Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Abälard“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 1213
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Abälard. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 12–13. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ab%C3%A4lard (Version vom 11.04.2021)

[12] Abälard (Abeilard, Abeillard, Abélard), Peter, scholast. Philosoph und Theolog, der kühnste Denker des 12. Jahrh., war 1079 in dem Flecken Paletz oder Palais unweit Nantes (daher Doctor Palatinus) geboren, studierte zu Paris und zog sich durch seine Bekämpfung des sogen. Realismus, insofern er die allgemeinen Begriffe (universalia) zwar [13] nicht, wie der Nominalismus, für bloße Namen und Abstraktionen, aber doch lediglich für Verstandeszusammenfassungen (conceptus) erklärte, den Haß seines auf seinen Scharfsinn eifersüchtigen Lehrers Wilhelm von Champeaux, der sich zuletzt für überwunden erklären mußte, zu. Als Leiter der Schule von Notre Dame bildete A. die ausgezeichnetsten Männer, unter ihnen den nachmaligen Papst Cölestin II., Petrus Lombardus, Berengar und Arnold von Brescia. Der Kanonikus Fulbert nahm ihn in sein Haus als Lehrer seiner Nichte Heloise auf. A., obgleich bereits 38 Jahre alt, entbrannte in heftigster Liebe für das schöne und geistreiche 17jährige Mädchen und fand die glühendste Erwiderung seiner Leidenschaft. Er entführte die Geliebte nach der Bretagne, wo sie im Hause seiner Schwester einen Sohn gebar, und nachdem er mit Fulberts Einwilligung sich mit Heloise vermählt hatte, kehrte diese in das Haus des Oheims zurück, leugnete aber die Ehe, um A. an der Erlangung kirchlicher Würden nicht hinderlich zu werden. Darüber und über eine zweite Entführung erbittert, ließ Fulbert A. überfallen und entmannen, um ihn zur Erlangung kirchlicher Ehren kanonisch unfähig zu machen. Tief gebeugt durch diese Schmach, barg sich A. als Mönch in der Abtei St.-Denis und bewog auch Heloise, in Argenteuil den Schleier zu nehmen. Die Kraft seiner Rede, die Klarheit und Bestimmtheit seines Vortrags sowie die ganze Richtung seiner Theologie zogen Schüler aus allen Ländern herbei. Er suchte den kirchlichen Glauben auf allgemeine Vernunftprinzipien zurückzuführen, sah die Freiheit des Willens und das Vermögen der Selbstbestimmung als Grundlage der Sittenlehre an, und wie nur aus ihr die Zurechnungsfähigkeit der Handlung hervorgehe, so lehrte er, daß auch nur die aus ihr hervorgehende Reue und Buße, nicht die äußerlichen Gebräuche der Kirche selig machen könnten; bildlich und gleichnisweise sei vieles in der kirchlichen Glaubenslehre, so z. B. in der Dreieinigkeit die drei Haupteigenschaften Allmacht, Weisheit und Güte, angedeutet. A. erscheint als offener Vertreter der rationalistischen Richtung in der Kirche. Die Synode zu Soissons (1121) erklärte seine Ansichten über die Dreieinigkeit für ketzerisch und verurteilte ihn zur Einsperrung im Kloster St.-Médard. Der päpstliche Legat hob diese Strafe auf, und A. kehrte nach St.-Denis zurück, verließ aber nach einiger Zeit dieses Kloster und erbaute zu Nogent an der Seine eine Kapelle und Klause, Paraklet genannt, die er, ansehnlich erweitert, nach seiner Ernennung zum Abt von St.-Gildes-de-Ruys in der Bretagne Heloisen und ihren Religiosen zur Wohnung überließ, da das Kloster zu Argenteuil aufgehoben worden war. Der Abt Wilhelm von St.-Thierry erneuerte die Beschuldigung der Ketzerei gegen die Schriften Abälards, und an die Spitze der Gegner stellte sich Abälards ehemaliger Bewunderer, Bernhard von Clairvaux, der es dahin brachte, daß das Konzil zu Sens (1140) und, als A. an den Papst appellierte, Papst Innocenz II. seine Lehre verdammten. Peter der Ehrwürdige, Abt zu Clugny, söhnte A., nachdem er seine Trinitäts- und Erlösungstheorie widerrufen, mit seinen Feinden aus, und in frommer Andacht, mit Studieren und Lehren beschäftigt, ein Muster klösterlicher Zucht, lebte A. ruhig zu Clugny, bis er am Aussatz erkrankte. Auf den Rat der Ärzte ließ ihn Peter nach der Priorei St. Marcellus bei Châlons bringen, wo ihn der Tod 21. April 1142 ereilte. Heloise, die ihm erst 17. März 1163 im Tod folgte, erbat sich den Leichnam und ließ ihn im Paraklet begraben. Beider Asche wurde 1808 in das Museum der französischen Denkmäler nach Paris gebracht und 1828 in einem eigens dazu erbauten Grabmal auf dem Kirchhof Père Lachaise beigesetzt. Abälards lateinische Schriften und Briefe hat Amboise gesammelt und Duchesne (Par. 1616), zuletzt Cousin (das. 1849 bis 1859, 2 Bde.) herausgegeben. Neuerdings aufgefundene Werke, darunter das »Sic et Non«, eine Sammlung dogmatischer Widersprüche der Kirchenväter, sind teils durch Cousin (Par. 1836), teils durch Rheinwald (Berl. 1831) veröffentlicht worden. Vgl. Rémusat, Abélard (Par. 1845, 2 Bde.); Wilkens, Peter A., eine Studie in der Kirchengeschichte (Götting. 1855); Deutsch, Peter A., ein kritischer Theolog (Leipz. 1883); Carriere, A. und Heloise, ihre Briefe und Leidensgeschichte (2. Aufl., Gieß. 1853); Sauerland, A. und Heloise (Frankf. 1879).