Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Delbrück“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 639640
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Delbrück. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 639–640. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Delbr%C3%BCck (Version vom 14.04.2021)

[639] Delbrück, Stadt im preuß. Regierungsbezirk Minden, Kreis Paderborn, am Haustenbach, 16 km vom Bahnhof Paderborn, hat ein Amtsgericht, eine Kirche (früher besuchter Wallfahrtsort) und (1880) 1284 kath. Einwohner. Hier erlitten 18. Dez. 1410 Erzbischof Friedrich von Köln und Graf Adolf von Kleve durch Bischof Wilhelm von Paderborn und die Bewohner von D. eine Niederlage.

Delbrück, 1) Martin Friedrich Rudolf, preuß. Staatsmann, geb. 16. April 1817 zu Berlin, Sohn des 1830 als Superintendent in Zeitz verstorbenen Geheimrats Joh. Friedr. Gottl. D., welcher 1800–1809 die Erziehung der beiden ältern Söhne Friedrich Wilhelms III. (des nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm IV. und des Kaisers Wilhelm) leitete. D. studierte in Bonn, Göttingen und Berlin die Rechte und trat 1837 in den preußischen Staatsdienst. Er arbeitete an den Gerichten in Halle und Merseburg als Auskultator und Referendar und ward bereits 1842 nach Ablegung der großen juristischen Staatsprüfung als Hilfsarbeiter in das Finanzministerium berufen. Hier machte er sich besonders bei der Generalverwaltung der Steuern, bei welcher er speziell beschäftigt war, verdient und wurde deshalb 1844 in das neugebildete Handelsministerium versetzt, in welchem er 1848 Ministerialdirektor und Chef der Handelsabteilung wurde. Seine erste bedeutende Leistung war der Sieg Preußens über die Handelspolitik Österreichs 1853. Nachdem er 1851 Hannover und Oldenburg für den Zollverein gewonnen, gelang es ihm damals, die deutschen Staaten, welche von Österreich für dessen Aufnahme in den Zollverein schon gewonnen waren, zur Erneuerung des bisherigen Zollvereins auf zwölf Jahre zu bestimmen. Österreich mußte sich mit einem Zoll- und Handelsvertrag mit dem Zollverein begnügen. Er schloß darauf noch weitere Handelsverträge mit Frankreich, Belgien, Italien und andern Staaten, in denen er die Grundsätze des Freihandels, denen er huldigte, allmählich zur Geltung brachte. Eine ähnliche Krisis wie 1853 hatte er 1864–65 zu überwinden, als die süddeutschen Staaten sich weigerten, den französischen Handelsvertrag zu genehmigen. Indes auch diesmal gelang es ihm durch Standhaftigkeit und Ausdauer, den Zollverein zu erhalten und nach 1866 denselben in unitarischem Sinn umzugestalten. Bismarck ließ D. in handelspolitischen Dingen völlig freie Hand und schloß sich ganz seinen Ansichten an. Er räumte ihm einen noch größern Wirkungskreis an seiner Seite ein, indem er im August 1867 seine Ernennung zum Präsidenten des Bundeskanzleramts und 1868 zum preußischen Staatsminister ohne Portefeuille veranlaßte. D. vertrat fortan den Kanzler sowohl im Bundesrat als im Reichstag und zeigte bei den Verhandlungen des letztern eine ungewöhnliche Sachkenntnis, Sicherheit und Schlagfertigkeit in der Verteidigung der Regierungsvorlagen, während er gleichzeitig durch konstitutionelle Haltung und Mäßigung sich das Vertrauen der Majorität erwarb. Er war Bismarcks „rechte Hand“. Hervorragend war seine Thätigkeit bei den Unterhandlungen mit den süddeutschen Staaten im Herbst 1870, zuerst in München, dann in Versailles, und seine Verteidigung der Versailler Verträge im norddeutschen Reichstag im Dezember. In dankbarer Erinnerung an die großen Verdienste Delbrücks um die Gründung des Deutschen Reichs erhielt D. 1871 einen Anteil an der Dotation (200,000 Thlr.). Auch im neuen Reich behielt er das Präsidium des Reichskanzleramts und beherrschte den immer gewaltiger anwachsenden Geschäftsbereich desselben vollständig. Inzwischen aber hatten sich die volkswirtschaftlichen Ansichten des Reichskanzlers von denen Delbrücks geschieden. Während letzterer die Staatsgewalt auf die Erhaltung der Rechtssicherheit für alle geschäftlichen Unternehmungen beschränkt wissen wollte, faßte Bismarck den großen Plan seiner sozialpolitischen Reformen und beschloß zunächst, die Eisenbahnen Deutschlands an das Reich zu bringen. Er teilte davon D. nichts mit, und dieser erkannte daraus, daß eine Gemeinschaft des Handelns zwischen Bismarck und ihm nicht mehr möglich sei. Er bat daher um seine Entlassung, die er 1. Juni 1876 auch erhielt. 1878 in den Reichstag gewählt, widersetzte er sich in der Reichstagssession 1879, freilich vergeblich, mit Aufbietung aller seiner Sachkenntnis und Erfahrung der Annahme des neuen Zolltarifs, namentlich der Getreide- und der Industrieschutzzölle. D. schrieb: „Der Artikel 40 der Reichsverfassung“ (Berl. 1882).

2) Berthold, Sprachforscher, geb. 26. Juli 1842, Neffe des vorigen, studierte Philologie auf der Universität zu Halle, insbesondere vergleichende Grammatik unter Pott, später in Berlin unter A. Weber Sanskrit, ließ sich in der Folge in Halle als Privatdozent nieder und bekleidet seit 1869 die Professur der vergleichenden Sprachwissenschaft und des Sanskrits an der Universität zu Jena. Von seinen Schriften sind zu erwähnen: „Syntaktische Forschungen“ (Halle 1871–79, 4 Bde.); „Das altindische Verbum aus den Hymnen des Rigweda seinem Bau nach dargestellt“ (das. 1874); „Einleitung in das Sprachstudium“ (2. Aufl., Leipz. 1884; engl., das. 1882), worin die Probleme der jetzigen Linguistik erörtert werden, u. a. Auch gab er „Wedische Chrestomathie mit Anmerkungen und Glossen“ (Halle 1874) heraus.

3) Hans, Historiker, geb. 11. Nov. 1848 zu Bergen (Insel Rügen), studierte Geschichte in Heidelberg, [640] Greifswald und Bonn und wurde, nachdem er den Feldzug von 1870 mitgemacht hatte, 1874 Erzieher des Prinzen Waldemar von Preußen, dritten Sohns des Kronprinzen, in welcher Stellung er bis zum Tode des Prinzen (27. März 1879) verblieb. Hierauf privatisierte er, bis er sich im Januar 1881 an der Universität in Berlin als Privatdozent habilitierte; 1885 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. 1882 ward er in das Abgeordnetenhaus, 1884 in den Reichstag gewählt, wo er sich der freikonservativen oder Reichspartei anschloß. Außer der Dissertation über die Glaubwürdigkeit Lamberts von Hersfeld und verschiedenen Studien zur englischen Verfassungsgeschichte in der Sybelschen „Historischen Zeitschrift“ und den „Preußischen Jahrbüchern“ schrieb er namentlich: „Leben des Feldmarschalls Grafen Neithardt von Gneisenau“ (Berl. 1880, Bd. 4 u. 5.; als Fortsetzung des von G. J. Pertz unvollendet hinterlassenen Werkes) und einen Auszug daraus unter gleichem Titel (das. 1882, 2 Bde.). Seit März 1882 gab D. gemeinsam mit Gans, Edlem zu Putlitz, die „Politische Wochenschrift“ heraus, trat aber 1883 in die Redaktion der „Preußischen Jahrbücher“ ein.