Textdaten
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Autor: Friedrich Brunold
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Titel: Ludwig Gisebrecht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 315
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[315] Ludwig Giesebrecht. Ein Dichter ist gestorben. Ludwig Giesebrecht ist, einundachtzig Jahre alt, am 18. März dieses Jahres zu Jasenitz bei Stettin sanft entschlafen. So fest, so sicher seine Handschrift bis zu seinem Lebensende war, so fest, so klar war sein Charakter, so entschieden ausgeprägt sein Denken und Handeln.

Im Jahre 1836, als der Dichter bereits vierundvierzig Jahre zählte, erschien die erste Auflage seiner Gedichte, der dreißig Jahre später die zweite reich vermehrte und mit biographischen Zwischenbemerkungen versehene folgte – um, wie jene erste, von der großen Menge unbeachtet gelassen zu werden. Wohl schrieb er mir im Jahre 1867: „Ganz so vergessen bin ich wohl nicht, wie Sie es sich vorstellen. Nur die Journalistik hat mich nicht begünstigt, und das ist meine Schuld; ich habe keine Zeit und keine Neigung gehabt, mich als Mitarbeiter an Zeitschriften allgemeinen Inhalts zu betheiligen, ungeachtet ich mehrfach dazu aufgefordert bin.“ In einem andern Briefe fügte er hinzu: „Der Dichter, der Schriftsteller überhaupt, soll, meines Erachtens, kein Paradiesvogel sein, der nur in der idealen Welt schweben und seinen Fuß nicht auf den Boden des wirklichen Lebens setzen will. Ich war im verwichenen Sommer in Nürnberg; ich sah das Haus, in dem Hans Sachs seine Schuhe und seine Gedichte gemacht hat. Es war ein unscheinbarer Bau, noch unscheinbarer, als das Haus Albrecht Dürer’s; aber die beiden Wohnungen haben mich doch sehr bewegt. Wie waren die beiden Meister doch zugleich mitten im zünftigen Handwerk und auf den Höhen der Kunst! Es ist nicht gut, daß wir in unserer Zeit das trennen wollen etc. Sehen Sie, lieber Freund, so denkt ein alter Mann, der nicht an der Spitze der Bewegung unserer Zeit geht, sondern bescheidentlich unter den Zuschauern seinen Platz hat.“

Er ist zu Jasenitz, dem in seinen Gedichten ein ganzes Buch gewidmet ist, bei seiner verwittweten Tochter, der er so liebliche Lieder sang, gestorben. Von dem Schlosse dort, wo er zuletzt gelebt, sang er:

Hier unter hatten vormals ihre Zellen
Gestrenge Chorherrn, die der Welt entsagt;
Von Liebe nicht umjauchzt und nicht umklagt,
Trat keines Weibes Fuß auf diese Schwellen.
Und oben hat einst auf hochgeh’nden Wellen
Der Sinnenfreude, keck und unverzagt,
Ein fürstlich Weib es mit der Welt gewagt;
Auch sie drang nicht bis zu der Liebe Quellen. –
Nun in dem untern mönchischen Gebäu
Seh’ ich als Hausfrau meine Tochter walten
Mit Mann und Kindern, liebend und geliebt,
Und oben ist das Gastgemach des Alten.
Entweicht, der Vorzeit Schatten, und zerstiebt!
Allleben wogt: Schloß Jasenitz ward neu.

Während Giesebrecht als Kind in einer fürstlichen Wiege geschaukelt wurde, die seine Mutter als Ehrengeschenk erhalten, hat er in dem Zimmer gelebt und mag auch da gestorben sein, in dem Elisabeth, die Gemahlin Friedrich Wilhelm des Zweiten, als Geschiedene ihre Tage verbrachte, bis sie nach Stettin übersiedeln durfte, wo man der kleinen unscheinbaren Dame noch in den dreißiger Jahren oft in den Anlagen vor den Thoren begegnete. Giesebrecht war fünfzig Jahre Lehrer am Gymnasium zu Stettin, wo er mit dem Balladencomponisten Löwe in intimer Freundschaft lebte. Als Geschichtsschreiber ist er durch seine „Wendischen Geschichten“ besonders bekannt geworden, wie er denn für den Verein für baltische Geschichte und Alterthumskunde vielfach thätig gewesen ist. Sein ehrenfestes Verhalten als Abgeordneter im Frankfurter Parlament ist bekannt. Selbst seine Feinde konnten ihm die Achtung nicht versagen. In Bezug auf religiöse Ansichten und Streitigkeiten, unter denen ja auch er zu leiden hatte, äußerte er: „So lange das Ministerium Altenstein waltete, blieben dogmatische Unterschiede dem Glauben und Gewissen des Einzelnen anheimgegeben. Anders unter seinen Nachfolgern. Die Kirche und das geistliche Amt erheben früher nicht gemachte Ansprüche, und die Staatsregierung begünstigt sie.“

Es ist gut, gegenwärtig an solche Worte von damals zu erinnern.

Friede ihm!
F. Brunold.