Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Aufsichtsrat“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 6667
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Aufsichtsrat. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 66–67. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aufsichtsrat (Version vom 09.05.2021)

[66] Aufsichtsrat (Verwaltungsrat, Ausschuß), ein den Aktiengesellschaften und den Aktienkommanditgesellschaften durch Gesetz vom 11. Juni 1870 und 18. Juli 1884 vorgeschriebenes, früher (wie auch gegenwärtig noch in Österreich) fakultatives, bei den eingetragenen Genossenschaften zulässiges kontrollierendes ständiges Gesellschaftsorgan, welches durch die Generalversammlung gewählt wird, bei den Aktien- und Aktienkommanditgesellschaften aus mindestens drei Mitgliedern bestehen muß, und durch welches die Gesellschaften dem Vorstand gegenüber die ihnen zustehenden Rechte ausüben. Nach dem allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch hat bei Aktien- und Kommanditaktiengesellschaften der A. die Geschäftsführung in allen Zweigen der Verwaltung zu überwachen und zu dem Zweck sich von dem Gang der Angelegenheiten der Gesellschaft zu unterrichten; er kann Bücher und Schriften der Gesellschaft jederzeit einsehen und den Kassenbestand etc. untersuchen. Er soll die Jahresrechnungen, Bilanzen und Vorschläge zur Gewinnverteilung prüfen und darüber alljährlich der Generalversammlung Bericht erstatten. Ferner [67] hat er eine Generalversammlung zu berufen, wenn dies im Interesse der Gesellschaft erforderlich ist. Beruht auch die Hauptaufgabe des Aufsichtsrats in der Beaufsichtigung der gesamten Geschäftsführung des Vorstandes, so ist er doch nicht von einer thätigen Mitwirkung ausgeschlossen, wie ihm denn auch das Gesetz die Ernennung des Vorstandes gestattet, als Regel die Bestellung eines Prokuristen von seiner Zustimmung abhängig macht, ihn in wichtigen Fällen mit der Prozeßführung für die Gesellschaft betraut und ihn berechtigt, die Annahme und die Abberufung von Liquidatoren bei dem Handelsgericht zu beantragen. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können die Ausübung ihrer Obliegenheiten, bei denen sie die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden haben, nicht andern Personen übertragen. Sie dürfen nicht zugleich Mitglieder des Vorstandes oder dauernd Stellvertreter derselben, dann (bei Kommanditgesellschaften auf Aktien) nicht persönlich haftende Gesellschafter sein, auch nicht als Beamte die Geschäfte der Gesellschaft führen und sind persönlich und solidarisch zum Schadenersatz verpflichtet, wenn mit ihrem Wissen und ohne ihr Einschreiten entgegen den gesetzlichen Bestimmungen: 1) Einlagen an die Aktionäre zurückgezahlt, 2) Zinsen oder Dividenden gezahlt sind; 3) eigne Aktien oder Interimsscheine der Gesellschaft erworben, zum Pfand genommen oder amortisiert worden; 4) Aktien vor der vollen Leistung des Nominalbetrags oder einer festgesetzten höhern Summe etc. ausgegeben sind; 5) die Verteilung des Gesellschaftsvermögens, eine teilweise Zurückzahlung oder eine Herabsetzung des Grundkapitals erfolgt ist. Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden, wenn sie absichtlich zum Nachteil der Gesellschaft handeln, mit Gefängnis und zugleich mit Geldstrafe bis zu 20,000 Mk. bestraft. Diese wie die weitern in Teil 4 des Gesetzes vom 18. Juli 1884 gegen den A. angedrohten Strafbestimmungen enthalten wesentliche Verschärfungen gegenüber denen des frühern Gesetzes. Bei Kommanditgesellschaften auf Aktien ist der A. ermächtigt, gegen die persönlich haftenden Gesellschafter die von der Generalversammlung beschlossenen oder im Interesse der eignen Verantwortlichkeit erforderlichen Prozesse zu führen. Prozesse gegen den A., bez. dessen Mitglieder sind durch Bevollmächtigte zu führen, welche in einer Generalversammlung zu diesem Zweck gewählt wurden.

Seit der 1870 erfolgten Aufhebung der Konzessionspflicht der Aktiengesellschaften ist das Institut des Aufsichtsrats der Schwerpunkt in der Geschäftsorganisation der Aktien- und Aktienkommanditgesellschaften. Auf ihm soll hauptsächlich die Sicherheit beruhen, welche das Gesetz den Aktionären und Gesellschaftsgläubigern gegen Benachteiligungen durch die Geschäftsführer gewähren will. Daher schreibt auch das Gesetz für den A. eine Minimalzahl von drei Mitgliedern vor, um auf die Möglichkeit von Kollisionen mit Direktoren oder persönlich haftenden Gesellschaftern für den Fall hinzuweisen, wenn nur wenige Mitglieder dem A. angehören. Das Interesse der Gesellschaft würde nicht genügend gewahrt werden, wenn die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsrats zu gering wäre. Um dem überwiegenden Einfluß der Gründer und der Gefahr vorzubeugen, daß dieselben sich auf längere Zeit im A. festsetzen, ferner damit auch später mißliebige Personen leichter zu entfernen seien und eine Garantie dafür geboten werde, daß auf Grund gewonnener Erfahrungen sachkundige und zuverlässige Personen gewählt werden können, bestimmt das Gesetz, daß der erste A. nur auf die Dauer des ersten Geschäftsjahrs gewählt werden darf, daß die Amtsdauer der weitern Aufsichtsräte fünf Geschäftsjahre nicht überschreite und die Bestellung zum Mitglied des Aufsichtsrats auch vor Ablauf dieses Zeitraums durch die Generalversammlung widerrufen werden kann. Um zu verhüten, daß von vornherein die Aufsichtsräte für längere Zeit in unabänderlicher Weise mit hohen Tantiemen bedacht werden, ist festgesetzt, daß den Mitgliedern des ersten Aufsichtsrats eine Vergütung nur durch die Generalversammlung nach Ablauf des Zeitraums, für welchen der A. gewählt ist, bewilligt werden darf.