Lieder einer Verlorenen/Neue Liebe, neues Leiden

<<< Neue Liebe, neues Leiden
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aus: Lieder einer Verlorenen
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[61]
Neue Liebe, neues Leiden.


[63]
Rückkehr.


Zuckt nicht die Achseln, grüßt nicht so höhnisch
Und wendet euch nicht spöttisch ab!
Ich will kein Geld von euch entlehnen,
Will nicht zurück, was ich euch gab.

5
Nicht euern Liebsten mehr gefährlich

Bin ich und nimmer eurem Ruhm;
Der Kummer nahm mir meine Schönheit
Und all mein Unglück macht mich dumm.

Ich komm’ zu euch, weil fortgetrieben

10
Vom sichern Strand mein Lebensschiff;

Ganz soll es scheitern, darum lenk’ ich’s
Zurück zu euch –: ihr seid das Riff!

[64]
Auf dem Maskenballe.


I.

Ei, wie schön du warst, als Laune,
Wein und Lust im Aug’ dir glühte!

15
Wofür hältst du mich denn plötzlich,

Daß du schwärmst jetzt von Gemüthe?

Lasse, Freund, doch die Komödie –
Wir sind viel zu klug zum schwärmen,
Heut’ sich küssen, morgen scheiden,

20
Gibt uns keinen Grund zum härmen.


Dort die kurzgeschürzten Weiber
Mit den kecken Schellenmützen
Werden vor Gemüthsbewegung
Und vor Trennungsschmerz dich schützen.

25
Diese flinken Ballerinen,

Diese schönen nackten Sünden
Werden schwatzhaft, freundlich-boshaft
Was ich war und bin dir künden.

[65]

Sieh’, ich schütz’ dich vor Enttäuschung;

30
Um uns wogt und rauscht das Leben:

Was das Heute rasch dir bietet,
Mag das Morgen nimmer geben.

[66]
II.

Du schaust mein Antlitz ohne Maske,
Und doch verlässest du mich nicht;

35
So reizt dich noch das thränenblasse

Verhärmte Leidensangesicht?

Du drängst dich auch zu dem Gelage,
Das meiner Wiederkehr geweiht;
Du hörst es still und seltsam lächelnd,

40
Wie Jeder meinen Namen schreit.


Du sprichst so ruhig mit den Männern,
Die frech mir Mund und Arme küssen;
Du stimmst mit ein in die Toaste,
Womit sie jauchzend mich begrüßen.

45
Was willst du mit den starren Blicken –

Ist’s Spott, der mir entgegenschaut?
Laß ab von mir! Du bist ein Wesen,
Vor dem mir bangt, vor dem mir graut!

[67]
III.

In deiner Stimme bebt ein Ton,

50
Der Alles überklingt,

Und der mir wie ein schneidend Weh
Zum tiefsten Herzen dringt.

Wie riß doch dieser eine Ton
Mir auf die alten Wunden;

55
O daß ich nimmer ihn gehört

Und nimmer dich gefunden!

O laß das Heut’ vergessen sein
Und mich sammt meinen Scherzen;
Es sind ja doch die Schreie nur

60
Der unheilbaren Schmerzen!
[68]
Erklärung.


Ich hörte heute deine Schwüre –
Und es bewegt das Herz mir nicht,
Glaub’ ich auch selbst, daß heiße Liebe
Aus jedem deiner Worte spricht.

65
Denn unwillkürlich muß ich denken

Der Zeit, wo du dich wirst bemühn,
Mit leeren Phrasen zu verhüllen
Des leeren Herzens matt’res Glühn.

Wo endlich du des Kämpfens müde

70
Und satt der selbstgewählten Ketten,

Schamlos dein eignes Wort verleugnend,
Ein Judas vor mich hin wirst treten.

[69]
Mahnung.


Es beugt das stolze Haupt sich schwer,
Und schwer der starre Sinn,

75
Und dennoch fühl’ ich, daß ich längst

Nicht mehr ich selber bin.

Ich weiß nicht, was noch kommen wird,
Doch ist mir oft so bang;
Oft reißt mich dir zu Füßen hin

80
Ein mächt’ger Seelendrang.


Dein Aug’ ist treu; du siehst mich an
So innig und so tief –
Und dennoch ist’s, als ob hinweg
Von dir mich mein Engel rief’.

[70]
Bitte.


85
Sei nicht so hart, wenn aus der Brust

Ein Mißton sich mir ringt,
Wenn oft ein trotzig-wildes Wort
Gar zu unweiblich klingt.

Hab’ sonst nicht viel danach gefragt,

90
Was zahme Weiberart,

War niemals sanft und selten still –
O sei darum nicht hart!

Ich müh’ mich jetzt, so recht zu sein
Wie andre Weiber sind,

95
Und der Beweis, wie sehr mir’s Ernst,

Ist wohl mein kleines Kind.

[71]
Mein Kind.


Ich habe keine Schmerzensworte,
Hab’ keine Thränen, kühlend lind,
Hab’ nicht Gebete, stille fromme –

100
Und sterbend liegt vor mir mein Kind!


Es preßt mir Kopf und Herz zusammen,
Die Luft, sie flimmert blutig roth –
Stirb nicht! Mit dir stirbt Alles, Alles –
Mein letzter Halt wär’ mit dir todt! – –

105
Ist todt! – Ein leiser, kurzer Schrei –

Das Köpfchen sinkt, das bleiche,
Und an die schmerzerstarrte Brust
Drück’ ich die kleine Leiche.

[72]
Todt.


Mir ist, als wär der Himmel leer,

110
Die Erde nur ein weites Grab,

Und jeder Stern rings ausgeglüht,
Dem Herzen gleich, das Alles gab.

Und ich, das Grabmal meines Ich’s,
Steh’ öd’ und still und ganz allein;

115
Es braust der Wind, der Regen weint

Kalte Thränen auf kalten Stein.

[73]
Erwachen.


Mir war, als ob in dumpfem Schmerz
Die Seele wollt’ erlahmen –
Da plötzlich, schier halb unbewußt,

120
Nannt’ still ich deinen Namen.


Und nun im selben Augenblick
Hat es mich überkommen:
Hab’ mehr dich als mein Kind geliebt,
Drum ward es mir genommen.

[74]
Erkenntniß.


125
Wenn mir’s oft wie kalter Wahnsinn

Durch das öde Denken rinnt,
Wenn die Seele, Hilfe suchend,
Das Unmögliche ersinnt;
Wenn aus abgrundtiefen Schmerzen

130
Sie empor zum Himmel schreit:

Fühl ich ganz und voll den Fluch erst,
Der da heißt „Vergangenheit.“

[75]
Muth!


Zahmer Narrheit wässrig Seufzen,
Feiges, kindisch-weiches Beten;

135
Was man thöricht selbst verschuldet,

Daraus soll uns Gott erretten!

Unser Gott ist vielbeschäftigt,
Läßt uns jammern hier auf Erden,
Sagt: „wer viel geliebt (gelitten),

140
Dem wird viel vergeben werden.“

[76]
So ist es.


Du kennst mich nicht, du liebst mich nicht,
Und Alles bist du mir;
Du hältst mich wie ein Spielzeug nur,
Und Alles zieht mich zu dir.

145
Aus Moder, Schutt und Elend

Schlagen heilige Flammen,
Dich wärmen sie nicht; – mein Leben
Brennen sie zusammen.

[77]
Sehnsucht.


Die Nacht ist ruhig und duftig,

150
Die Luft weht lau und lind;

Unter den Sternenaugen
Such’ ich die deinen, mein Kind!

Ich möchte dich sehen und küssen,
Mein Einz’ges, das Alles mir gab,

155
Ich möchte still bei dir liegen

Im kleinen stillen Grab!

[78]
Logik.


Es liegt voll seichter Logik
Dein Brief in meinen Händen;
Du meinst, was einen Anfang gehabt,

160
Das müss’ auch wieder enden.


Ich kann mit solcher Weisheit
Mich heute nimmer raufen;
Doch meine beste Logik wär’,
Mir einen Strick zu kaufen.

[79]
Nichts mehr.


165
Nicht mehr die heißen, süßen Küsse,

Nicht mehr die Worte mild und warm,
Nicht mehr den treuen Blick der Augen,
Nicht mehr den Druck von deinem Arm.

Nichts mehr von allen jenen Wonnen,

170
Die Liebe hat und Liebe gibt,

Nichts will ich – um noch fortzuleben –
Sag’ nur, daß du mich einst geliebt!

[80]
Grau.


I.

Ist denn mein ganzes Sein verwirrt,
Daß Alles ich jetzt anders schau’;

175
Erscheint mir doch die ganze Welt

Ein schmutzig Bild nur, Grau in Grau.

Ich lebte gern und lachte gern
Wie sonst ein Menschenkind –
Doch Alles glotzt so fratzenhaft –

180
Dies Grau, es macht mich blind!

[81]
II.

Ein trüber, grauer Regentag,
Kalt und unheimlich öde;
Der Himmel starrt so grau herein,
Die grauen Menschen so blöde.

185
O schnell ein rothes Licht herein –

Den rothen Vorhang herab –
Da hust’ ich helles, rothes Blut –
Bestellt mir ein graues Grab!

[82]
Wiedervereinigung.


I.

Küsse mich, denn, ach! sie bluten

190
Alle noch die alten Wunden,

Küsse mich, daß ich vergesse
Alle die verfluchten Stunden!

Laß mich von den süßen Lippen
Wieder Glück und Liebe saugen,

195
Laß mich sterben, überstrahlet

Von dem Himmel deiner Augen!

[83]
II.

Nein, ich will dich nimmer fragen,
Ob du mich auch wirklich liebst;
Mit geschlossnen Augen nehmen

200
Will ich, was du gnädig giebst.


Mit gebundnen Händen stelle
Ich mich schweigend deiner Macht,
Nichts mehr hoffend, nur befürchtend
Einer Trennung ew’ge Nacht!

[84]
Nach Jahren.


205
Wie seltsam! Unser feiger Muth

Läßt alles Elend uns tragen;
O hätten wir doch den echten Muth,
Das lösende Wort zu sagen.

Wir laufen neben einander her

210
Und werden müder und müder;

Ich werde blässer und kränker stets
Und du wirst kälter und rüder.

O raffe dich auf und fasse Muth
Und sei zum letzten Mal ein Mann.

215
Brich du mit einem Wort entzwei,

Was ich nicht länger tragen kann!

[85]
Epilog.


Und sie beugt sich zähneknirschend,
Aber seht, sie beugt sich doch!
Und sie trägt mit dumpfem Schweigen

220
Jahrelang das ekle Joch.


Sie versteht, ermißt ihr Elend,
Ihren Jammer, ihre Schmach;
Sie erkennt, was sie verbrochen
Und was man an ihr verbrach.

225
Und sie rüttelt an den Ketten –

Fürchtet nicht, daß sie sie bricht:
Denn sie beugt sich zähneknirschend
Und – sie jammert ein Gedicht.