Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bibliothek“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 890891
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Bibliothek. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 890–891. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bibliothek (Version vom 14.04.2023)

[890] Bibliothek (griech.), zunächst der Ort, wo Bücher aufbewahrt werden, dann auch die Sammlung der Bücher selbst (Liberei). Wesentlich ist dabei der Zweck der Aufbewahrung und Benutzung, wodurch sich eine B. von bloßen Bücherlagern unterscheidet. Es gibt und gab Bibliotheken im Privatbesitz (Privatbibliotheken) und solche zum öffentlichen Gebrauch (öffentliche Bibliotheken). Ihre Entstehung hängt immer mit einem hohen Bildungsgrad, reicher Litteraturentwickelung und bequemem Schreibmaterial zusammen.

Die Geschichte der Bibliotheken geht in das frühste Altertum zurück. Bereits die alten Ägypter besaßen große Büchersammlungen, aus denen die Papyrusrollen (s. d.) auf uns gekommen sind, welche bis 1866 v. Chr. hinaufreichen. Auch die in den Ruinenstädten von Assyrien und Babylonien entdeckten Tafeln und Cylinder mit Schriftzeichen sind Überreste einer Art von Bibliotheken. Bei den Griechen finden sich zur Zeit der Freiheit nur wenige Spuren von Privatbibliotheken in den Nachrichten der klassischen Autoren, während über die erste öffentliche, von Pisistratos zu Athen angelegte Büchersammlung bedeutende Zweifel herrschen. Nach dem Untergang der Freiheit wurde die griechische Kultur in die Nachbarländer, nach Asien, Ägypten und Italien, verpflanzt, was die Gründung von Bibliotheken zur Folge hatte. Die bedeutendsten waren die beiden alexandrinischen Bibliotheken, von den Ptolemäern gestiftet, und die B. zu Pergamon, welche den pergamenischen Königen Entstehung und Wachstum verdankte (vgl. Parthey, Das alexandrinische Museum, Berl. 1838, und Ritschl, Die alexandrinischen Bibliotheken, Bresl. 1838). In Rom erwachte der Sinn für Büchersammlungen erst nach dem zweiten Punischen Krieg. Der erste Begründer einer öffentlichen B. war Asinius Pollio. Unter Augustus, der selbst die Oktaviana und dann die palatinische B. einrichtete, gehörte es zum guten Ton, eine B. im eignen Haus zu haben. Die Einrichtung eines römischen Bibliothekzimmers lehren teils Vitruv und Plinius, teils die in Herculaneum ausgegrabene B. kennen. Die Aufsicht war nur Freigelassenen anvertraut. Im 4. Jahrh. soll es in Rom 29 öffentliche Bibliotheken gegeben haben, die von den vornehmen Römern fleißig besucht wurden. Wichtig für die Bibliothekengeschichte des klassischen Altertums ist die Monographie von Th. Birt: „Das antike Buchwesen in seinem Verhältnis zur Litteratur“ (Berl. 1882). Die Stürme der Völkerwanderung brachten den alten Bibliotheken Verderben. Im Mittelalter waren es die Mönche, welche die noch übrigen Denkmäler der heidnischen Litteratur erhielten; so z. B. in den Klöstern des Athos (vgl. Boltz, Die Bibliotheken der Klöster des Athos, Bonn 1881). Namentlich zeichneten sich die Benediktiner dadurch aus, daß ihre Ordensregel den Konventualen das Studium der Klassiker und das Kopieren von Handschriften zur Pflicht machte, um dem Müßiggang vorzubeugen. Namhafte Klosterbibliotheken befanden sich zu Monte Cassino, Korvei (in Westfalen), Fulda, wo Hrabanus Maurus Mönche als Schreiber beschäftigte, vor allem aber zu St. Gallen, wo Abt Gosbert (816–836) den Grund zu der berühmten B. legte, die alle damaligen Sammlungen übertraf. Im 14. Jahrh. hatte jedes Stift wenigstens ein Skriptorium, über welches der Armarius die Aufsicht führte; das Schreibmaterial lieferte der Camerarius oder Cellarius, die Auswahl der zu schreibenden Bücher besorgte der Abt, und die Bibliothekverwaltung lag ebenfalls dem Armarius ob. Das Aufleben der antiken Studien in der Zeit des Humanismus begünstigte den Sammeleifer. Gelehrte, wie Poggio, Philelphus, fingen an, Bücher zusammenzubringen, [891] und ihrem Beispiel folgten Fürsten und reiche Patrizierfamilien. In Florenz sammelten die Mediceer, aus deren Thätigkeit die Mediceo-Laurentiana hervorging. Papst Nikolaus V., der gegen 3000 Handschriften aufkaufte, schuf damit die große vatikanische B. In Ungarn hielt König Matthias Corvinus in Italien gebildete Schönschreiber in seinem Sold, um seine B., die vielberufene Corvina, zu bereichern. Dieser kostbare Bücherschatz, weniger durch innern Wert als äußere Pracht ausgezeichnet, ward bei der Eroberung Ofens durch die Türken (1526) in alle Winde zerstreut, so daß sich Reste in den bedeutendern Bibliotheken Europas vorfinden. Die 35 Werke, welche Sultan Abd ul Hamid II. in unsern Tagen den Ungarn zurückerstattet hat, sind nur ein höchst dürftiger Überrest von den 50,000 Bänden der ehemaligen Corvina. Über die Bibliotheken des Mittelalters überhaupt gibt erschöpfende Auskunft W. Wattenbach, Das Schriftwesen im Mittelalter (2. Aufl., Leipz. 1875).

Eine neue Epoche in der Geschichte der Bibliotheken begann mit Erfindung der Buchdruckerkunst. Denn von nun an war die Sammlung einer B. nicht mehr mit so großen Kosten und Schwierigkeiten verknüpft wie früher. Nach Aufhebung der Klöster infolge der Reformation fielen deren Bibliotheken entweder den Städten und Kirchen oder den Landesherren und gelehrten Bildungsanstalten zu, wodurch eine allgemeinere[WS 1] Brauchbarkeit der Bücherschätze herbeigeführt wurde. Der Dreißigjährige Krieg vernichtete manche frisch aufblühende Sammlung, z. B. die Heidelberger, deren vorzüglichste Manuskripte 1622, nach der Einnahme der Stadt durch Tilly, nach Rom in den Vatikan gebracht wurden. Mit dem Ausbruch der französischen Revolution ging ein großer Teil der mit Mühe und Kosten hergestellten Bibliotheken zu Grunde. 1797 entführten die Sieger mehrere Tausend Manuskripte aus dem Vatikan nach Paris, und ähnlichen Plünderungen waren 1809 auch nicht wenige deutsche Bibliotheken, zumal die Wiener, ausgesetzt. Napoleons I. Fall bewirkte, daß die früher geraubten Schätze zurückgegeben wurden; so erhielt Heidelberg nicht nur die im letzten Krieg nach Frankreich gebrachten, sondern auch einen Teil der im Dreißigjährigen Krieg in den Vatikan gekommenen Manuskripte zurück. Ein Beispiel aus neuester Zeit ist der Untergang der wertvollen Straßburger B., die während des deutsch-französischen Kriegs in der Nacht des 24. Aug. 1870 verbrannte.

Unter den Bibliotheken der Gegenwart gebührt neben den großen Zentralbibliotheken den deutschen Universitätsbibliotheken ein hervorragender Platz. Ihre Entstehung schließt sich überall an die Stiftung der Universitäten als solcher an und reicht daher teilweise bis ins 14. Jahrh. zurück. Neuern Datums sind die Universitätsbibliotheken zu Berlin (1810), Bonn (1818), Erlangen (1743) und die durch Gehalt und Zahl wie durch die Art ihrer Einrichtungen gleich ausgezeichnete zu Göttingen (1737). Die jüngste ist die neue Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg, die mit der Wiederherstellung der Universität (1872) ins Leben trat und durch freiwillige Gaben sowie durch reiche eigne Mittel bald einen ungeahnten Aufschwung nahm. Auch bei den übrigen Universitätsbibliotheken hat die Erkenntnis ihrer Bedeutung für die Aufgaben der Universitäten während des letzten Dezenniums einerseits zu besserer Dotierung, anderseits zur Reform ihrer Verwaltung im Sinn der „Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufs“ den Anstoß gegeben. Vgl. Heinze, Mittel und Aufgaben unsrer Universitätsbibliotheken (in der Tübinger „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft“, Bd. 26, 1870). Unter den großen Zentralbibliotheken steht nach den neuesten Schätzungen die Pariser Nationalbibliothek mit 2,500,000 Bänden und 92,000 Manuskripten obenan. Demnächst zählt das Britische Museum zu London 1,356,000 Bände. Der Bestand der königlichen Bibliothek in Berlin wird auf 900,000, der der Stuttgarter öffentlichen Bibliothek auf 300,000 Bände angegeben. Einer besondern Erwähnung bedürfen noch die Volks- und Gemeindebibliotheken, welche teils durch Privat-, teils durch Gemeindemittel, teils auf dem Weg der Vereinsthätigkeit seitens der Volksbildungsvereine geschaffen wurden, um die Massen aufzuklären und dem Volk eine gesunde und billige Lektüre darzubieten (vgl. Preusker: Über öffentliche, Vereins- und Privatbibliotheken, Leipz. 1839–40, 2 Hefte; Die Dorfbibliothek, das. 1843; Bürgerbibliotheken, Meiß. 1850; Jannasch, Die Volksbibliotheken, Berl. 1876). S. Volksschriften.

Nachweise über die Bibliotheken aller Zeiten und Länder bringt Edw. Edwards in seinen „Memoirs of libraries“ (Lond. 1859, 2 Bde.), zu denen als Ergänzungswerke von demselben Verfasser hinzutreten: „Libraries and founders of libraries“ (das. 1865), „Free town libraries“ (das. 1869) und „Lives of the founders of the British Museum, 1570–1870“ (das. 1870, 2 Bde.). Ein Verzeichnis der Bibliotheken in Europa vom Mittelalter bis auf die Neuzeit mit Litteraturangaben lieferte Vogel („Litteratur europäischer öffentlicher und Korporationsbibliotheken“, Leipz. 1840). Für die deutschen Bibliotheken der Gegenwart besitzen wir Petzholdts „Handbuch deutscher Bibliotheken“ (Halle 1853) und „Adreßbuch der Bibliotheken Deutschlands mit Einschluß von Österreich-Ungarn und der Schweiz“ (Dresd. 1874–75); speziell für die österreichischen Grassauers „Handbuch für österreichische Universitäts- und Studienbibliotheken“ (Wien 1883); für die nordamerikanischen außer Rhees’ „Manual of public libraries“ (Philad. 1859) das offizielle Quellenwerk „Public libraries in the United States of America“ (Washingt. 1876, 2 Tle.). Schätzbares Material zur Geschichte und Beschreibung älterer und neuerer Bibliotheken enthält Naumanns „Serapeum“ (Leipz. 1840–70, 31 Jahrg.) und Petzholdts „Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekwissenschaft“ (Dresd., seit 1840).

Zu wünschen bleibt eine einheitliche und durchgreifende Ausbildung der Bibliothekstatistik, die über die ersten Anfänge nicht hinausgediehen ist. Namentlich würde eine regelmäßige Veröffentlichung der Dotationsverhältnisse, des Personalstandes, der Zuwachs- und Benutzungsziffern von erheblichem Wert sein. Wir haben von dergleichen Arbeiten zu nennen: „Statistica del regno d’Italia, Biblioteche, Anno 1863“ (Flor. 1865); Heitz, Über die Resultate der Statistik der öffentlichen Bibliotheken der Schweiz (Bern 1871); Derselbe, Die öffentlichen Bibliotheken der Schweiz im Jahr 1868 (Basel 1872); Pizzala, Stand der Bibliotheken der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder zu Ende des Jahrs 1870 (Wien 1873–74, 2 Tle.).

B. ist auch Titel für Sammelwerke oder für solche Schriften, welche Nachrichten über Schriftsteller einer gewissen Gattung oder über deren Werke, oft mit Auszügen belegt, enthalten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: allge-|gemeinere