Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Aristophănes“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 813815
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Aristophănes. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 813–815. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aristoph%C4%83nes (Version vom 11.04.2021)

[813] Aristophănes, 1) der geist- und witzreichste griech. Lustspieldichter, lebte zwischen 444 und 388 v. Chr. in Athen. Von seinem Leben ist nur wenig bekannt. Sein Vater Philippos soll kein geborner Athener gewesen, sondern aus Rhodus oder Ägypten eingewandert sein und erst später das Bürgerrecht erhalten haben; jedenfalls machte der bekannte Demagog Kleon, den sein Spott gereizt hatte, den Versuch, seine Zugehörigkeit zur athenischen Bürgerschaft anzufechten. A. nahm an allen Lebensäußerungen seiner Zeit den regsten Anteil, ohne jedoch einer Partei ausschließlich anzugehören. Mit freier Selbständigkeit erhebt er sich in seinen Lustspielen über die herrschenden Modethorheiten, über das einseitige Treiben politischer Parteien und philosophischer Sekten, bald kriegslustige Demagogen, bald spitzfindige Sophisten, bald unpraktische Ideologen mit der scharfen Geißel seines Witzes züchtigend. Sein erstes Stück: „Die Schmausbrüder“, brachte er 427 seiner Jugend wegen unter fremdem Namen zur Aufführung; auch eine Anzahl der folgenden Stücke ließ er durch die Dichter Kallistratos und Philonides auf die Bühne [814] bringen. Unter eignem Namen trat er zuerst 424 mit den „Rittern“ auf. Das Altertum besaß von ihm 44 Stücke, von denen jedoch 4 für unecht galten. Uns sind davon außer den Titeln und zahlreichen Fragmenten (zuletzt gesammelt von Kock in „Comicorum atticorum fragm.“, Bd. 1, Leipz. 1880) noch 11 erhalten, die einzigen vollständigen Komödien, die wir aus dem griechischen Altertum besitzen. Es sind in chronologischer Ordnung folgende: 1) „Die Acharner“, mit denen A. 425 über Kratinos und Eupolis siegte (hrsg. von Wolf, griech. u. deutsch, Berl. 1811; Elmsley, 2. Aufl., Leipz. 1830; Müller, Hannov. 1863; Ribbeck, griech. u. deutsch, Leipz. 1864), wie die meisten übrigen Stücke nach dem Chor benannt und bestimmt, durch Darstellung der Segnungen und Genüsse des Friedens die Athener für letztern zu gewinnen. 2) „Die Ritter“, von 424 (hrsg. von Kock, 2. Aufl., Berl. 1867; v. Velsen, Leipz. 1869; Ribbeck, griech. u. deutsch, Berl. 1867), gegen den Demagogen Kleon gerichtet. 3) „Die Wolken“, von 423, wider die metaphysischen Grübeleien und die Sophistik der Zeit gerichtet, als deren Hauptrepräsentant Sokrates dargestellt wird; das berühmteste Stück des A. und von ihm selbst für sein gelungenstes gehalten, obwohl es bei der Aufführung nur den dritten Preis erhielt; es ist uns nur in einer spätern, nicht durchgeführten Bearbeitung des Dichters erhalten (hrsg. von Hermann, 2. Ausg., Leipz. 1830; Reisig, das. 1820; Wolf, griech. u. deutsch, Berl. 1811; Kock, 3. Aufl., das. 1876; Teuffel, Leipz. 1856, 1863 u. 1867; vgl. Süvern, über A.’ Wolken, Berl. 1826). 4) „Die Wespen“, von 422 (hrsg. von Hirschig, Leiden 1847, und Richter, Berl. 1858), gegen die Prozeßsucht der Athener gerichtet und, wie die beiden folgenden, mit dem zweiten Preis ausgezeichnet. 5) „Der Friede“, von 421 (hrsg. von Richter, Berl. 1860), hat die Haupttendenz, den durch die Schlacht bei Amphipolis nahegelegten Frieden dem unter der Last des Kriegs seufzenden Volk zu empfehlen. 6) „Die Vögel“, von 414 (hrsg. von Kock, 2. Aufl., Berl. 1876; übersetzt von Fr. Rückert im „Nachlaß“, Leipz. 1867); gegen die abenteuerlichen Hoffnungen gerichtet, welche die Athener an die sizilische Expedition knüpften (vgl. Süvern in den „Abhandlungen der Berliner Akademie“ 1827); unstreitig die geistreichste Schöpfung des Dichters und durch Sorgfalt der Ökonomie ausgezeichnet. 7) „Lysistrate“, von 411 (hrsg. von Enger, Bonn 1844), Verschwörung der Frauen, um die Männer zum Frieden zu zwingen, die letzte der eigentlich politischen Komödien des A. 8) „Die Thesmophoriazusen“, von 410 (hrsg. von Fritzsche, Leipz. 1838; v. Velsen, das. 1883; Enger, Bonn 1844), gegen den Weiberhasser Euripides gerichtet, den die das Fest der Thesmophorien feiernden Weiber vor Gericht ziehen. 9) „Die Frösche“, 405 aufgeführt und mit dem ersten Preis ausgezeichnet, eins der geistvollsten und witzigsten Stücke, über den Verfall der tragischen Dichtung, der dem kurz zuvor gestorbenen Euripides zur Last gelegt wird (hrsg. von Fritzsche, Zürich 1845; Pernice, griech. u. deutsch, Leipz. 1856; v. Velsen, das. 1881; Kock; 3. Aufl., Berl. 1881). 10) „Die Ekklesiazusen“, von 392, Volksversammlung der Weiber, welche mit Güter- und Weibergemeinschaft einen Staat einrichten wollen; eine Satire auf die verkehrten Versuche, durch ideale Verfassungsformen dem athenischen Staat wieder aufzuhelfen (hrsg. von v. Velsen, Leipz. 1883). 11) „Plutos“, worin der bisher blinde Gott des Reichtums sehend gemacht und damit eine bessere Zeit herbeigeführt wird, zuerst 408, dann 388 in einer den Zeitverhältnissen entsprechenden Bearbeitung aufgeführt und in dieser erhalten; bezeichnet in seiner alles Politische meidenden Weise den Übergang zur sogen. mittlern Komödie (hrsg. von Hemsterhusius, Haarl. 1744 u. Leipz. 1811; Thiersch, das. 1830; v. Velsen, das. 1881). Das Altertum erkennt in A. fast einstimmig den ersten komischen Dichter Griechenlands an, der gleichen Beifall bei seinen Zeitgenossen in Athen wie bei der Nachwelt zu Alexandria und Rom erntete. Der Zweck aller seiner Stücke ist nicht der bloßer Unterhaltung und Erheiterung, sondern Förderung der Wohlfahrt seiner Mitbürger in politischer wie in moralischer Hinsicht. Spott und Scherz des Dichters sind stets im Dienste des Vaterlands, und gern vergißt man darüber ihre oft anstößige, schonungslose, aber dem damaligen Zeit- und Volksgeist entsprechende Form. Mit großer Treue hat A. das öffentliche Leben, die Sitten und den Charakter des damaligen Athen dargestellt. Schon Platon empfahl dem Tyrannen Dionys von Syrakus zur Kenntnis des athenischen Geistes die Lektüre seiner Lustspiele. Dabei fließt in dem Dichter eine unerschöpfliche Quelle des Witzes, sowohl in der ganzen Anlage der Stücke und der Auffassung der Charaktere als in der Darstellung des Einzelnen, in komischen Situationen, Einfällen u. dgl., der mit allem sein Spiel treibt, manchmal freilich in eine Derbheit ausartend, die mit unsern Begriffen von Sitte und Anstand nicht vereinbar ist. Was A. noch besonders auszeichnet, ist seine Sprache, die als ein vollendetes Muster des reinsten Attizismus betrachtet werden kann und in den lyrischen Teilen nicht selten einen erhabenen Schwung und feierlichen Ernst annimmt. Das einzige uns erhaltene Porträt des A. bietet die Doppelbüste des A. und Menander im Museum zu Bonn. Aus den Schriften der zahlreichen alten Kommentatoren des Dichters besitzen wir wertvolle Überreste in den vorhandenen Scholiensammlungen (hrsg. unter andern von W. Dindorf, Oxf. 1838, 3 Bde.; Dübner, Par. 1842, 1855, 1868). Gesamtausgaben außer der Editio princeps von Aldus (Vened. 1498) lieferten namentlich Invernizzi, Beck und W. Dindorf (Leipz. 1794–1834, 13 Bde.; Text, Kommentare, Scholien etc.), Bekker (Lond. 1829, 5 Bde.), G. Dindorf (Oxf. 1835, 1838, 4 Bde.; Par. 1868, Leipz. 1869), Bergk (das. 1857, 2 Bde.), Meineke (das. 1860, 2 Bde.), Blaydes (Halle 1880 ff.). Übersetzungen liegen vor von Wieland, der einzelne Stücke (wie „Acharner“, „Ritter“, „Vögel“) in Prosa übertrug, von J. H. Voß (Braunschw. 1821, 3 Bde.), Droysen (3. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.), H. Müller (das. 1843–46, 3 Bde.), Seeger (Frankf. 1844–48, 3 Bde.), Minckwitz (Auswahl, Stuttg. 1873) und Donner (Leipz. 1861–62, 3 Bde.). Vgl. Ranke, De Aristophanis vita (Leipz. 1830); Rötscher, A. und sein Zeitalter (Berl. 1827); Müller-Strübing, A. und die historische Kritik (Leipz. 1873); Brentano, Untersuchungen über das griechische Drama, Teil 1 (Frankf. 1871).

2) A. von Byzanz, griech. Grammatiker, um 260 v. Chr. geboren, kam früh nach Alexandria, wo er Schüler des Zenodotos und Kallimachos und, schon ein Sechziger, Nachfolger des Apollonios von Rhodus in der Verwaltung der Bibliothek wurde. Er starb im Alter von 77 Jahren. Zwar überstrahlte ihn sein Schüler Aristarch; doch galt er wegen seines Fleißes, seines besonnenen Urteils und seiner bedeutenden Gelehrsamkeit für einen der tüchtigsten Grammatiker und Kritiker. Seine Thätigkeit war besonders den Homerischen Gedichten, von denen er eine kritische Ausgabe besorgte, Hesiod, Alkäos und Pindar, den [815] Tragikern und Komikern, unter diesen namentlich Aristophanes und Menander, sowie Platon zugewendet. Von einem umfänglichen und vielbenutzten lexikalischen Werk besitzen wir noch beträchtliche Fragmente. Sammlung der Bruchstücke seiner Schriften von Nauck (Halle 1848).