Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ätzmittel“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 2 (1885), Seite 36
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Ätzmittel. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 2, Seite 36. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:%C3%84tzmittel (Version vom 28.12.2022)

[36] Ätzmittel (Remedia caustica oder Epicaustica), in der Medizin solche Stoffe, welche vermöge ihrer eigentümlichen chemischen Beschaffenheit zerstörend auf die Gewebe des tierischen Körpers wirken, mit denen sie in Berührung gebracht werden (Ätzung, Kauterisation). Die Ä. wirken teils dadurch zerstörend, daß sie den Geweben das Wasser entziehen, teils dadurch, daß sie mit den Eiweißstoffen der Gewebe eine chemische Verbindung eingehen. Die zerstörte Gewebepartie stellt sich zunächst als Ätzschorf dar und wird nach einiger Zeit ganz losgestoßen. Als Ä. werden benutzt: konzentrierte Schwefelsäure, Salpetersäure, Salz- und Essigsäure, Ätzkali, Ätznatron, Ätzkalk, Chlorzink, Chlorbrom (Hauptbestandteil des Landolfischen Ätzmittels), Kupfervitriol, Höllenstein etc. Man wendet die Ä. entweder in Substanz oder in Lösung, in Salben-, Pasten- oder in Pulverform an. Das stärkste Ä. von allen, das Kauterisationsmittel im eigentlichen Sinn (cauterium actuale), ist das Glüheisen, ein zur Weißglühhitze gebrachter Eisenstab, welcher die mit ihm berührten Gewebe sofort tötet und in einen schwarzbraunen Schorf verwandelt. Die neuere Chirurgie hat das Glüheisen für gewisse Fälle durch das galvanokaustische Verfahren, bei dem durch einen starken galvanischen Strom Platindrähte glühend gemacht und zum Ätzen benutzt werden, ersetzt. Die Ä. werden angewandt entweder wegen ihrer Fähigkeit, Gewebe zu zerstören, oder um als kräftige Entzündungserreger zu wirken. In der ersten, sehr mannigfachen Reihe von Fällen wendet man Ä. an bei wucherndem, sogen. wildem Fleisch an Wunden, bei Wucherungen der Augenbindehaut, der Schleimhäute, vorzugsweise am Gebärmuttermund, zur Blutstillung durch die Schorfbildung und endlich zur Entfernung und Abtötung von giftigen Wunden, Milzbrandpusteln und Neubildungen jeglicher Art, welche der Operation zugänglich sind. Je nach der Tiefe, bis zu welcher die Zerstörung dringen soll, wendet man bald das eine, bald das andre Mittel, in den letztgenannten Fällen am sichersten das Glüheisen an. Die entzündungserregende Wirkung der Ä. wird benutzt bei torpiden, schlecht heilenden, stinkenden Wunden, bei brandigen Geschwüren, Hospitalbrand, Diphtheritis und vielfach in Form des Glüheisens, wenn es sich um kräftige Ableitung, z. B. bei Gelenkentzündungen auf die äußere Haut, handelt.