Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Dampf“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 4 (1886), Seite 444446
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Dampf. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 4, Seite 444–446. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Dampf (Version vom 20.11.2022)

[444] Dampf, jeder gasförmige Körper, welcher durch die Wirkung der Wärme aus einer Flüssigkeit entstanden ist (vgl. Verdampfung). Um den D. einer Flüssigkeit unvermischt mit Luft zu erhalten, fülle man eine am einen Ende zugeschmolzene, 80–90 cm lange Glasröhre mit Quecksilber bis auf einen kleinen Raum, welchen man nun noch mit der zu verdampfenden Flüssigkeit, z. B. mit Äther, vollgießt. Man verschließt nun die Röhre, welche jetzt nur die beiden Flüssigkeiten, aber keine Luft enthält, luftdicht mit dem Finger, bringt die verschlossene Mündung unter die Oberfläche einer in tiefem Gefäß befindlichen Quecksilbermenge, entfernt den Finger und

 Fig. 1.  Fig. 2. Fig. 3.
Fig. 1. Dampfbildung über Queck­silber. Fig. 2. Ermittelung der Spannkraft des Wasserdampfes. Fig. 3. Ermittelung der Spann­kraft des Dampfes bei Tempe­raturen über dem Siedepunkt.

stellt die Röhre lotrecht (Fig. 1). Über der Quecksilbersäule, welche noch in der Röhre stehen geblieben ist, gewahren wir ein wenig Flüssigkeit, der darüber befindliche Raum aber scheint leer zu sein; er ist jedoch nicht leer, sondern von vollkommen durchsichtigem und daher unsichtbarem Ätherdampf erfüllt. Wäre nämlich dieser Raum leer, so müßte die in der Röhre stehen gebliebene Quecksilbersäule so hoch sein, daß sie dem äußern Luftdruck, welcher auf die Oberfläche des Quecksilbers im Gefäß drückt, das Gleichgewicht halten könnte, also so hoch wie die Quecksilbersäule in einem gleichzeitig beobachteten Barometer. Sie steht aber viel niedriger und zeigt dadurch an, daß im Innern der Röhre ein Gegendruck ausgeübt wird, der nur von dem Ausdehnungsbestreben oder der Expansivkraft (Spannkraft, Tension) eines über dem Quecksilber befindlichen gasförmigen Körpers, nämlich des Ätherdampfes, herrühren kann. Da dieser Druck im Verein mit der in der Röhre stehenden Quecksilbersäule dem durch den Barometerstand gemessenen äußern Luftdruck das Gleichgewicht hält, so braucht man nur die Höhe dieser Quecksilbersäule von der Barometerhöhe abzuziehen, um den Druck des Ätherdampfes, durch die Höhe einer Quecksilbersäule ausgedrückt, zu erfahren. Bleibt die Temperatur der Umgebung (aus welcher die Flüssigkeit die zu ihrer Verdampfung erforderliche Wärme entnommen hat) unverändert, so bildet sich kein weiterer D. mehr, obgleich noch flüssiger Äther über dem Quecksilber vorhanden ist; der Raum über dem Quecksilber vermag also bei dieser Temperatur nur eine begrenzte Dampfmenge aufzunehmen, und wir sagen deshalb, er sei mit D. gesättigt oder mit gesättigtem [445] D. erfüllt. Vergrößern wir aber diesen Raum, indem wir die Röhre in die Höhe ziehen (ohne jedoch ihre Mündung aus dem Quecksilber zu heben), so bildet sich in dem Maß, als der Raum größer wird, neuer D. aus der Flüssigkeit, so daß der Raum mit D. von der gleichen Beschaffenheit wie vorhin gesättigt und der Dampfdruck unverändert bleibt, was man daran erkennt, daß die in der Röhre gehobene Quecksilbersäule die nämliche Höhe behält, bis die gesamte vorhandene Äthermenge verdampft ist. Wird nun, nachdem keine Flüssigkeit mehr, sondern nur noch D. über dem Quecksilber vorhanden ist, durch weiteres Herausziehen der Röhre der Raum noch mehr vergrößert, so steigt die Quecksilbersäule und zeigt dadurch an, daß der Druck des nun nicht mehr gesättigten Dampfes abnimmt und zwar in demselben Verhältnis abnimmt wie seine Dichte (nach dem Mariotteschen Gesetz). Drückt man alsdann die Röhre wieder in das Quecksilber hinab, so wächst anfangs die Spannkraft des nicht gesättigten Dampfes, dem Mariotteschen Gesetz entsprechend, mit seiner Dichte, die Quecksilbersäule wird wieder niedriger, bis ihre ursprüngliche Höhe und damit der Sättigungszustand erreicht ist. Verkleinert man durch ferneres Hinabdrücken den Dampfraum noch mehr, so beobachtet man, daß von nun an die Höhe der Quecksilbersäule und somit auch die Spannkraft des Ätherdampfes ungeändert bleibt; gleichzeitig sieht man flüssigen Äther in immer zunehmender Menge über dem Quecksilber sich ansammeln, bis endlich die ganze Dampfmenge in Flüssigkeit verwandelt ist. Während also der ungesättigte D. dem Mariotteschen Gesetz gehorcht, indem sein Druck im umgekehrten Verhältnis zum Rauminhalt sich ändert, fügt sich der gesättigte D. diesem Gesetz nicht; durch Raumverminderung wird seine Spannkraft nicht erhöht, sondern es wird nur bewirkt, daß eine entsprechende Dampfmenge sich zu Flüssigkeit verdichtet, während der übriggebliebene Raum mit gesättigtem D. von unveränderter Spannkraft gefüllt bleibt. Der Druck, welchen der D. im Sättigungszustand ausübt, ist demnach der größte, welchen er bei der herrschenden Temperatur erreichen kann, und man bezeichnet daher den gesättigten D. auch als solchen, der für seine Temperatur die höchstmögliche Spannkraft besitzt, oder der sich im Maximum seiner Spannkraft befindet.

Wird ein Raum, welcher gesättigten D. nebst der Flüssigkeit, aus welcher derselbe entstanden ist, enthält, höher erwärmt, so verdampft eine neue Flüssigkeitsmenge, und der Raum sättigt sich für diese höhere Temperatur mit D. von größerer Dichte und höherm Drucke. Kühlt man nachher den Raum wieder ab auf die vorige Temperatur, so schlägt sich die neugebildete Dampfmenge als Flüssigkeit nieder, und der Raum bleibt für die niedrigere Temperatur mit der frühern Dampfmenge gesättigt. Jeder Temperatur entspricht eine bestimmte Spannkraft des gesättigten Dampfes; um dieselbe z. B. für Wasserdampf zu ermitteln, bringt man ein wenig Wasser in den luftleeren Raum eines Barometers (Fig. 2), welches daselbst sofort teilweise verdampft und den Raum mit gesättigtem D. füllt. Die Barometerröhre wird mit einem weiten Rohr umgeben, welches Wasser enthält, das man nach und nach von 0° auf 100° erwärmt. Mit wachsender Temperatur sieht man die Quecksilbersäule in der Röhre immer tiefer sinken, bis bei 100° das Quecksilber innerhalb und außerhalb der Röhre gleich hoch steht. Die Spannkraft des Dampfes für irgend eine Temperatur aber findet man, wenn man die Höhe jener Quecksilbersäule von derjenigen in einem gleichzeitig beobachteten Barometer abzieht. Die folgende Tabelle gibt die Spannkraft des gesättigten Wasserdampfes bis 100°, ausgedrückt durch die Höhe der Quecksilbersäule (in Millimetern), welcher sie das Gleichgewicht hält:

Temperatur Spannkraft
° C. Millim.
−30 0,4
−25 0,6
−20 0,9
−15 1,4
−10 2,1
−5 3,1
0 4,5
5 6,5
10 9,2
15 12,7
20 17,4
25 23,6
30 31,6
35 41,8
40 54,9
45 71,4
50 92,0
55 117,5
60 148,8
65 186,9
70 233,1
75 288,5
80 354,6
85 433,0
90 525,5
95 633,8
100 760,0

Wie diese Tabelle zeigt, liefert das Wasser beim Gefrierpunkt (0°) noch D., der die Quecksilbersäule um 41/2 mm herabzudrücken vermag. Selbst aus dem Eis entwickelt sich noch Wasserdampf; um für Temperaturen unter dem Gefrierpunkt die Spannkraft zu messen, umgibt man den obern Teil der Barometerröhre mit einer entsprechenden Kältemischung. Beim Siedepunkt des Wassers (100°) erreicht der gesättigte Wasserdampf den nämlichen Druck wie die atmosphärische Luft oder den Druck einer Atmosphäre, welcher bekanntlich (s. Barometer) dem Druck einer Quecksilbersäule von 760 mm Höhe das Gleichgewicht hält. Das Quecksilber in der Röhre ist jetzt bis zur Oberfläche des äußern Quecksilbers herabgedrückt; bei noch höherer Erwärmung würde der D. im stande sein, den Luftdruck zu überwinden und unten aus der Röhre durch das Quecksilber zu entweichen. Für Temperaturen über dem Siedepunkt ist daher das beschriebene Verfahren zur Bestimmung der Spannkraft des Dampfes nicht mehr brauchbar. Man kann sich alsdann der Vorrichtung Fig. 3 bedienen; eine zweischenkelige Röhre mit einem kurzen und weiten und einem engen, längern Schenkel wird, während die Spitze des kurzen Schenkels noch offen ist, zum Teil mit Quecksilber gefüllt, welches sich in beiden Schenkeln gleich hoch stellt. Über das Quecksilber im kurzen Schenkel bringt man Wasser und erhält dasselbe so lange im Kochen, bis der sich entwickelnde D. alle Luft aus diesem Schenkel ausgetrieben hat, und schmelzt dann die Spitze des kurzen Schenkels rasch zu. Bei 100° steht alsdann das Quecksilber in beiden Schenkeln, von denen der längere offen geblieben ist, gleich hoch, weil der gesättigte D. von 100° dem in den offenen Schenkel hereinwirkenden Druck der Atmosphäre das Gleichgewicht hält. Erwärmt man aber höher, indem man z. B. den untern Teil der Vorrichtung in ein heißes Ölbad taucht, so steigt das Quecksilber im langen Schenkel, und die gehobene Quecksilbersäule gibt den Überschuß des Dampfdrucks über den äußern Luftdruck an. Beträgt z. B. die Höhe dieser Quecksilbersäule 760 mm, so hält die Spannkraft des Dampfes dem doppelten Luftdruck oder einem Druck von 2 Atmosphären das Gleichgewicht, deren eine durch den Druck der atmosphärischen Luft selbst, die andre durch den gleichgroßen Druck der 760 mm hohen Quecksilbersäule dargestellt wird. Überhaupt pflegt man der bessern Übersicht wegen diese höhern Dampfspannungen statt unmittelbar durch die entsprechenden Quecksilberhöhen lieber in „Atmosphären“ (zu je 760 mm Quecksilber) auszudrücken, wie dies auch in der folgenden kleinen Tabelle, welche die Spannkraft des gesättigten Wasserdampfes für höhere Temperaturen gibt, geschehen ist.

[446]

Temperatur Spannkraft
° C. Atm.
100 1
111,7 1,5
120,6 2
127,8 2,5
133,9 3
139,2 3,5
144,0 4
148,3 4,5
152,2 5
155,9 5,5
159,2 6
161,5 6,5
165,3 7
168,2 7,5
170,8 8
175,8 9
180,3 10
213,0 20
236,2 30
252,5 40
265,9 50

Man sieht aus dieser und der vorigen Tabelle, daß die Spannkraft des gesättigten Dampfes mit steigender Temperatur in immer rascherm Verhältnis zunimmt, weil ja nicht bloß die Temperatur (die Wucht der dahinfliegenden Moleküle, s. Wärme), sondern durch erneute Verdampfung auch die Dichte (die Anzahl der in gleichem Raum enthaltenen Moleküle) wächst. Damit aber neuer D. sich bilden und der Raum sich sättigen könne, muß dafür gesorgt werden, daß noch Flüssigkeit vorhanden und mit dem D. in Berührung sei. Wäre nämlich bereits alle Flüssigkeit verdampft, und würde die Temperatur noch weiter gesteigert, so würde sich der D. der Temperaturzunahme proportional ausdehnen, oder es würde, wenn man ihm keine Ausdehnung gestattete, sein Druck in ebendiesem Verhältnis wachsen (Gay-Lussacsches Gesetz); der Raum enthält dann nicht mehr die ganze Dampfmenge, die er bei der herrschenden Temperatur aufzunehmen vermöchte, und ist daher nicht mehr gesättigt. Solchen ungesättigten D. nennt man auch überhitzt, weil seine Temperatur höher ist als diejenige gesättigten Dampfes von gleicher Spannkraft.

Dampf, Pferdekrankheit, s. Dämpfigkeit der Pferde; pfeifender D., s. Kehlkopfspfeifen.