Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bulle, Goldene“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 624
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Bulle, Goldene. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 624. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bulle,_Goldene (Version vom 08.01.2023)

[624] Bulle, Goldene, Urkunde mit angehängtem goldenen Majestätssiegel, insbesondere das deutsche Reichsgrundgesetz, das vom Kaiser Karl IV. auf dem Reichstag zu Nürnberg (10. Jan. 1356) vorbereitet und auf dem Reichstag zu Metz (25. Dez. 1356) vollendet und veröffentlicht wurde. Es umfaßt 30 Kapitel in zwei Hauptabschnitten, von denen der erste von der Wahl des Kaisers und den Kurfürsten, der zweite von der Beschränkung des Faustrechts handelt. Folgendes sind die Hauptpunkte des ersten Teils: Die Wahl des Reichsoberhaupts vollziehen unter Vorsitz des Erzbischofs von Mainz drei Monate nach Erledigung des Throns zu Frankfurt die sieben Kurfürsten, nämlich die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, der König von Böhmen, der Pfalzgraf am Rhein, der Herzog von Sachsen-Wittenberg und der Markgraf von Brandenburg. Die von der Mehrheit vollzogene Wahl hat dieselbe Gültigkeit wie die durch Einstimmigkeit zu stande gebrachte. Jedem Kurfürsten ist ein besonderes Erzamt (d. h. ein Ehrendienst bei feierlichen kaiserlichen Hoflagern) zuerkannt. Die drei geistlichen Kurfürsten sollen das Gebet bei der kaiserlichen Tafel verrichten und als Erzkanzler die Siegel führen, der König von Böhmen soll als Erzschenk, der Kurfürst von der Pfalz als Erztruchseß, der Kurfürst von Sachsen als Erzmarschall, der Kurfürst von Brandenburg als Erzkämmerer fungieren. Die Kurfürsten sollen den Vorrang vor allen Reichsfürsten haben und ihre Personen ebenso unverletzlich sein wie die des Kaisers; ihnen soll das Jus de non evocando zustehen (d. h. die ihren Gerichten unterworfenen Stände sollen nicht, außer im Fall verweigerter Justiz, an den Kaiser appellieren dürfen); sie erhalten die vollen Hoheitsrechte und Regalien. Alle Jahre, vier Wochen nach Ostern, sollen sie mit dem Kaiser über Reichsangelegenheiten beraten. Während der Erledigung des Throns sollen der Kurfürst von der Pfalz im südlichen Deutschland (oder in den Landen am Rhein, in Schwaben und den Landen schwäbischen Rechts) und der Kurfürst von Sachsen im nördlichen Deutschland (oder in den Landen sächsischen Rechts) Reichsverweser (provisores imperii) sein. Die Kurwürde selbst beruht auf dem wirklichen Besitz des Kurlandes, welches unteilbar und reichslehnbar sein und (in den weltlichen Kurfürstentümern) nach dem Rechte der Erstgeburt vererbt werden soll. Der zweite Teil der Goldenen Bulle, der das Faustrecht betraf, verbot nur, wie schon früher geschehen, die Befehdungen, die nicht drei Tage vorher angekündigt worden waren, sowie eigenmächtige, die öffentliche Ruhe störende Verbindungen der Städte und einzelner Personen. Nachdem dieses in lateinischer Sprache ausgefertigte Reichsgesetz zu Metz 25. Dez. 1356 unter vielem Gepränge bekannt gemacht worden war, übergab Kaiser Karl IV. jedem Kurfürsten eine Abschrift desselben mit angehängter goldener Bulle, welche auf der einen Seite Karl IV. mit den Reichsinsignien auf dem Thron sitzend, unter Beifügung seiner Wappen und Titel, auf der andern Seite das Bild der Stadt Rom mit den Worten: Aurea Roma und der Umschrift: Roma caput mundi regit orbis fraena rotundi zeigte. Das bekannteste Original der Goldenen Bulle ist das zu Frankfurt a. M. im Römer aufbewahrte. Gedruckt wurde sie zuerst in Nürnberg 1474. Sie findet sich auch bei Olenschlager, „Neue Erläuterung der Guldenen Bulle“ (Frankf. 1766). Einen Auszug derselben geben Pütters „Historische Entwickelung der heutigen Staatsverfassung des Deutschen Reichs“, Teil 1 (Götting. 1786), und Pfisters „Geschichte der Deutschen“, Bd. 3 (Hamb. 1831). Am vollständigsten für die Wahlfragen ist das urkundliche Material herbeigezogen von Phillips („Die deutsche Königswahl bis zur Goldenen Bulle“, Wien 1858). Vgl. Nerger, Die G. B. (Prenzlau 1877); O. Harnack, Das Kurfürstenkollegium (Gieß. 1883).