Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Achäer“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 80
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Achäer. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 80. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ach%C3%A4er (Version vom 17.12.2022)

[80] Achäer, einer der vier Hauptstämme des hellenischen Volks, welcher seinen Ursprung von Achäos, einem Sohn des Xuthos und Enkel des Hellen, ableitete. Sie waren den Äoliern nahe verwandt und an verschiedenen Stellen der griechischen Küste ansässig, und zwar erscheinen sie als die herrschenden Geschlechter, aus denen Fürsten und Helden hervorgehen, und die zuerst Staaten gründen. So in Phthiotis, wo Peleus und Achilleus herrschten, und von wo sie sich zuerst in Argolis und sodann über einen großen Teil des Peloponnes ausbreiteten, mit Ausnahme Arkadiens, wo die Pelasger sich behaupteten, und Ägialeias, wo Ionier saßen. Da in der Heroenzeit das achäische Königshaus der Atriden in ganz Griechenland von vorwiegendem Einfluß war, so wird bei Homer der Name A., wie der der Argeier und Danaer, auch zur Bezeichnung der Griechen insgesamt gebraucht. Infolge der dorischen Wanderung (s. Dorier) gingen ihre Staaten im Peloponnes fast alle zu Grunde. Ein Teil der A. blieb in den von den Doriern eroberten Landschaften wohnen und vermischte sich mit jenen. Ein andrer wandte sich im Verein mit Äoliern nach der nordwestlichen Küste von Kleinasien, wo sie in den langwierigen Kämpfen um Dardanien (Troas) sich an Sagen und Liedern von den Thaten ihrer Helden Achilleus und Agamemnon stärkten und anfeuerten, aus denen später die „Ilias“ entstand. Nur in Arkadien behaupteten die A. ihre Unabhängigkeit und nahmen von hier aus den Ioniern das nördliche Küstenland (Ägialeia) ab, das seitdem Achaia (s. d.) genannt wurde. Herodot zählte zwölf achäische Städte auf, die zusammen einen Staatenbund bildeten und am Heiligtum des Poseidon bei Helike gemeinsame Feste feierten. Sie standen anfangs unter der Herrschaft von Königen, des Orestes Nachkommen, deren letzter Ogyges war. Auf das Königtum folgte eine gemäßigte Demokratie. Durch die Abgeschlossenheit ihres Landes begünstigt, blieben die A. bis zum 4. Jahrh. v. Chr. den Verwickelungen des übrigen Griechenland fern und beteiligten sich auch weder am Persischen noch am Peloponnesischen Krieg. Im Thebanischen Krieg standen sie zuerst auf seiten der Spartaner, schlossen jedoch dann mit den Thebanern einen Separatfrieden und wurden von den beiden streitenden Parteien nach der Schlacht bei Leuktra zu Schiedsrichtern gewählt. Das Versinken Buras und Helikes ins Meer durch ein Erdbeben (373) trug dazu bei, das lockere Bundesverhältnis der A. vollends zu lösen. Bei Chäroneia (338) kämpften sie auch zum letztenmal mit für Griechenlands Freiheit. Die makedonische Herrschaft wurde von dem achäischen Volk, das hinsichtlich seiner geistigen Entwickelung andern griechischen Stämmen nachstand, aber von ursprünglicher und kraftvoller Art war, besonders hart empfunden. Die A. benutzten deshalb die Thronstreitigkeiten und andre Verwirrungen in Makedonien zur Vertreibung der Besatzungen und zur Erneuerung des alten Achäischen Bundes (280). Größere Bedeutung erhielt dieser Bund aber erst 251, als Aratos, der seine Vaterstadt Sikyon von der Herrschaft des Tyrannen Nikokles befreit und dem Bund zugeführt hatte, zum Bundesfeldherrn (Strategen) gewählt wurde. Es gelang ihm, den Bund nach außen hin mächtig auszudehnen und ihm zugleich eine vortreffliche Verfassung zu geben. Die bedeutendsten Städte des Peloponnes, wie Korinth, Epidauros, Megalopolis und Argos, auch mehrere Städte des mittlern Griechenland, z. B. Megara und selbst Athen, traten dem Bund bei. Sein Zweck war: möglichste Gleichheit und innere Freiheit der einzelnen Staaten bei starker und fester Vereinigung nach außen. Jede der verbündeten Republiken war in ihren innern Verhältnissen ganz selbständig; für gemeinschaftliche Bundeszwecke aber bildeten sie ein festgegliedertes Ganze, das dem Einzelstaat die Macht entzog, Krieg und Frieden zu schließen und Bündnisse einzugehen. An der Spitze standen ein Strateg, ein Hipparch, ein Hypostrateg und zehn Demiurgen (Archonten), welche die regelmäßigen Bundesversammlungen in Ägion zusammenberiefen und die zu fassenden Beschlüsse vorbereiteten. Der Bund schien Griechenland neu beleben und verjüngen zu können, und es herrschte große Begeisterung für das neue freie Gemeinwesen, die aber nicht lange nachhielt. Den ganzen Peloponnes für den Bund zu gewinnen, scheiterte an Spartas und Elis’ Weigerung, und eifersüchtig betrachteten die Ätolier die Fortschritte der A. Als diese sich mit den Spartanern zu gemeinsamem Kampf gegen den Achäischen Bund erhoben und die A. mehrere Niederlagen erlitten, rief Aratos den makedonischen König Antigonos Doson zu Hilfe und gestattete ihm die Besetzung Korinths, des Schlüssels zum Peloponnes. Die Schlacht bei Sellasia (221) entschied zwar für die A., und Sparta sank in Ohnmacht; aber auch der Achäische Bund selbst hatte seine nationale Bedeutung verloren. Bereits 220 riefen die A. von neuem die Makedonier gegen die Ätolier zu Hilfe und veranlaßten dadurch den sogen. Bundesgenossenkrieg (220–217). Im ersten Krieg Philipps V. von Makedonien mit Rom 211–205 blieben die A. den Makedoniern treu, 198 aber, im zweiten römisch-makedonischen Krieg, traten sie zu den Römern über und erhielten dafür die Erlaubnis, Korinth und die andern bisher von den Makedoniern besetzten Städte des Peloponnes wieder in ihren Bund aufzunehmen, wodurch derselbe zwar an Ausdehnung, aber nicht an Kraft gewann. Streitigkeiten der Bundesstädte untereinander und der politischen Parteien in den einzelnen Städten und auf den Tagsatzungen, daneben die erbittertsten Kämpfe mit den Ätoliern sowie mit Nabis und Machanidas, den Tyrannen von Sparta, rieben seine Kräfte auf. Einzelne tüchtige Männer, wie namentlich Philopömen, suchten zwar diesem Verfall zu steuern, doch ohne dauernden Erfolg. Während des dritten römisch-makedonischen Kriegs 171–168 blieben die A. neutral, gerieten aber gerade dadurch in völlige Abhängigkeit von den Siegern, welche im J. 167 1000 der edelsten A. wegen makedonischer Gesinnung nach Rom zur Verantwortung forderten und sie in Italien als Gefangene zurückhielten. Fernere Gewaltthaten der Römer reizten die A. endlich 146 zur Kriegserklärung. Ihr Strateg Kritolaos wurde aber von Metellus bei Skarpheia, sein Nachfolger Diäos von Mummius bei Leukopetra besiegt, Korinth, in dessen Mauern eine lärmende Tagsatzung die Forderungen der Römer verworfen hatte, zerstört, der Achäische Bund aufgelöst und ganz Griechenland unter dem Namen Achaia in eine römische Provinz verwandelt (146 v. Chr.). Vgl. Gerhard, über den Volksstamm der A. (Berl. 1854); Klatt, Forschungen zur Geschichte des Achäischen Bundes (das. 1877).