Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Billard“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 951952
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Billard. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 951–952. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Billard (Version vom 09.04.2023)

[951] Billard (franz., von bille, „Kugel, Ball“), eine gewöhnlich viereckige, auf sechs starken Füßen ruhende, völlig horizontal liegende Tafel von der Form eines Rechtecks und halb so breit als lang, oben von einem elastischen, früher mit Flanell gepolsterten, jetzt aus Gummi gefertigten Rand (Billardbande) eingefaßt und auf der ganzen Oberfläche mit grünem Tuch straff überzogen. An den Banden sind bei dem alten, jetzt fast ganz von dem neuen „französischen“ (ohne Löcher, s. unten) verdrängten B. in gleicher Distanz sechs Löcher (vier in den Ecken, zwei in der Mitte der Längsseiten) angebracht, welche gewöhnlich zu Billardbeuteln führen. Zum Billardspiel bedient man sich elfenbeinerner Bälle von 11/2–2 Zoll Durchmesser (Billardbälle), oft von verschiedener Farbe, welche mittels eigens dazu gearbeiteter Stöcke (Queues) aufeinander und dadurch nach bestimmten Regeln in die Billardlöcher gestoßen („gemacht“) werden. Statt der viereckigen Billards hat man auch sechs-, achteckige, kreisförmige und ovale versucht, ohne daß diese zu allgemeiner Geltung hätten gelangen können. Auch die Quadratgestalt empfiehlt sich nicht, da man bei der nötigen Größe der Tafel zu Bällen, die in der Mitte stehen, nicht ohne Schwierigkeit gelangen könnte, außerdem die Zahl der Löcher entweder vier, was zu wenig, oder acht, was zu viel ist, betragen müßte. Dagegen scheint die Form des regelmäßigen Sechsecks wenigstens für kleinere Billards sich zu empfehlen, indem es eine größere Mannigfaltigkeit des Abstoßes als das Rechteck darbietet. Das Billardspiel beruht im allgemeinen auf den Gesetzen des Stoßes und der Mitteilung der Bewegung zwischen elastischen, aneinander stoßenden Körpern, welche sich, soweit sie auf das B. Anwendung finden, in folgendem zusammenfassen lassen: 1) Trifft eine durch einen Stoß in Bewegung gesetzte Kugel auf eine andre, ihr an Masse und Volumen gleiche, und ist der Stoß ein zentraler, d. h. erfolgt er in der Richtung der die Mittelpunkte beider Kugeln verbindenden geraden Linie, so überträgt die erstere Kugel ihre Bewegung völlig auf die andre; während sie aber an dem Punkt, wo sie diese getroffen, stehen bleibt, bewegt sich die andre in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit, welche jene vor dem Stoß besaß, weiter. 2) Trifft die gestoßene Kugel auf einen unbeweglichen, ebenen, elastischen Körper, so wird sie mit derselben Geschwindigkeit und unter demselben Winkel abprallen, unter welchem sie anprallte. 3) Trifft die gestoßene Kugel nicht zentral, sondern schief auf eine andre, so bewegt sich diese mit geringerer Geschwindigkeit, als mit der jene auf sie traf, in der Richtung der durch die Mittelpunkte beider Kugeln gezogenen geraden Linie weiter, während jene so zurückgeworfen wird, als wäre sie auf eine durch den Berührungspunkt beider Kugeln gelegte Ebene getroffen. Man sagt dann, der zweite Ball sei durch den ersten geschnitten. Durch den geraden Stoß wie durch den Schnitt sucht man einen Ball in das Loch zu bringen; es kann dies aber auch durch einfachen oder mehrfachen Rückstoß (Dublee, Triplee, Quadruplee oder Quarte) geschehen, indem man den Ball so zu treffen sucht, daß er 2, 3 oder 4 Gänge über das B. macht, indem er, ein-, zwei- oder dreimal an die Bande stoßend, ebenso oft unter demselben Winkel zurückgeworfen wird. Hinsichtlich des Triplee und Quadruplee ist zu bemerken, daß nach einem einfachen geometrischen Satz und auf Grund der oben angegebenen Gesetze für den Rückprall elastischer Körper bei ersterm der dritte Gang stets parallel dem ersten, beim Quadruplee ebenfalls der dritte Gang parallel dem ersten und der vierte dem zweiten sein muß. Wird ein Ball ruhig über das B. hingerollt, so dreht er sich wie ein Wagenrad nach vorn, und zwar legt er bei jeder Umdrehung eine ebenso große Strecke zurück, wie sein Umfang beträgt. Es ist dies Folge der Reibung, welche der Ball auf dem Billardtuch zu überwinden hat. Hält man aber das Queue nicht ganz horizontal und richtet den Stoß nicht genau auf die Mitte des Balles, so treten folgende Fälle ein: ein oberhalb seiner Mitte mit dem Queue gestoßener Ball wird dadurch nach vorn getrieben und dreht sich in derselben Richtung; wird aber der Stoß mit möglichst nach unten geneigtem Queue stark und schnell ausgeführt, so erhält der Ball eine Drehung, welche der, mit welcher er fortrollen müßte, entgegengesetzt ist und diese nicht nur ganz aufheben, sondern sogar überwiegen kann, so daß er sich, obwohl er vorwärts läuft, doch nach rückwärts dreht, aber begreiflicherweise auch nicht mehr rollt, sondern gleitet oder rutscht. Außerdem kann der Stoß den Ball auch noch auf der Seite, rechts oder links von der senkrechten Mittellinie, treffen, und in diesem Fall erhält derselbe zugleich eine Rotation um seine senkrechte Achse, welche sich mit der rollenden Drehung kombiniert und auf diese Weise eine schiefe Rotation um eine geneigte Achse bewirkt. Die Wirkung solcher modifizierter Stöße, die man als Hoch-, Tief- oder Klapp- und Effetstöße bezeichnet, wird aber, wenn der Stoß mit der erforderlichen Kraft ausgeführt wird, erst anschaulich, wenn der Ball auf einen andern Ball oder auf eine Bande trifft. Bei zentralem Stoß müßte nach dem oben angeführten ersten Gesetz der Spielball auf dem Punkt stehen bleiben, auf dem er mit dem andern zusammengestoßen ist; doch findet dies bei dem regelmäßigen Stoß deshalb nicht statt, weil der Spielball durch denselben immer eine Drehung erhält und, indem er diese nach dem Zusammentreffen mit dem andern Ball wenigstens teilweise beibehält, weiter rollt. Wohl aber kann man jenes Resultat durch Anwendung des Tiefstoßes erzielen, ja man kann selbst durch einen geschickt und mit der gehörigen Stärke ausgeführten Tiefstoß bewirken, daß die Drehung nach rückwärts, welche der Ball dadurch erhalten hat, durch den Zusammenstoß mit dem getroffenen Ball nicht völlig aufgehoben wird, so daß sie jetzt wieder zur Geltung kommt und der Ball auf demselben Weg, auf welchem er vorwärts lief, wieder rückwärts läuft. Der Hochstoß bringt dagegen stets ein Weiterlaufen nach vorn hervor, das freilich nach geschehenem Zusammenstoß mit dem andern Ball langsamer wird, als es vorher war. Den Effetstoß (das links oder rechts „Effetgeben“) beobachtet man leicht, wenn man seinen Ball lotrecht nach der Bande spielt. Ist der Ball hierbei links abgestoßen, so prallt er nach links ab; ist er rechts abgestoßen, so geht er nach rechts. In der Mitte gestoßen, müßte er gerade zurückkommen. Diese Effetstöße sind von größter Wichtigkeit für das Karambolagespiel auf beutellosem B., wo es nicht so sehr darauf ankommt, den zu treffenden, [952] als vielmehr den eignen Ball richtig zu dirigieren, damit dieser auch den dritten noch berührt. Gute Spieler berechnen natürlich nebenbei auch, wo der erstgetroffene Ball hinkommt, um einen leichten nächsten Stoß zu haben. Häufig kommen sogen. Quetscher vor. Nimmt man nämlich einen nahe an der Bande stehenden Ball, den man nach der Mitte oder Ecke dublieren will, zu voll (d. h. zu wenig auf Schnitt), so treffen beide Bälle nach dem Zusammenstoß fast stets nochmals aufeinander, und da hierbei der Spielball einen neuen Impuls in der Richtung nach der Ecke erhalten kann, so wird er seine ursprüngliche Richtung ändern und zwar, wenn der an der Bande befindliche Ball zu seitlich getroffen ward, in einer Kurve dem Eckloch zulaufen. Die Drehung, welche zwei Bälle beim Zusammentreffen einander erteilen, ist besonders beim Karambolieren von Wichtigkeit, welches darin besteht, daß der Spielball nach seinem Abprall von dem gespielten noch einen andern auf dem B. befindlichen Ball berührt.

Von den beim B. geltenden allgemeinen Regeln und üblichen Kunstausdrücken sind außer den schon erwähnten noch folgende zu nennen. Das B. ist seiner Länge nach durch eingenähte Linien in vier gleiche Teile geteilt, deren unterster, nach dem Aufstellungsort der Queues zu gelegener die Kammer (Quartier) heißt. Am andern Ende ist mitunter mit einem 3/8 der Breite des Billards betragenden Radius ein Halbkreis gezogen, der sogen. Kessel. Das Aussetzen (Preisgeben) des eignen Spielballes (Acquitgeben), womit das Spiel meist beginnt, geschieht stets von der Kammer aus, indem man den Ball entweder in gerader Richtung nach der gegenüberliegenden kurzen Bande stößt, oder ihn erst an der langen Seitenbande abschlagen läßt. Colléstöße sind solche, bei denen der Spielball sehr nahe, Preßcolléstöße solche, bei denen er ganz dicht an der Bande steht. Wenn der Spielball so weit von der Bande entfernt steht, daß man ihm nicht auf die gewöhnliche Weise beikommen kann, so bedient man sich des Pistoletstoßes, wobei man das Queue ziemlich im Schwerpunkt mit den drei ersten Fingern faßt und, es so frei in der Schwebe haltend, mit der Spitze stößt, weniger ehrenvoll des mit dem untern dickern Ende des Queues ausgeführten Tournéstoßes. Wird ein Ball von einem andern maskiert, d. h. haben beide eine solche Stellung, daß man keinen von ihnen direkt in das betreffende Loch spielen kann, so sucht man einen durch den andern, per Terz, per Schuß, zu machen. Einen Ball brikolieren oder per Bricolet machen heißt den Spielball auf die Art an die Bande spielen, daß er erst beim Abschlag den andern trifft. Steht dabei der zu machende Ball dicht vor dem Loch, und erfolgt der Anschlag an die Bande unmittelbar neben ihm, so ist jener per Bande gemacht. Wird ein Ball vom Spieler bewegt, ehe er abstößt, so kann der Gegner touché rufen, und der Stoß ist verloren. Läuft der Spielball selbst in ein Loch, so ist dies ein Verläufer, der für den Gegner zählt. Dasselbe ist der Fall, wenn der Spielball keinen andern trifft, sowie beim Nonpasséstoß, bei welchem jener diesen gar nicht erreicht. Billardieren nennt man das unerlaubte Nachschieben mit dem Queue. Ein Fuchs ist ein Ball, welcher geht, ohne daß der Spieler die Absicht hatte, ihn zu machen. Einen Ball über die Hand nehmen heißt ihn so dublieren, daß er nach der Seite derjenigen Hand, mit welcher man das Queue führt, nach dem Loch läuft. Ein Ball wird versprengt, wenn er über die Bande hinausgetrieben wird.

Die Arten des Billardspiels sind zahlreich. Die gebräuchlichsten sind: die Partie blanche (simple oder en deux), die nur mit 2 Bällen gespielt wird und bis 12 oder 16 zählt, indem jeder gemachte Ball 2 Points zählt; das Karolinespiel (eigentlich Karamboline), das mit 5 Bällen (2 Spielbällen, 2 Karambolbällen und der Karoline) gespielt wird und bis 48 zählt, indem der gemachte Karambolball 3, die Karoline, die aber nur in die Mitte gespielt werden darf, 6, der Spielball 2 Points gilt, und wobei auch die Karambolagen häufig mitgerechnet werden (alle Rechnungen aber ebenso wie Färbungen der Bälle etc. sind nie überall gleich gewesen); das Karambolagespiel, das vornehmste Spiel der Gegenwart, wird jetzt immer auf einem B. ohne Löcher gespielt; man spielt mit drei Bällen (wovon einer gefärbt und zwei Spieler) und auf 24, 30, 50 etc. Points; die Karambolagepartie mit 2 Spielbällen, einem roten und einem blauen, bis zu 36 Points; die Poulepartie, ein Gesellschaftsspiel, das von einer beliebigen Anzahl Personen um einen Einsatz gespielt wird. Weniger gebräuchliche Spielarten sind das Verlaufs- oder Fuchsspiel (à la Russe), wobei die Verläufer dem Spieler zählen, Guerre, Ronde, Pyramide, Besetzpartie und Chasse. Die Kegelpartie, welche auf löcherlosem B. besser auszuführen ist als auf dem alten, außerdem zu temporärem Erfolg wenig Kunst verlangt, beherrscht jetzt die Billardunterhaltung des deutschen Bürgerstandes.

Das Billardspiel war, wie wir bestimmt wissen, schon im 16. Jahrh. bekannt. Engländer und Franzosen streiten sich um die Ehre der Erfindung desselben; erstere leiten B. von bal-yard (Stock, mit dem man das Spiel früher trieb), letztere natürlich von bille (Kugel) ab. Die ältesten Billards hatten auf der Mitte des Tisches einen kleinen Bogen (die Pforte), durch welche der Spieler die Kugel mit gebogenem Stock nach einem Kegel (dem König) trieb. Dieses primitive Spiel wurde allmählich vervollkommt und umgebildet. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts treten zuerst die geraden Stangen (Queues) und die elastischen Banden auf. Seit 1818 übte man das Bekreiden der Queues, und 1827 führte der Franzose Mengaud die Lederspitze am Queue ein, wodurch die Effetstöße ermöglicht wurden. In Deutschland war das B. anfänglich auf die französierenden Kreise des Adels beschränkt und wurde erst nach den Befreiungskriegen in Kaffee- und Gasthäusern allgemein. Es verdient solche Beachtung, da es eine der Gesundheit entschieden zuträgliche, die Gewandtheit befördernde und nicht zu anstrengende Bewegung bietet. In Frankreich kamen die neuen beutellosen Billards früher auf als bei uns, weshalb man sich gewöhnt hat, von deutschen und französischen Billards zu sprechen; ein spezifisch deutsches B. gibt es aber nicht. Das in den Billardzimmern ausgehängte Billardreglement enthält die Regeln, nach denen die einzelnen Partien gespielt werden. Vgl. Bogumil, Das Billardbuch. Vollständige Theorie und Praxis des Billardspiels (Leipz. 1875).