Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bradlaugh“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 3 (1886), Seite 302
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Bradlaugh. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 3, Seite 302. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bradlaugh (Version vom 15.06.2021)

[302] Bradlaugh (spr. brä́ddlah), Charles, engl. Politiker, geb. 1833 zu London in den ärmlichsten Verhältnissen als Sohn eines Advokatenschreibers, wurde mit 12 Jahren Laufbursche, mit 13 Schreiber auf einem Schiffsladeplatz, benutzte seine Mußestunden dazu, sich durch gute Bücher zu bilden, ward wegen seiner radikalen Ansichten in Politik und Religion von seinem Brotherrn entlassen, suchte sich als Kohlenhändler und Agent eines Fabrikanten von Hosenträgern zu ernähren, hielt daneben Versammlungen ab, disputierte öffentlich, schrieb Pamphlete („Einige Worte über den Christenglauben“) und trieb trotz alledem noch die eifrigsten Studien: sprachliche, philosophische, nationalökonomische, juristische, historische; er erlernte in dieser Zeit das Französische, Griechische, Hebräische. Während er durch seine rastlose Energie, seine feurige Beredsamkeit sowie durch die unverkennbare Selbstlosigkeit seines Strebens schon eine gewisse Popularität erworben hatte, steigerte sich seine äußere Not; aller Hilfsquellen bar, ließ er sich beim 7. Dragonerregiment als Soldat anwerben, und erst 1853 setzte ihn eine kleine Erbschaft in den Stand, den Militärdienst zu verlassen. Nach Erschöpfung seiner Barschaft trat er in den Dienst eines Advokaten, auf dessen Wunsch er sich bis 1868 in seinen Schriften des Pseudonyms „Ikonoklast“ („Bilderstürmer“) bediente. Während es ihm nun allmählich gelang, sich durch den Ertrag seiner schriftstellerischen Thätigkeit (er veröffentlichte eine große Zahl von Broschüren, seit den 60er Jahren auch eine radikale Wochenschrift: „The national Reformer“) zu nähren, wuchs sein Einfluß in den radikalen Kreisen der Hauptstadt mehr und mehr. Er wurde Präsident der Liga der Freidenker, bereiste wiederholt zu propagandistischen Zwecken Italien und Nordamerika, ging 1871 nach Frankreich, um zwischen der Kommune und der Regierung von Versailles zu vermitteln, gründete im Verein mit seiner gleichgesinnten Freundin, Mrs. Annie Besant, eine Buchdruckerei und Buchhandlung zum Vertrieb radikaler Schriften und trat darauf an die Spitze zweier andrer von ihm organisierter Vereine, der National Secular Society und der Land Law Reform League. Nachdem er zweimal in Preßprozesse verwickelt, beide Male aber in der höchsten Instanz freigesprochen war, wurde er im Frühjahr 1880 für Northampton ins Unterhaus gewählt. Da er die Leistung des Eides ablehnte, beantragten die Konservativen, ihn als Mitglied nicht zuzulassen, und setzten im Gegensatz zu der Regierung einen entsprechenden Beschluß durch, worauf B., als er sich trotzdem im Unterhaus einfand, verhaftet, aber schon am nächsten Tag wieder freigelassen wurde. Erst nach vieler Mühe erwirkte Gladstone als Ministerpräsident, um neue ärgerliche Szenen zu vermeiden und der im ganzen Land lebhaft gewordenen Agitation die Spitze abzubrechen, einen Beschluß, der B. gestattete, statt des Eides ein Gelöbnis abzulegen. Doch mußte er, nachdem durch gerichtliches Erkenntnis dieses Gelöbnis für ungenügend erklärt war, aus dem Unterhaus austreten. 1881 wurde er in Northampton wieder gewählt, aber auf den Antrag Northcotes zur Eidesleistung nicht zugelassen und gewaltsam von dem Parlamentshaus ausgeschlossen. Auch in den nächsten Jahren sind alle Versuche Bradlaughs, seinen Eintritt ins Unterhaus zu erzwingen, obwohl er dabei von der Regierung unterstützt wurde, und obwohl die Wählerschaft von Northampton fest zu ihm hielt, vergeblich geblieben, indem die Mehrheit alljährlich den ihn von der Eidesleistung ausschließenden Beschluß erneuerte. Von Bradlaughs zahlreichen Schriften können wir nur einige besonders bezeichnende anführen: „Anklage des Hauses Braunschweig“ (7. Aufl.; Zweck: Verwerfung des Erbrechts der regierenden Dynastie); „Über Besteuerung“; „Wahre Volksvertretung“; „Warum hungert der Mensch?“; „Toryismus von 1770 bis 1879“; „Das Land, das Volk und der nahende Kampf“; „Textbuch des Freidenkers“; „Ketzerei, ihre Sittlichkeit und ihr Nutzen“; „Über die Existenz eines Gottes als Schöpfer und moralischer Herrscher der Welt“; „Hat der Mensch eine Seele?“; „Jesus, Shelley und Malthus“. Vereinigt sind mehrere Schriften in den „Political essays“ und „Theological essays“. Vgl. „The autobiography of B.“ (Lond. 1873) und Bradlaughs Biographie von Headingley (das. 1880).