Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Anfechtung“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 563564
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Anfechtung. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 563–564. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Anfechtung (Version vom 01.11.2021)

[563] Anfechtung, im Zivilrecht oder Prozeß im weitern Sinn jeder durch Benutzung eines Rechtsmittels im weitesten Sinn erfolgende Angriff gegen die Gültigkeit eines Rechts- oder Prozeßaktes; im engern Sinn scheidet man oft den Fall aus, wo eine Rechtshandlung vermöge innern Mangels ungültig, nichtig ist (z. B. Nichtigkeit eines Geschäfts wegen Mangels der gesetzlichen Form), und versteht, im Gegensatz zur Geltendmachung dieser Nichtigkeit, unter A. nur den Fall, wo aus Umständen, die außerhalb der Rechtshandlung liegen, die Ungültigkeit der an sich gültigen Rechtshandlung herbeigeführt wird (z. B. A. eines Geschäfts wegen Betrugs oder Zwanges). Die A. in letzterm Sinn steht nicht, wie die Geltendmachung der Nichtigkeit, jedem Beteiligten zu, sondern nur den Personen, für welche nach dem Gesetz der Anfechtungsgrund wirksam ist. A. von Rechtshandlungen eines Schuldners wegen Benachteiligung der Gläubiger war nach früherm gemeinen Recht regelmäßig nur wegen bezüglichen Verhaltens des Schuldners zulässig (sogen. Paulianische Klage des römischen Rechts). Das jetzige deutsche Recht bestimmt ähnlich wie das neuere englische und französische, daß Rechtshandlungen zum Nachteil der Gläubiger, die der Schuldner nach Eröffnung des Konkursverfahrens vornimmt, nichtig sind, im übrigen aber binnen einem Jahr von Eröffnung des Konkursverfahrens ab folgende Rechtshandlungen des Schuldners zum Nachteil der Gläubiger der A. [564] des Konkursverwalters unterliegen (Konkursordnung, Buch 1, Titel 3, § 22–34): 1) Die nach oder in den letzten zehn Tagen vor der Zahlungseinstellung (thatsächlichen Insolvenz) oder dem Konkurseröffnungsantrag erfolgte Sicherstellung oder Befriedigung eines Gläubigers, wenn dieser hierauf nicht, oder nicht in der Art, oder nicht in der Zeit Anspruch hatte und nicht beweist, daß Zahlungseinstellung oder Konkurseröffnungsantrag und Begünstigungsabsicht des Schuldners ihm unbekannt waren; ferner alle sonstigen nach der Zahlungseinstellung oder dem Konkurseröffnungsantrag vorgenommenen Begünstigungen der Gläubiger und Rechtsgeschäfte, wenn dem andern Teil diese Einstellung oder der Antrag bekannt war. Doch können Rechtshandlungen, welche früher als sechs Monate vor der Eröffnung des Konkurses erfolgt sind, aus dem Grund einer Kenntnis der Zahlungseinstellung nicht angefochten werden, Wechselzahlungen dann nicht, wenn ohne ihre Annahme der Empfänger den Regreß gegen andre Verpflichtete verloren hätte. 2) Rechtshandlungen, welche der Schuldner in der dem andern Teil bekannten Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat. Daß diese Absicht vorlag, wird ohne weiteres angenommen, wenn in dem letzten Jahr vor der Konkurseröffnung ein entgeltlicher Vertrag des Schuldners mit seinem Ehegatten vor oder während der Ehe, mit seinen oder dessen Verwandten auf- und absteigender Linie, mit seinen oder dessen Geschwistern oder mit dem Ehegatten einer dieser Personen geschlossen wurde. Desgleichen wird bis zum Beweis des Gegenteils angenommen, daß diesen Angehörigen des Schuldners dessen Absicht, die Gläubiger zu benachteiligen, bekannt war. 3) Die in dem letzten Jahr vor der Konkurseröffnung von dem Schuldner vorgenommenen unentgeltlichen Verfügungen mit Ausnahme üblicher Gelegenheitsgeschenke sowie Rückzahlungen von Einlagen oder Erlasse von Verlusten eines stillen Handelsgesellschafters (deutsches Handelsgesetzbuch, Art. 29; Einführungsgesetz zur Konkursordnung, § 3, Abs. 1); ferner jede in den letzten zwei Jahren vor der Konkurseröffnung vom Schuldner vorgenommene unentgeltliche Verfügung zu gunsten seines Ehegatten wie auch Sicherstellung der Rückgewähr des Heiratsguts oder des gesetzlich in seine Verwaltung gekommenen eheweiblichen Vermögens, sofern er hierzu nicht durch das Gesetz oder einen vor diesem Zeitraum geschlossenen Vertrag verpflichtet war. Die A. wird überall dadurch nicht ausgeschlossen, daß für die Rechtshandlung ein vollstreckbarer Schuldtitel erlangt oder dieselbe durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung erwirkt ist. Die A. hat zur Folge, daß der betreffende Erwerb zur Konkursmasse zurückzugewähren ist vom gutgläubigen Empfänger und, insoweit er bereichert ist. Die Gegenleistung ist aus der Konkursmasse zu erstatten, soweit sie sich in derselben befindet oder die Masse bereichert ist, im übrigen nur wie eine unbevorzugte Konkursforderung. Die Klage geht auch gegen Erben und bösgläubige sonstige Rechtsnachfolger. Auch außerhalb des Konkursverfahrens ist nach dem Reichsgesetz vom 21. Juli 1879 die A. von Rechtshandlungen eines Schuldners zulässig unter den obigen Voraussetzungen 2) und 3) nach denselben Grundsätzen, mit den Abweichungen: 1) daß Kläger der benachteiligte Gläubiger ist, der eine fällige Forderung mit vollstreckbarem Schuldtitel hat und voraussichtliche oder wirkliche Erfolglosigkeit der Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners nachweist; 2) daß die Fristen von der Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage ab rückwärts berechnet werden; 3) daß der Beklagte Rückgewähr nur so weit, als zur Befriedigung des Gläubigers nötig, zu leisten, 4) wegen der Erstattung des Gegenwerts sich an den Schuldner zu halten hat, sowie 5) daß das Recht zur A. in zehn Jahren verjährt. Vgl. Anfechtungsklage.