Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Aufliegen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 61
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Aufliegen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 61. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aufliegen (Version vom 05.08.2022)

[61] Aufliegen (Durchliegen, Decubitus), die Entzündung, Verschwärung und das brandige Absterben der Haut an solchen Stellen, welche längere Zeit hindurch gegen eine feste Unterlage angedrückt werden. Das A. pflegt bei Kranken einzutreten, welche lange Zeit auf einer und derselben Stelle liegen müssen, besonders schnell und in den schlimmsten Formen bei schweren Infektionskrankheiten, namentlich beim Typhus, sowie bei Kranken mit totaler Lähmung des untern Rückenmarksabschnittes. Das A. betrifft zunächst immer solche Hautstellen, welche mit wenig Fettpolster versehen sind und außerdem unmittelbar über einem Knochen liegen, so daß sie einen besonders starken und anhaltenden Druck zu ertragen haben, wie die Haut über dem Kreuzbein, an den großen Rollhügeln des Gesäßes, seltener an den Fersen, an den Schulterblättern etc. Ursache des Aufliegens sind dauernder Druck und die dadurch bedingte Störung der Zirkulation des Bluts in der gedrückten Stelle, der aufgehobene Einfluß der Nerven und die zur Ernährung der Gewebe ungenügende Beschaffenheit des Bluts. Die betreffende Hautstelle ist gewöhnlich der Sitz eines brennenden Schmerzes, sie sieht gerötet aus, die Oberhaut löst sich ab, und nun entsteht ein Geschwür, welches sich allmählich ausbreitet und in die Tiefe geht. Selbst in leichtern Graden vermehrt das A. stets die Gefahr für den Kranken; greift der Brand weit um sich und in die Tiefe, so wird hierdurch oft ganz allein der Tod bedingt. Schon die Vorsorge ist von hoher Wichtigkeit. Kranke, welchen ein langes Leiden vorauszusagen ist, müssen auf guten Roßhaarmatratzen liegen, nicht auf Federbetten; die Betttücher dürfen keine Falten bilden, welche nachteiligen Druck ausüben können. Zur Unterlage wählt man weich gegerbte Tierfelle, Reh-, Hirschfelle etc. Auch gepolsterte Ringe oder Luftkissen in Ringform schiebe man den Kranken unter, weil dadurch der Druck auf das Heiligenbein und die beiden Rollhügel vermieden wird. Am besten sind die hydrostatischen Betten, Matratzen von Gummizeug, mit Wasser gefüllt, welche zugleich kühlen und nicht an einzelnen Stellen drücken. Der Kranke muß außerdem möglichst horizontal liegen; der Oberteil des Körpers darf nicht zu sehr durch Kissen, namentlich nicht durch feste Pfühle, unterstützt sein, weil sonst das ganze Körpergewicht auf dem Kreuzbein ruht. Nächstdem sorge man für größte Reinlichkeit, sehe täglich die bedrohten Stellen nach und wasche sie öfters mit kaltem Wasser, dem man etwas Essig oder Bleiessig zusetzen kann. Sobald rote Stellen entstehen, mache man fleißig kalte Bleiwasserüberschläge auf dieselben und bestreiche sie öfters am Tag mit Kampferspiritus. Zuweilen thun lauwarme Bleiwasserüberschläge oder ein Verband mit Bleisalbe oder ein Bleipflaster gute Wirkung. Der Kranke muß dabei möglichst oft seine Lage wechseln, was freilich der großen Schwäche wegen selten geschehen kann, indem besonders Typhuskranke immer wieder in die Rückenlage zurücksinken. Entsteht eine offene Stelle, so muß diese fleißig mit 2proz. Karbolwasser gereinigt und mit adstringierenden Salben verbunden werden. Wenn es zulässig ist, so soll auch der allgemeine Ernährungszustand durch kräftigende Mittel, Wein und Chinin gebessert werden.