Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ägīna“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 191192
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Ägīna. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 191–192. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:%C3%84g%C4%ABna (Version vom 09.06.2023)

[191] Ägīna, zum griech. Nomos Attika gehörige Insel, südwestlich von Athen im Golf von Ä. (dem Saronischen Meerbusen der Alten) gelegen, 86 qkm (1,56 QM.) groß mit nur ca. 6000 Einw., gegenwärtig von keiner Bedeutung, im Altertum dagegen länger als ein Jahrhundert die erste Seemacht in den hellenischen Gewässern und zugleich durch Kunstthätigkeit und Industrie hervorragend. Die Insel hat eine dreieckige Gestalt, ist gebirgig (bis 534 m), jetzt gänzlich ohne Bewaldung und fast ohne fließendes Wasser; sie hat nur an der Westseite einige offene Reeden, im übrigen ist sie von zahlreichen Klippen umgeben und namentlich an der Ostseite fast ganz unzugänglich. Der Boden ist steinig und mager, zumeist aus Kalk bestehend, jedoch keineswegs unfruchtbar, sondern bei sorgsamer Behandlung für den Anbau von Gerste, Wein, Mandeln, Feigen und Öl wohlgeeignet; außerdem liefert er vortrefflichen Töpferthon und im N. gute Bausteine.

Die Insel, ursprünglich Önone genannt, erhielt nach der Sage den Namen Ä. von der gleichnamigen Tochter des Flußgottes Asopos, welche hier dem Zeus den Äakos gebar. Letzterer herrschte hier über das Geschlecht der achäischen Myrmidonen, die älteste Bevölkerung der Insel, welche der Sage nach bereits Schiffe zimmerte und mit Segeln versah. Später wurde Ä. von Epidauros aus durch Dorier besetzt und kolonisiert, und die junge Kolonie wetteiferte in Schiffahrt und Handel mit der Mutterstadt, bis sie sich um 550 v. Chr. vor deren Oberherrschaft befreite. Von nun an hob sich Ä. immer mächtiger und gelangte an Bevölkerungszahl, Macht und Reichtum zu einer fast beispiellosen Blüte, deren Höhe in die Zeit kurz vor den Perserkriegen fällt. Die Gesamtzahl ihrer damaligen Bevölkerung wird zu ½ Mill. (wovon über 400,000 Sklaven) angegeben. Der Handel ging besonders nach dem Peloponnes sowie nach den entlegenern Küsten des Ostens und Westens, namentlich nach Kreta und dem Pontus, von wo Ä. seinen Getreidebedarf bezog, und wo es auch eigne Kolonien angelegt hatte. Als Ausfuhrartikel lieferte die einheimische Industrie besonders Thon- und Erzwaren. Salben und allerlei Kurz- und Galanteriewaren, die weithin in hohem Ruf standen. Das älteste hellenische Münz-, Maß- und Gewichtssystem ging von Ä. aus, und seine Bewohner waren als schlaue und gewandte, wohl auch betrügerische Handelsleute allgemein bekannt. Indessen thaten sich die Ägineten auch auf andern Gebieten ruhmvoll hervor: mit den Athenern, mit welchen sie aus Handelseifersucht bereits einen Krieg geführt hatten, wetteiferten sie an Tapferkeit in den Schlachten gegen die Perser, gegen welche sie 80 Triëren aufstellten und in der Schlacht bei Salamis den ersten Preis der Tapferkeit errangen; in den Olympischen Spielen trugen die Söhne edler Geschlechter Äginas zahlreiche Siege davon, welche Pindar verherrlichte, und die bildende Kunst, insbesondere die Erzbildnerei, gedieh auf der Insel zu einer Vollendung, die wir noch jetzt bewundern (s. Äginetische Kunst). Nach den Perserkriegen sank A. in demselben Verhältnis, wie Athen stieg. Gegenseitige Eifersucht und Handelsneid weckten und nährten die Feindschaft zwischen beiden Nachbarstaaten, 458 erklärte Ä. mit Korinth und Epidauros Athen den Krieg, doch wurde es nach einem Seesieg der Athener bei Kekryphaleia eingeschlossen und 456 zur Unterwerfung gezwungen. Beim Beginn des Peloponnesischen Kriegs zwangen die Athener 429 die Einwohner, ihr Vaterland mit Weib und Kind zu verlassen und attischen Kolonisten Platz zu machen. Lysandros führte zwar nach Athens Demütigung 404 aus Thyreatis die zerstreuten Überreste der vertriebenen Ägineten zurück, aber die Insel erreichte kaum den Schatten ihrer frühern Macht wieder. Später wurde Ä. abwechselnd eine Beute der Makedonier, der Ätolier, des Attalos, bis es zuletzt unter römische Herrschaft kam.

Die alte gleichnamige Hauptstadt lag an der Westküste in einer breiten fruchtbaren Ebene ungefähr an der Stelle der heutigen Stadt Ä. (mit ca. 3000 Einw.), war aber von weit bedeutenderm Umfang als diese. Sie besaß außer einer offenen Reede zwei große künstliche Häfen, deren Molen noch jetzt wohlerhalten sind, und von denen der südlichere, an welchem Präsident Kapo d’Istrias einen neuen Molo anlegen ließ, noch heute im Gebrauch ist. Sonst zeugen nur wenige Säulenreste, eine Fülle von Scherben alter Thongefäße und zahlreiche in den Felsboden eingesenkte Grabkammern von der alten Stadt. Das bedeutendste Denkmal des alten Ä. sind die etwa [192] 2 Stunden östlich von der Stadt auf 190 m hohem Hügel gelegenen Ruinen des berühmten Athenetempels, der an Größe und Bauart dem Theseustempel in Athen am nächsten kommt, und dessen (1811 aufgefundene) Giebelgruppen ältern strengen Stils jetzt den Äginetensaal der Glyptothek in München zieren (s. Tafel „Bildhauerkunst II“, Fig. 1). Im südöstlichen Teil der Insel stand ehemals auf dem 531 m hohen Gipfel eines Bergs das Heiligtum des Zeus Panhellenios, ein einfacher, von einer halbkreisförmigen Mauer umgebener Altar, an dessen Stelle jetzt eine Kapelle des heil. Elias getreten ist. Vgl. About, Mémoire sur l’île d’Égine (in „Archives des missions scientifiques, etc.“, 3. Teil).