Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Daudet“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 575576
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Daudet. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 575–576. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Daudet (Version vom 11.04.2021)

[575] Daudet (spr. doddä́), 1) Erneste, franz. Schriftsteller, geb. 31. Mai 1837 zu Nîmes als Sohn eines wohlhabenden, streng royalistisch gesinnten Fabrikanten, kam 1857 nach Paris, erhielt hier eine Stelle im Kabinett des Herzogs von Morny, wurde später Kabinettschef des Großreferendars im Senat und beteiligte sich zugleich mit politischen und belletristischen Artikeln an vielen Zeitungen von Paris und der Provinz. 1873–78 war er Direktor des „Journal officiel“ und einer der Vertrauten des Ministers des Auswärtigen, Decazes, mit welchem er sich der orléanistischen Partei anschloß. Außer zahlreichen Romanen, wie: „La Vénus de Gordes“ (1866), „Fleur de péché“ (1872), „Raymond Rocheray“ (1875), „Marthe“ (1876), „Zarah Marsy“ (1878), „Les reins cassés“ (1885) u. a., hat er sich auch durch historische Schriften einen Namen gemacht. Hierher gehören: „Le cardinal Consalvi 1800–1824“ (1866); „Le ministère de M. de Martignac“ (1875); „La terreur blanche“ (1876); „Le procès des ministres“ (1877); „Souvenirs de la présidence du maréchal de Mac-Mahon“ (1880); „Histoire des conspirations royalistes du Midi sous la Révolution“ (1881); „Histoire de la Restauration“ (1882) u. a. Noch veröffentlichte er „Mon frère et moi“ (1882) über sein und seines Bruders Alphonse Jugendleben.

2) Alphonse, franz. Schriftsteller, Bruder des vorigen, geb. 13. Mai 1840 zu Nîmes, besuchte in Lyon das Gymnasium, ward sodann, noch sehr jung, Klassenaufseher (maître d’études) am Collège zu Sarlande [576] und siedelte, als ihn unüberlegte Streiche in dieser Stellung unmöglich gemacht hatten, 1857 nach Paris über, um hier sein Glück als Schriftsteller zu versuchen. In Paris lächelte ihm bald das Glück. Zwar seine ersten litterarischen Versuche, die Dichtungen: „Les Amoureuses“ (1858) und „La double conversion“ (1861), hatten nur geringen Erfolg; doch gelang es dem Dichter 1861, als Sekretär in den Dienst des Herzogs von Morny zu treten, der sein Talent erkannte und ihm die Mittel zu Studienreisen nach Italien, Ägypten und dem Orient gewährte. Die zunächst erscheinenden Werke, wie der Roman „Le chaperon rouge“ (1863), die Dramen: „Le dernier idole“ (1862) und „L’œillet blanc“ (1865), erregten bereits Aufmerksamkeit. Es folgten die charakteristischen Schilderungen: „Le petit Chose, histoire d’un enfant“ (1868; deutsch u. d. T.: „Der kleine Dingsda“, Berl. 1877), worin der Schmerz und das Glück des Dilettantismus in der Kunst wie im Leben zur Darstellung gelangen, und „Lettres de mon moulin“ (1869), die Novelle „Lettres à un absent“ (1872), ferner die auf dem Hintergrund des großen Kriegs sich abhebende politische Erzählung „Robert Helmont, journal d’un solitaire“ (1874) nebst dem komisch-satirischen Roman „Les aventures prodigieuses de Tartarin de Tarascon“ (einer Persiflage des Franctireurwesens) und die „Contes du lundi“ (1875; deutsch von Born, Basel 1880), welche den Namen Daudets immer bekannter machten, bis er mit dem Erscheinen des Sensationsromans „Fromont jeune et Risler aîné“ (1874; deutsch, Berl. 1876), welcher über 60 Auflagen erlebte und einen akademischen Preis erlangte, mit einemmal in die Reihe der gelesensten und gesuchtesten Schriftsteller trat. Der bald darauf folgende Roman „Jack“, die Geschichte eines Arbeiters (1876), vermochte den Ruhm des Schriftstellers nur zu befestigen, während die spätern: „Le Nabab“ (1877) und „Les rois en exil“ (1879), beide reich an beißenden Anzüglichkeiten auf hervorragende Persönlichkeiten der Gegenwart (z. B. den Herzog von Morny), einen Abfall bezeichnen, obwohl es ihnen nicht an äußerm Erfolg fehlte. Neuere (zumeist auch ins Deutsche übersetzte) Werke sind: „Nouma Roumestan“ (1882); „L’évangeliste“ (1883); „L’enfance d’une Parisienne“ (1883) und „Sapho“ (1884). Die düstern Gegenstände, welche D. zum Stoff seiner Romane wählt, die sittlichen Konflikte, die sozialen Fragen (Kokottenwirtschaft, Ehebruch, Perfidie, Arbeitermisere etc.) scheinen zwar in der pessimistischen Behandlung, die er ihnen obendrein angedeihen läßt, jeder Poesie abhold zu sein und zu widerstehen; gleichwohl kann man nicht leugnen, daß der furchtbare, oft gräßliche und vor keiner Nudität zurückscheuende Realismus des Schriftstellers den Leser oft bis zu der Grenze der Konzession an diese Art von Schriftstellerei hinzureißen vermag, so mächtig ist der Zauber, den Daudets Feder ausübt. Von seinen Theaterstücken sind noch „Lise Tavernier“ und „L’Arlésienne“ (mit Musik von G. Bizet) und die Dramatisierungen seiner Hauptromane („Fromont“, „Jack“ u. a.) zu erwähnen. Vgl. Gerstmann, Alphonse D., sein Leben und seine Werke (Berl. 1883, 2 Bde.).