Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Adrianopel“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 132133
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Adrianopel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 132–133. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Adrianopel (Version vom 05.03.2023)

[132] Adrianopel (türk. Edirné, bulg. Odrin), Hauptstadt des türk. Wilajets gleichen Namens, am rechten Ufer der Maritza, welche hier die Arda und Tundscha aufnimmt, liegt sehr schön in einem anmutigen, fruchtbaren Thal, während ihr Inneres enge, krumme, schlecht gepflasterte, schmutzige Straßen zeigt. Unter den Gebäuden verdienen genannt zu werden: die prachtvolle Moschee Sultan Selims II., das neue Schloß (Serai), die von den griechischen Kaisern herrührende Michaelisbrücke über die Tundscha und der ca. 600 Schritt lange Bazar Ali Paschas. A. hat 65–68,000 Einw. (darunter 22–23,000 Mohammedaner, d. h. Türken und wenige Zigeuner, ca. 30,000 griechisch-orientalische Christen [Griechen und Bulgaren], 7–8000 spanische Juden, 5–6000 gregorianische Armenier, 400–500 Katholiken, 140 Protestanten und einige Hundert heidnische Zigeuner). A. hat eine geringe Industrie, von Fabriken gibt es aber nur einige Mühlen und eine Seidenspinnerei; es ist Zentralsitz des thrakischen Handels, gestützt durch Eisenbahnverbindung mit Konstantinopel und Philippopel; berühmt sind Rotgarn, Halwa (aus Sesam und Zucker), Quitten und Quittenkonfekte; der in der Nähe gewonnene Wein, dessen Anbau sehr zunimmt, gilt für den besten in der Türkei. In A. residieren 4 Bischöfe, 1 Großrabbiner, 1 Mufti und mehrere europäische Konsuln. – Adrianopels ältester Name ist Uskadama; es war die Hauptstadt der thrakischen Bessier und wird von einigen byzantinischen Schriftstellern auch Orestia genannt. Vom römischen Kaiser Hadrian, welcher die Stadt erweiterte und verschönerte, erhielt sie ihre jetzige Benennung und wurde merkwürdig durch die in ihrer Nähe 9. Aug. 378 dem Kaiser Valens durch die Goten beigebrachte Niederlage. Nach ihrer Eroberung 1360 durch den osmanischen Sultan Murad I. war sie bis zum Fall Konstantinopels 1453 Residenz der osmanischen Sultane. Auch jetzt noch heißt sie die zweite Hauptstadt des osmanischen Reichs, obgleich sie von den Sultanen selten besucht wird. Im russisch-türkischen Krieg wurde A. 20. Aug. 1829 durch den Feldmarschall Diebitsch-Sabalkanski erobert, worauf 14. Sept. d. J. unter preußischer Vermittelung der Friede zu A. geschlossen wurde. Die Pforte erhielt alle von den Russen in Bulgarien und Rumelien gemachten Eroberungen zurück. Der Pruth und von dessen Mündung an das rechte Donauufer wurden als Grenze zwischen Rußland und der Türkei in Europa festgesetzt, wogegen das ganze Küstenland des Schwarzen Meers, von der Mündung des Kuban an bis zum Hafen St. Nikolaus, die kaukasischen Länder sowie der größte Teil des Paschaliks Achalzych, diese Stadt selbst und das Fort Achalkalaki den Russen verbleiben sollten. Auch ward diesen Handelsfreiheit im ganzen türkischen Reich, freie Schiffahrt auf der Donau und auf dem Schwarzen Meer und, wie auch allen übrigen der Pforte befreundeten Mächten, durch die Dardanellen zugestanden. Die Moldau, Walachei und Serbien blieben unter türkischer Hoheit, erhielten aber eine von Rußland garantierte, vor türkischer Willkür schützende Verfassung. Auch trat die Pforte den von den Großmächten 6. Juli 1827 und 22. März 1829 über Griechenland gefaßten Beschlüssen bei. Für die seit 1806 erlittenen Verluste erhielt Rußland 11/2 Mill. Dukaten; [133] die 10 Mill. Dukaten Kriegsentschädigungskosten wurden auf 7 Mill. herabgesetzt. Zum zweitenmal wurde A. 22. Jan. 1878 von den Russen besetzt und am 31. daselbst der Waffenstillstand zwischen Rußland und der Türkei unterzeichnet.