Kapitel V Lichtenstein von Wilhelm Hauff
Erster Teil, Kapitel VI
Kapitel VII
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VI.


 „Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
 Da flüstert sie leise, sie kann’s nicht verschweigen.“
 L. Uhland.[1]


Wenn es möglich gewesen wäre, auf einem Trödelmarke oder in der Auktion eines Antiquars ein „Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, mit neuen Tanztouren vom Jahr 1519“ aufzufinden, wir hätten nicht leicht so angenehm überrascht werden können als durch einen Fund ähnlicher Art, den uns der Zufall in die Hände spielte.

Wir waren nämlich in vorliegender Historie bis an dieses Kapitel gekommen, das, um der Sage zu folgen, von einem Abendtanz handeln soll; da fiel uns mit einem Male der Gedanke schwer aufs Herz, daß wir ja nicht einmal wissen, wie und was man in jenen Zeiten getanzt habe.

Wir hätten zwar schlechthin sagen können, „sie tanzten“; aber wie leicht wäre es geschehen gewesen, daß eine unserer freundlichen [90] Leserinnen einen Anachronismus gemacht und etwa Georg von Frondsberg in ihren Gedanken einen Kotillon hätte vortanzen lassen. In dieser Verlegenheit stießen wir auf das sehr selten gewordene Buch: „Vom Anfang, Ursprung und Herkommen der Turniere im heiligen römischen Reich. Frankfurt 1564.“ Wir fanden in diesem teuren Folianten unter andern trefflichen Holzschnitten einige, die einen solchen Abendtanz vorstellten, wie er zu Zeiten Kaiser Maximilians, etwa ein Jahr vor dieser Historie, gehalten wurde.

Wir dürfen beinahe mit Gewißheit annehmen, daß der Abendtanz im Ulmer Rathaussaal sich in nichts von jenem angeführten unterschied, und man wird sich den deutlichsten Begriff eines solchen Vergnügens machen, wenn wir eines dieser Bilder beschreiben.

Den Vordergrund nehmen Zuschauer und die Pfeifer, Trommler und Trompeter ein, die, nach dem Ausdrucke des Turnierbuches, „eins aufblasen“. Zu beiden Seiten, mehr dem Hintergrunde zu, steht die tanzlustige Jugend in reiche, schwere Stoffe gekleidet. In unseren Tagen siehet man bei solchen Gelegenheiten nur zwei Grundfarben, Schwarz und Weiß, worein sich die Herren und Damen wie in Nacht und Tag geteilt haben; anders zu jenen Zeiten. Ein überraschender Glanz der Farben strahlt uns aus jenem Bilde entgegen. Das herrlichste Rot, vom brennendsten Scharlach bis zum dunkelsten Purpur, jenes brennende Blau, das uns noch heute an den Gemälden alter Meister überrascht, sind die freudigen Farben ihrer malerisch drapierten Gewänder. Die Mitte der Scene nimmt der eigentliche Tanz ein. Er hat am meisten Ähnlichkeit mit der Polonäse, denn er ist ein Umzug im Saale. Den Zug eröffnen vier Trompeter mit langen Wappenfahnen an den Instrumenten; diesen folgt der Vortänzer und seine Dame, diese Stelle begleitet bei jedem Tanze wieder ein anderer, und es entschied hiebei nicht die Geschicklichkeit, sondern der Rang des Tänzers. Auf diesen folgen zwei Fackelträger und dann Paar um Paar der lange Zug der Tanzenden. Die Damen schreiten ehrbar und züchtig einher, die Männer aber setzen ihre Füße wunderlich, wie zu kühnen Sprüngen, einige scheinen auch [91] mit den Absätzen den Takt zu stampfen, wie wir auf jeder Kirchweihe in Schwaben noch heutzutage sehen können.

So war der Abendtanz zu Ulm. Man blies schon längst zum ersten auf, als Georg von Sturmfeder in den Rathaussaal eintrat. Seine Blicke schweiften durch die Reihen der Tanzenden, und endlich trafen sie Marien. Sie tanzte mit einem jungen, fränkischen Ritter seiner Bekanntschaft, schien aber der eifrigen Rede, die er an sie richtete, nicht Gehör zu geben. Ihr Auge suchte den Boden, ihre Miene konnte Ernst, beinahe Trauer ausdrücken; ganz anders als die übrigen Fräulein, die, in der wahren Tanzseligkeit schwimmend, ein Ohr der Musik, das andere dem Tänzer liehen und die freundlichen Augen bald ihren Bekannten, um den Beifall in ihren Mienen zu lesen, bald ihren Tänzern zuwandten, um zu prüfen, ob ihre Aufmerksamkeit auch ganz gewiß auf sie gerichtet sei?

In gehaltenen Tönen hielten jetzt die Zinken und Trompeten aus und endeten; Herr Dieterich Kraft hatte seinen Gastfreund bemerkt und kam ihn, wie er versprochen, zu seinen Muhmen zu führen. Er flüsterte ihm zu, daß er selbst schon für den nächsten Tanz mit Bäschen Bertha versagt sei, doch habe er soeben um Mariens Hand für seinen Gast geworben.

Beide Mädchen waren auf die Erscheinung des ihnen so interessanten Fremden vorbereitet gewesen, und dennoch bedeckte die Erinnerung dessen, was sie über ihn gesprochen, Berthas angenehme Züge mit hoher Glut, und die Verwirrung, in welche sie sein Anblick versetzte, ließ sie nicht bemerken, welches Entzücken ihm aus Mariens Auge entgegenstrahlte, wie sie bebte, wie sie mühsam nach Atem suchte, wie ihr selbst die Sprache ihre Dienste zu versagen schien.

„Da bringe ich Euch Herrn Georg von Sturmfeder, meinen lieben Gast“, begann der Ratsschreiber, „der um die Gunst bittet, mit Euch zu tanzen.“

„Wenn ich nicht schon diesen Tanz an meinen Vetter zugesagt hätte“, antwortete Bertha schneller gefaßt als ihre Base, „so solltet Ihr ihn haben, aber Marie ist noch frei, die wird mit Euch tanzen?“

[92] „So seid Ihr noch nicht versagt, Fräulein von Lichtenstein?“ fragte Georg, indem er sich zu der Geliebten wandte.

„Ich bin an Euch versagt“, antwortete Marie. So hörte er denn zum ersten Male wieder diese Stimme, die ihn so oft mit den süßesten Namen genannt hatte, er sah in diese treuen Augen, die ihn noch immer so hold anblickten wie vormals.

Die Trompeten schmetterten in den Saal; der Oberfeldlieutenant Waldburg Truchseß, dem man den zweiten Tanz gegeben hatte, schritt mit seiner Tänzerin vor, die Fackelträger folgten, die Paare ordneten sich, und auch Georg ergriff Mariens Hand und schloß sich an. Jetzt suchten ihre Blicke nicht mehr den Boden, sie hingen an denen des Geliebten; und dennoch wollte es ihm scheinen, als mache sie dieses Wiedersehen nicht so glücklich wie ihn, denn noch immer lag eine düstere Wolke von Schwermut oder Trauer um ihre Stirne. Sie sah sich um, ob Dieterich und Bertha, das nächste Paar nach ihnen, nicht allzu nahe sei. – Sie waren ferne.

„Ach Georg“, begann sie, „welch unglücklicher Stern hat dich in dieses Heer geführt!“

„Du warst dieser Stern, Marie“, sagte er, „dich habe ich auf dieser Seite geahnet, und wie glücklich bin ich, daß ich dich fand! Kannst du mich tadeln, daß ich die gelehrten Bücher beiseite legte und Kriegsdienste nahm? Ich habe ja kein Erbe als das Schwert meines Vaters; aber mit diesem Gute will ich wuchern, daß der deinige sehen soll, daß seine Tochter keinen Unwürdigen liebt.“

„Ach Gott; du hast doch dem Bunde noch nicht zugesagt?“ unterbrach sie ihn.

„Ängstige dich doch nicht so, mein Liebchen, ich habe noch nicht völlig zugesagt; aber es muß nächster Tage geschehen. Willst du denn deinem Georg nicht auch ein wenig Kriegsruhm gönnen; warum magst du um mich so bange haben? Dein Vater ist alt und zieht ja doch auch mit aus.“

„Ach, mein Vater, mein Vater!“ klagte Marie, „er ist ja – doch brich ab, Georg, brich ab – Bertha belauscht uns; aber ich muß dich morgen sprechen, ich muß, und sollte es meine Seligkeit kosten. Ach! wenn ich nur wüßte wie?“

[93] „Was ängstigt dich denn nur so?“ fragte Georg, dem es unbegreiflich war, wie Marie, statt sich der Freude des Wiedersehens hinzugeben, nur an die Gefahren dachte, denen er entgegengehe. „Du stellst dir die Gefahren größer vor, als sie sind“, flüsterte er ihr tröstend zu: „Denke an nichts, als daß wir uns jetzt wieder haben, daß ich deine Hand drücken darf, daß Auge in Auge sieht, wie sonst. Genieße jetzt die Augenblicke, sei heiter!“

„Heiter? o diese Zeiten sind vorbei, Georg! höre und sei standhaft – mein Vater ist nicht bündisch!“

„Jesus Maria! was sagst du“, rief der Jüngling und beugte sich, als habe er das Wort des Unglücks nicht gehört, herab zu Marien; „o sage, ist denn dein Vater nicht hier in Ulm?“

Sie hatte sich stärker geglaubt; sie konnte nicht mehr sprechen; bei dem ersten Laut wären ihre Thränen unaufhaltsam geflossen; sie antwortete nur durch einen Druck der Hand und ging, mit gesenktem Haupt nach Kraft suchend, ihren Schmerz zu bekämpfen, neben Georg her. Endlich siegte der starke Geist dieses Mädchens über die Schwäche ihrer Natur, die einem so großen, tiefen Kummer beinahe erlegen wäre. „Mein Vater“, flüsterte sie, „ist Herzog Ulerichs wärmster Freund, und sobald der Krieg entschieden ist, führt er mich heim auf den Lichtenstein!“

Betäubend wirbelten jetzt die Trommeln, in volleren Tönen schmetterten die Trompeten, sie begrüßten den Truchseß, der eben an dem Musikchor vorüberzog; er warf ihnen, wie es Sitte war, einige Silberstücke zu, und von neuem erhob sich ihr betäubender Jubel.

Das leise Gespräch der Liebenden verstummte vor der rauhen Gewalt dieser Töne, aber ihr Auge hatte sich in diesem Schiffbruch ihrer Liebe um so mehr zu sagen, und sie bemerkten nicht einmal, wie ein Geflüster über sie im Saal erging, das sie als das schönste Paar pries.

Aber nur zu wohl hatte Bertha diese Bemerkungen der Menge gehört. Sie war zu gutmütig, als daß Neid darüber in ihre Seele gekommen wäre, aber sie setzte sich doch im Geiste an Mariens Platz und fand, daß man vielleicht das Paar nicht minder schön gefunden hätte. Auch das Gespräch, das zwischen den beiden [94] begonnen hatte, fiel ihr auf. Die ernste Base, die selten oder nie mit einem Mann lange sprach, schien mehr und angelegentlicher zu reden als ihr Tänzer. Die Musik hinderte sie zu verstehen, was gesprochen wurde; die Neugierde, die man vielleicht nicht mit Unrecht jungen Mädchen ausschließlich zuschreibt, wurde in ihr rege, sie zog ihren Tänzer näher an das vordere Paar, um – ein wenig zu lauschen; aber war es Zufall oder Absicht, das Gespräch verstummte, als sie näher kam, oder wurde so leise geführt, daß sie nichts davon verstand.

Ihr Interesse an dem schönen, jungen Mann wuchs mit diesen Hindernissen; noch nie war ihr der gute Vetter Kraft so lästig geworden als in diesen Augenblicken; denn die zierlichen Redensarten, womit er ihr Herz zu umspinnen gedachte, verhinderten sie, jene genauer zu beobachten. Sie war froh, als endlich der Tanz sich endigte. Denn sie durfte hoffen, daß der nächste an des jungen Ritters Seite desto angenehmer für sie sein werde.

Sie täuschte sich nicht in ihrer Hoffnung; Georg kam, sie um den nächsten Tanz zu bitten, der auch sogleich begann, und sie hüpfte fröhlich an seiner Seite in die Reihen. Aber es war nicht mehr derselbe, der vorhin mit Marien so freundlich gesprochen hatte. Verstört, einsilbig, in tiefe Gedanken versunken war der junge Mann an ihrer Seite, und es war nur zu sichtbar, daß er sich immer erst wieder sammeln mußte, wenn er eine ihrer Fragen beantworten sollte.

War dies jener „höfliche Reiter“, welcher sie, ohne daß sie sich je gesehen hatten, so freundlich grüßte? War es derselbe, welcher so heiter, so fröhlich war, als ihn Vetter Kraft zu ihnen führte? Derselbe, der mit Marien so eifrig sich unterredet hatte? Oder sollte diese –? ja, es war klar. Marie hatte ihm besser gefallen, ach! vielleicht weil sie die erste war, die mit ihm tanzte. Je weniger Bertha gewohnt war, sich der ernsten Marie nachgesetzt zu sehen, um so mehr befremdete sie dieser Sieg ihrer Base, um so mehr glaubte sie sich beeifern zu müssen, ihren Rang, ihre Gaben geltend zu machen. Sie setzte daher mit ihrer heiteren Geschwätzigkeit das Gespräch über den bevorstehenden Krieg, das sie mit Mühe angesponnen hatte, fort, als sie nach Beendigung des Tanzes zu [95] Marie und dem Ratsschreiber traten. „Nun? und der wievielste Feldzug ist es denn, Herr von Sturmfeder, dem Ihr jetzt beiwohnet?“

„Es ist mein erster“, antwortete dieser kurz abgebrochen, denn er war unmutig darüber, daß jene ihn noch immer im Gespräch halte, da er mit Marie so gerne gesprochen hätte.

„Euer erster?“ entgegnete Bertha verwundert, „Ihr wollt mir etwas weismachen, da habt Ihr ja schon eine mächtige Narbe auf der Stirne.“

„Die bekam ich auf der hohen Schule“, antwortete Georg.

„Wie? Ihr seid ein Gelehrter?“ fragte jene eifrig weiter. „Nun, und da seid Ihr gewiß recht weit weg gewesen; etwa in Padua oder Bologna, oder gar bei den Ketzern in Wittenberg.“

„Nicht so weit, als Ihr meint“, entgegnete er, indem er sich zu Marien wandte, „ich war in Tübingen.“

„In Tübingen?“ rief Bertha voll Verwunderung. Wie ein Blitz erhellte dies einzige Wort alles, was ihr bisher dunkel war, und ein Blick auf Marien, die mit niedergeschlagenen Augen, mit der Röte der Scham auf den Wangen vor ihr stand, überzeugte sie, daß die lange Reihe von Schlüssen, die sich an jenes Wort anschlossen, ihren nur zu sicheren Grund haben. Jetzt war ihr auf einmal klar, warum sie der artige Reiter begrüßte, warum Marie weinte, die ihn gewiß gerne auf der feindlichen Seite gesehen hätte, warum er so viel mit jener gesprochen, warum er bei ihr selbst so einsilbig war. Es war keine Frage, sie kannten sich, sie mußten sich längst gekannt haben.

Beschämung war das erste Gefühl, das bei dieser Entdeckung Berthas Herz bestürmte; sie errötete vor sich selbst, wenn sie sich gestand, nach der Aufmerksamkeit eines Mannes gestrebt zu haben, dessen Seele ein ganz anderer Gegenstand beschäftigte. Unmut über Mariens Heimlichkeit verfinsterte ihre Züge. Sie suchte Entschuldigung für ihr eigenes Betragen und fand sie nur in der Falschheit ihrer Base. Hätte diese ihr gestanden, in welchem Verhältnis sie zu dem jungen Manne stehe, sie hätte ihr nie ihre Teilnahme an ihm gezeigt, er wäre ihr dann, meinte sie, höchst gleichgültig geblieben, sie hätte nie diese Beschämung erfahren. Wir [96] haben es von guter Hand, daß junge Damen große Beleidigungen, tiefere Schmerzen im Gefühl ihrer Würde mit Anstand zu ertragen wissen; daß sie aber oft, wenn es sich um geringe Dinge handelt, nicht Gleichmut genug besitzen, um das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, nicht Großmut genug, um zu vergessen.

Bertha hat an diesem Abend den unglücklichen jungen Mann keines Blickes mehr gewürdigt, was ihm übrigens über dem größeren Schmerz, der seine Seele beschäftigte, völlig entging. Sein Unglück wollte es auch, daß er nie mehr Gelegenheit fand, Marien wieder allein und ungestört zu sprechen; der Abendtanz ging zu Ende, ohne daß er über Mariens Schicksal und über die Gesinnungen ihres Vaters gewisser wurde, und Marie fand kaum noch auf der Treppe Gelegenheit ihm zuzuflüstern, er möchte morgen in der Stadt bleiben, weil sie vielleicht irgend eine Gelegenheit finden würde, ihn zu sprechen.

Verstimmt kamen die beiden Schönen nach Hause. Bertha hatte auf alle Fragen Mariens kurze Antwort gegeben, und auch diese, sei es, daß sie ahnete, was in ihrer Freundin vorgehe, sei es, weil sie selbst ein großer Schmerz beschäftigte, war nach und nach immer düsterer, einsilbiger geworden.

Aber auf beiden lastete die Störung ihres bisherigen, freundschaftlichen Verhältnisses erst recht schwer, als sie ernst und schweigend in ihr Gemach traten. Sie hatten sich bisher alle jenen kleinen Dienste geleistet, welche junge Mädchen nur noch zu engerer Freundschaft verbinden. Wie ganz anders war es heute! Bertha hatte die silberne Nadel aus dem reichen, blonden Haar gezogen, daß es in langen Ringellocken über den schönen Nacken herabströmte. Sie versuchte, es unter das Nachthäubchen zu stecken; ungewohnt, diese Arbeit ohne Mariens Hülfe zu verrichten, kam sie nicht damit zu stande, aber zu stolz, ihre Feindin, wie sie Marien in ihrem Sinne nannte, ihre Verlegenheit merken zu lassen, warf sie das Häubchen in die Ecke und ergriff ein Tuch, um es um das Haar zu winden.

Schweigend nahm Marie das verworfene Häubchen wieder auf und trat hinzu, das Haar ihrer Base nach gewohnter Weise zu ordnen und aufzubinden.

[97] „Hinweg, du Falsche!“ rief die erzürnte Bertha, indem sie die hülfreiche Hand zurückstieß.

„Bertha, hab’ ich dies um dich verdient?“ sprach Marie mit Ruhe und Sanftmut. „O, wenn du wüßtest, wie unglücklich ich bin, du würdest sanfter gegen mich sein!“

„Unglücklich?“ lachte jene laut auf, „unglücklich; vielleicht weil der artige Herr nur einmal mit dir tanzte?“

„Du bist recht hart, Bertha“, antwortete Marie, „du bist böse auf mich und sagst mir nicht einmal warum?“

„So? du willst also nicht wissen, daß du mich betrogen hast? nicht wissen, wie mich deine Heimlichkeiten dem Spott und der Beschämung aussetzen? Ich hätte nie geglaubt, daß du so schlecht, so falsch an mir handeln würdest!“

Von neuem erwachte in Bertha das kränkende Gefühl, sich hintangesetzt zu sehen; ihre Thränen strömten, sie legte die heiße Stirne in die Hand, und die reichen Locken flossen über ihr zusammen und verhüllten die Weinende.

Thränen sind die Zeichen milderen Schmerzens; Marie kannte diese Thränen und fuhr mit mehr Vertrauen fort: „Bertha! du schiltst meine Heimlichkeit; ich sehe, du hast erraten, was ich nie von selbst sagen konnte. Setze dich selbst in meine Lage; ach, du selbst, so heiter und offen du bist, du selbst hättest mir dein Geheimnis nicht vertrauen können. Aber jetzt ist es ja aus; du weißt, was meine Lippen auszusprechen sich scheuten; ich liebe ihn, ja, ich werde geliebt, und nicht erst von gestern her. Willst du mich hören? darf ich dir alles sagen?“

Berthas Thränen flossen noch immer; sie antwortete nicht auf jene Fragen, aber Marie hub an zu erzählen, wie sie Georg im Hause der seligen Muhme kennen gelernt habe; wie sie ihm gut gewesen, lange ehe er ihr seine Liebe gestanden; alle jene schönen Erinnerungen lebten in ihr auf, mit glühenden Wangen, mit strahlendem Auge führte sie die Vergangenheit herauf; sie erzählte von so mancher schönen Stunde, vom Schwur ihrer Treue, von ihrem Abschied. „Und jetzt“, fuhr sie mit wehmütigem Lächeln fort, „jetzt hat ihn dieser unglückliche Krieg auf diese Seite geführt; er hört, wir seien hier in Ulm, er glaubt nicht anders, als [98] mein Vater sei dem Bunde beigetreten, er hofft, mich durch sein Schwert zu verdienen, denn er ist arm, recht arm! O, Bertha, du kennst meinen Vater; er ist so gut, aber auch so strenge, wenn etwas seiner Meinung widerspricht. Wird er einem Manne seine Tochter geben, der sein Schwert gegen Württemberg gezogen hat? Siehe, das waren meine Thränen! Ach, ich wollte dir so oft sagen, warum sie fließen, aber eine unbesiegbare Scham schloß meine Lippen; kannst du mir noch zürnen? Muß ich mit dem Geliebten auch die Freundin verlieren?“

Auch Mariens Thränen flossen, und Bertha fühlte den eigenen Schmerz von dem größern Kummer der Freundin besiegt. Sie umarmte Marien schweigend und weinte mit ihr.

„In den nächsten Tagen“, fuhr diese fort, „will mein Vater Ulm verlassen, und ich muß ihm folgen. Aber noch einmal muß ich Georg sprechen, nur ein Viertelstündchen; Bertha, du kannst gewiß Gelegenheit geben; nur ein ganz kleines Viertelstündchen!“

„Du willst ihn doch nicht der guten Sache abwendig machen?“ fragte Bertha.

„Was nennst du die gute Sache?“ antwortete Marie. „Des Herzogs Sache ist vielleicht nicht minder gut als die eure; du sprichst so, weil ihr bündisch seid; ich bin eine Württembergerin, und mein Vater ist seinem Herzoge treu. Doch sollen wir Mädchen über den Krieg entscheiden? Laß uns lieber auf Mittel sinnen, ihn noch einmal zu sehen.“

Bertha hatte über der Teilnahme, mit welcher sie der Geschichte ihrer Base zugehört hatte, ganz vergessen, daß sie ihr jemals gram gewesen war. Sie war überdies für alles Geheimnisvolle eingenommen, daher kamen ihr diese Mitteilungen erwünscht; sie fühlte, wie wichtig und ehrenvoll der Posten einer Vertrauten sei und gab sich daher alle mögliche Mühe, dem liebenden Paare mit ihrem Scharfsinn zu dienen.

„Ich hab’s gefunden“, rief sie endlich aus, „wir laden ihn geradezu in den Garten.“

„In den Garten?“ fragte Marie schüchtern und ungläubig, „und durch wen?“

[99] „Sein Wirt, der gute Vetter Dieterich, muß ihn selbst bringen“, antwortete sie, „das ist herrlich, und dieser darf auch kein Wörtchen davon merken, laß nur mich dafür sorgen.“

Marie, entschlossen und stark bei großen Dingen, zitterte doch bei diesem gewagten Schritte. Aber ihre mutige, fröhliche Base wußte ihr alle Bedenklichkeiten auszureden, und mit zurückgekehrter, mit erneuerter Hoffnung und befreit von der Last des Geheimnisses, umarmten sich die Mädchen, ehe sie sich zur Ruhe legten.



  1. Anfang der 2. Strophe des Gedichtes: „Graf Eberstein“
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