Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Avérrhoës“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 181
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Avérrhoës. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 181. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Av%C3%A9rrho%C3%ABs (Version vom 07.01.2023)

[181] Avérrhoës (Averroës, eigentlich Ibn Roschd oder Ruschd), berühmter Philosoph der Araber, vorzugsweise der „Ausleger“ (des Aristoteles) genannt, geb. 1126 zu Cordova, wo sein Vater Oberrichter und Mufti war, wurde später selbst Richter, zuerst in Sevilla, dann in Cordova. Von seinem Freund und Zeitgenossen Ibn Tophail dem Kalifen Abu Jakub Jussuf zu dem Zweck, eine Analyse der Aristotelischen Werke zu liefern, empfohlen, gewann er dessen Gunst und wurde sein Leibarzt (1183), stand auch unter Jussufs Nachfolger Almansur in hohen Ehren, bis er (nach 1195) der Abweichung von den Lehren des Korans angeklagt, seiner Würden entsetzt und nach Lucena bei Cordova verwiesen ward. Zuletzt wieder an den Hof zu Marokko berufen und mit Gunstbezeigungen überhäuft, starb er daselbst 12. Dez. 1198. A. hatte in der Theologie und Philosophie Tophail, in der Medizin Ibn Zohr den ältern zum Lehrer gehabt. Er war ein eifriger Verehrer des Aristoteles, den er als den Menschen betrachtete, welchen Gott unter allen den höchsten Gipfel der Vollkommenheit habe erreichen lassen. In der Materie liegen nach A. keimartig die Formen, die durch Einwirkung höherer Formen und zu oberst der Gottheit entwickelt werden. Doch erlaubte er sich Abweichungen von Aristoteles, insbesondere in der Psychologie, indem er die allgemeine Vernunft (in neuplatonischer Weise) von der individuellen absonderte und getrennt als Eine in Allen existieren ließ, daher auch die individuelle Unsterblichkeit leugnete. Den Koran erklärte und modifizierte er nach Aristoteles’ Lehren, wodurch er der Schöpfer einer mohammedanischen Religionsphilosophie, zugleich aber auch Ahnherr vieler Ketzereien ward. Bei den christlichen Scholastikern stand er in hohem Ansehen; Streit unter ihnen erregte die erwähnte Lehre von der Einheit der allgemeinen Vernunft, bis endlich Papst Leo X. über dieselbe und ihre Verteidiger (Averrhoisten) das Anathema aussprach. Auch in der Medizin ist A. als tief eindringender Theoretiker und Verteidiger des Aristoteles gegen Galenus berühmt. Unter seinen Schriften, die wir nur in lateinischer Übersetzung kennen, stehen seine (oft dreifachen) Kommentare zu den Schriften des Aristoteles obenan; da er jedoch die griechischen Originale nicht kannte, auch weder Griechisch noch Syrisch verstanden haben soll, so war er oft genötigt, nur aus dem Zusammenhang zu schließen. Außerdem verfaßte er eine Widerlegung der Algazelschen Widerlegung der Philosophie unter dem Titel: „Tehafot al Tehafot, d. h. destructio destructionis“ („Zerstörung der Zerstörung“, ins Lateinische übersetzt von Locatellus, Vened. 1497 u. 1527) und eine medizinische Therapeutik unter dem Titel: „Colliget“ (Collijat, „Allgemeinheiten“). Seine Werke erschienen zuerst 1472 in lateinischer Übersetzung, dann sehr häufig meist mit den Aristotelischen Werken; beste Ausgabe Venedig 1489 in 11 Foliobänden. Die „Philosophie und Theologie“ wurde herausgegeben von M. J. Müller (Münch. 1859) und übersetzt von demselben (das. 1875). Vgl. Renan, A. et l’Averroïsme (2. Aufl., Par. 1860); Lasinio, Studii sopra Averroe (Flor. 1875).