MKL1888:Balneologische Gesellschaft
[88] Balneologische Gesellschaft.[WS 1] Die zwölfte Versammlung der Balneologischen Gesellschaft fand 7.–10. März 1890 in Berlin statt. Der Vorsitzende, Professor Liebreich, eröffnete die erste Sitzung mit einem Bericht über die Hygiene in den Kurorten. Auf Veranlassung von Brehmer war eine Bäderkommission zusammengetreten, welche an sämtliche deutsche Kur- und Badeorte Fragebogen versandt hatte, deren Inhalt sich meist auf hygienische Einrichtungen in den Bädern bezog. Es sind 144 Fragebogen ausgefüllt an die Kommission zurückgelangt und zwar von 101 Bädern und 43 Kurorten. Im allgemeinen hat sich ergeben, daß die hygienischen Einrichtungen sich in Deutschland entwickelt haben wie in keinem andern Lande. Manche Badeorte freilich, die aus spekulativer Sucht entstanden sind, entsprechen den zu stellenden Anforderungen nicht, und in einzelnen kleinern Orten herrschen unglaubliche Zustände. Am besten wäre es, wenn der Staat eintreten und jedem Kurort erst eine gewisse Approbation erteilen würde, bevor er als solcher sich aufthun dürfte. Vor allem bietet die Beschaffung der Nahrungsmittel den Kurgästen nicht die notwendige hygienische Garantie. In den meisten Badeorten fehlt eine Fleischkontrolle, die vor allen Dingen eingeführt werden müßte. Ebenso fehlt die regelmäßige Untersuchung der Milch, auf die nicht minder Wert zu legen ist. Die Wohnungen müßten vor allem der ärztlichen Kontrolle unterstellt werden. Es ist vorgekommen, daß unmittelbar nach dem Tode eines Kranken die Leiche bei Nacht ohne Aufsehen fortgeschafft und das Zimmer ohne weiteres mit einem neuen Gast belegt wurde. Natürlich wird dadurch der Verbreitung von Infektionskrankheiten Thür und Thor geöffnet. Liebreich teilte mit, daß in einem Kurort 22 Proz. der Todesfälle bei den Einwohnern und 10 Proz. bei den Badegästen ihre Ursache in Infektionskrankheiten hatten. Auch das Trinkwasser ist in den meisten Badeorten, namentlich in den Seebädern Norddeutschlands, derart beschaffen, daß ein gewissenhafter Arzt seine Patienten eigentlich nicht dahin schicken dürfte. Die Presse hat mit der Offenheit, die sie haben darf, die aber den Ärzten versagt ist, schon viel zur Abhilfe der Übelstände beigetragen. Aber wie der Staat darüber wacht, daß kein schlechtes Arzneimittel in den Handel komme, so müsse auch das Trinkwasser unter Schutz gestellt werden. Auch Isolier- und Leichenhäuser zur Verhütung von Ansteckungen sind nicht in allen Badeorten vorhanden. Der Redner schloß etwa folgendermaßen: Wenn nun auch mancherlei Schäden in Bezug auf die hygienischen Einrichtungen zu Tage getreten sind, so können die Ärzte doch im allgemeinen die Kranken mit Beruhigung nach unsern Badeorten senden und brauchen nicht ausländische zu empfehlen. Schon das Zusammentreten der Bäderkommission hat wie ein Schreckschuß auf manche Badeorte gewirkt. Einzelne haben durch Zuschriften an die B. G. gebeten, ihnen die Mängel anzugeben, damit deren Beseitigung ins Werk gesetzt werden könne. Die Kommission wird sich aber auf Verhandlungen mit den einzelnen Verwaltungen nicht einlassen, sondern, sobald Klagen aus einem Kurort kommen, zunächst mit den dort praktizierenden Ärzten sich ins Einvernehmen setzen. Badeorte, welchen die Mittel fehlen, die geforderten hygienischen Einrichtungen zu treffen, sollen auch nicht Erholung suchende Leute anlocken.
Den zweiten Vortrag hielt Zuntz-Berlin über die Wirkung des Gehens, Bergsteigens und [89] andrer Muskelbewegungen auf den Stoffwechsel. Der Mensch braucht bei Bewegungen in der Horizontalen etwa die Hälfte Sauerstoff weniger als das Pferd, bei Steigbewegungen dagegen ist der Verbrauch der gleiche: beim Gehen arbeiten wir ökonomischer als bei andern Leistungen. So ergibt z. B. Arbeit am Ergostaten im Vergleich zur Geharbeit bei gleicher kilogrammetrischer Leistung, daß jene 0,33 mehr Sauerstoff erfordert als diese. Unter Berücksichtigung der Konstitution der einzelnen Individuen ist es möglich, den Sauerstoffverbrauch, resp. die Kohlensäureausscheidung in Äquivalente: Fett, Fleisch, Stärke, Rohrzucker, umzuwandeln. Ist die Arbeitsleistung der betreffenden Konstitution angepaßt, so ergibt sich ein Gleichgewichtsverhältnis zwischen Verbrauch und Vorrat. Wird die Arbeitsanforderung aber zu hoch, so daß sich dyspnoische Zustände einstellen, so findet man entsprechend einen über die Vorräte des Körpers hinausgehenden Verfall stickstoffhaltiger Organe. Wie ausgezeichnet übrigens die menschliche Maschine eingerichtet ist, ergibt sich bei einem Vergleich mit der Dampfmaschine, welche etwa sechsmal soviel Brennmaterial als der Mensch für 1 Kilogrammeter Arbeit braucht. Hierauf sprach Haupt-Soden über die Bedeutung der Erblichkeit der Tuberkulose im Vergleich zu ihrer Verbreitung durch den Auswurf. Er sucht auf Grund eigner Beobachtungen, eigner und fremder Statistik zu beweisen, daß für die meisten Fälle von Tuberkulose Erblichkeit nachzuweisen sei, wie z. B. in Soden selbst trotz der vielen dort weilenden tuberkulösen Kurgäste unter der Bevölkerung selbst nur selten Tuberkulose vorkommt. Er bringt dann noch zahlreiche Belege aus der Litteratur für die Möglichkeit einer direkten Vererbung der Tuberkulose, die analog der vererbten Syphilis lange Zeit latent bleiben kann. In ähnlichem Sinne sprach sich Römpler-Görbersdorf aus. Die jetzt herrschende übertriebene Furcht vor der Ansteckungsfähigkeit der Tuberkulose suchten die Vortragenden zu dämpfen, die Ansteckung ist sicher anzunehmen, aber sie trifft vorzugsweise nur erblich Belastete.
In der zweiten Sitzung des Kongresses sprach Kisch-Marienbad über Hirnhämorrhagie und Fettleibigkeit. Es gibt eine plethorische Fettleibigkeit, welche durch erhöhten Blutdruck, vollen, gespannten Puls und rote Gesichtsfarbe charakterisiert ist. Diese liefert die Hirnhämorrhagien. Nicht allein der erhöhte Blutdruck, sondern auch die Hirnhyperämie und Herzaufregung spielen dabei eine Rolle. Die wahrnehmbaren Symptome derselben dienen als Warnung. In einem Vortrag über Neurasthenie und Herzkrankheiten bespricht Schott-Nauheim die Herzsymptome der Neurastheniker und erinnert daran, daß sie auch von Verdauungsstörungen herrühren. Eine gewisse Empfindlichkeit des Herzmuskels gestattet, durch Druck auf die Brustwand die Herzgrenzen zu bestimmen, auch konnte er an dem Einwärtsrücken der Herzspitze eine tetanoide Herzkontraktion konstatieren. Letztere wurde indes in der Diskussion auf zwei schnell aufeinander folgende Herzschläge zurückgeführt. Winternitz-Wien sprach über Wärmeregulierung und Pathogenese und suchte Traubes Fieberlehre zum Siege zu verhelfen. Marigliano hat mit Mossos’ Plethysmographen konstatiert, daß dem Ansteigen der Temperatur eine Abnahme des Volumens der Glieder ebenso vorausgeht, wie das Anschwellen derselben dem Fieberanfall zuvorkommt. Es ist nicht mehr zu zweifeln, daß die Vasomotoren das Fieber erzeugen. Es gelang, die Bedeutung derselben für die Wärmeabgabe mit dem Kastenthermometer nachzuweisen, und durch entsprechende Hautreize konnte die Wärmeabgabe bis auf 70 Proz. gesteigert oder vermindert werden. Zuntz-Berlin führte hierzu aus, daß auch er an eine andre Steigerung der Wärmeproduktion beim Fieber nicht mehr glaube als an die, welche bei Abkühlung der Haut reflektorisch durch unwillkürliche und willkürliche Muskelspannungen hervorgebracht wird. Marcus hielt einen Vortrag über Behandlung der Bleichsucht. Er warnt vor allem das gefährliche Alter vor Seebädern, dem Schwimmen im Süßwasser und dem Umherklettern in den Bergen; er bezeichnet die Behauptung, daß das Eisen den Magen verderbe, als übertrieben. Trotz Salzsäure und andrer Tonica sei es unentbehrlich. Auch Weißenberg-Kolberg bestätigte durch genaue vergleichende Beobachtungen die Schädlichkeit des Seebades. Ebenso sprach sich Jacob-Cudova aus, nach welchem die Wärme und zwar das sehr warme Moorhalbbad besonders durch Hebung der Dyspepsie wirksam sind.
In der dritten Sitzung empfahl Rosenbaum-Berlin die subkutane Anwendung von Silbersalzen gegen Rückenmarksschwindsucht. Er hat dabei alle wesentlichen Symptome schwinden sehen; freilich sei das Verfahren schmerzhaft, so daß die Kranken sich demselben gern entziehen. Jacob-Cudova rühmte ebenfalls die Anwendung der Silbersalze, doch zieht er kohlensaure Bäder vor. Winternitz-Wien warnt vor einer Verwechselung von arzneilicher Besserung mit Stillstand und freiwilligem Besserwerden und bemerkt, daß es Fälle gebe, welche bei jeder Behandlung sich rasch bessern. Groedel-Nauheim hielt darauf einen Vortrag über nervöses Herzklopfen und sonstige, auf Innervationsstörung beruhende Herzaffektionen. Er gibt die Möglichkeit zu, verschiedene Unterarten des nervösen Herzklopfens zu unterscheiden, je nachdem sich die Erscheinungen mehr im Sinn einer Erregung des Sympathikus oder einer Lähmung des Vagus mit oder ohne Beteiligung der Vasomotoren zeigen. Im allgemeinen aber sei ein mehr einheitlicher Standpunkt richtiger, indem es sich um eine durch psychische Eindrücke abnorm leichte Störung des für gewöhnlich bestehenden Gleichgewichts der entgegengesetzten Innervationsfaktoren für die Herzbewegung handelt und um eine nicht normal rasche Rückkehr in den Gleichgewichtszustand, wenn derselbe gestört sei. Bei der Tachycardie dagegen müssen tiefere funktionelle Verletzungen vorliegen, da die Störung des Gleichgewichtsverhältnisses oft ohne äußere Veranlassung eintritt und viel länger dauert, mitunter tagelang, ja mehrere Jahre permanent fortbestehen und selbst zum Tode führen kann. Jacob-Cudova sprach hierauf über die Symptomatologie und Pathogenese der Neuralgien. Er schildert einen stationären schmerzhaften Zustand der gesamten Haut und Muskulatur, welcher teils in Druckschmerz, teils in spontanen Schmerzen besteht und auf krampfhafter Anämie beruht; ein ganz ähnlicher Zustand ist auf die Fußsohle beschränkt. Dann gehört hierher Ischias, welche auf Ödem der Fußsohle, bez. des ganzen Beins beruht; ferner eine anfallsweise auftretende, mit Hyperämie einhergehende Gelenkneuralgie; eine Hysteralgie, welche auf Ödem des Uterus beruht, und eine solche, welche mit Hyperämie und Hypertrophie verbunden ist und wehenartig auftritt; endlich eine Angina pectoris, welcher ein heftiger Angiospasmus des linken Armes und der linken Brusthälfte vorausgeht, und der mit heftigem Schmerz in den angiospastischen Regionen verknüpft ist. Die hyperämischen Neuralgien beruhen auf voraufgegangener [90] längerer Anämie; der Schmerz tritt hier unter einem kompensatorischen Exzeß der Vasodilatatoren ein, während er beim Angiospasmus nur unter teilweiser Wiederherstellung der plötzlich unterbrochenen Zirkulation eintritt. Die chronische oder akute Anämie versetzt die Nerven in einen unvollkommen Ernährungszustand, welcher mit teilweiser oder sogar übermäßiger Wiederherstellung des Blutlaufs sich als Erregung, als Schmerz dokumentiert. Zum Schluß bespricht Boas-Berlin die modernen Grundsätze der Diätetik bei chronischen Verdauungskrankheiten; er zeigt das Ungenügende der alten Diagnose (Beschaffenheit der Zunge etc.) und empfiehlt die individuelle Prüfung jedes Kranken mit Magenpumpe, Probemahlzeit und Expression; nach Ermittelung der Fähigkeit, verschiedene Nahrungsmittel zu verdauen, wird das quantitative Verhältnis derselben bestimmt.
[75] Balneologische Gesellschaft. Die 13. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft tagte 5.–8. März 1891 in Berlin. Der Vorsitzende Liebreich-Berlin hob in seiner Eröffnungsrede hervor, daß die Bestrebungen des Vereins zur Hebung der hygienischen Verhältnisse in den Kurorten von erfreulichstem Erfolg gekrönt seien. Vielfach sind vorhanden gewesene Mißstände abgestellt, und eine ganze Anzahl unsrer Kurorte besitzt jetzt anerkennenswerte hygienische Einrichtungen. Den ersten Tag der Verhandlungen füllten zum größten Teil die Vorträge über Tuberkulose. Schon am Abend vorher hatte Leyden-Berlin in einer von der Hufelandschen Gesellschaft zur Begrüßung der Kongreßmitglieder abgehaltenen Sitzung über die diagnostische Bedeutung des Tuberkulins gesprochen und sich dahin geäußert, daß das Mittel in Bezug auf die Diagnose nur von untergeordneter Bedeutung sei, und unter Aufzählung der durch das Mittel drohenden Gefahren darauf aufmerksam gemacht, daß der Arzt sich seiner Verantwortlichkeit in Bezug auf therapeutische Eingriffe gegenüber den sich ihm anvertrauenden Patienten stets bewußt sein müsse, und daß von diesem Gesichtspunkt aus dem Tuberkulin, wenn es auch in einzelnen Fällen gewiß Gutes zu leisten im stande sei, auch für die Therapie vorerst nur ein sehr zweifelhafter Wert zukomme. Viel ermutigender waren die Ausführungen von Guttmann-Berlin in seinem Vortrag über Anwendung des Kochschen Heilverfahrens bei Lungentuberkulose. Er hält das Tuberkulin für ein ausgezeichnetes diagnostisches Mittel und glaubt, daß in den Fällen, in welchen trotz unzweifelhaft bestehender Tuberkulose keine Reaktion eintrat, die angewandte Dosis zu klein war, womit er aber nicht gesagt haben will, daß man bei der Behandlung sehr große Dosen anwenden solle. Wenn gegen die diagnostische Bedeutung des Mittels eingewendet wird, daß in verhältnismäßig zahlreichen Fällen allgemeine Reaktion auf dasselbe eintrat, ohne daß vor oder nach Anwendung desselben eine tuberkulöse Affektion nachzuweisen gewesen wäre, so ist zu bemerken, daß man sehr oft in Lungen, Drüsen etc. kleine tuberkulöse Herde findet, die bei Lebzeiten des Betreffenden gar keine Erscheinungen gemacht haben. In Bezug auf die behauptete Gefährlichkeit des Mittels sucht Redner durch die Statistik aus dem Krankenhaus Moabit zu beweisen, daß dieselben Beobachtungen auch vor der Behandlung mit Tuberkulin in gleich häufiger Weise gemacht wurden, sowohl was das Auftreten von Miliartuberkulose als auch die Entstehung von Pneumothorax betrifft. Die um tuberkulöse Stellen sich bildenden Entzündungen schwinden rasch von selbst. Kontinuierliches Fieber hört mit dem dadurch bedingten Aussetzen des Mittels gewöhnlich wieder auf, worauf mit ganz kleinen Dosen wieder begonnen werden muß, um auf etwa entstandene frische Tuberkeln einzuwirken, was mit keinem andern Mittel geschehen kann. Als Beweis für die Erfolge, welche mit dem Tuberkulin im Krankenhaus Moabit erzielt wurden, wird wieder die Statistik ins Feld geführt. Der Prozentsatz der beobachteten unzweifelhaften und dauernden Besserungen, darunter mehrere völlig geheilte Fälle, betrug 54, in frühern Jahren nur 29. Um alle Gefahren zu vermeiden, hat Guttmann eine neue Methode begonnen, wobei die Anfangsdosis nur 0,0001 g beträgt.
Römpler-Görbersdorf sprach über den heutigen Stand der Phthisenprophylaxis. Redner steht dem kontagionistischen Standpunkt, welcher bei der Schwindsucht alles Heil von der Vernichtung der Tuberkelbacillen erwartet, kühl gegenüber, weil es eben nicht möglich sei, die Bacillen aus der Welt zu schaffen. Man müsse vielmehr dafür sorgen, daß sie keinen geeigneten Nährboden im Körper finden. Eine Hebung der Widerstandsfähigkeit des erblich belasteten oder bereits erkrankten Organismus sei die wirksamste Art der Schwindsuchtsbekämpfung. Gute Ernährung und reichlicher Genuß frischer Luft seien die hauptsächlichsten Mittel, dies Ziel zu erreichen. Wenn Cornet wolle, daß kein Schwindsüchtiger ins Taschentuch speie, während Schubert verlange, daß er nur ins Taschentuch speie und dies verbrenne, so müsse man bedenken, daß diese Meinungsverschiedenheit für den größten Teil der Menschheit schon darum nicht in Betracht komme, weil diese gar kein Taschentuch besitze. Aber selbst bei wohlhabenden und intelligenten Leuten halte es schwer, die auf Vernichtung der Bacillen abzielenden Vorsichtsmaßregeln durchzuführen. Vergleiche man hiermit den außerordentlichen Rückgang der Schwindsuchtssterblichkeit in den englischen Städten infolge der dort getroffenen hygienischen Einrichtungen großen Stils, so könne es nicht zweifelhaft bleiben, daß die hygienische Prophylaxis der einzige Weg sei, wirklich greifbare Erfolge zu erzielen. Die Wirksamkeit der Pilze sei eben eine andre im gesunden als im kranken Organismus; manche Organe, z. B. Schleimhäute, verhalten sich, solange sie gesund sind, ganz unempfindlich gegen Pilze, mit denen sie in regelmäßige oder gelegentliche Berührung kommen, während sie für deren Angriffe zugänglich werden, sobald anämische Zustände eintreten. Koch selbst hat ausgesprochen, daß es sich bei Vererbung der Schwindsucht nicht sowohl um Vererbung der Bacillen als um Vererbung der Disposition handle. Redner gab lehrreiche statistische Belege für seine Ansicht, wies auch auf die schädlichen Folgen von Überanstrengung hin, wie sie unter anderm beim Sport für junge Männer oft verhängnisvoll wird. Was die Förderung der Schwindsucht durch Erkältung betrifft, so beginne sich auch hierüber neuerdings Licht zu verbreiten, da man beobachtet habe, daß sich Spaltpilze im Blute lebender Kaninchen weit schneller vermehren, wenn man sie in den Kälteschrank sperrt, als unter gewöhnlichen Temperaturverhältnissen. Erkältung bei gleichzeitiger Anstrengung und kümmerlicher Lebensweise begünstigen ganz besonders die Entwickelung der Tuberkulose, während selbst die ärmlichste Ernährung bei Ruhe (Beispiel sind die Lazzaroni) dies nicht thue. Die ländlichen Arbeiter verfallen dank der freien Luft und dem durch ihre Thätigkeit lebhaft angeregten Blutkreislauf selten der Schwindsucht, um so häufiger die Landwirtschaftseleven, [76] die bei oft schmaler Kost und unzureichendem Schlaf, jeder Witterung trotzend, die Arbeiter beaufsichtigen müssen, ohne selbst Hand anzulegen. Die früher verbreitete Meinung, es gebe eine durch die Höhenlage über dem Meeresspiegel bedingte schwindsuchtsfreie Zone, sei längst der bessern Anschauung gewichen, daß die schwindsuchtsfreie Zone überall für jeden einzelnen mit den Lebensverhältnissen beginne, welche ihm eine ausreichende Menge normalen Blutes und einen kräftigen Kreislauf desselben sichern.
Weiter sprach Winternitz-Wien über die Bedeutung der Hydrotherapie für die Klinik. Vortragender beklagte lebhaft die Vernachlässigung, welche die Wasserkur in den Kliniken erfahre. Während jedes neu auftauchende Arzneimittel methodisch auf seine Wirksamkeit geprüft wird, werde die Wasserkur etwas von oben herab angesehen, während ihre geringe Wertschätzung nur darauf beruht, daß man sie nicht mit derselben Gewissenhaftigkeit methodisch ausbilde. Man könne mit Wasser die verschiedensten Effekte hervorrufen. So vermöge man z. B. auf den Blutkreislauf in nahezu beliebiger Weise einzuwirken (Gefäßerweiterung u. -Verengerung, Erhöhung und Herabsetzung des Gefäßtonus, Verlangsamung und Beschleunigung der Herzaktion), auf die Nerven anregend, reizend, beruhigend etc. Der junge Mediziner bekomme gar keinen Begriff davon, sowohl was die physiologische als auch was die praktisch therapeutische Seite betrifft, und er sehe meist mit Geringschätzung auf die ganze Sache herab. So komme es, daß die Kurpfuscher sich des Wasserheilverfahrens bemächtigen und damit oft wirklich gute Resultate erzielen, oft aber auch Schaden anrichten, der durch einen Arzt stets vermieden werden kann. Wie wenig die Hydrotherapie einer eigentlichen rationellen Behandlung gewürdigt werde, zeige die Antipyrese. Hier, bei der entzündungswidrigen Wirkung des Wassers, wo dessen Erfolge ganz unbestritten seien, wisse man ebensowenig von einer wahrhaft methodischen Verwertung der Wasserkur wie bei den sonstigen auf Steigerung oder Herabsetzung der Innervation, auf Belebung der Zirkulation, auf Hebung der Ernährungsstörungen gerichteten Wirkungen derselben. Vortragender hat sehr gute Resultate erzielt bei Neuralgien und Rheumatismen, weil durch den herbeigeführten stärkern Blutzufluß eine bessere Ernährung und Ausscheidung angehäufter Krankheitserreger und Krankheitsprodukte, welche die sensibeln Nerven reizen, erzielt wird. Er hat auch bei Lungenschwindsucht vortreffliche Erfolge erzielt. Die Hebung der Ernährung einerseits, die Minderung der Erkältungsgefahr anderseits sind hier entscheidend. Selbst in vorgeschrittenen Fällen wurden nicht nur Besserungen, sondern sogar Heilungen erreicht, und die Ungefährlichkeit der durch die hydriatische Methode hervorgerufenen Allgemeinreaktion macht die Anwendung dieser Methode hier noch besonders empfehlenswert. – Groedel-Nauheim beantragte, der Kongreß möge Schritte thun zur allgemeinen Einführung des hundertteiligen Thermometers bei Bezeichnung von Badetemperaturen sowohl in der Praxis als auch in wissenschaftlichen Arbeiten. Der Vorsitzende wies darauf hin, daß bereits von seiten andrer medizinischer Körperschaften Schritte in dieser Richtung vorbereitet seien, und die Versammlung beschloß, den Vorstand zu beauftragen, sich diesen Bestrebungen anzuschließen. Bei der Diskussion empfahl man, für die Übergangszeit eine Doppelskala zu benutzen, wie sie bei den meisten Zimmerthermometern und auch in manchen Badeorten bereits üblich sei.
In der zweiten Sitzung besprach Schott-Nauheim einen Fall von angeborner Rechtslage des Herzens und beleuchtete einige für das Zustandekommen dieser Lageveränderung beachtenswerte Thatsachen. Er erläuterte seine Methode der Widerstandsgymnastik, welche zur Klärung der Diagnose wesentlich beigetragen habe. – Goldschmidt-Reichenhall sprach über die Notwendigkeit einer Gesetzgebung für Kurorte und Heilanstalten. Er zeigte, in wie verschiedener Beziehung die meisten Kurorte weit davon entfernt wären, den Anforderungen der Gegenwart in Bezug auf Hygiene zu entsprechen, und stellte eine Reihe von Punkten auf, welche zu erstreben seien. Namentlich zur Verhütung von Infektionskrankheiten sind scharfe Gesetze nötig, betreffend Anzeige und Desinfektionspflicht. Aber es sind auch für das ganze Reich Gesetze zu erlassen, um die Bezeichnung eines Ortes als Kurort von vornherein von ganz bestimmten Bedingungen abhängig zu machen. Auch für den Quellenschutz sind die bestehenden Gesetze unzureichend. Bei der Diskussion wird auf bereits bestehende gesetzliche Bestimmungen in andern Ländern hingewiesen und allseitig die Dringlichkeit der Sache anerkannt, mit deren weiterer Durcharbeitung die Hygienekommission beauftragt wird. – Putzar-Königsbrunn erörterte die Pathogenese und Therapie des petit mal. Er erklärte das Leiden für eine besondere Form der Epilepsie, für eine Neurose, die in verschiedener Weise auftritt, auch manchmal in Form von psychopathischen Zuständen (Dämmerzustand und halbbewußte Depression). Er erörterte dann die Ätiologie der Krankheit und führte unter anderm an, daß manchmal das Leiden durch lokale Hyperästhesie eines peripheren Nerven bedingt sei, wie in einem von ihm beobachteten Fall, der trotz jahrelangen Bestehens und vergeblicher medikamentöser Behandlung durch hydro- und elektrotherapeutische Maßnahmen, insbesondere Anwendung der Franklinisation und der Schwenkbäder, seiner endlichen Heilung entgegengeführt wurde.
In der dritten Sitzung berichtete Heymann-Berlin über die von ihm mit kantharidinsaurem Kali behandelten Fälle von Kehlkopfkrankheiten. Für ein Spezifikum hält er das Mittel nicht, da es sich auch bei Krankheiten nicht tuberkulöser Natur als wirksam erwiesen hat. Übelstände wurden nicht beobachtet. In einzelnen Fällen ist die Schmerzhaftigkeit an der Stichstelle ziemlich bedeutend. Besondere Aufmerksamkeit erfordert der Zustand der Niere, da zuweilen Beschwerden am Harnapparat beobachtet worden sind. – Groedel-Nauheim hielt einen Vortrag über Chorea (Veitstanz), ihr Verhältnis zu Herzkrankheiten und ihre Behandlung. Er hat bei der großen Mehrzahl seiner Fälle gleichzeitig Herzaffektionen beobachtet und konstatiert, daß der Krankheit mehr oder weniger lange Rheumatismus vorausgegangen war. Verhältnismäßig oft schloß sich die Chorea direkt an einen akuten Gelenkrheumatismus an. Rheumatismus und ebenso Herzaffektionen in ihrer Eigenschaft als rheumatische Erkrankungen können in gleicher Weise wie psychische Einwirkungen und Anämie die Veranlassung für das Zustandekommen der als eine Neurose aufzufassenden Chorea abgeben. Arsen, Antipyrin und Gymnastik, bei welcher aber jede Ermüdung sorgfältig zu vermeiden ist, haben sich am wirksamsten erwiesen. Erst wenn die Muskelunruhe [77] nahezu oder völlig geschwunden ist, sucht man schnellere Kräftigung und Schutz vor Rückfällen durch Aufenthalt an der See oder durch Benutzung eines Sol- oder Stahlbades zu erreichen. Weißenberg-Kolberg will die vom Veitstanz befallenen Kinder spielen und sich tummeln lassen, bis sie von selbst ermüden und einschlafen; Schlaf bleibe das beste Mittel gegen die Chorea. – Winternitz-Wien sprach über ein neues hydriatisches Mittel bei Magenkrankheiten, welches er bei hysterischen und bei nervösen Kardialgien mit Erbrechen, wie sie bei Chlorotischen vorkommen, mit Erfolg angewandt hat. Er machte den bekannten erregenden naßkalten Umschlag und legte zwischen nasses und trocknes Tuch einen Gummischlauch, welcher in Form einer Spirale die Magengegend bedeckte. Indem er nun durch den Gummischlauch andauernd Wasser von 40° leitete, gelang es, das störende Frostgefühl, welches der Umschlag sonst erzeugt, zu beseitigen und seine erregende Wirkung zur vollen Geltung zu bringen. In liegender Stellung vermochten die Kranken kleine Mengen flüssiger Nahrung bei sich zu behalten, und nach kurzer Zeit war vollkommene Heilung erfolgt. – v. Liebig-Reichenhall berichtete über Versuche, betreffend das Atmen unter vermindertem Luftdruck. Im pneumatischen Kabinett nehmen Puls und Atmung an Frequenz in gleichem Maße zu, wie der Luftdruck sinkt. Bei vermindertem Luftdruck steigert sich die Lungenspannung, die Lunge dehnt sich mehr aus, das Lumen der Gefäße wird verengert, wodurch eine Beeinträchtigung des Blutumlaufs und damit eine Steigerung der Herzthätigkeit und der Atmung bedingt ist. Dieser Umstand, ferner die sauerstoffärmere, weil dünnere Luft in der Höhe sowie die durch das Steigen gestellte größere Anforderung an Herz und Lunge bewirken zusammen das, was man Bergkrankheit nennt. Sie tritt schon bei 1000 m Höhe auf und verliert sich, sobald man gelernt hat, durch tiefere Atemzüge die erhöhten Anforderungen auszugleichen. – Über den Wert der Ostseebäder in balneotherapeutischer Beziehung sprach Kraner-Misdroy. Dem Vorwurf Hillers, daß die Ostseebäder mehr Landwind hätten als die Nordseebäder, begegnet er mit dem Hinweis auf die ausgedehnten Waldungen an der Ostsee, die ein Filter für die Landwinde bilden. Der geringere Salzgehalt der Ostsee komme gar nicht in Betracht, da die Hauptsache der Kältegrad des Wassers und die bewegte Wassermenge, der Wellenschlag, sei; dieser aber sei an der Ostsee oft so stark, daß die Badenden sich an Tauen festhalten müssen. Lindemann-Helgoland und Lahnsen-Sylt wollen den höhern Salzgehalt der Nordsee doch nicht so ganz als bedeutungslos betrachten und heben hervor, daß manche Nordseebäder gerade dadurch charakterisiert seien, daß sie fast ausschließlich Seewind haben. – Lenné-Neuenahr entwickelte eine neue Theorie über das Wesen der Zuckerharnruhr. Er hält dieselbe für eine Krankheit des Nervensystems. Der Zucker soll in der lebenden Zelle gebildet werden. Gewissen Zellen, wie denjenigen der Leber, kommt diese Aufgabe ganz besonders zu. Diese Fähigkeit der Zelle unterliegt dem Nerveneinfluß wie andre Zellenthätigkeit, z. B. die der Drüsen. Beim Diabetes ist der Einfluß des Nervensystems ein krankhaft veränderter und besteht in einer aktiven Reizung der Zellen zu vermehrter Produktion. Von diesem Standpunkt aus beleuchtet er die Krankheitserscheinungen des Diabetes wie auch die Therapie desselben nach den verschiedensten Seiten hin. Die Versammlung beschloß, von einer Diskussion Abstand zu nehmen und den Gegenstand auf die Tagesordnung des nächstjährigen Kongresses zu setzen. Ein von Grödel-Nauheim eingebrachter und motivierter Antrag: der Kongreß möge in Erwägung ziehen, ob nicht einheitliche Bestimmungen für die Ausführung und Aufstellung von Quellenanalysen, besonders bezüglich der Angabe des Kohlensäuregehaltes, anzustreben seien, wurde einer Kommission zur Bearbeitung und Berichterstattung im nächsten Jahre überwiesen.
Den Schluß des Kongresses bildeten zwei Vorträge über Bleichsucht. Schücking-Pyrmont hat das Blut Chlorotischer auf Hämocytenzahl und Hämoglobingehalt untersucht und gefunden, daß es sich bei der Chlorose in der That um eine Verminderung des Hämoglobins handelt, während die Zahl der Blutkörperchen nur in wenigen und ältern Fällen vermindert war, was wohl mehr als Ausdruck einer die Chlorose begleitenden sekundären Anämie aufzufassen ist. Bezüglich der von Virchow entdeckten Hypoplasie des Gefäßsystems Chlorotischer behauptet er, daß sie nicht angeboren, sondern gerade Folge der Chlorose sei. Über das Verhalten des Stoffwechsels bei Chlorose bemerkt er zunächst, daß andauernde Störungen des Stickstoffgleichgewichts zu der der Chlorose verwandten Anämie zu führen pflegen. Hat sich Chlorose entwickelt, so sinkt der Stoffwechsel unter die Norm. Seine und andrer Beobachtungen, daß jede Dyspnoe, wenn eine Störung des Stickstoffgleichgewichts vorliegt, eine Steigerung des Eiweißzerfalles zur Folge hat, gibt einen Fingerzeig für die Behandlung Chlorotischer, nämlich, daß man ihnen keine Strapazen zumuten darf und sie nur allmählich, aber mit Konsequenz an immer ausgiebigere Leistungen gewöhnen muß. Dringend sei davor zu warnen, bei solchen Patienten Blutentziehungen zu machen. Die Annahme von Scholz, daß es sich bei der Blutentziehung um Beseitigung einer bei Chlorotischen bestehenden Plethora handle, beruhe auf falscher Voraussetzung. Der Blutdruck ist bei Chlorotischen überhaupt nicht erhöht und wird nicht erniedrigt durch Entnahme von so kleinen Blutmengen; direkte Versuche haben dies vollkommen bestätigt. Der Vortragende bleibt deshalb bei der alten Behandlung der Chlorose mit Eisen. Den entgegengesetzten Standpunkt nimmt Schubert-Reinerz ein. Er kann nach seinen Beobachtungen nur bestätigen, was Dyes, Wilhelmi und Scholz Günstiges über den Erfolg der Behandlung der Chlorose mit kleinen Blutentziehungen berichten. Der Verlauf nach dem Aderlaß ist ein ganz typischer; Wärme, starker Schweiß, Hunger, Schlaf und Wohlbehagen treten auf. Abweichungen kommen wohl vor, aber je ausgesprochener die Bleichsucht, um so regelmäßiger treten obige Erscheinungen auf. Der Aderlaß soll stets im Bett vorgenommen werden, um den Schweißausbruch zu fördern, am besten schließt man gleich ein Schwitzbad an. In Badeorten, wo noch das Klima und die Luft als Heilfaktoren in Betracht kommen, kann man die Schwitzkur mit Moor- und kohlensäurehaltigen Bädern vornehmen. Auch Wilhelmi-Güstrow hat bei 56 Fällen von echter Chlorose ausgezeichneten Erfolg mit der Blutentziehung gehabt.