Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Birke“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 964965
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Birke. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 964–965. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Birke (Version vom 30.11.2024)

[964] Birke (Betula L., hierzu Tafel „Birke“), Gattung aus der Familie der Kupuliferen, Bäume und Sträucher mit einer meist in hautartigen Blättern sich lösenden, im Alter stets rissigen Rinde, ganzen, rauten- oder herzförmigen, gezahnten oder gesägten Blättern und männlichen Blütenkätzchen, die sich im Sommer entwickeln und den Winter hindurch geschlossen an den entlaubten Zweigen hängen, während die weiblichen Trugdöldchen erst im Frühling erscheinen. 1. Gruppe: weißbuchenblätterige Birken: Bäume mit länglichen und zugespitzten Blättern, deren Mittelnerv zahlreiche einander parallel laufende, durch Queradern verbundene Äste absendet. Die Zuckerbirke (B. lenta L., B. carpinifolia Ehrh.), 20–24 m hoher, rasch wachsender Baum mit braunschwarzer, in dickern, breiten Stücken sich lösender Rinde, welche gewürzhaft und süß schmeckt, ähnelt der Schwarzbirke, noch mehr hinsichtlich der Blätter der Hainbuche, wird in Nordamerika, ähnlich wie der Zuckerahorn, auf Zucker benutzt und liefert auch ein schönes rosafarbenes Nutzholz. B. utilis Don., mit brauner Stammrinde, wird in den nördlichen Teilen des Himalaja zur Anfertigung von Papier benutzt. 2. Gruppe: rautenförmig-eirundblätterige Birken, Bäume, weniger Sträucher, mit kurzen Blättern, von deren Mittelnerv wenige Hauptäste in einem Bogen abgehen, zwischen welchen die netzförmige Äderung weniger deutlich hervortritt. Die Papierbirke (B. papyracea Ait.), ein schöner, schnellwüchsiger, bis 25 m hoher Baum mit weißer, in Häuten sich ablösender Rinde, wächst in Kanada und in den nördlichen Staaten der Union, auch im östlichen Sibirien und im nördlichen Japan. Man löst seine Rinde in 3–5,5 m langen und fast 1 m breiten Stücken ab und fertigt daraus dauerhafte, sehr leichte Kanoes, welche auf Reisen durch das Land von einem Gewässer zum andern getragen werden können. Ein Kanoe für 4 Personen wiegt 20–25 kg. Die Rotbirke (B. nigra L., B. rubra Mchx.), mit schon zeitig sehr rissigem, schwarzem Stamm, wird 18–24 m hoch, wächst in den Vereinigten Staaten von Massachusetts bis Florida. Die Moorbirke (B. pubescens Ehrh.), strauchartig, mit nie oder nur schwach weiß werdendem Stamm, auf den jungen Trieben stets weichhaarig und mit eirunden, oft herzförmigen, spitzen, grob, aber unregelmäßig gezahnten Blättern, welche die Behaarung wenigstens auf der Unterfläche bis in den Herbst behalten, findet sich in den Gebirgen Mitteleuropas, im Norden auch in der Ebene und wächst ungemein langsam; ihr Holz ist wie das der folgenden verwendbar. Die Weißbirke (Rauh-, Stein-, Winter-, Maser-, Harzbirke, Maienbaum, nordische B., B. alba L.), bis 18 m hoher Baum, hat schwarzgraue Äste, eine in hautartigen, weißen Blättern vom Stamm und den ältern Ästen sich lösende Rinde, fast immer behaarte, junge Triebe und Blattstiele und meist einfach, aber ungleich gesägte Blätter, die in der Jugend oft wie mit Firnis überzogen sind. Sie bildet in Nordeuropa und Asien große Wälder, entwickelt bei Entfaltung der Blätter einen angenehmen Geruch und heißt deshalb auch Ruch- oder Moschusbirke (B. odorata Bechst.). Sie wird jetzt häufig mit der Moorbirke zusammengezogen. In unsern Gebirgen erscheint sie sehr oft strauchartig, wächst dann aber in der Regel nicht auf sumpfigen, torfigen Stellen; herunterhängende Äste kommen bei ihr seltener vor. Die Hängebirke (Trauerbirke, B. pendula Roth, B. verrucosa Ehrh., B. alba Bechst., s. Tafel „Birke“) ist der vorigen sehr ähnlich, doch sind die jungen Triebe von Anfang an unbehaart und oft mit durch

[Beilage]

[Ξ]

Birke.
Hängebirke (Betula pendula). 1. Triebspitze mit männlichen (a) und mit weiblichen (b) Kätzchen. – 2. Belaubter Trieb mit einem Fruchtkätzchen (c). – 3, 4, 5, 6. Männliche Blütenhülle von vorn, von der Seite, oben und unten. – *6. Staubgefäß. – 7. Weibliches Kätzchen. – 8, 9. Weibliche Blütenhülle mit 3 zweinarbigen Blütchen von oben und unten. – 10. Diese Hülle allein. – 11, 12. Die aus ihr erwachsene Schuppe eines Fruchtkätzchens von oben und unten. – 13. Geflügelte Frucht. – 14. Triebspitze mit Laub- und männlichen Blütenknospen. – 15. Querschnitt eines dreijährigen Triebes. (1, 2, 14 natürliche Größe.) – 16. Zwergbirke (Betula nana).

[965] Verhärtung von Drüschen entstandenen Erhabenheiten besetzt; die Blätter sind vorherrschend rauten- oder deltaförmig, doppelt gesägt, die Blattstiele nie behaart. Der Baum hat eine mehr verlängerte, eiförmige Krone mit schwachen, oft tief herabhängenden Ästen, und da die Blätter kleiner sind als bei der nordischen B., so ist die Krone durchsichtiger. Die Hängebirke findet sich vorherrschend im mittlern Europa und im Orient, aber auch in Sibirien. Sie bildet wie die vorige Art viele Abarten, welche aber um so schwerer zu unterscheiden sind, als die B. sowohl nach den einzelnen Individuen als nach den verschiedenen Zuständen ihrer Entwickelung und forstlichen Behandlung ungemein veränderlich ist.

Die B. wächst in der Jugend schnell, erreicht ein Alter von 140 Jahren, eine Höhe von 25–30 m und eine Stärke des Stammes von nur ausnahmsweise viel mehr als 40 cm im Durchmesser. Der selten gerade Stamm treibt wenige starke Äste, so daß 60jährige Bäume nur 3–4 Proz. über 8 cm starkes Astholz liefern. Stämme von 5 cbm Holzmasse sind schon in Litauen nicht selten. Die B. hat von allen unsern Waldbäumen die kleinste Wurzelverbreitung; sie ist sehr genügsam, gedeiht am besten in frischem, nicht zu bindigem Lehm- und feuchtem, humusreichem Sandboden; auf zu trocknem oder zu nassem Boden verkrüppelt sie zum niedrigen Busch. Sie findet sich in Deutschland im Flachland ebenso wie in den Gebirgen bis zu 500 m Höhe, ihre Polargrenze stimmt mit der der Nadelhölzer nahe überein. Sie bedarf nur sehr wenig Sonnenwärme, um ihr Wachstum zu beginnen, belaubt sich schon, wenn die Tageswärme über 6° R. steigt, und verliert ihre Blätter im Herbst, wenn dieser Wärmegrad nicht mehr erreicht wird. Dies befähigt sie, wenigstens als Strauch, bis zu den baumlosen Polarländern vorzudringen. Ihre Vegetationszeit beträgt in Westeuropa über sechs Monate, in Lappland aber, wo sie die Baumgrenze erreicht, nur drei Monate. An der Nordseite der Grimsel geht sie bis 1910 m, bei Hammerfest unter 701/2° nördl. Br. noch bis 250 m Höhe. In Deutschland ist die B. früher nur als Mischholz im Einzelstand vorhanden gewesen. Östlich der Weichsel bildet sie ausgedehnte reine Bestände. Ihr Anbau in Deutschland datiert aus dem Anfang dieses Jahrhunderts, wo derselbe ein willkommenes Mittel bot, die durch lange Mißwirtschaft ermüdeten und verödeten Waldböden wieder anzubauen. In neuerer Zeit leistet sie als Mischholz im Hochwald, als Oberholz im Mittelwald, als Schutzbaum beim Schirmschlagbetrieb (s. d.) gute Dienste. Ihr Same, der schon von 20jährigen Bäumen reichlich erzeugt wird, keimt sehr leicht; aber die flach bewurzelten Keimlinge gehen durch Trockenheit und Unkräuter leicht zu Grunde. Stockausschläge bilden sich nur an jungen Bäumen und kommen aus den untersten Teilen des Stockes und den bloßliegenden dicken Wurzelhälsen hervor. Man erzieht die Birken leicht und sicher durch Pflanzung zwei- bis fünfjähriger Pflänzlinge, welche aus den Schlägen genommen werden, wo sie aus Anflug von selbst wachsen. Die B. ist Krankheiten wenig ausgesetzt, auch leidet sie wenig durch Feinde; nur von der Raupe der Nonne, Liparis monacha L., wird sie bisweilen entblättert. Sie liefert ein dichtes, feines, sehr zähes Nutzholz, welches zu Leiterbäumen, Felgen, Deichseln, Radzähnen etc. benutzt wird. Wimmerig gewachsenes Holz dient hauptsächlich zu Möbeln, Maserholz zu Gewehrschäften, Pfeifenköpfen, Dosen etc. Als Brennholz gehört das Birkenholz zu den harten Hölzern, es brennt hell, hitzt stark und gibt, wie auch die Kohle, ein beständig lebhaftes Feuer. Die Birkenreiser werden zu Besen und Deckreisig sowie als Wieden zum Binden gebraucht. Sonst spielten sie als Spießruten eine große Rolle. Die harzreiche weiße Rinde ist fast unverweslich und schützt sogar andres Holz gegen Fäulnis; man legt sie daher den Schwellen und Balken unter, die feucht oder auf Steinen liegen. In den nördlichen Ländern dient sie zu Gefäßen, Kleidungsstücken, Schuhen und vorzüglich zur Unterlage der Rasendächer. In Frankreich pflegt man auch Stricke und Hirtenhörner daraus zu verfertigen. Die Gerber benutzen sie als Zusatz zu der Treibfarbe, welche die Häute auflockert und zur Aufnahme des Gerbstoffes vorbereitet. Die Blätter dienen zur Schaffütterung, zum Gelbfärben und zur Bereitung von Schüttgelb. Ältere Stämme liefern im Frühjahr beim Anbohren das zuckerreiche Birkenwasser, aus welchem Birkenwein bereitet werden kann. Aus der Rinde und Wurzel erhält man durch trockne Destillation den Birkenteer und das Birkenöl, welche zur Bereitung von Juchtenleder, zu Rumessenz und Parfümen, auch arzneilich benutzt werden. Ein aus dem Stamm gewonnenes Harz dient in Rußland gegen Gicht und scheint schon in prähistorischer Zeit als Amulett zu gleichem Zweck benutzt worden zu sein.

Die Strauchbirke (B. fruticosa Pall.) ist nur strauchartig, hat stets mit weißen Erhabenheiten besetzte Zweige und nur in der Jugend schwach behaarte Blätter. Sie findet sich nur im Norden auf Mooren, im südlichen Sibirien, in Daurien und in der Mandschurei, aber auch auf den kalten Hochmooren Bayerns. 3. Gruppe: Zwergbirken, niedrige Sträucher mit rundlichen oder eirunden Blättern, deren Mittelnerv nur wenige gebogene Hauptäste absendet, zwischen welchen ein sehr deutliches Adernetz hervortritt. Hierher gehören: Die Alpenbirke (B. alpestris Fr.), im hohen Norden Europas, in Island und Grönland. Die Zwergbirke (B. nana L., s. Tafel „Birke“), ein fast am Boden kriechender Strauch von höchstens 60 cm Höhe, mit selten über fingerdick werdenden Stämmchen, glatten Zweigen, kleinen, runden, glatten, kurzgestielten, gekerbten Blättern, findet sich auf den höchsten Mooren des Riesengebirges, des Harzes und auf den Alpen, häufiger im nördlichen Europa, in Nordasien, Kanada und in Grönland. Aus den feinen Wurzeln verfertigen die Lappländer schöne Decken.