Textdaten
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Autor: Herbert König
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Titel: Ludwig Richter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 116–118
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ludwig Richter.

Schon seit vielen Jahren erfreuen uns die lebensvollen Zeichnungen eines Künstlers, der mit seinem tiefinnigen Wesen, seiner naturwahren Auffassung uns das deutsche Kinder- und Familienleben vorführt, wie es nur noch in Dörfern und Landstädten zu finden ist, in den Kreisen der Kleinbürger und Handwerker, im Treiben jener Menschen, die in ihrer abgeschlossenen Welt ein beschauliches Leben führen, ohne von den Anregungen der Zeit ergriffen zu werden, und sich so ihr Eden schaffen, wozu der Großstädter trotz allen Grübelns und Jagens selten gelangt.

Dieser Künstler ist Ludwig Richter in Dresden, dessen Schöpfungen dem deutschen Publicum längst in’s Auge und Herz gedrungen sind, der in seinen Holzschnittillustrationen vielleicht segensreicher gewirkt hat, als mancher Moralist von Metier, da seine gemüthsreichen Gebilde die treuesten Spiegelbilder seiner innersten Natur sind. Die feinste Beobachtung für Volks- und Familienscenen, die herzinnige Liebe, womit er seine Kindergruppen behandelt, der idyllische Reiz, der den landschaftlichen Theil seiner Zeichnungen durchweht, die Naivetät, womit er Thiere und selbst leblose Gegenstände behandelt – dies Alles zeugt, wie der Künstler mit ganzer Seele bei seinem Schaffen ist, wie ihn nicht allein die technisch durchbildete Hand leitete, sondern auch das Herz, dessen kindlichreines Fühlen sich der Meister noch in ungetrübtester Frische bewahrte. In seinem „Kinderleben“ erschließt er uns eine Fülle von Gemüth – ein Zauber harmlosen Glücks, wie er nur die Kindheit umschwebt, entfaltet sich vor uns und führt uns in jene Tage zurück, die niemals wiederkehren. Da lebt Alles in reinster Herzenseinfalt unter und durcheinander – selbst die Blößen, die hie und da fadenscheinige Kleider sehen lassen, stimmen uns nicht trübe, denn ihre Träger sind nicht Bewohner finsterer Städtemauern – es sind glückliche Dorfkinder, die des kleinen Schadens nicht achten, denn eine milde Luft umweht sie, und ein sonniger Himmel lacht über ihnen. Selten fehlt hierbei der treue Dorfspitz, der in seiner hypochondrischen Stimmung den stummen Beobachter spielt, oder auf Zucht und Ordnung hält, oder, ist er gut gelaunt, sich von einer kleinen Stumpfnase an den Ohren zausen läßt.

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Ludwig Richter.

Das deutsche Familienleben schildert der Meister in seinem „für’s Haus“ und „Beschauliches und Erbauliches“; während „der Sonntag“, der Tag des Herrn, uns einer höheren Richtung zuführt. Im „Goethe-Album“ und in den Illustrationen zu „Hebel’s alemannischen Gedichten“ tritt der Künstler als Commentator eben so feinsinnig wie in seinen selbsterfundenen Werken auf, und die Zeichnungen zu „Auerbach’s Volkskalender“ geben auf’s Neue das erfreuliche Zeugniß von seiner reichen Erfindung und unversiechbaren Schaffenskraft. Die Kraft und Lust zu diesem Schaffen findet er in dem fleißigsten Studium der Natur, und nie sieht [118] man den Künstler auf seinen einsamen Spaziergängen ohne Griffel und Skizzenbuch – einsammelnd und eintragend. Sachsens liebliche Dorfschaften mit den zum großen Theil noch patriarchalischen Bewohnern liefern ihm reichlichen Stoff hierzu, und in dieser Situation bildet sein Erscheinen oft selbst den Mittelpunkt einer Dorfidylle, zumal wenn ihn eine gaffende Kinderschaar in ihrer liebenswürdigsten Zudringlichkeit umringt.

Die Lebensgeschichte unseres Künstlers, die wie das Leben der meisten bedeutenden Künstler „ruhig, wie ein stiller, schöner Strom dahinfließt“, bietet natürlich nichts von jenem pikanten Beischmacke, der heutzutage von einem verwöhnten Leserkreise erwartet wird. Keine außergewöhnliche Phase hat dieses stille Künstlerleben beirrt noch bereichert, das nur zu seiner schönsten Reife gedeihen konnte, indem es wechselvollen Schicksalen fern blieb.

„Adrian Ludwig Richter ward am 28. September 1803 zu Dresden geboren. Er erhielt den ersten künstlerischen Unterricht durch seinen Vater, einen geschickten Kupferstecher im landschaftlichen Fach aus Zingg’s Schule, der den Sohn ebenfalls zum Kupferstecher bestimmte. Allein es neigte sich dieser bald mehr der Oelmalerei zu, wurde aber an einer freien künstlerischen Entwicklung durch bedrängte äußere Verhältnisse behindert. Besonders zogen ihn Chodowiecki’s Radirungen an, die nicht ohne Einfluß auf seine spätere Richtung blieben. Mit Vergnügen folgte er 1820 dem Fürsten Narischkin als Zeichner auf einer Reise nach Frankreich. Im Sommer 1821 nach Dresden zurückgekehrt, bot ihm der dortige Buchhändler Arnold (der Beschützer so manches andern jungen Talents) die Mittel zu einem mehrjährigen Aufenthalte in Italien, wo er 1823–26, von den neuen Eindrücken mächtig angeregt und gehoben, sich bildete und bereits 1824 sich durch eine Gebirgsgegend des Watzmann allgemeine Anerkennung erwarb. Ergriffen von der Bedeutsamkeit des damaligen künstlerischen Umschwungs, sann er darauf, die Landschafts- mit der Historienmalerei zu vertauschen; doch gab er diesem Wunsch nicht Folge und fand den nächsten Zielpunkt seines Strebens darin, eine bedeutendere Belebung der Landschaft durch die menschliche Gestalt zu gewinnen. Aus dieser Richtung ging eine Verschmelzung von Genre und Landschaft hervor, welche als eine neue Gattung der Malerei zu betrachten ist.

In den zahlreichen Bildern, die Richter fortan bis 1847 vollendete, prägt sich mit wunderbar poetischer Kraft das innige Zusammengehören des Menschendaseins und des Naturlebens meisterhaft aus. Großenheils sind die Gegenstände dem italienischen Naturleben entnommen, wie das Thal von Amalfi, die Gegend von Rocca di Mezzo, Aricia und Civitella, Gegend bei Palestrina, Erntezug italienischer Landleute, eine Osteria bei Tivoli, der Brunnen bei Grotta ferrata u. s. w. Manche gehören aber auch dem deutschen Leben an, wie das Lauterbrunner Thal, die Ueberfahrt am Schreckenstein, Genoveva in der Waldeinsamkeit, die Dorfmusikanten, der Brautzug im Frühling etc. Manchmal ist das Figürliche, manchmal das Landschaftliche überwiegend; immer aber erhöht das Eine die Stimmung des Andern und verschmilzt mit ihm zu einer harmonischen Einheit. – Seit 1828 an der mit der Meißner Porzellanfabrik verbundenen Zeichenschule angestellt, wurde Richter 1836 an die Dresdener Akademie berufen, wo er seit 1841 als Professor und Vorstand des Ateliers für Landschaftsmalerei wirkt.“

Es sind demnach nur Mußestunden, die der Künstler jenen Zeichnungen widmet, die wir nie ohne Liebe und Mitgefühl betrachten können, die dem deutschen Charakter so recht nach Herzen sind, weil er sich in ihrer edeln Einfalt und Schlichtheit so treulich wiederfindet. Und darum wird Ludwig Richter in seinen Werken fortleben, so lange noch jener schlichte Sinn unter uns waltet, der ein Grundzug unseres Wesens und das beste Restchen alter guter Sitte ist.

H. Kg.