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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: Lilith und Eva
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aus: Zerstreute Blätter (Dritte Sammlung) S. 214–216
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Erscheinungsdatum: 1787
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: ULB Düsseldorf und Commons
Kurzbeschreibung:
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[214]
Lilith und Eva.


Einsam ging Adam im Paradiese umher: er pflegte der Bäume, benannte die Thiere, freuete sich überall der fruchtbaren, Segenreichen Schöpfung, fand aber unter allem Lebendigen nichts, das die Wünsche seines Herzens mit ihm theilte. Endlich blieb sein Auge an Einem der schönen Luftwesen hangen, die, wie die Sage sagt, längst vor dem Menschen die Bewohner der Erde gewesen waren und die sein damals hellerer Blick zu schauen vermochte. Lilith hieß die schöne Gestalt, die wie ihre Schwestern auf Bäumen und Blumen wohnte und nur von dem schönsten Gerüchen lebte. „Alle Geschöpfe, sprach er bei sich selbst, leben in Gemeinschaft unter einander; o daß mir diese schöne Gestalt zur Gattinn würde!“

Der Vater der Menschen hörte seinen Wunsch und sprach zu ihm: „du hast dein Auge auf eine Gestalt geworfen, die nicht für dich erschaffen [215] worden ist; indessen sei, zur Lehre deines Irrthums, dir dein Verlangen gewähret.“ Er sprach das Wort der Verwandlung und Lilith stand da in menschlichen Gliedern.

Freudig wallete Adam in ihre Arme; schnell aber sahe er seinen Irrthum ein: denn die schöne Lilith war stolz und wollte sich nicht zu seinem Herzen fügen. „Bin ich, sprach sie, deines Ursprunges? Aus Luft des Himmels ward ich gebildet und nicht aus niedriger Erde. Jahrtausende sind mein Leben; Stärke der Geister ist meine Kraft und Wohlgeruch meine himmlische Speise. Ich mag dein niedriges Geschlecht der Staubgebohrnen mit dir nicht vermehren.“ Sie entflog und wollte nicht wieder zu ihrem Manne kehren.

Gott sprach: „es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gattinn geben, die sich zu ihm füge.“ Da fiel ein tiefer Schlaf auf Adam und ein weissagender Traum wies ihm das neue Gebilde, das für ihn erschaffen [216] ward. Aus seiner Seite stiegs empor und war mit ihm von Einerlei Wesen. Freudig erwachte er und sahe sie und als Gott selbst die Liebliche zu ihm führte, siehe da bewegte sich die Stäte seines Herzens, denn sie war seinem Herzen nahe gewesen. „Mein bist du, rief er aus, und du sollt Männinn heißen: denn du bist vom Manne genommen.“


Darum wenn Gott einen Jüngling liebet: so giebt er ihm die Hälfte die sein ist, das Gebilde seines Herzens zum Weibe. Empfindend, daß sie für einander geschaffen worden, werden sie beide wieder zu Einem Bilde in täglich neuer Zufriedenheit und jugendlicher Schönheit. Wer aber frühe nach fremden Reizen blickt und buhlt nach Wesen, die nicht zu ihm gehören: empfängt zur Strafe eine fremde Hälfte. In Einem Leibe sind sie zwo verschiedne Seelen: sie hassen und zerreissen sich und quälen einander zu Tode.