Luftschiffer-Aberglaube
[188] Luftschiffer-Aberglaube. Von W. K. Abel.
In den Ballon-Korb des durch zahlreiche Ballonflüge berühmt gewordenen Italieners Luivinco flüchtete einst eine von einem Falken hart verfolgte Schwalbe. Der Luftschiffer pflegte das Tierchen wieder gesund und erlebte die Freude, daß dasselbe völlig zahm wurde. Seitdem nimmt Luivinco bei seinen Aufstiegen regelmäßig seine Schwalbe mit. Er glaubt fest, daß ihm kein Unglück widerfahren könne, solange er sich von seinem lebenden Talisman nicht trennt.
Der Flieger Moisant gelangte auf ähnliche Art in den Besitz einer glückbringenden Katze, die sich bei jeder Fahrt in einem kleinen, mit Seide gefütterten Körbchen hinter dem Führersitz auf dem Aeroplan befindet.
Moisant war einmal während seiner Ausbildungszeit auf dem Flugplatz in Paris gerade im Begriff aufzusteigen, als eine graue Katze in voller Flucht vor einem Hunde über das Feld jagte und in ihrer Angst auf dem Flugzeug Schutz suchte, wo sie sich an den Stützen der Tragflächen festhielt. In demselben Augenblick [189] ließen die Arbeiter die Maschine los, und Moisant, der von der Katze nichts gemerkt hatte und die Zurufe der Leute infolge des Surrens des Propellers überhörte, erhob sich zu dem Übungsfluge, der ihm auch sehr gut gelang. Die Katze hatte während der Flugdauer regungslos und sicherlich in fürchterlicher Angst dagesessen und mußte nach der Landung von dem Apparat herabgenommen werden, da sie halb erstarrt war. Jetzt fliegt Moisant nie ohne seine Katze, die sich inzwischen an die Luftreisen vollständig gewöhnt hat und keine Zeichen von Furcht mehr verrät.
Graham White, der sich durch seinen Flug um die Freiheitsstatue im Hafen von New-York einen Namen gemacht hat, erzählt über die Art und Weise, wie er zu seinem Talisman kam, folgendes: „Es war während der Flugwoche in St. Louis. An einem ziemlich stürmischen Tage sollte der Schnelligkeitspreis erstritten werden. Drei meiner Konkurrenten befanden sich bereits in der Luft, als auch ich mich zum Aufstieg fertig machte. Ich hatte schon auf dem Führersitz meines Apparates Platz genommen, als das Söhnchen des Senators Harper, seinen Vater an der Hand mit sich ziehend, sich vordrängte und mir eine einen Polizisten darstellende Stoffpuppe mit der Bitte entgegenstreckte, ich möchte seinen «Konstabler» doch als Passagier mitnehmen. Die Umstehenden lachten, der Senator suchte dem Kinde die Sache auszureden, aber der kleine Mann blieb hartnäckig dabei, sein Polizist solle mitfahren. Schließlich nahm ich auch wirklich die Puppe und befestigte sie links neben mir an einer der Stangen meiner Maschine. Dann stieg ich auf. Wenige Minuten später erhob sich ein Wirbelwind, der die Flugzeuge meiner drei Kollegen zum Kippen brachte. Die drei Maschinen wurden zertrümmert und zwei der Lenker bei dem Absturz schwer verletzt. Nur ich allein hielt mich in der Luft. Seither begleitet mich die Puppe, die mir der kleine Harper geschenkt hat, regelmäßig bei jedem Fluge.“
Den Bekannten des französischen Fliegers Michelin war es schon immer aufgefallen, daß dieser, bevor er seine Maschine zu einem Fluge bestieg, regelmäßig erst dreimal nach der einen Seite, dann wieder dreimal nach der entgegengesetzten Richtung den Aeroplan in langsamen Schritt umkreiste. Nur, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung? Oder – Aberglaube?
Ein bekannter österreichischer Flieger steigt nie auf, ohne vorher mit dem rechten Stiefelabsatz dicht vor seiner Maschine ein Kreuz in die Erde einzukratzen. Der Petersburger Aviatiker Tuchitzki spukt – mit Verlaub zu sagen – dreimal vor sich auf den Boden, wenn er den Führersitz seines Farman-Doppeldeckers eingenommen hat.
Ob ein bißchen gläubiges Gottvertrauen und ein andächtiges Vaterunser all diesen abergläubischen Helden nicht mehr Glück in ihrem gefährlichen Berufe bringen würde, als irgend ein unsinniger Hokuspokus?