Lied einer Nonne
Lied einer Nonne.
Bittre Thränen, deren Quelle
Nie versieget, fliesset hin,
Ueberschwemmt die öde Zelle,
Wo ich eingekerkert bin!
Welker Wange, fleh’ ich hier
In der grausen Geisterstunde,
Mein Gekreutzigter, zu dir!
Ach, ersticke dieses Feuer,
Das kein Skapulier, kein Schleyer,
Das kein heilig Wasser kühlt!
Sieh! an meinen hagern Lenden
Naget das Zilizium;
Irr’ ich durch dein Heiligthum:
Der empörten Menschheit Hohn,
Geißle mich, von härner Kutte
Dennoch, weh mir Armen, wehe!
Scheint mir Selmar immer nah;
Wo ich knie, wo ich stehe,
Ist das Bild des Jünglings da!
Find’ ich seinen Namen drin;
Will ich zum Altare treten,
Seh’ ich, statt des Priesters, ihn;
Wenn ich auf dem Antlitz liege,
Knie’ ich auf der heilgen Stiege [2]
Kniet auch er vor mir hinauf:
Tönt mir seine Stimm’ ins Ohr,
Glänzt sein blaues Aug hervor.
Von Gedanke zu Gedanke
Fortgeschleudert, steh’ ich hier,
HErr, von deinem Kreutz, und wanke
Denn die frommen Mörder haben,
Jesus, dir mich anvertraut.
Sieh, lebendig eingegraben
Winselt strafbar deine Braut,
Hier an diesem Jammerort,
Wie auf unwirthbaren Strassen
Ein verwahrlost Bäumchen dorrt.
Lieb’ und Welt will sie verachten;
Aber ach, sie kan es nicht.
Tilge dieses heisse Sehnen,
Schaff’ in meinem Herzen Ruh,
Durch die Hand des Todes zu.