Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Aquitanien“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 715
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Wiktionary: Aquitanien
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Aquitanien. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 715. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Aquitanien (Version vom 21.03.2024)

[715] Aquitanien, ursprünglich Name des südwestlichen Teils von Gallien (s. Karte „Germanien und Gallien“), insbesondere des von iberischen Stämmen bewohnten Landes zwischen den Pyrenäen und der Garonne; dann (seit Augustus) Name einer römischen Provinz, welche das Land von den Pyrenäen bis zum Liger (Loire) und vom Atlantischen Ozean bis zu den Cevennen umfaßte. Diese 275,300 qkm (5000 QM.) große, über ein Drittel des heutigen Frankreich umfassende Provinz ward im 4. Jahrh. wieder in drei andre zerteilt: 1) Aquitania prima, der nordöstliche Teil, mit den spätern Landschaften Berry, Bourbonnais, Auvergne, Velay, Gévaudan, Rouergue, Albigeois, Quercy und Marche; 2) A. secunda, der Nordwesten, mit der Hauptstadt Burdigala (Bordeaux) und den spätern Landschaften Bordelais, Poitou, Saintonge, Angoumois und dem westlichen Guienne; 3) A. tertia oder Novempopulana, der südlichste Teil an den Pyrenäen, entsprechend den spätern Landschaften Bigorre, Cominge, Armagnac, Béarn, Pays des Basques, Gascogne u. a.

Die ältesten Einwohner Aquitaniens waren Iberer, unter denen sich keltische Stämme, namentlich die Bituriger, niederließen. Den Römern wurde A. 57 v. Chr. durch Cäsars Legaten Crassus unterworfen. Das Land umfaßte damals bloß den südwestlichsten, überwiegend von Iberern bewohnten Teil Galliens (das spätere Vasconia oder Gascogne). Bei der neuen Provinzeinteilung unter Octavianus 37 v. Chr. wurde A. nach N. und O. bis zur Loire erweitert. In der Völkerwanderung ließen sich die Westgoten unter Athaulf in A. nieder und stifteten unter Wallia, Athaulfs Nachfolger, ein Reich mit der Hauptstadt Toulouse. Durch die Schlacht bei Voullon (507) ward mit ganz Südgallien auch A. ein Teil des fränkischen Reichs. Doch blieb die Bevölkerung auch unter germanischer Herrschaft romanisch. Unter den Merowingern bildete A. ein nur dem Namen nach von dem Frankenreich abhängiges Herzogtum. Seit 720 machten die Araber wiederholt Einfälle in A.; Herzog Eudes suchte vor den Arabern schließlich bei Karl Martell Zuflucht, und dieser rettete A. 732 durch den Sieg bei Poitiers. Nach blutigen Kämpfen zwischen den Karolingern und den Herzögen Hunold und Waifar, die auch unter dem Frankenkönig Pippin fortdauerten, ward A. 771 durch Karl d. Gr. zu einer Provinz des fränkischen Reichs gemacht und von Grafen regiert, bis es von Karl d. Gr. zum Königreich erhoben und seinem Sohn Ludwig dem Frommen verliehen wurde, wodurch sich aber in der Verwaltung des Landes oder in dessen Stellung zum Reich nichts änderte. Im J. 814 übergab Ludwig A. nebst der spanischen Mark zur Verwaltung seinem Sohn Pippin, welcher 817, als Ludwig sein Reich teilte, zum König von A. ernannt wurde. Als Ludwig der Fromme A. seinem jüngsten Sohn, Karl, zuwies, konnte dessen Anerkennung nicht allgemein durchgesetzt werden. In dem Vertrag von Verdun (843) wurde A. zwar zu Karls des Kahlen Anteil geschlagen, das Land blieb aber der Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen Kronprätendenten. Die meisten erklärten sich für Pippin II., den Sohn des genannten Pippin, und Karl sah sich 845 genötigt, demselben die Herrschaft über A. mit Ausnahme von Poitou, Saintonge und Angoumois zu überlassen. Mit Pippin unzufrieden, wählten jedoch die meisten Großen Aquitaniens bald den kaum vertriebenen Karl abermals zum König (849). Pippin selbst wurde einige Jahre darauf von dem Grafen Sancius von Vaskonien gefangen, an Karl ausgeliefert und nach dem Medarduskloster zu Soissons in Gewahrsam gebracht. Karl ließ nun 855 seinen Sohn Karl, noch einen Knaben, zum König wählen, der im folgenden Jahr (856) durch Pippin verdrängt, nach dessen bald erfolgtem Sturz aber restituiert ward. Nach seinem Tod 867 folgte als König von A. sein Bruder Ludwig der Stammler, und als dieser nach Karl dem Kahlen (877) den westfränkischen Thron bestieg, blieb A. mit Frankreich vereinigt, ward jedoch von neuem an einen Vasallen, Rainulf, Grafen von Poitiers, mit dem Herzogstitel verliehen. Dieser nahm, als Odo, Graf von Paris und Herzog von Francien, zum König in Westfranken erwählt wurde, den Königstitel an. A. umfaßte unter seinem Nachfolger Wilhelm Werghaupt (Tête d’étoupes) um 950 die Grafschaften Gascogne, Armagnac, Fézensac, Périgord, Poitou, Angoulême und La Marche, während das Gebiet der obern Garonne 929 an den Grafen Raimund Pons von Toulouse verliehen worden war. Die Rivalität der beiden Häuser Poitou und Toulouse zerrütteten das Land und schwächten seine politische Macht und Selbständigkeit. In diesen Zeiten verschwand der Name A. und blieb nur dem Besitz der Familie Poitou in der korrumpierten Form Guienne (s. d.). Vgl. Mabille, Le royaume d’Aquitaine (Toulouse 1870).

Aquitanien (spr. -ĭä́ng), s. Tertiärsystem.