Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Acht“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 9091
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Acht. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 90–91. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Acht (Version vom 25.01.2022)

[90] Acht, in der Reihe der Zahlen die erste, welche die dritte Potenz einer kleinern, der Zwei, ist. Eine Eigentümlichkeit der A. ist es, daß das um 1 verminderte Quadrat einer ungeraden Zahl sich stets durch 8 teilen läßt und der Quotient eine Trigonalzahl ist; z. B. . Dieser und ähnlicher Eigenschaften halber galt die A. im Altertum für eine ebenso vollkommene Zahl wie die Drei. Nach der biblischen Erzählung von der Sündflut blieben acht Menschen übrig. Die Griechen bildeten die Hauptwinde auf einem Oktogon ab, und in der chaldäischen Astrologie dienten die acht Örter des Himmels zur nähern Bestimmung der Weltgegenden. Die alten Gallier schon wählten die achteckige Gestalt zu ihren Tempeln, und im Mittelalter trug man dieselbe als heilige Form auf christliche Kirchen über.

Acht (vom altdeutschen „Echt“, d. h. Bund oder Gesetz), ursprünglich das höchste Gesetz, wie auch das Synonym Bann eigentlich die höchste Gewalt und gesetzliche Verpflichtung bedeutete; daher das höchste Gericht und der Bezirk, in welchem die Aussprüche desselben bindend sind, sowie die Strafe oder Buße, durch welche jene Aussprüche verwirklicht werden oder ihr Bann gelöst wird. Vorzugsweise wurde der Ausdruck A. und Bann in der letztern Bedeutung von der gesetzlichen und gerichtlichen Ausstoßung aus dem bürgerlichen Friedens- und Rechtsverein, der Gesetz- oder Rechtloserklärung, gebraucht. Diese Friedensaufkündigung bildet das Wesen von Bann und A. und vom Achtsprozeß (processus bannitorius). Sobald jemand den Friedensstand verletzt hatte, mußten, wenn durch eine Anklage Genugthuung verlangt wurde, die Vorsteher des Staatsvereins und seine Volksgerichte den Angeklagten feierlich auffordern, entweder vor Gericht die Anklage zu widerlegen, oder durch Verzichtleistung auf fernere [91] Störung und durch Leistung der nötigen Entschädigung oder Buße sich mit dem Ankläger und dem verletzten Verein wieder auszusöhnen. Das Recht zu solcher feierlicher Aufforderung wie die Ausübung oder jenes Auffordern und Vorladen selbst hieß Bann im weitesten Sinn und stand seit Ausbildung der königlichen Macht den Königen und den von diesen damit bevollmächtigten Gerichten zu. Wenn auf dreimalige, je eine sächsische Frist (6 Wochen und 3 Tage) haltende Vorladung der Angeklagte sich nicht stellte oder die aufgegebene Buße nicht leistete, so traf ihn die Unteracht, d. h. sein Vermögen wurde mit Beschlag belegt, und bei Strafe durfte ihn niemand im Bannbezirk aufnehmen und unterstützen, der Ankläger aber durfte ihn ergreifen und vor Gericht stellen. Wenn er nun Jahr und Tag (1 Jahr, 6 Wochen und 3 Tage) in diesem Bann blieb, ohne die nötige Buße zu leisten, so wurde vom König die Oberacht (Aberacht), der Königsbann, d. h. die völlige Fried- und Rechtlos- oder Vogelfreierklärung, gegen ihn ausgesprochen und dies durch den Achtbrief bekannt gemacht. Erschien der Geächtete oder Verfestete später, wozu er sicheres Geleit auswirken mußte, und bewies er seine Unschuld, so wurde er zwar freigesprochen, mußte aber dem Gericht eine bestimmte Summe (Achtschätzung) zahlen. Reichsacht wurde die A. genannt, welche sich über das ganze Reich, Landacht die, welche sich nur über den Bezirk eines gewissen kaiserlichen oder reichsständischen Landgerichts erstreckte.

Das rechtliche Verfahren, welches den Ausspruch von Bann und A. bedingte, hieß der Achtsprozeß, zu dessen eigentümlichen Formen es gehörte, daß die A. nur unter freiem Himmel ausgesprochen wurde. Viele hierauf bezügliche Bestimmungen erlitten im Lauf der Zeiten bedeutende Abänderungen. Wenn z. B. die Oberacht ursprünglich nur vom König oder vom Kaiser an der Spitze des Reichstags oder des Gerichts der fürstlichen und gräflichen Standesgenossen (der Reichsfürsten und Reichsgrafen) ausgesprochen werden sollte, so verletzten doch einzelne, wie Karl V. bei der Ächtung des Landgrafen Philipp von Hessen und des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen, Ferdinand II. dem Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz gegenüber, die gesetzliche Form und umgingen Reichstag und Fürstengericht. Nach der Einrichtung des Reichskammergerichts sprach dieses oftmals die A. aus, seit dem Westfälischen Frieden der Kaiser mit Zuziehung des an die Stelle des Fürstengerichts getretenen Reichshofrats, und endlich bestimmte die ständige Wahlkapitulation von 1711 (Art. 20), daß eine Ächtung gegen Reichsstände von einem der höchsten Reichsgerichte instruiert, sodann von einer besondern Reichsdeputation begutachtet und durch den Reichstag genehmigt werden müsse. Die letzten Achtserklärungen waren 1706 die gegen den Kurfürsten Maximilian II. Emanuel und dessen Bruder, den Kurfürsten von Köln, welche auch nach dem 1702 an Frankreich erklärten Reichskrieg Bundesgenossen dieser Macht blieben. Gegen den freien, nicht reichsunmittelbaren Bürger aber war das Achtverfahren außer Anwendung gekommen, seitdem die Idee des freien Friedensvereins deutscher Männer dem Begriff der Unterthanschaft unter der regierenden Herrschaft Platz gemacht hatte.