Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Adoption“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 130131
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Adoption. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 130–131. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Adoption (Version vom 05.03.2023)

[130] Adoption (lat.), Annahme an Kindes Statt, zerfällt in A. im engern Sinn und in Arrogation. Von ersterer spricht man, wenn eine bereits unter väterlicher Gewalt stehende Person an Kindes Statt angenommen wird, folglich nur ein Übergehen aus einer väterlichen Gewalt in eine andre stattfindet; von letzterer aber, wenn eine bisher selbständige Person (z. B. ein Kind, dessen leiblicher Vater gestorben ist) adoptiert, folglich eine väterliche Gewalt da, wo seither eine solche gar nicht existierte, neu begründet wird. Die Befugnis, zu adoptieren und zu arrogieren, ist mehrfachen Beschränkungen unterworfen. Wer bereits leibliche Kinder oder doch die Aussicht hat, solche zu erwerben, darf niemand an Kindes Statt annehmen. Die A. soll eine Nachahmung der Natur sein, weshalb der Adoptierende stets zum wenigsten 18 Jahre älter sein muß als der Adoptierte. Ein Vormund darf sein Mündel erst dann adoptieren, wenn er Rechnung über die Vormundschaft abgelegt hat und nach dieser Ablegung noch vier Jahre verflossen sind. Frauen sind nur in dem Fall zur Vornahme einer A. befugt, wenn sie leibliche Kinder gehabt und diese durch den Tod verloren haben. Endlich darf ein Armer in der Regel keinen Reichen adoptieren. Die A. im engern Sinn kann nur vor Gericht vorgenommen werden, und zum Rechtsbestand der Arrogation ist ein Reskript des Regenten notwendig. Außer der Zustimmung des Adoptivvaters und Kindes wird von den Gesetzen bei der A. die Einwilligung des leiblichen Vaters und bei der Arrogation, sofern der Arrogierte noch unter Vormundschaft steht, die des Vormunds erfordert. Endlich hat bei Arrogation eines Unmündigen das betreffende Gericht zuvor sorgfältig zu untersuchen, ob nicht dem Unmündigen hieraus ein Nachteil entstehen könne. Rücksichtlich der Wirkungen der A. ist folgendes zu unterscheiden: Wenn ein Vater seine leiblichen Kinder oder Enkel (hier vorausgesetzt, daß sie ihn bei seinem Tod beerben würden) einem leiblichen Aszendenten in A. gibt, so liegt ein Fall der vollkommenen A. (adoptio plena) vor. Der Adoptierte tritt hier aus der Familie, wozu er bisher gehörte, heraus und kommt in die Gewalt und in die Familie des Adoptivvaters; er bekommt im Verhältnis zu dieser alle Rechte der natürlichen Blutsverwandtschaft, namentlich Erbrechte. Gibt ein Vater seine leiblichen Kinder einem andern in A., so ist dies eine unvollkommene A. (adoptio minus plena), bei welcher das Kind in der Gewalt und Familie des leiblichen Vaters bleibt und der Adoptivvater gar keine Rechte über das Kind erlangt, letzteres jedoch gegen ihn für den Fall seines Ablebens während der Dauer der A. ein Intestaterbrecht erwirbt. Die von einer Frauensperson vorgenommene A. begründet nie väterliche Gewalt, sondern hat nur die Wirkung, daß das adoptierte Kind in Beziehung auf Alimentation und Erbrecht als leibliches Kind seiner Adoptivmutter angesehen wird. Das Institut der A. ist erst mit dem römischen Recht nach Deutschland gekommen. Dem alten deutschen Recht war sie ganz unbekannt, und daraus erklärt es sich, warum adoptierte Kinder weder den Adel ihres Adoptivvaters noch die Lehen oder Familienfideikommisse desselben erben, indem Adel, Lehen und Familienfideikommisse echt deutsche Institute sind, welche von jedem Einfluß des römischen Rechts frei geblieben sind. In England, wo das römische Recht sehr wenig Eingang gefunden hat, ist noch heutzutage die A. unbekannt, und selbst in Frankreich ist sie erst durch Napoleons I. Code civil eingeführt worden. Die neuern deutschen Gesetzgebungen haben die Bestimmungen des gemeinen Rechts zwar in der Hauptsache beibehalten, dieselben aber wesentlich vereinfacht und unsern gegenwärtigen sozialen Verhältnissen angepaßt. So bestimmt das Preußische Landrecht, daß durch die A. die rechtlichen Verhältnisse zwischen den Adoptierten und ihrem leiblichen Vater in keiner Weise verändert werden sollen, daß zwar das Adoptivkind gegen den Adoptivvater alle Rechte eines leiblichen Kindes erwerbe, nicht aber auch umgekehrt, indem der Adoptivvater gar keine Ansprüche auf das Vermögen des Kindes erhält. Ferner muß in Preußen die Annahme an Kindes Statt stets in einem schriftlichen Vertrag und vor Gericht geschehen, und nur Personen, welche über 50 Jahre alt sind, dürfen adoptieren. Im Code civil ist die A. noch mehr beschränkt, indem nach ihm nur Volljährige und zwar nur dann an Kindes Statt angenommen werden dürfen, wenn sie entweder dem Adoptivvater das Leben gerettet haben, oder von diesem sechs Jahre lang ununterbrochen während ihrer Minderjährigkeit alimentiert worden sind. Das sächsische bürgerliche Gesetzbuch erfordert neben einem gerichtlichen Vertrag die Genehmigung des Landesherrn, der jedoch auch von dem Erfordernis des erfüllten 50. Lebensjahrs auf seiten des Annehmenden und der Altersdifferenz von wenigstens 18 Jahren dispensieren kann, und erlaubt den unehelichen Vätern, ihren unehelichen Kindern nicht bloß auf dem bisher allein zulässigen Weg der Legitimation, sondern auch auf dem der A. zu den Rechten ehelicher Kinder zu verhelfen. In Österreich wird wie in Preußen nur richterliche Bestätigung des Adoptionsvertrags gefordert. Mit adoptierten Kindern dürfen die Pflegekinder nicht verwechselt werden. Die Annahme [131] von solchen ist kein juristischer Akt, denn die Pflegekinder erlangen gegen ihren Pflegevater gar keine Rechte, und dieser hat sie nur, solange es ihm beliebt, bei sich zu behalten und zu ernähren. – Bei den Naturvölkern wird die A. gewöhnlich mit einer Zeremonie verbunden, welche durch eine Scheinentbindung, Saugenlassen an der Brust oder am Daumen den Empfang eines wirklichen Leibeserben symbolisieren sollte. Noch bei den Griechen dauerte diese weitverbreitete Sitte fort. Vgl. Couvade.