Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Bauernhaus“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 470472
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Bauernhaus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 470–472. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Bauernhaus (Version vom 30.11.2024)

[470] Bauernhaus (hierzu Tafel „Bauernhaus“). Noch in der spätrömischen Zeit bestanden in vielen Gegenden Deutschlands Häuser, die an die Hütten der Urvölker im innern Afrika erinnern. Nach den Abbildungen auf der 179 errichteten Antoninssäule glichen die Häuser der besiegten Quaden zum Teil großen, strohbedeckten Bienenkörben, die unten und in ihrer Mitte eine fast nur einem Flugloch gleichende Thür besaßen. Dagegen läßt die Beschreibung der Behausungen der alten Germanen bei Tacitus die Bauart im heutigen nordwestlichen Deutschland unschwer wiedererkennen. Während in den römischen Dörfern die Häuser in dichten Reihen standen, war hier jedes Haus eines Dorfs von einem besondern Hofraum und Garten umgeben. Abweichend von der römischen Bauart, bargen die altdeutschen Wohnungen die ganze Wirtschaft unter Einem Dach, eine Anordnung, zu welcher der lange und harte Winter nötigte. Damit hing die Lage und Einrichtung des Herdes eng zusammen, welcher, als Sammelplatz sämtlicher Hausbewohner, zugleich den Mittelpunkt des Hauses bildete. Die Wände waren aus gestampfter Erde aufgeführt oder bestanden aus Fachwerk, dessen Fächer mit aus Zweigen hergestelltem Flechtwerk ausgefüllt und mit Lehm verstrichen waren. Die Hütten waren mit Stroh, Schilf oder Rohr, welches man im Winter mit Mist bedeckte, die bessern Häuser bisweilen mit hölzernen, durch Steine beschwerten Schindeln gedeckt, eine Bedeckung, welche sich mitunter, wie noch heute in den Alpen, im Schwarzwald und andern Gebirgsgegenden, auch auf die Außenwände des Hauses fortsetzte. Erst durch die Römer scheint, zunächst in Süddeutschland, die Ziegeldeckung eingeführt worden zu sein. Übrigens staken alle diese Häuser noch teilweise in der Erde und waren, wie noch heute an einzelnen Häusern norddeutscher Dörfer, mit Stufen versehen, worauf man in das Innere hinabstieg. Erst nach der Völkerwanderung lernten die Deutschen von den Slawen, ihre Häuser aus der Erde herauszuarbeiten und, unter Anwendung von Steinen und Mörtel, Häuser ganz über der Erde zu bauen. Neben dem eben erwähnten einfachsten B., welches noch jetzt den Grundtypus des westfälischen oder altsächsischen Bauernhauses bildet, entwickelte sich als entgegengesetzter Grundtypus in einem mildern Klima der thüringische und fränkische Bauernhof, bei welchem ein viereckiger Hofraum von Zaun und Gebäuden umschlossen und diese letztern gesondert und den verschiedenen Wirtschaftszwecken entsprechend angelegt waren. Als Übergangstypen, bei welchen zwar noch das alle Räume überdeckende Dach festgehalten erscheint, jedoch die Anordnung der innern Räume eine Trennung, insbesondere der Stallung und Scheune von den

[Beilage]

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Bauernhaus.
Fig. 1. Westfälisches und sächsisches Bauernhaus.
Fig. 2. Holsteinisches Bauernhaus.
Fig. 3. Schleswigsches Bauernhaus.
Fig. 4. Hinterpommersches Bauernhaus.
Fig. 5. Wendisches Bauernhaus.
Fig. 6. Fränkisches Bauernhaus.
Fig. 7. Oberdeutsches Bauernhaus (Schwarzwald).
Fig. 8. Thüringisch-fränkischer Bauernhof.
Fig. 9. Schweizer Bauernhaus.

[471] Wohnräumen, bezweckt, treten das slawische, mitteldeutsche und bayrische Alpenhaus auf, welchen sich in Süddeutschland und in der daran grenzenden Alpenregion das schwäbische oder Schweizerhaus in seinen verschiedenen Abarten anreiht.

1) Das westfälische oder sächsische B. (Fig. 1) gruppiert die für Menschen, Viehstand und Vorräte bestimmten, sämtlich unter Einem Dach untergebrachten Räume um einen zu den verschiedensten Arbeiten bestimmten Mittelraum, die Diele (Deile) oder Ähre, dessen Mittelpunkt der Herd bildet. Gewöhnlich sind die Wohnräume an der einen Schmalseite, die Stallungen an den beiden Langseiten so angebracht, daß die zwischen denselben gelegene Diele eine T-förmige Gestalt erhält und mit drei Eingängen, zweien an den beiden Langseiten und einem an der andern Schmalseite, versehen werden kann. Vor dieser letztern befinden sich die Düngerstätten, im Dachraum die Vorräte. Bauernhäuser dieser Art finden sich noch heute in Westfalen, Hannover, Pommern, Mecklenburg und Schleswig-Holstein (Fig. 2, 3, 4). In der Nähe des Haupthauses, jedoch von ihm getrennt, befinden sich die kleinern Häuser der Knechte, Heuer, Gärtner oder der betagten Eltern (Altsitzer), welche, gleich den Häusern der Kleinbauern (Köter, Kotsassen), sich in ihrem Plan durch nichts andres von den größern Häusern unterscheiden als durch die dem geringern Bedürfnis angemessene Verkleinerung der Wirtschaftsräume, insbesondere der Viehstände.

2) Das slawische B. (wendisches B., Fig. 5) enthält zwar eine kleinere Hausflur, auf derselben aber noch den Herd, während die Stallung und die Dreschtenne schon von ihm abgeschieden sind. Noch jetzt finden sich derartige Bauernhäuser im tschechischen Böhmen, in der wendischen Lausitz und vereinzelt in den früher von Slawen, Sorben und Wenden bewohnten Gegenden von Preußen, Sachsen und Thüringen.

3) Das mitteldeutsche B. (fränkisches B., Fig. 6) besitzt zwar noch eine Hausflur; der Herd ist aber von derselben durch eine Scheidewand getrennt, also in eine Küche verlegt. Sowohl die Stallungen als die Scheune grenzen nicht mehr dicht an die Wohnräume an und sind oft mit besondern Eingängen versehen. Wo das Haus an einem Bergabhang liegt, ist es bisweilen mit dem die Stallung enthaltenden Teil in den Berg hineingeschoben, so daß die Scheune ihren Eingang nicht selten im obern Stock erhält. Beispiele solcher Häuser finden sich noch im sächsischen Erzgebirge, im Westerwald, in Franken und Deutsch-Böhmen.

4) Das oberdeutsche B. (bayrisches Alpenhaus, Schwarzwälder B., Fig. 7) zeigt, wenn auch alle Räume noch unter Einem Dach vereinigt sind, die vollständige Trennung der Wohnung, welche außer mehreren Wohnräumen eine kleinere Hausflur mit dem Haupteingang gewöhnlich auf einer Schmalseite und eine eigne Küche besitzt, von Stallung und Scheune, von denen erstere einen Eingang sowohl von der Hausflur als von außen, letztere ihre besondere Einfahrt an der dem Hauptzugang zur Wohnung gegenüberliegenden Schmalseite hat.

5) Der thüringisch-fränkische Bauernhof (Fig. 8) vollzieht die Trennung der einzelnen Baulichkeiten entweder teilweise, indem er sie, im Innern geschieden, um einen unbedeckten großen Hofraum aneinander reiht, oder vollständig, indem er jene den verschiedenen Wirtschaftszwecken entsprechenden Baulichkeiten einzeln aufführt. Im erstern Fall bleibt ein gewisser Zusammenhang gewahrt, indem die Gebäude in eng geschlossener Reihe den Hof umziehen, insbesondere der Stall unmittelbar, meist auf derselben Seite des Hofs, an das Wohnhaus, die Scheune aber, meist auf der andern Seite des Hofs, an den Stall angebaut ist. Im zweiten Fall erfolgt die Trennung auch des Stalles vom Wohnhaus, welches entweder mit der Scheune verbunden, oder auch von ihr getrennt wird. In beiden Fällen erhält die vierte, mit Gebäuden nicht besetzte Seite eine Haupteinfahrt, während die übrigen Grenzen des Hofraums mit Zaun oder Mauer abgeschlossen werden, die Düngerstätte aber ihre Lage inmitten oder zur Seite des Hofs in möglichst geringer Entfernung von den Ställen. Die Wohnung enthält meist eine kleinere Flur mit den Treppen, auf welchen man in den Keller und Dachraum gelangt, sowie mit einer kleinen, Sommerherd und Backofen enthaltenden Küche, die große, mit Kochofen und Ofenbank ausgestattete Wohnstube, Schlaf-, Vor- und Mägdekammer. Die vorbeschriebenen Anlagen finden sich mit mancherlei Modifikationen vorzugsweise in Rheinpreußen, der Pfalz, Oberhessen, Kurhessen und Thüringen.

6) Das schwäbische und schweizerische B. (Fig. 9) unterscheidet sich von den zuvor besprochenen Häusern durch die beinahe durchgängige Anlage zweier Stockwerke für die Wohnungen, zu deren über den Kellerräumen befindlichem untersten Stockwerk frei liegende, vom Dach überragte Treppen und Seitenlauben führen; dasselbe enthält die meist gegen Süden angelegte Wohnstube mit dem Kachelofen und einem an zwei Seiten mit festen Bänken umgebenen Tisch, eine Schlafstube und die Küche mit zwei einarmigen, zu den Kellerräumen und zu dem obern Stockwerk führenden Treppen, welch letzteres außer den Bodenräumen zwei am vordern Giebel angebrachte Schlafkammern enthält. Neben diesem fast in allen deutschen Teilen der Schweiz angenommenen Typus des Wohnhauses findet sich vorzugsweise im Berner Oberland noch derjenige verbreitet, welcher die Küche in das Zentrum des Hauses verlegt, von welcher nebst dem kurzen anstoßenden Gang aus man Zutritt zu den umliegenden Zimmern und Kammern hat.

Während in der Zentralschweiz und in höher liegenden Thälern und Gebirgsgegenden das Wohnhaus meist von dem Heuspeicher und der Stallung getrennt ist, schließen sich in den Kantonen des Flachlandes, besonders im Aargau, auch im Engadin, Scheuern und Stallungen unter gleichem Dach an die Giebelseite des Hauses an. Hier wiederholt sich auf der Traufseite des Hauses nicht selten die ganz gleiche Einrichtung in umgekehrter Ordnung für eine zweite Familie und deren Viehstand. Dann bildet die eine von den Wohnzimmern der beiden Familien begrenzte Traufseite die Hauptfronte gegen den Hofraum. Seitwärts vom Eingang, vor der Stallung und mit gemeinsamer Dunggrube, ist wegen der hier meist fehlenden Seitenlauben der Abort in Verbindung mit dem Schweinestall unter dem weit ausladenden Strohdach mit besonderm Dach versehen. Oft liegt auch die Tenne in der Mitte des Hauses über den Stallungen, und man fährt, wie bei den Häusern im Schwarzwald und bayrischen Hochland, auf einer gemauerten Rampe über eine hölzerne oder gewölbte Brücke in den hohen Dachraum. Kleinere, zur Aufbewahrung von Erzeugnissen der Landwirtschaft und Viehzucht bestimmte Gebäude, wie Käse- und Obstspeicher, werden zum Schutz gegen Feuersgefahr meist frei stehend rings um die Wohnung angelegt. Was die Bauart betrifft, so bestehen die Wandungen der Häuser entweder aus dicht aufeinander [472] gelegten Wandbalken (Blockwand), oder aus mit Nuten versehenen Pfosten mit horizontal eingeschobenen Bohlen zwischen Schwellen und Rahmhölzern (Ständerwand), oder in holzärmern Gegenden aus verschieden geformten, meist rechteckigen, durch feste Holzrahmen gebildeten, mit Steinen ausgemauerten Gefachen (Riegelwand oder Fachwand). Die Eindeckung der Dächer ist, abgesehen von der bereits erwähnten Strohbedachung, meist durch steinbelastete, auf Schalung genagelte Schindeln oder durch Ziegel bewirkt, in welchem Fall die Dachneigung steiler wird, ohne die landesübliche Bauweise im übrigen zu ändern. Vgl. Otte, Geschichte der deutschen Baukunst (Leipz. 1861–74); Gladbach, Die Holzarchitektur der Schweiz (2. Aufl., Zür. 1885); Schwerz, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen (Stuttg. 1836); Landau, Das Salgut (Kassel 1862); v. Haxthausen, Die ländliche Verfassung in den Provinzen Ost- und Westpreußen (Königsb. 1839); „Landwirtschaftliches Zentralblatt für Deutschland“, 17. Jahrg., Heft 1: Die Gehöfte, Hausgärten und Hofräume und das ländliche Bauwesen, mit Abbildungen (Berl. 1869); Landaus Aufsätze im „Korrespondenzblatt des Deutschen Geschichtsvereins“: „Der Bauernhof in Thüringen und zwischen der Saale und Schlesien“ (1862), „Der nationale Hausbau“ (1860), „Das Haus in Thüringen und Hessen“ (1857 und 1858); „Die Bauernhäuser der Grafschaft Mörs“ („Zeitschrift für Bauwesen“ 1860, S. 616 ff.); Ule, Die Baukunst der Naturvölker („Natur“ 1868); Penz, Das mitteldeutsche B. („Westermanns illustrierte Monatshefte“, Oktober 1858); Henning, Das deutsche Haus in seiner historischen Entwickelung (Straßb. 1882); Meitzen, Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen (Berl. 1882).