MKL1888:Agrarĭer
[199] Agrarĭer (Steuer- und Wirtschaftsreformer), polit. Partei in Deutschland, welche die Standesinteressen der Landwirte im politischen Leben vertritt. Die ersten Anfänge der Partei sind zurückzuführen auf eine Versammlung, welche auf Anregung von M. A. Niendorf (gest. 1878) und Elsner v. Gronow im Mai 1869 zu Breslau während der dortigen Wanderversammlung deutscher Land- und Forstwirte stattfand und zunächst das Erscheinen der von Niendorf redigierten „Deutschen Landeszeitung“ zur Folge hatte. Der agrarische Gedanke ist der früher schon von Rodbertus theoretisch formulierte, daß die neuere Gesetzgebung überwiegend dem Kapital, d. h. zunächst dem Geldkapital, zu gute komme und der Grundbesitz oder die Landwirtschaft demselben gegenüber benachteiligt sei. Der Kongreß norddeutscher, später deutscher Landwirte war ein Sammelpunkt der agrarischen Gesinnungsgenossen, die dort von Jahr zu Jahr größern Einfluß errangen. Der Gründungsschwindel und der darauf folgende Krach schafften den Gegnern der modernen Wirtschaftspolitik und den Feinden der zunehmenden Bedeutung des beweglichen Kapitals größern Spielraum, und in den Tagen vom 22. bis 24. Febr. 1876 fand in Berlin eine konstituierende Versammlung „deutscher Steuer- und Wirtschaftsreformer“ statt, welchen Namen die A. seitdem offiziell angenommen haben. Das Programm bezeichnete namentlich die Beseitigung der Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer als ein Ziel der Vereinigung. Die ursprünglich stark betonte freihändlerische Richtung ist mehr und mehr zurückgetreten, und 1879 billigte sogar die Mehrzahl der A., besonders die schlesischen Grundbesitzer, im Reichstag gegen das Zugeständnis der Getreide- und Holzzölle den neuen schutzzöllnerischen Tarif. Vgl. Wilmanns, Die goldene Internationale und die Notwendigkeit einer sozialen Reformpartei (Berl. 1876).