Textdaten
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Autor: Friedrich Gottschalck
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Titel: Mährchen von Questenberg
Untertitel:
aus: Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, S. 68–84
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1814
Verlag: Hemmerde und Schwetschke
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Erscheinungsort: Halle
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Volcks-Sagen: Die Quäste
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Mährchen von Questenberg.

Eine Stunde von Roßla, in der Grafschaft Stolberg, verwittern, zwischen Bergen des Harzes, die Ruinen der Burg Questenberg. In weiter Ferne blinken sie gar deutlich hervor; denn die Burg war von weißem Gyps- oder Kalkstein erbaut, den die Sonne je länger je mehr ausblich. Hier lebte im dreizehnten Jahrhunderte Ritter Knut, der hatte ein einziges Töchterlein, das er sehr liebte, weil er kein Kind mehr hatte. Nun spielte es einmal vor dem Thore der Burg, suchte Blumen im nahen Walde, verlor sich zu tief ins Dickicht, und konnte den Heimweg nicht wieder finden. Die Wärterin, die sorglos vor des Thores Pforte saß, und gewohnt war, das Kind nach Blumen im Gebüsch herumlaufen zu sehen, hatte anfänglich nichts Arges daraus, daß es nicht gleich wieder zurückkam. Als aber der Abend heran dunkelte, und ihr Rufen vergebens, ihr Suchen nach dem theuren Kinde umsonst war, da rang sie angstvoll die Hände, raufte sich das Haar und eilte nach Hülfe auf die Burg zurück. Alles wehklagte und lief in den Wald. Der Burgherr sandte seine Knappen nach allen Windgegenden aus, und die Gemeinheiten wurden aufgeboten, das verlorne Kind zu suchen.

Das Kind hatte sich durch immer schönere Blumen immer tiefer in den Wald locken lassen, war in ein finsteres Thal, durch das kein Weg führte, und endlich zu einer Köhlerhütte gekommen. Hier hatte es sich vor der Thür hingesetzt, und flocht eben mit seinen zarten Fingerchen einen Blumenkranz, an dem zwei Quasten von Blumen herabhingen, als der Köhler es mit einbrechender Nacht bei seiner Rückkehr fand. Das Kind lächelte so freundlich zu ihm hinauf, als kenne es den schwarzen Mann schon längst, bot ihm seinen Blumenkranz an, und verlangte zu essen. Der Köhler kannte das Kind nicht, konnte auch den Namen seines Vaters von ihm nicht erfahren. Er nahm es indessen freundlich auf den Arm, drückte seinen rußigen Mund auf die rothe Wange, trug es in das enge Holzhaus, und pflegte sein. So vergingen mehrere Tage. Das Kind zeigte kein Verlangen zum Vater zurück; denn es fand hier Blumen vor der Hütte, wie vor der Burg, und seine stete Beschäftigung war, Blumenkränze zu winden.

So fanden es endlich nach mehrern Tagen einige Einwohner des unter Questenberg liegenden Dorfes Finsterberg. Groß war ihre Freude. Jubelnd nahmen sie das Kind auf, banden den Blumenkranz, den es eben wand, an eine hohe Stange, trugen diese vorauf, und zogen nun tanzend und singend nach der Burg, wohin auch der Köhler mitgehen mußte.

Hier saß indessen der trauernde Vater, und härmte sich ab und weinte. Alle Hoffnung hatte er schon aufgegeben, alle Freude wollte von ihm schwinden, da tönte mit einem Male das fröhliche Geschrei aus der Ferne zu ihm herauf. Er stürzte die Treppen hinab, zum Burgthore hinaus, und, ach! da hing die kleine Jutta an seinem Halse. Alles weinte vor Freude, alles jubelte mit Thränen im Auge, und das Entzücken des glücklichen Vaters war unbeschreiblich. Die hohe Stange mit dem Blumenkranze wurde im Burghofe aufgepflanzt, und Knappen und alles, was mit eingezogen war, tanzten und zechten um ihn her bis tief in die Nacht hinein.

Zum dankbaren Andenken schenkte der Vater den Einwohnern von Finsterberg einen Strich Waldes, und denen von Roda, das ihm auch gehörte, den Holzfleck, wo sein Kind vor der Köhlerhütte gefunden war[1]. Ferner gab er, veranlaßt durch die Blumenquasten, welche am Kranze des Kindes angebracht waren, seiner Burg und dem darunter liegenden Dorfe Finsterberg den Namen Questenberg, und verordnete, daß jährlich an dem für ihn so freudigen Tage auf dem höchsten Berge der Gegend ein Baum aufgerichtet, und mit einem solchen Kranze, wie der des Kindes war, geschmückt werden solle.

Seitdem hieß und heißt noch die Burg und das Dorf: Questenberg, und seitdem wird bis auf den heutigen Tag dieß Fest jährlich am dritten Pfingstfesttage, jedoch mit einigen durch die Zeitumstände herbeigeführten Abänderungen, als ein echtes Volksfest gefeiert. Die jungen Bursche und Männer des Dorfes suchen sich aus dem Walde den größten ihnen beliebigen Baum aus, hauen ihn am Abend vor Pfingsten ab, nehmen ihm, bis auf eine halbe Elle vom Stamme, alle Aeste, bringen ihn am Tage der Feier früh vor Aufgang der Sonne auf einen hohen Berg gleich über dem Dorfe, richten ihn da auf, und befestigen nun einen von grünen Zweigen und Blumen geflochtenen Kranz daran, welcher die Größe eines Wagenrades hat, und auf den Seiten mit Quasten von Blumen geziert ist. Das alles geschieht unterm Zulauf einer Menge Menschen der ganzen Gegend, von Musik, Jubel und Freudenschüssen begleitet. Ist man damit fertig, was jedoch nie vor Mittag der Fall ist, so wird in Procession nach der Kirche gezogen, Gottesdienst gehalten, und dann der Tag mit Tanz beschlossen.

So wird, wie gesagt, noch jetzt jährlich das Fest gefeiert, nur mit der Abänderung, daß nur alle acht Jahre ein frischer Baum geholt werden darf, dagegen die Gemeine in jedem der übrigen sieben Jahre ein Geschenk von 8 Rthlr. erhält. Wahrscheinlich hat dieß die in unsern Tagen nothwendig gewordene Sparsamkeit im Holzverbrauch veranlaßt.

Es könnte scheinen, als ob diese Volkssage durch die Wortforschung entstanden sey; indessen sehe ich nichts Unwahrscheinliches in der Begebenheit. Es geht so ganz natürlich, ohne Zauberei, ohne Unbegreiflichkeiten, ohne Einwirkung unsichtbarer Kräfte darin zu, ja selbst die Phantasie scheint keinen Einfluß darauf gehabt zu haben, warum sollte sie nicht wahr, nicht wirklich so geschehen seyn, wie sie noch erzählt wird? Ein Vater verliert sein Kind, die Unterthanen bringen es ihm zurück: natürlich bezeigt er sich dankbar dafür, und da ihm die Begebenheit wichtig ist, so ordnet er ein jährliches Fest der Erinnerung an. Dieß Fest war ganz im Geiste der Volksfeste eingerichtet, und so erhielt es sich bis in unsere Tage. Gewiß, man wird bei wenig deutschen Volkssagen mit ähnlicher Zuversicht behaupten können, daß ihnen ein historisches Factum zum Grunde liege, und durch sie so wenig entstellt sey, als in dieser von der Quäste auf Questenberg.


Es giebt aber auch noch andere Sagen von Questenberg, die mehr das Gepräge von gewöhnlichern Mährchen haben.

Im dreißigjährigen Kriege flüchteten die Anwohner ihr Geld und ihre Habseligkeiten auf die Burg Questenberg, um sie gegen Raub und Plünderung zu sichern. Diese Schätze liegen jetzt noch alle in einem großen Braukessel beisammen, der in einem der unterirdischen Gewölbe steht, und von einem Geiste bewacht wird. Einst ging einmal des Sonntags ein Einwohner aus Questenberg auf die alte Burg, besah die morschen Ruinen, kroch überall herum, und kam auch an eine Stelle, wo es ihm vorkam, als ginge es tief in die Erde hinein. Er drängte sich durch dichtes verworrenes Gebüsch durch, ging immer mehr abwärts, und kam in die Oeffnung eines dunkeln Ganges. Die Neugierde führte ihn weiter, und da gewahrte er endlich im Hintergrunde, wo kaum noch ein Schimmer von Tagslicht hinfiel, eine runde Oeffnung in der Erde. Als er dicht davor stand, erschien plötzlich ein Geist in einen Schleier gehüllt. Es wurde hell, und der erschrockene Mann sah vor sich den Braukessel mit lauter Goldstücken angefüllt, von den ihm gar oft schon seine Großmutter erzählt hatte. Er wußte nicht, was er thun, ob er gehen oder nehmen sollte. Da sprach der Geist:

„Nimm eins der Goldstücke, komm jeden Tag wieder und nimm dir eins, aber nimm nie mehr, als eins!“

und verschwand. Der Mann nahm eins der Goldstücke, eilte mit klopfendem Herzen vor Freude und Angst nach der Oeffnung zurück, merkte sich den Ort genau, und ging, zehn Mal besehend das Geschenk des Geistes, nach Hause. Tags darauf kam er wieder. Der Geist war nicht da, aber der Braukessel mit dem Golde. Er nahm sich wieder ein Stück, und ging. Den zweiten, dritten, vierten Tag fand er sich wieder ein, holte immer ein Stück, und so trieb er’s wohl ein Jahr lang. Seine Hütte hatte er während dem in ein stattliches Haus umgewandelt, sich viel Acker gekauft, schönes Zugvieh angeschafft, und kein Bauer im Dorfe konnte es ihm gleich thun. Je mehr aber sein Reichthum wuchs, desto übermüthiger wurde er. „Wozu soll ich arbeiten,“ sprach er, „ich kann ja der Ruhe pflegen!“ und nun hielt er Knechte und Mägde, die das Feld bebauen mußten, und saß im Lehnstuhl, oder ritt auf einem Gaul hinaus, die Saat zu besehen, die er sonst selbst ausgestreut hatte. Nur den täglichen Gang nach dem Braukessel machte er selbst. Als nun der Mammon immer mehr anwuchs – denn so ein Goldstück war wohl beynahe zwanzig Thaler werth – und sein Stolz mit ihm, da kam ihm der Gedanke bei, daß es doch sehr lästig sey, täglich um eines Goldstücks wegen den hohen Berg hinanklimmen zu müssen, er wolle das nächste Mal zwei Goldstücke nehmen. Er that es, nahm Tags darauf zwei Stücke mit, und trieb dieß einen ganzen Monat hindurch. Auch damit noch nicht zufrieden, sprach er:

„Ei, was soll ich mich da täglich quälen und zwei Goldstücke nur nehmen! Der ganze Schatz ist ja doch für mich bestimmt, ob ich ihn nun nach und nach oder auf ein Mal hole, das wird einerlei seyn. Ich werde gehen und den schönen Braukessel auf ein Mal leeren, dann brauche ich mich nicht weiter zu mühen!“

Er packte viele Säcke auf, keuchte den Berg hinan (denn die gute Kost und das gemächliche Leben hatten seinen Körper wohl genährt), langte bei der bewußten Oeffnung ganz ermattet an, setzte sich erst nieder, um wieder zu Kräften zu kommen, freute sich, daß nun auch diese lästigen Gänge hierher aufhören würden, und berechnete schon im Geiste, was er nun beginnen könne, wenn alle die Säcke, wohl angefüllt, in seinem Hause erst ständen; wie er dann ein großes Rittergut sich kaufen, in einem schönen Glaskasten mit Vieren bespannt fahren, wie er große Tafel halten, viel Gäste bei sich sehen, mit ihnen zechen wolle, trotz der Ritter auf der nahen Burg Kyffhausen, und dergleichen mehr. Jetzt stand er auf, nahm die Säcke, ging durch den dunkeln Gang, und langte bei dem Braukessel, der, trotz alles dessen, was schon nach und nach weggeholt war, von neuem bis an den Rand sich wieder gefüllt hatte, an. Er nahm den ersten Sack, kniete nieder an den Rand des Kessels, fuhr mit beiden Händen in das Gold hinein und wollte so die erste Ladung in den Sack werfen, als plötzlich der ganze Braukessel vor ihm mit schrecklichem Geprassel hinabsank, Feuerflammen und Schwefelgestank heraufqualmten, und der betäubte Thor fast ohnmächtig zurückfiel. Fort war der Schatz, fort alle die schönen Träume und Luftschlösser. Kein Braukessel erschien wieder, so oft auch der Nimmersatte wiederkam, der nun gern immer nur ein Goldstück genommen hätte, wenn’s vergönnt gewesen wäre.

So rächt sich die Unersättlichkeit an ihren Verehrern.


Zerstörte und zerfallene Burgen und Klöster wurden von jeher von Schatzgräbern durchwühlt, um ohne große Mühe das zu finden, was sich sonst nur durch Fleiß und Ordnung erwerben läßt, – Reichthümer. Dieß Loos hatten auch die Ruinen von Questenberg, wovon man noch aus unsern Tagen Spuren antrifft. Ein Paar Jesuiten kamen einst auch in derselben Absicht hierher. Sie suchten und forschten nach Kellern und Gewölben, und fanden endlich auch die Oeffnung, welche nach dem mit Golde gefüllten Braukessel führte. Ihrem trunkenen Blicke zeigte er sich, voll des glänzenden Metalls, und schon schickten sie sich an, den Schatz zu heben, als plötzlich der Geist ihnen auch erschien und sprach:

„Nicht euch sind diese Reichthümer beschieden, und nie könnt ihr sie nehmen. Das Schicksal bestimmt sie einem Grafen von Stolberg, der zweierlei Augen haben wird. Diesem allein darf ich sie übergeben; aber, bis dieser kommt, schützt sie mein mächtiger Arm gegen jeden Angriff. Fort mit euch!“

Voll Angst und Entsetzung eilten die Jesuiten hinaus und den Berg hinab; doch erzählten sie die wunderbare Begebenheit und wiederholten die seltsamen Worte des bewachenden Geistes.

Ein Graf Stolberg mit zweierlei Augen ist noch nicht geboren worden, der Schatz also noch vorhanden. Gesehen haben aber den großen Braukessel viele Menschen, und noch vor vierzig Jahren hat ein Bauer aus Questenberg den Geist dabei stehen sehen, der, wie er ihn beschreibt, wie mit Kankergespinnst überzogen gewesen sey.


Auch die schöne Wunderblume, die auf und am Harze häufig gefunden worden ist, durch deren Besitz man zu großen Reichthümern gelangen kann, und deren Wirkung weiter unten in mehrern Sagen vorkommen wird, soll hier auf Questenberg, doch ohne guten Erfolg, oft gefunden worden seyn. Die Sagen davon habe ich aber nicht genau erfahren können.

*     *     *

Die Sage von dem verlornen Kinde habe ich bereits in meinen Ritterburgen etc. 2r Bd. S. 41 erzählt. In der deutschen Monatsschrift von 1795 und in Otmar’s Volkssagen S. 121 findet sie sich auch. In Questenberg, wo sie durch das jährliche Volksfest stets im frischesten Andenken erhalten wird, weiß sie jedes Kind zu erzählen. Die andern Sagen, von dem großen Schatze auf Questenberg, habe ich aus mündlichen Erzählungen an Ort und Stelle erhalten.


  1. Das Holz ist später ausgerodet und in eine Wiese verwandelt worden, die noch jetzt die Fräuleinwiese heißt und zu den Grundstücken des Predigers in Roda gehört.