allein ausgefochten, auch allein den Frieden schließe. So wurde 26. Febr. der Präliminarfriede von Versailles unterzeichnet und, um die Genehmigung desselben durch die Nationalversammlung zu beschleunigen, deutscherseits die Besetzung eines Teils von Paris bis zur Genehmigung angeordnet. Dieselbe erfolgte 1. März mit 546 gegen 107 Stimmen. Am 28. März wurde die Konferenz zum definitiven Abschluß des Friedens in Brüssel eröffnet. Da aber dort die französischen Diplomaten unerwartete Schwierigkeiten machten, stockten die Unterhandlungen längere Zeit, bis die deutsche Regierung entschieden den Abschluß forderte. Darauf wurde 6. Mai der Kongreß nach Frankfurt verlegt, und hier kam 10. Mai im Gasthof zum Schwan der Frankfurter Friede zu stande, den von deutscher Seite Bismarck und Graf Arnim, von französischer Jules Favre, Pouyer-Quertier und Goulard unterzeichneten. Er lautete, abgesehen von einigen Bestimmungen der Zahlung und der Okkupation, wie die Präliminarien.
So endigte nach einer Dauer von 180 Tagen dieser Krieg, in welchem 15 größere Schlachten und weit über 100 Gefechte, fast alle für die Deutschen siegreich, geschlagen, 370,000 Franzosen nebst 12,000 Offizieren gefangen nach Deutschland abgeführt, gegen 7400 Geschütze und 107 Fahnen von den Deutschen erbeutet wurden; im ganzen hatten 26,000 Offiziere und 702,000 Mann des französischen Heers die Waffen strecken müssen. Die französischen Verluste beliefen sich auf 80,000 Tote und 14 Milliarden an Kriegskosten. Der deutsche Gesamtverlust betrug 6247 Offiziere und Ärzte und 123,453 Mann, darunter ca. 40,080 Tote. Insgesamt wurden von deutscher Seite 44,420 Offiziere und 1,451,944 Mann unter Waffen gestellt, davon 33,101 Offiziere und 1,113,254 Mann zum Krieg verwendet. Der Gewinn des Kriegs war nicht bloß die Wiedergewinnung von Elsaß-Lothringen und der Festungen Straßburg und Metz, sondern auch die Gründung eines Deutschen Reichs, welch letzteres schon während des Kriegs 18. Jan. 1871 in Versailles errichtet wurde.
[Litteratur.] Deutsche Werke: Das offizielle Werk „Der deutsch-französische Krieg 1870/71, redigiert von der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabs“ (Berl. 1872–82, 5 Bde.). Auf offizielle Aktenstücke basiert sind: Blume, Die Operationen der deutschen Heere von der Schlacht bei Sedan bis zum Ende des Kriegs (3. Aufl., Berl. 1872); v. Wartensleben, Die Operationen der Südarmee im Januar und Februar 1871 (2. Aufl., das. 1872); Derselbe, Die Operationen der Nordarmee unter General v. Manteuffel (das. 1872); v. Schell, Die erste Armee unter General v. Steinmetz (das. 1872); Derselbe, Die Operationen der Nordarmee unter General v. Goeben (das. 1873); v. d. Goltz, Die Operationen der zweiten Armee von Beginn des Kriegs bis zur Kapitulation von Metz (das. 1873); Derselbe, Die Operationen der zweiten Armee an der Loire (das. 1875); Löhlein, Die Operationen des Korps des Generals v. Werder (das. 1874). Außerdem sind als vollständige Darstellungen des Kriegs hervorzuheben: Niemann, Der französische Feldzug 1870/71 (mit vielen Karten, Hildburgh. 1871); Borbstädt, Der deutsch-französische Krieg 1870 (Berl. 1871); Junck, Geschichte des deutsch-französischen Kriegs (das. 1876, 2 Bde.); Scherr, 1870–1871. Vier Bücher deutscher Geschichte (2. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.). Populäre, illustrierte Darstellungen lieferten: H. Fechner (3. Aufl., Berl. 1871), G. Hiltl (3. Aufl., Bielef. 1876), Th. Fontane (Berl. 1873–76, 2 Bde.). – Französische Werke: die „Enquête parlementaire“; General d’Aurelle de Paladines, La première [798] armée de la Loire (Par. 1872; deutsch von La Pierre, Braunschw. 1874); General Chanzy, La deuxième armée de la Loire (8. Aufl., Par. 1885; deutsch von Busse, Hann. 1873); General Faidherbe, Campagne de l’armée du Nord (Par. 1871; deutsch, Kassel 1872); Marschall Bazaine, L’armée du Rhin (Par. 1871; deutsch, Kass. 1872); General Vinoy, Siége de Paris (Par. 1872); Ducrot, Siége de Paris (das. 1875–78, 4 Bde.); Favre, Le gouvernement de la défense nationale (das. 1871–75, 3 Tle.); Freycinet, La guerre en province (7. Aufl., das. 1873; deutsch, 3. Aufl., Gera 1877). Vgl. auch Hirth und v. Gosen, Tagebuch des deutsch-französischen Kriegs, eine Sammlung der wichtigern Quellen (Leipz. 1871 bis 1874, 3 Bde.); v. Busse, Die Heere der französischen Republik (Hannov. 1874); v. d. Goltz, Léon Gambetta und seine Armeen (Berl. 1877), und das statistische Werk von E. Engel: Die Verluste der deutschen Armeen etc. (das. 1872).